Wahlpartys und Rom-Reisen
Landtagsfraktionen haben viel Geld – und wenig öffentlichen Kontrolle. Wir haben deswegen bei allen Landesrechnungshöfen in Deutschland nachgefragt, wie die Fraktionen mit den anvertrauten Millionen umgehen.
Das erste Ergebnis: Fraktionen missbrauchen immer wieder fast folgenlos öffentliche Gelder für Reisen, Geschenke und Wahlkämpfe. Viel problematischer ist aber das zweite Ergebnis unserer Recherche: etliche Landesrechnungshöfe verheimlichen lieber Prüfergebnisse, als heimischen Parteigranden auf die Schuhe zu treten. Dabei müssten die Prüfer laut Gesetz der Öffentlichkeit Auskunft über ihre Arbeit erteilen. Aber gerade in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ignorieren die Beamten diese Pflicht. Der Landesrechnungshof im Saarland kontrolliert die Fraktionen sogar nur alle zehn Jahre — so selten wie kein anderer.
Ein Großteil der deutschen Politik wird in Landesparlamenten umgesetzt. Doch anders als im Bundestag, ist die öffentliche Kontrolle in den Ländern weniger stark ausgeprägt. Kaum einer schaut richtig hin. Umso wichtiger ist die Kontrolle durch die Landesrechnungshöfe. Sie sollen unter anderem untersuchen, ob Politiker Geld in den Landtagen verschwenden. Wir von CORRECTIV wollten nun wissen, wie es um diese Kontrolle bestellt ist und haben deswegen in einer umfassenden Recherche die Prüfberichte aller Landesrechnungshöfe ausgewertet, und den Prüfern zusätzlich jede Menge Fragen gestellt. Eine gute Nachricht vorweg: Es gibt sie, die transparenten Landesrechnungshöfe. Ämter, die genau sagen, wo Geld von Fraktionen verschwendet worden ist. Wie in Berlin etwa, wo bei einer Prüfung für das Jahr 2006 festgestellt wurde, dass über 36.000 Euro verschwendet wurden für Adventskalender, Broschüren und Wahlpartys. Oder in Rheinland-Pfalz, wo über einen Zeitraum von fünf Jahren mehr als eine Million Euro für unnötige Ausgaben eingesetzt wurde: Fraktionsreisen der CDU nach Rom, Veranstaltungen der Partei und unzulässige Spenden. Auch die Landesrechnungshöfe in Bremen und Schleswig-Holstein und haben schnell und bereitwillig Auskunft gegeben, auch auf Rückfragen hin.
Die schlechte Nachricht: Die meisten Landesrechnungshöfe mauern, wenn es um Verstöße der Fraktionen geht. In Hessen wird total dicht gehalten, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben wir nicht alle Auskünfte bekommen, genauso wie in Bayern und Baden-Württemberg.
Der Pressesprecher des hessischen Landesrechnungshofes reagiert bereits auf unsere Anfrage verkniffen. „Ich habe schon gehört, Sie nerven zurzeit die Nation“, ist seine Reaktion auf unseren Anruf. Der hessische Rechnungshof führt in jeder Wahlperiode eine Prüfung durch, ob die Fraktionen im Wiesbadener Landtag ihre Zuschüsse zweckmäßig verwendet haben. Wir möchten diese Daten sehen. Doch die Prüfer in Hessen geben sie nicht heraus.
Im Saarland und in Niedersachsen gab es in den vergangenen zehn Jahren keine abgeschlossen Prüfung der Fraktionszuschüsse. Aus anderen Bundesländern bekamen wir Prüfberichte nur zum Teil – oder mit schwammigen Angaben. Da stand dann, welche Verstöße „eine Fraktion“ oder „zwei Fraktionen“ begangen hätten. Ob es aber die CDU, die SPD, die Grünen oder die FDP war, teilte die Behörde auch auch Nachfrage nicht mit.
Dabei sind die Landesrechnungshöfe zu detaillierten Auskünften verpflichtet. Im Jahr 2013 hatte CORRECTIV-Gründer David Schraven – damals noch bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung – in Nordrhein-Westfalen den Landesrechnungshof auf Auskunft verklagt und den Prozess gewonnen (K 3924/13). Der Landesrechnungshof musste danach auf den Euro genau sagen, wieviel Geld welche Fraktion in NRW verplempert hatte. Es ging um Feiern, unangemessene Geschenke und Zulagen für Fraktionspositionen, die besser nicht gezahlt worden wären.
