Geheime Prüfberichte in der Pflege
Prüfberichte von vielen Pflegeheimen in NRW sind noch immer geheim, obwohl ein Gesetz seit zwei Jahren Transparenz befiehlt. Und selbst die Berichte, die öffentlich sind, sind ohne großen Wert. Dabei gibt es Informationen, die bei der Heimauswahl helfen könnten. Jeder Bürger kann diese mit dem Informationsfreiheitsgesetz beantragen.
Diese Recherche veröffentlichen wir gemeinsam mit dem WDR-Magazin Westpol, dem Politmagazin für NRW.
Die Hoffnung war groß, als NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens im Oktober 2014 das Wohn- und Teilhabegesetz NRW vorstellte. Für sie und ihr Ministerium war das ein wichtiger Schritt. Unter anderem sollte es von nun an transparenter werden. Alle Heimaufsichten müssen dem neuen Gesetz zufolge die Ergebnisse ihrer Prüfungen öffentlich machen. Damit Bewohner und Angehörige sich besser über Pflegeheime informieren können.
Heute ist klar: Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Fast zwei Jahre später sind nicht nur immer noch eine ganze Reihe Heimaufsichtsberichte nicht öffentlich. Die im Internet veröffentlichten Berichte sind zudem überwiegend nutzlos. Und das, obwohl detailliertere, nützlichere Informationen verfügbar wären. Die Landesregierung hat sich 2014 für ein Format entschieden, dass die Heime schützt – und den Bürgern kaum Vorteile bringt.
Nutzloser Pflege-TÜV
Bekanntestes Bewertungssystem für Pflegeheime ist seit 2009 der sogenannte Pflege-TÜV und die daran gekoppelten Pflegenoten. Jedes Heim wird vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung geprüft und erhält danach eine Note. Die Prüfer bewerten jedoch vor allem die richtige Dokumentation von Leistungen – und nicht, wie es den Bewohnern wirklich geht. Zudem können Heime eine schlechte medizinische Versorgung mit einem schönen Garten und einem gut lesbaren Speiseplan ausgleichen. Dementsprechend werden alle etwa 13.000 Heime in Deutschland im Schnitt mit der Schulnote 1,2 bewertet. Für Bürger ist dieser Pflege-TÜV nutzlos.
Die Hoffnung ruhte in Nordrhein-Westfalen deshalb auf den 53 Heimaufsichten der kreisfreien Städte und Landkreise. Mindestens alle zwei Jahre besuchen diese die Pflegeheime, bei Beschwerden sind zusätzliche Anlassprüfungen möglich. Theoretisch sind die Prüfungen der Heimaufsichten besser als der Pflege-TÜV. Die Aufsicht kann schlechte Pflegeheime schließen und sie schreibt ausführliche Berichte über die Lage vor Ort.
Der Ansatz, die Arbeit der Heimaufsichten auch den Bürgern zur Verfügung zu stellen, ist also theoretisch gut. Das Wohn- und Teilhabegesetz schreibt deshalb seit Oktober 2014 vor, dass „die wesentlichen Ergebnisse der Regelprüfungen in einem Ergebnisbericht in einem Internet-Portal der zuständigen Behörde veröffentlicht“ werden. Praktisch wird die Hoffnung jedoch enttäuscht.
Wir haben uns durch die Webseiten der 53 Städte und Landkreise geklickt. Auf den ersten Blick haben wir bei weniger als der Hälfte der Städte haben wir Berichte der Heimaufsichten gefunden, obwohl das Gesetz fast zwei Jahre alt ist. Eine Liste aller Heimaufsichten mit den entsprechenden Links auf die veröffentlichten Berichte haben wir unten aufgeführt.
Jede dritte Behörde intransparent
Nachdem wir bei unserer ersten Suche nur bei 25 von 53 Kommunen Berichte auf den Webseiten finden konnten, haben wir alle Städte und Kreise konkret gefragt. Wo veröffentlichen Sie Ihre Berichte? 35 Städte und Kreise haben auf die Fragen von correctiv.org geantwortet. Einige Städte haben uns Links zu ihren Heimaufsichtsberichten zukommen lassen, die wir auf Anhieb nicht gefunden haben. Sie waren auf den Seiten zu gut versteckt. Andere Städte haben gar nicht geantwortet oder eingestanden, dass sie die Berichte bislang nicht veröffentlichen. Noch immer fehlen uns Berichte aus 19 Kommunen – jede dritte Behörde. Darunter Oberhausen, Bottrop, Gütersloh, Düren oder der Hochsauerlandkreis.
