Kitakrise in Deutschland

Zehntausende Personalausfälle im vergangenen Kitajahr

Im vergangenen Kitajahr meldeten Einrichtungen in mehr als 26.000 Fällen Unterbesetzungen. Die Recherche von CORRECTIV.Lokal zeigt auch die Folgen des Personalmangels: Kitas mussten außerplanmäßig schließen, Erzieherinnen bekamen Panikattacken, Kinder erlebten Gewalt.

von Miriam Lenz , Jonathan Sachse , Max Donheiser

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Dauerhafter Stress macht Erzieherinnen und Kita-Leitungen krank. Und wegen des Personalausfalls steigt die Belastung für die anderen weiter. Illustration: Mohamed Anwar

In Deutschland konnten im vergangenen Kitajahr tausende Kindergärten aufgrund von Personalmangel die vereinbarte Betreuung nicht sicherstellen. In mindestens 26.731 Fällen informierten Kitas die zuständigen Aufsichtsbehörden, dass zu wenige Erzieherinnen zur Arbeit kamen und deshalb formal das Kindeswohl als gefährdet galt. Diese Meldungen fragte CORRECTIV.Lokal bei den zuständigen Behörden ab, etwa den örtlichen Jugendämtern oder Landesjugendämtern.

Die Konsequenzen solcher Personalausfälle können weitreichend sein: Allein in Nordrhein-Westfalen mussten Kitas in 7.495 Fällen den Jugendämtern mitteilen, dass sie Gruppen oder die gesamte Einrichtung schließen mussten.

Für die Recherche fragte CORRECTIV.Lokal gemeinsam mit FragDenStaat und Lokalmedien bundesweit die zuständigen Aufsichtsbehörden, wie häufig Kitas solche Personalmangel-Meldungen bei ihnen machten und welche Maßnahmen sie ergriffen. Nur in wenigen Bundesländern haben wir die Zahlen vom Landesjugendamt bekommen, die uns diese lokal aufschlüsselten. In mehreren Bundesländern haben wir deswegen zusammen mit Lokal- und Regionalmedien die zuständigen Ämter auf Kreisebene einzeln abgefragt.

Ein weiteres Ergebnis aus diesen Auskunftsanfragen: Viele Bundesländer haben keinen Überblick über die Meldungen, die bei ihnen eingingen. Das hat weitreichende Folgen: Ohne eine realistische Einschätzung, wie häufig und wo Kitas ihren Personalschlüssel nicht einhalten können, ist es für die Politik schwierig, gezielt gegenzusteuern. Zudem zeigt die Recherche, dass nicht alle Kitas melden. Oftmals kürzen Kitas nicht offiziell ihre Öffnungszeit, bitten aber die Eltern, ihre Kinder früher abzuholen.

Diese Ergebnisse passen nicht zum Versprechen, das die Politik 2013 gegeben hat. Denn seit zehn Jahren gibt es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag. „Eine gute Kinderbetreuung und frühe Förderung für alle Kinder gehören zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben in Deutschland“, formulierte es die damalige Bundesregierung.

Tausende Betroffene berichten über Folgen der Kitakrise

Wie ernsthaft die Situation ist, zeigt eine Umfrage, die über den CrowdNewsroom, einer von CORRECTIV entwickelten Online-Plattform, realisiert wurde. Darüber haben sich mehr als 6.600 Eltern und Kita-Mitarbeitende beteiligt haben. Ihre Berichte zeichnen erstmals ein umfassendes Bild von den konkreten Folgen für Beschäftigte, Kinder und Eltern: Erzieherinnen müssen teilweise mehr als 20 Kleinkinder alleine betreuen. Kindern mit Behinderungen bleibt eine angemessene Förderung vorenthalten. Das Risiko von Gewalt scheint zuzunehmen.

Sämtliche Ergebnisse der Recherche stehen auf der Internetseite kitanotstand.de online. Dort finden Menschen verschiedene Handlungsmöglichkeiten, wie sie zum Thema auf Verantwortliche in der Politik zugehen können und den Missstand in der eigenen Nachbarschaft – in Form einer Plakataktion – bekannt machen können.