Auch bei der Bayernwahl kursieren wieder Behauptungen über Wahlbetrug
Vor und nach der Landtagswahl in Bayern gab es wieder Spekulationen über Wahlbetrug – wie bei anderen Wahlen zuvor. Nun verbreitet sich auch die Behauptung, dass sie manipuliert wurde, vor allem zugunsten der Grünen. Eine Übersicht
Vor der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober warnten Menschen auf sozialen Netzwerken verstärkt vor Wahlbetrug.
Zum Beispiel schrieben„@DanielDJDanby“ und „@Superliebling“ am 11.Oktober wortgleich auf Twitter: „Sensation: FAZ-Analyse geht von Wahlbetrug zum Schaden der AfD aus“. Allerdings führte der beigefügte Link nicht wie angekündigt zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern zu einem Artikel des verschwörungstheoretischen Compact Magazin von Mai 2018.
Es gab aber einen solchen Artikel in der FAZ, einen Gastbeitrag von Politikwissenschaftler Uwe Wagschal im Mai 2018. Er verbreitete darin mehrere Theorien, zum Beispiel dass Wahlhelfer bei der Bundestagswahl 2017 AfD-Stimmen ungültig gemacht hätten. Focus Online hatte sich damals mit Wagschals Thesen beschäftigt und sie widerlegt. Auf Anfrage von CORRECTIV antwortete Wagschal nicht.
Viele Accounts teilten auch den Artikel „Vorprogrammierter Wahlbetrug in Bayern. Nicht zugestellte Briefwahlstimmen werden mit Grün aufgefüllt.“ Der falsche Bericht erschien am 1. Oktober 2018 auf Halle Leaks, einem rechten Blog, der häufiger Falschmeldungen veröffentlicht. Auf Facebook wurde er mehr als 3300 Mal geteilt.
Außerdem kursierte ein Artikel über Schweden: Eine Vermischung unbelegter Behauptungen mit Tatsachen von Anonymousnews.ru. Die irreführende Schlagzeile: „Massiver Wahlbetrug in Schweden – Sozialdemokraten zahlten 770.000 € für Migrantenstimmen.“
Aufrufe zur Wahlbeobachtung von rechts
Die AfD, rechte Blogs und die rechte Organisation „Ein Prozent“ riefen ihre Anhänger in Bayern zur Wahlbeobachtung auf. Das geschah bereits zur Bundestagswahl, wie CORRECTIV damals berichtete.
Im Gespräch am Freitag vor der Wahl fand Gunnar Loibl, Sprecher der bayerischen Landeswahlleitung die Aufrufe zur Wahlbeobachtung nicht problematisch. „Das ist ja explizit vom Gesetz vorgesehen“, sagt er. Nur stören dürfen die Beobachter die Auszählung nicht, sie dürfen also zum Beispiel nicht demonstrieren. Vermuten Beobachter Wahlbetrug, können Sie das dem Landtag melden.
Behauptungen über Wahlfälschung
Am Wahltag erhielt der Landeswahlleiter einige Meldungen über angeblichen Wahlbetrug. Sprecher Loibl schrieb am Mittwoch per Email: „Es gab einige Anrufe und Emails mit (vermeintlichen) Fehlern bei einzelnen Wahllokalen.“ Allerdings nicht mehr als bei vorigen Wahlen auch. Beispiele waren demnach: „Angeblich falsche Stifte, angeblicher Verstoß wegen Stimmabgabe nach 18 Uhr, etc. In der Regel konnten diese vermeintlichen Fehler sehr schnell aufgeklärt werden und haben sich eben nicht als Fehler herausgestellt.“
Loibl fasst zusammen: „Der Landeswahlleitung liegen keinerlei Anhaltspunkte für ‘Wahlbetrug’ vor.“
Im Nachhinein meinten manche dennoch, die sei Wahl manipuliert worden. Mehrere Webseiten verbreiteten ein Video des rechten Bloggers Oliver Janich mit dem Titel: „Wahlfälschung in Bayern? Stimmanteil der Grünen verdoppelt sich.“ Ein Beitrag über das Video auf der Webseite „noch.info“ wurde auf Facebook mehr als 1.200 Mal geteilt.
Für solche Fälle ist jedoch nicht der Landeswahlleiter, sondern der Landtag zuständig. Dort müssten sogenannte Wahlbeanstandungen eingereicht werden.
Landtagssprecher Zoran Gojic sagte am Mittwoch am Telefon, bisher seien zwei Beanstandungen eingegangen. Das sei nicht Ungewöhnliches. Bei jeder Wahl gebe es das. Noch bis zum 30. Oktober können Beanstandungen eingereicht werden, dann wird sich der Verfassungsausschuss damit beschäftigen. Nach der Wahl 2013 waren es 18 Meldunge, die vom Verfassungsausschuss „alle einstimmig als unbegründet zurückgewiesen wurden“, so Gojic. Da sich die Verwaltung inhaltlich nicht damit beschäftige, könne er auch nichts zum Inhalt der Beanstandungen sagen, so der Landtagssprecher.