Der Sprecher der Stadt Bottrop, Andreas Plaesken, teilt auf Anfrage mit, die Stadt habe zum 11. Juli hin ihre Webseite überarbeitet. Nun könne „im Laufe der kommenden Monate auch ein neuer Inhalt, wie die von der Heimaufsicht gewünschte Publikation, umgesetzt werden.“ Bislang sind auf der Webseite keine Berichte zu finden.
Veröffentlichung zum Teil erst 2017
Ralf Terlau, Sprecher der Stadt Oberhausen schreibt, die Veröffentlichungen werden „derzeit vorbereitet und sind ab 1. Januar 2017 für die entsprechenden Einrichtungen vorgesehen.“ Der Hochsauerlandkreis, die Veröffentlichung werde „derzeit organisatorisch vorbereitet und ist angestrebt“.
Im Kreis Gütersloh konnte die vorgeschriebene Transparenz bislang „nicht umgesetzt werden, da es in dem verantwortlichen Arbeitsbereich leider zu Personalausfällen/Vakanzen gekommen ist“, schreibt der Sprecher der Stadt, Jan Focken.
Der Sprecher des Hochsauerlandkreises, Jürgen Uhl, schreibt, eine Veröffentlichung werde „derzeit organisatorisch vorbereitet und ist angestrebt.“ Auch in Düren „musste dieses Internetportal erst eingerichtet werden“, schreibt Stadtsprecherin Sabine Sobczak. „In Kürze werden die Berichte hochgeladen.“
Die Stadt Essen hat nach unserer Anfrage vor wenigen Tagen erste Ergebnisberichte im Netz veröffentlicht. Auch der Rhein-Kreis-Neuss hat erst vor Kurzem die ersten Berichte veröffentlicht. Das Ministerium habe „erst Ende 2015 das Prüfverfahren verbindlich geregelt und den auf dem derzeit geltenden Recht basierenden Rahmenprüfkatalog per Erlass in Kraft gesetzt“, schrieb Stadtsprecherin Anne Büren auf Anfrage.
Kaum Berichte online
Doch selbst die Behörden, die Berichte veröffentlichen, helfen den Bürgern damit kaum weiter.
Erstens stellen viele Behörden nur sehr wenige Berichte ins Internet. So haben zum Beispiel der Kreis Unna und die Stadt Herne bislang jeweils lediglich einen einzigen Ergebnisbericht veröffentlicht.
Zweitens sind die Berichte selbst nur eingeschränkt hilfreich. Zu sehen ist eine Liste mit anzukreuzenden Punkten: Speisen- und Getränkeversorgung, Notrufanlagen, Achtung und Gestaltung der Privatsphäre – für jeden der Bereiche gibt es keine Mängel, geringfügige Mängel oder wesentliche Mängel. Am Ende wird auf einer Seite noch einmal zusammengefasst, ob es in bestimmten Bereichen Mängel gab. Die Beschreibungen sind äußert knapp.
Beispiel: Ergebnisbericht Haus Elisabeth Solingen (55,5 KB)
Das ist alles, was die Behörden im Internet zur Verfügung stellen. Dabei liegen den Heimaufsichten deutlich mehr Informationen vor, die sie theoretisch veröffentlichen könnten. In ausführlichen Berichten beschreiben die Behörden ihre Besuche in den jeweiligen Pflegeheimen detailliert, benennen Probleme und Risiken.
Diese Berichte müssen die Pflegeheime nach Wohn- und Teilhabegesetz auf Anfrage in Kopie herausgeben. Jeder, der sich über ein Pflegeheim informieren will, kann also auf die Einsicht in diese Berichte bestehen. Im Netz sind diese Prüfungen jedoch nicht zu finden.
Berichte beantragen mit dem IFG
Wir haben mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes drei ausführliche Berichte der Heimaufsicht zu Heimen in Düsseldorf beantragt. Das Informationsfreiheitsgesetz steht jedem Bürger offen, jeder kann diese Berichte mit diesem Gesetz beantragen. CORRECTIV hat in einem eBook beschrieben, wie Ihr Behörden zur Auskunft zwingen könnten. Das eBook könnt Ihr hier kostenlos herunterladen.
Es lohnt sich, diese Berichte einzusehen, wie die von uns beantragten Prüfberichte beispielhaft zeigen.