Das Urteil haben wir im Rahmen der aktuellen Recherche allen Rechnungshöfen zukommen lassen, nachdem sie uns Antworten auf unsere Detailfragen verweigert haben. Fast alle reagierten gleich: Erst nahmen sie sich viel Zeit, das Urteil zu prüfen. Und erklärten dann, unser Auskunftsanspruch sei „durch die Freiheit der Mandate beschränkt“. Das heißt: Dass ein Abgeordneter im Parlament frei gewählt und nur seinem Gewissen verantwortlich ist. Genau die Meinung, die in NRW vom Verwaltungsgericht Düsseldorf rechtskräftig widerlegt wurde. Die Rechnungsprüfer ignorierten das einfach.
Wir hätten nun alle mauernden Rechnungshöfe auf Auskunft verklagen können. Aber das hätte Tausende von Euro gekostet. Recht zu haben ist manchmal teuer in Deutschland.
Wir hatten stattdessen eine andere Idee. Wir schlugen den Landesrechnungshöfen vor, doch die Fraktionen zu fragen, ob sie uns nicht Auskunft geben können. Aus Hamburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt erhielten wir nach Wochen schließlich die gewünschten Informationen.
Nur die Landesrechnungshöfe in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben auch nach der Beratung mit den Landtags-Fraktionen weiterhin die Auskunft verweigert.
Wir haben deswegen die Fraktionen dort einzeln gefragt, was bei ihnen gerügt wurde. Einige antworteten. Andere erklärten, sie seien keine Behörden und somit nicht an Auskunftsgesetze gebunden.
Im grün-rot regierten Baden-Württemberg schließlich wurde es absurd. Hier schlossen sich Grüne, SPD, CDU und FDP zu einer Riesengroßen-Koalition zusammen, um auf einem gemeinsamem Briefpapier unter den Logos aller Parteien zu erklären, sie würden uns nicht sagen, wie viel Steuer-Geld sie verschwendet hätten.
Öffentlichkeitsarbeit und Werbung
Die Fraktionen dürfen Geld für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung ausgeben. Sie dürfen Internetseiten betreiben und Broschüren über ihre Arbeit drucken lassen. Doch immer wieder kritisieren Landesrechnungshöfe ausufernde Werbemaßnahmen, die leicht als Parteiwerbung angesehen werden können. Denn das dürfen Fraktionen nicht. Sie dürfen nicht versteckt für Parteien werben.
Wie in Bremen etwa. Hier hat der Landesrechnungshof bemängelt, dass bei Broschüren der SPD- und der Linke-Fraktion nicht eindeutig erkennbar war, von wem sie stammen — von der Landtagsfraktion, der Landtagspartei oder dem Senat. So konnte der Eindruck entstehen, es handele sich um eine Maßnahme der Partei statt der Fraktion. Und damit um verbotenen Wahlkampf auf Kosten der Steuerzahler. Die kritisierte Geldausgabe: rund 23.000 Euro.
Als besonders schwerwiegend gilt ein Verstoß, wenn Fraktionen kurz vor den Landtagswahlen massiv werben. Das so genannte „Mäßigungsgebot in der Vorwahlzeit“ sieht vor, dass Fraktionen drei bis sechs Monate vor der Wahl auf übermäßige Werbemaßnahmen verzichten. In Berlin kritisiert der zuständige Landesrechnungshof (LRH) etwa, dass die FDP-Fraktion vier Tage vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus 20.400 Fraktionsbroschüren zu verschiedenen Themen verteilt hat. Zwar hatten diese hauptsächlich Fraktionswerbung zum Inhalt. Die Verteilaktion kurz vor der Wahl zielte aber eindeutig auf eine Beeinflussung der Wähler ab, sagte der LRH. Deswegen mussten die entstandenen Kosten von der Fraktion zurückgezahlt werden. Eine ähnliche Aktion zog die FDP-Bundestagsfraktion vor der Landtagswahl 2012 in NRW durch. Sie verteilte in umkämpften NRW-Wahlkreisen Werbung ihres damaligen Fraktionschef in Berlin. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs NRW war das ein Verstoß gegen die Regeln.