Ungereimtheiten vor der Wahl
Tatsächlich gab es vor der Wahl einige Ungereimtheiten mit Wahlpapieren. Der Donaukurier berichtete, dass 700 Briefwahlunterlagen verschwunden seien, es gab einen Druckfehler auf Wahlscheinen, und manche hatten ihre Wahlpapiere nicht erhalten, wie der BR berichtete.
Die offiziellen Stellen gehen bisher jedoch nicht von Wahlbetrug aus. Neben dem Wahlleiter sagt auch eine Sprecherin des bayerischen Innenministeriums, dass es keine Hinweise darauf gibt, die Wahl sei nicht ordnungsgemäß abgelaufen: „Uns sind bis dato keine Hinweise auf Wahlfälschung oder Wahlmanipulation bekannt“, schrieb die Sprecherin am Dienstag per Email.
Allerdings ist es nicht so, dass Wahlmanipulation nie vorkommt. Unabhängig von der Landtagswahl in Bayern ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft gerade gegen einen Wahlhelfer, wie die Welt am Dienstag berichtete. Demnach soll ein inzwischen 24-jähriger bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 Briefwahlstimmen für die Grünen gefälscht haben.
Welche Wirkung haben die Spekulationen?
Das Londoner Büro des Institute for Strategic Dialogue (ISD) hat die Wahl in Bayern beobachtet. Sie haben mit unterschiedlichen Tools Soziale Medien wie Facebook und Twitter und Foren wie 4Chan und Discord analysiert.
Demnach gab es auf Twitter und Facebook zu unterschiedlichen Zeiten Spitzen in der Verwendung des Begriffs „Wahlbetrug“ in Posts, die auch das Wort „Bayern“ enthielten.
Eine Grafik zeigt: Am 8. Oktober kamen verstärkt Tweets zum Thema Wahlbetrug – an dem Tag erschien der Schweden-Artikel auf Anonymousnews.ru. Mehr als 250 Tweets enthielten die beiden Begriffe „Bayern“ und „Wahlbetrug“. Am 14. Oktober, dem Wahltag, dann ein erneuter Anstieg: Da erschienen knapp 500 Tweets.
Einer der Analysten, Jakob Guhl, sagt dazu: „ Zwar war das Thema ‘Wahlbetrug’ und die damit verbundene Forderung nach ‘Wahlbeobachtung’ nicht das dominante Thema im Vorlauf zu den bayerischen Landtagswahlen. Nichtsdestotrotz pushten durchaus einflussreiche rechtsextreme Gruppen wie ‘Ein Prozent’ und verschwörungstheoretische Youtuber wie Oliver Janich und Tim Kellner das Thema, das schließlich auch von einer Vielzahl von AfD-Accounts diskutiert wurde.“
Doch das sei „wenig überraschend“, so Guhl. Ähnliche Vorwürfe habe es auch vor anderen internationalen Wahlen, darunter die Bundestagswahl 2017, gegeben. „Allerdings ist nicht geklärt, welche Effekte diese Vorwürfe erzielt haben: Wurden tatsächlich Personen in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst, nachdem ihnen diese Vorwürfe online begegnet sind? Erreichen diese Vorwürfe Personen außerhalb des rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Spektrums?“ Um das herauszufinden, bräuchte es detaillierte Umfragen.
Guhls Kollegin Hannah Winter fügt hinzu, dass „es viele kleine Feuer gibt, aber die Koordination anscheinend teilweise nicht ausreicht, um mehr Schaden anzurichten.“
Das heißt: Das Thema Wahlbetrug kommt vor Wahlen immer wieder auf, befeuert von Spekulationen und alten Artikeln. Welche Wirkung das hat, ist bisher jedoch unklar.
Facebook gegen Wählermanipulation
Facebook will vor den Zwischenwahlen in den USA im November stärker gegen Wählermanipulation vorgehen. Damit sind nicht die Aktivitäten in den Wahllokalen gemeint, sondern irreführende Berichte vor der Abstimmung. So will die Plattform Beiträge löschen, die Wähler vom Wählen abhalten sollen. Das betrifft zum Beispiel falsche Behauptungen, dass Wähler per SMS abstimmen können oder Meldungen, die ein falsches Datum für die Abstimmung verbreiten.
Obwohl die US-Wahlen der konkrete Anlass für die neuen Maßnahmen sind, hat Facebook seine internationalen Faktencheck-Partner, darunter auch Correctiv, gebeten, auf solche Meldungen zu achten.