Pflege

Darum müsst Ihr für Pflege so viel zahlen

Für einen Monat Pflege zahlt man schnell 3000 Euro. Gut ist die Pflege trotzdem selten. Wohin geht das Geld? Ein Kassensturz, samt unmoralischer Spartipps für kreative Heimbetreiber.

von Daniel Drepper

© Ivo Mayr

Über die Pflege berichten wir ausführlich in unserem neuen Buch „Jeder pflegt allein: Wie es in deutschen Heimen wirklich zugeht“. Das Buch gibt es im CORRECTIV-Shop. Der Text erscheint parallel auf Zeit Online.


Es ist zu wenig Geld für gute Pflege da. Davon sind viele Heimbetreiber und Pfleger überzeugt. Dabei haben die Pflegekassen im vergangenen Jahr allein für die stationären Pflegeheime mehr als zehn Milliarden Euro ausgegeben. Nochmal so viel zahlten Bewohner und Angehörige privat dazu. Die Kosten schwanken extrem, je nach Region und wie viel Hilfe benötigt wird. Ein Monat Pflege kostet in Deutschland schnell 3000 Euro – das ist mehr, als sich die meisten leisten können. Und doch soll es nicht reichen. Die entscheidende Frage: Wo fließt das ganze Geld hin?

Nur die wenigsten Heimbetreiber machen ihre Ausgaben öffentlich. Vor allem große Konzerne schützen ihre Zahlen. Und auch die verantwortlichen Organisationen können keine Durchschnittswerte nennen. Weder die größte Pflegekasse AOK, noch die privaten Heimbetreiber, der Bundesverband der Freien Wohlfahrtspflege, der Städte- oder der Landkreistag können auf Anfrage mit Zahlen ihrer Heime helfen. So blieb es bislang bei einzelnen Beispielrechnungen.

Einer, der seine Abrechnung öffentlich macht, ist Johannes Paetzold. Sicher, sein Haus im baden-württembergischen Heddesbach ist eine Ausnahme, Paetzold und seine Angestellten versorgen nur 17 Personen. Aber die Preise von Paetzolds Heim – rund 3100 Euro pro Bewohner und Monat – liegen etwa im bundesweiten Schnitt. Das zeigt eine Analyse der Kosten aller deutschen Pflegeheime durch das gemeinnützige Recherchezentrum correctiv.org.

Also Kassensturz, inklusive unmoralischer Einsparmöglichkeiten für kreative Heimbetreiber.

1.600 Euro – Das Pflegepersonal

Der größte Kostenfaktor. Wie viele Pflegekräfte pro Bewohner bezahlt werden, schwankt von Bundesland zu Bundesland. Die Zahl ist in den Landesrahmenverträgen geregelt, die Pflegekassen, Heimbetreiber und Sozialämter miteinander abschließen. Entsprechend groß sind die Unterschiede: Bei Pflegestufe drei, bei den am stärksten hilfsbedürftigen Bewohnern, schwankt der Personalschlüssel zwischen 1,76 und 2,8 Bewohnern, die ein Pfleger betreuen muss. Mit anderen Worten: Ein Heim mit 100 schwer pflegebedürftigen Bewohnern kann sich in Hamburg 57 Pfleger leisten, in Baden-Württemberg 48 und in Schleswig-Holstein nur 36. Deshalb sind Heime in Schleswig-Holstein billiger als in Hamburg. Und die Pfleger gestresster.

Heimbetreiber Paetzold beschäftigt für seine 17 Bewohner sieben Pflegekräfte. Das heißt aber nicht, dass jeder Bewohner zu jeder Zeit eine halbe Kraft für sich beanspruchen kann. Die Pfleger, die Paetzold pro Jahr etwa 40.000 Euro kosten, helfen den Bewohnern durch den Alltag, unterstützen beim An- und Ausziehen, Aufstehen, Essen, beim auf die Toilette gehen – rund um die Uhr. In den offiziellen Kalkulationen der Pflegekassen ist der Pflegebedarf mit fünf Stunden berechnet. Diese gilt es über den ganzen Tag zu verteilen. Hinzu kommen Urlaub, Krankheit und Fortbildungen.

So fühlen sich die rund 1.600 Euro, die ein Bewohner anteilig für die Pflegekräfte im Monat zahlt, nicht immer wie 1.600 Euro an.

Unmoralischer Spartipp: Zeitverträge. Es ist möglich, Verträge mit Angestellten über ein oder zwei Jahre zu machen und anschließend eine neue Kraft zu suchen. Bis zur Neubesetzung dauert es oft ein paar Monate. So sparen Betreiber jedes Mal ein paar Tausend Euro. Bei einem Großkonzern mit 15.000 Pflegeplätzen sind das schnell Millionen.