In Hamburg versandten die Fraktionen 2012 rund 15.000 Weihnachtskarten. Die Christdemokraten waren mit 1.200 Karten noch relativ zurückhaltend. Je rund 3.000 waren es bei Grünen und FDP. Besonders viel Weihnachtsstimmung verbreitete die regierende SPD: sie verschickte 7500 Karten. Nun könnte man denken, die Fraktionen nutzten die Gelegenheit, die Bürger zu Weihnachten über ihre Arbeit zu informieren. Nein. Es waren schlicht Weihnachtsgrüße. Sympathiewerbung. Dazu dienten auch die „Give-aways“, die SPD-, CDU- und FDP-Fraktion einkauften, billige Werbeartikel, Kugelschreiber etwa. Auch Give-aways haben keinen direkten Bezug zur parlamentarischen Arbeit und werden hauptsächlich zur Sympathiewerbung genutzt. Deshalb gilt es als indirekter Wahlkampf. Wie viel Geld dabei ausgegeben wurde, sagte der Landesrechnungshof nicht.
Manchmal arbeitet auch – wie bei der CDU in Rheinland-Pfalz oder bei der SPD in Sachsen-Anhalt – das gleiche Personal in der Öffentlichkeitsarbeit für die Fraktion und in der Pressestelle der Landespartei. In diesen Fällen muss klar getrennt werden, welcher Teil der Arbeitszeit für welchen Arbeitgeber verwendet wird. Das Geld der Steuerzahler darf nur für die Tätigkeit der Landtagsfraktion ausgegeben werden. Sonst liegt auch hier eine versteckte Parteienfinanzierung vor, sagt der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz.
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Reisekosten
Fraktionen können ihren Angestellten Reisekosten erstatten, etwa wenn sie an einer Konferenz teilnehmen. Reisen zu Parteitagen gehören aber in der Regel nicht dazu, sagt zum Beispiel der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz.
Fraktionsreisen sind nur selten zulässig. Vor allem müssen sie den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechen. Die CDU-Fraktion in Rheinland-Pfalz reiste 2006 mit allen Abgeordneten nach Rom. Kosten: rund 80.000 Euro. Es gab nur eine geringe Eigenbeteiligung. Das beanstandete der Landesrechnungshof. Die Abgeordneten sollten sich daraufhin mit mehr eigenem Geld beteiligen. Die CDU versprach, auf solche Reisen in Zukunft zu verzichten.
Veranstaltungen
Veranstaltungen sind für Fraktionen wichtig. Hier zeigen sie sich, hier präsentieren sie ihre Arbeit. Allerdings dürfen die Kosten für solche Events nicht aus dem Ruder laufen. So, wie einst bei der FDF in Sachsen. Sie gab für „Burgfeste“ in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt fast 184.000 Euro aus. Das vierte „Liberale Burgfest“ der dortigen FDP-Fraktion fand zehn Wochen vor der Landtagswahl 2009 statt. Die Einladung hatte einen klaren Bezug zur Wahl. Mehr als 98.000 Euro flossen aus dem Fraktionstopf.
In Schleswig-Holstein bedienten sich so ziemlich alle Parteien aus den Fraktionstöpfen: Grüne, FDP, CDU und SPD. Sie gaben zwischen 2009 bis 2012 etliche Empfänge, bei denen der Landesrechnungshof keinen fachlichen Bezug zur Arbeit der Fraktionen fand. Insgesamt gaben sie für Neujahrs-, Frühjahrs- und Geburtstagsempfänge sowie Kunstveranstaltungen knapp 88.000 Euro aus.
Rechnungsführung
Immer wieder verstoßen Fraktionen gegen Regeln, die für ihre der „Rechnungsführung“ gelten. Oft fehlen Details. Der Landesrechnungshof Hamburg etwa hat kritisiert, dass bei Taxifahrten die Angaben zur gefahrenen Strecke fehlen. Ging es von Kneipe zu Privatwohnung, oder vom Landtag ins Ministerium? Niemand weiß es. In Rheinland-Pfalz kritisierte der Landesrechnungshof, dass bei Bewirtungen oft Belege fehlten, und bei anderen Ausgaben zum Teil gar keine Angaben vorhanden waren, wofür das Geld ausgegeben wurde. es verschwand sozusagen einfach.
Rücklagen
Die Fraktionen dürfen aus den Steuergeldern, die ihnen gegeben werden, Rücklagen bilden. Mit diesen Rücklagen können sie für schlechte Zeiten vorsorgen, um nicht sofort Mitarbeiter entlassen zu müssen, wenn eine Sonderausgabe auf die Fraktion zukommt. In den einzelnen Bundesländern ist die Höhe der Rücklagen unterschiedlich geregelt. In Hessen dürfen Fraktionen nur maximal 20 Prozent der Fraktionsmittel als Rücklagen nutzen, im Saarland 40 Prozent.