Beispiel: Drei ausführliche Prüfberichte aus Düsseldorf (12,5 MB)
Einen Besuch im „Lore-Agne-Haus“ der AWO aus dem Sommer 2014 beschreibt die Heimaufsicht wie folgt:
„Die Wände waren an mehreren Stellen durch verspritzte Flüssigkeiten fleckig. (…) Fast alle Lampenschirme waren durch zahlreiche tote Insekten verschmutzt. (…) Die Böden waren fast im gesamten Gebäude leicht klebrig. (…) Bei Anheben musste ein erhebliches Ausmaß an Verschmutzung festgestellt werden einhergehend mit einem intensiven feucht-modrigem Gestank. Von erheblicher Geruchsbelästigung betroffen waren außerdem beide Lagerräume für unreine Wäsche.“
Noch deutlich schlimmer fällt der Bericht über das Phönix Altenheim St. Hedwig in Düsseldorf im März 2015 aus.
Knappes Personal und Wunden
„Die Pflegedienstleitung konnte keine Auskunft darüber geben, welche Beschäftigten mit welcher Qualifikation (…) für den Frühdienst eingeteilt war. (…) Die Personalausstattung (…) war im Frühdienst äußerst knapp bemessen.“
„Insgesamt ist festzuhalten, dass bedingt durch die Vielzahl der Personalausfälle aktuell verstärkt Zeitarbeitskräfte zum Einsatz kommen.“
„Das Eindecken der Tische erzeugte eine wenig angenehme Atmosphäre. (…) Zum Teil wurden die Getränkekaraffen nicht aufgefüllt. (…) Eine Nutzerin, die Schwierigkeiten hatte den Stuhl zurückzuschieben, um sich an den Tisch zu setzen erhielt keine Unterstützung. (…) Die Ansprache der Nutzerinnen und Nutzer war gering, sodass eine anregende und fördernde Atmosphäre nicht aufkommen konnte.“
„Eine Nutzerin wurde regelmäßig auf die rechte Seite gelagert, obwohl dies aufgrund von Ödembildung vermieden werden soll. Ebenso wurde sie regelmäßig auf dem Rücken gelagert, obwohl sie einen Dekubitus Grad 2 (chronische Wunde mit Teilverlust der Haut / Anmerkung correctiv.org) am Steiß hatte.“
„Der Mulltupfer war mit der Wunde so stark verklebt, dass auch nach zehnminütiger permanenter Befeuchtung (…) sich der Verband nicht von der Wunde lösen ließ. Auf Befragung erklärte die Nutzerin, dass seit mehreren Tagen kein Verbandswechsel stattgefunden habe.“
„Bei der Begehung des Speisesaals im Erdgeschoss wurde zum 3. Mal (!) eine Tablette auf dem Boden vorgefunden. Das Medikament konnte keinem Nutzer werden. Völlig unklar war, wie sich diese Nicht-Einnahme auswirkt. Der Sachverhalt wurde durch die Pflegedienstleitung zur Kenntnis genommen und mit einem „ich finde das jetzt nicht mehr lustig“ kommentiert. Ein Versuch das Medikament zu identifizieren und damit in Frage kommende Nutzerinnen und Nutzer, um diese auf Veränderungen zu beobachten, wurde für die Prüferinnen nicht erkennbar unternommen.“
„Bezogen auf die pflegerische Versorgung haben sich zu allen geprüften Sachverhalten Mängel bzw. wesentliche Mängel ergeben, die die Beschwerde bezüglich der Thematik „gefährliche Pflege“ bestätigen.“
Die Heimaufsicht verhängte damals einen Aufnahmestopp für sechs Monate. Das Haus gibt es bis heute unter der Führung von Phönix.
Betriebsgeheimnisse wichtiger als Information der Bürger?
Die zuständige Heimaufsicht ordnete nach der Prüfung im März 2015 an, dass das Pflegeheim wöchentlich Unterlagen vorlegen muss, dazu schauten die Prüfer unangemeldet vorbei. Im Oktober 2015 überprüfte die Heimaufsicht das Pflegeheim noch einmal. Damals stellte sie „noch einzelfallbezogene Mängel fest“, hielt eine Gefährdung für Bewohner aber für ausgeschlossen, schreibt die Sprecherin der Heimaufsicht, Monika Pensel. „Der Aufnahmestopp wurde folglich aufgehoben.“ Der „angestoßene Entwicklungsprozess“ dauere aber weiterhin an.