Die Landesrechnungshöfe kritisieren meist die Höhe der Rücklagen. In Mecklenburg-Vorpommern etwa hatte die FDP-Fraktion für die ersten zweieinhalb Monate der Wahlperiode 44.502,02 Euro angespart. Die NPD-Fraktion legte sogar 85.723,52 Euro in der gleichen Periode zurück. Damit überstiegen beide neu gewählten Parteien die für das Bundesland geltende 20-Prozent-Grenze.
Personalkosten und Funktionszulagen
Fraktionen sollen sich beim Lohn ihrer Angestellten am Gehalt vergleichbarer Landesbediensteter orientieren. Erhalten die Fraktionsmitarbeiter erhöhte Löhne oder Zusatzversicherungen, so mahnt der Landesrechnungshof es in der Regel an. In Rheinland-Pfalz etwa hatte die FDP-Fraktion einem Beschäftigten eine Zusatzversorgung in Höhe einer Vollbeschäftigung gewährleistet, obwohl er nur teilbeschäftigt war.
In den meisten Fraktionen ist es zudem üblich, ihren Vorsitzenden und auch anderen Abgeordneten Zulagen für einige Funktionen zu gewähren. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, dass Zusatzvergütungen für besondere parlamentarische Funktionen nur an die Parlamentspräsidenten, ihre Stellvertreter und die Fraktionsvorsitzenden geleistet werden dürfen. An stellvertretende Fraktionsvorsitzende, parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen, Ausschussvorsitzende und andere Mitarbeiter dürfen hingegen keine ergänzenden Zahlungen geleistet werden. Manche Fraktionen versuchen es dennoch: In Bayern etwa mahnte der Landesrechnungshof die Abgeordneten einer Fraktion, dass sie bei ihren Entscheidungen weniger das Gemeinwohl als den eigenen wirtschaftlichen Vorteil im Blick hätten. Um welche Fraktion es sich handelte, das sagte der LRH nicht.
Beratung und Umfrage
Manche Fraktionen haben die Zuschüsse auch dazu benutzt, um sich von externen Agenturen beraten zu lassen, vor allem wenn es um Eigenwerbung und Öffentlichkeitsarbeit ging. Solche Beratungen sind oft teuer und dienen auch der Imagepflege der Partei. Der Landesrechnungshof Bayern hat zum Beispiel bemängelt, dass eine Agentur ein Aktionsprogramm zur Beteiligung der Bevölkerung an der Arbeit einer Fraktion entwickeln sollte und dafür insgesamt 334.000 Euro erhielt. Ursprünglich waren aber nur 208.000 Euro für die Beratung veranschlagt worden. Der Umfang der Beratung war also nicht eindeutig festgelegt. Um welche Fraktion es sich handelte? Das verschwieg der Landesrechnungshof.
Auch Wähler-Umfragen werden immer wieder aus Fraktionsmitteln mitfinanziert. Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz hat sich mit einer Umfrage der Grünen-Fraktion beschäftigt: Die Fraktion führte gemeinsam mit einem Meinungsforschungsinstitut eine 33.700 Euro teure Umfrage durch. Im abschließenden Bericht zur Umfrage sah der Landesrechnungshof das Problem, dass nicht alle Fragen und Antworten eindeutig der Landtagsfraktion zugeordnet werden konnten, zum Beispiel bei einer Frage nach der Bekanntheit und Wertschätzung verschiedener Landespolitiker.
FAZIT
Unsere Informationen sind unvollständig. Das Bild ist nicht komplett. Wir wissen das. Wir glauben aber dennoch, dass es wichtig ist, dieses unvollständige Bild zu publizieren. Nur wenn wir zeigen, wie die Verhältnisse sind, kann sich was ändern. In Ländern mit transparenten Parlamenten und auskunftswilligen Landesrechungshöfen gibt es weniger und weniger krasse Verstöße.
„Die Kontrollen sind insgesamt nicht hinreichend“, sagt Martin Morlock, Parteienforscher an der Uni Düsseldorf. Sie müssten schärfer werden, Verstöße müssten geahndet werden. Unklare Regelungen seien ein „Einfallstor für Missbrauch“.
Die Wirkung, die das parteiübergreifende Vertuschen und Verheimlichen in Ländern wie Baden-Württemberg hat, ist in jedem Fall fatal. Sie führt zu dem Eindruck, dass „die da oben“ doch nur machen, was sie wollen.