Die nach dem 23. März angefertigten Berichte möchte die Heimaufsicht jedoch nicht herausgeben. Sprecherin Penselt schreibt, es sei wichtiger die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Heimes zu schützen, als den Bürger die Informationen zur Verfügung zu stellen. Die zum Korian-Konzern gehörende Phönix-Gruppe, die das Heim weiterhin betreibt, schreibt auf Anfrage von correctiv.org, die pflegerischen und betreuerischen Tätigkeiten würden nach den vorgegebenen Standards durchgeführt. „Dies spiegelt sich auch in unserem aktuellen Transparenzbericht wider – Transparenznote 1,2“, schreibe Pressesprecherin Jachmich.
Die ausführlichen Berichte sind aufschlussreich und helfen bei der Auswahl eines Pflegeheimes. Doch wer weiß schon, dass die Pflegeheime diese Berichte auf Anfrage herausgeben müssen? Und dass man die Berichte eigentlich auch mit dem Informationsfreiheitsgesetz bequem von zu Hause aus beantragen kann?
Warum müssen die Heimaufsichten diese Berichte nicht automatisch im Netz veröffentlichen?
Die Heimaufsicht in Paderborn schreibt uns, dem Gesetzgeber sei das Recht auf freie Ausübung des Betriebes wichtiger als das Informationsrecht der Bürger. Stimmt das? Warum macht die Landesregierung es den Bürgern so schwer, an wichtige Informationen über die Qualität von Pflegeheimen zu kommen?
Ministerin: Prüfberichte nicht geeignet
Der Pressesprecher des Gesundheitsministeriums Christoph Meinerz schreibt auf Anfrage von correctiv.org, die ausführlichen Prüfberichte seien „keine geeignete Grundlage für eine nachvollziehbare fundierte für Laien verständliche differenzierte, transparente und faire Bewertung von in der Pflege tätigen Einrichtungen“. Deshalb müssten die Berichte nicht veröffentlicht werden, aber von den Pflegeheimen auf Verlangen vorgezeigt werden. Zudem fordere Ministerin Barbara Steffens schon seit Jahren die sofortige Abschaffung des „völlig untauglichen Pflege-TÜV und den Ersatz durch eine vernünftige Alternative. Dass dies immer noch nicht geschehen ist, ist ein klares Versäumnis des Bundes.“
Auch das WDR-Magazin Westpol konfrontierte NRW-Sozialministerin Steffens mit unseren Recherchen, mit der fehlenden Veröffentlichung in mehreren Städten. „Wenn das so ist, dann werden wir dem nachgehen und werden auch bei den Kommunen nachhaken“, sagte Steffens. „Das ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sie das müssen.“ Steffens redet allerdings ausschließlich von den Ankreuz-Bögen, nicht von den ausführlichen Berichten der Heimaufsichten.
Auf unserer Themenseite correctiv.org/pflege bieten wir eine Suche für alle rund 13.000 deutschen Pflegeheime an. Für jedes Heim gibt es eine eigene Webseite. Auf dieser Webseite haben wir eine Verknüpfung zur Plattform fragdenstaat.de erstellt. Dort haben wir für Euch eine Anfrage an die für Euer Heim zuständige Heimaufsicht vorbereitet.
Unten findet Ihr außerdem eine Liste aller Heimaufsichten mit einem Link auf die veröffentlichten Heimaufsichtsberichte. Wenn kein Link existiert, haben wir keine Berichte gefunden und keine befriedigende Antwort auf unsere Anfrage an die Stadt bekommen. Wer weitere Links auf Heimaufsichtsberichte findet, kopiere diese bitte in die Kommentare – wir ergänzen die Liste gern.
Hochsauerlandkreis (nicht online)
Kreis Siegen-Wittgenstein (nicht online)
Kreis Soest (nicht online)
Kreis Gütersloh (nicht online)
Kreis Herford (nicht online)
Stadt Bielefeld (nicht online)
Kreis Viersen (nicht online)
Rhein-Kreis-Neuss (nicht online)
Stadt Krefeld (nicht online)
Stadt Mülheim an der Ruhr (nicht online)
Stadt Oberhausen (nicht online)
Stadt Remscheid (nicht online)
Stadt Wuppertal (nicht online)
Kreis Düren (nicht online)
Stadt Aachen (nicht online)
Stadt Bonn (nicht online)
Stadt Köln (nicht online)
Stadt Bottrop (nicht online)
Stadt Gelsenkirchen (nicht online)
Mitarbeit: Lovis Krüger, Benjamin Knödler, Vanessa Wormer, Saskia Nothofer