600 Euro – Sonstige Personalkosten

Die Bewohner wollen nicht nur gepflegt werden, auch um das Essen muss sich ein Heimbetreiber kümmern, um saubere Zimmer und Flure, um Reparaturen und den Garten. Dafür sind sogenannte Hauswirtschaftskräfte zuständig, von denen Paetzold drei Stück beschäftigt. Jede dieser Mitarbeiterinnen kostet ihn zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Außerdem muss jemand dafür sorgen, dass alles läuft: die Heimleitung, die die Verwaltung des Ganzen übernimmt.

Unmoralischer Spartipp: Oft fällt es den Pflegekassen, Sozialämtern und Heimaufsichten schwer, die Berechnungen der Betreiber genau zu überprüfen. So sind zum Beispiel die Personallisten anonymisiert, die bei der Abrechnung vorgelegt werden. Theoretisch können Betreiber mit mehreren Pflegeheimen ihre Mitarbeiter also in mehreren Einrichtungen als Personal anmelden, um überall die vorgeschriebenen Personalschlüssel einzuhalten. Wenn eine Pflegerin der Pflegekasse sowohl in Essen, Berlin, Saarbrücken und Hamburg als beschäftigt gemeldet wird, gibt es kaum eine Möglichkeit, dies zu entdecken. Ihr Name taucht nirgendwo auf.

400 Euro – Investitionskosten

Hier findet sich die Miete wieder, die ein Betreiber an den Besitzer des Gebäudes zahlt. Paetzold ist selbst Besitzer seines Heimes. Er muss Rücklagen aufbauen, da sich sowohl das Gebäude, als auch die Inneneinrichtung wie die Heizung oder das Dach im Laufe der Zeit verbrauchen.

Unmoralischer Spartipp: Die Immobilie vom Betrieb trennen und dann als Vermieter dem Betreiber überhöhte Mieten in Rechnung stellen. Meint: Firma A kauft das Pflegeheim, Firma B kümmert sich im Anschluss um die Pflege. So kann Firma A durch überhöhte Mieten eine ordentliche Rendite erwirtschaften, während Firma B kaum Geld für die Versorgung der Bewohner bleibt. Firma B muss bei der Pflege tricksen, um die hohen Mieten zu erwirtschaften.

Im Internet verkaufen manche Betreiber ihre Zimmer sogar einzeln an private Investoren. Ab 80.000 Euro kostet eine Unterkunft in Gerolzhofen, Heilbronn, Dresden oder Saarbrücken. Die Besitzer versprechen Renditen zwischen 3,5 und 5,5 Prozent. Die Verträge sind oft über mindestens 20 Jahre garantiert – egal ob das Zimmer belegt ist oder nicht: „100 Prozent Mietzahlung auch bei Leerstand eines Pflegeappartements.“ Wenn die Rendite überhöht ist, leidet die Pflege unter diesen Verträgen.

200 Euro – Sachkosten

Verbrauchsgüter für die Pflege, Büromaterial, kleinere technische Geräte oder die Gebühren für die Besuche von Behörden: In einem Pflegeheim fallen mehr Kosten an, als etwa beim Betrieb eines Hotels, da zusätzlich zu Unterkunft und Verpflegung noch so viele medizinische und pflegerische Dinge beachtet werden müssen.

110 Euro – Lebensmittel

Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, dazu Wasser, Tee, Kaffee und Saft. Das kostet Paetzold im Durschnitt knapp vier Euro pro Person und Tag. Klingt wenig, ist ist im Vergleich mit anderen Anbietern aber doch vergleichsweise viel. Manche Unternehmen geben angeblich nicht viel mehr als zwei Euro für 24 Stunden Verpflegung aus. Da ist dann alles drin, was getrunken und gegessen wird.

Unmoralischer Spartipp: Weil nur die Zahl der Pflegekräfte vorgeschrieben ist, sparen sich einige Betreiber die Hauswirtschaftskräfte und den Koch. Stattdessen müssen sich die Pflegekräfte kümmern. So bleibt natürlich weniger Zeit für die Pflege. Oder Betreiber lassen das Essen anliefern, aber bestellen nur die Hälfte der nötigen Portionen. Das spart bei Lebensmitteln und Personal schnell 1.000 Euro pro Jahr und Bewohner.

100 Euro – Unternehmensgewinn

1,5 Prozent hat Heimbetreiber Paetzold als Gewinn bei den jährlichen Verhandlungen für sein Heim genehmigt bekommen. Das sind knapp 8000 Euro. Dazu arbeitet er selbst als Pflegekraft mit und bezahlt sich auch dementsprechend dafür. Insgesamt bleiben ihm so pro Jahr etwa 60.000 Euro – vor Steuern und Sozialabgaben.

90 Euro – Wasser, Energie

Waschen, Heizung, Strom – das gehört auch im Heim dazu. Bewohner nutzen nicht nur die eigenen Zimmer, auch die Gemeinschaftsräume, die Zimmer der Verwaltung, die Küche müssen mit Wasser und Energie versorgt werden. Das wird auf alle Bewohner umgelegt.

Macht unterm Strich – zu wenig

Ein Großteil des Gelds fließt ins Personal. Und das zu recht. Wirklich gute, umfassende Pflege kostet eben viel Zeit und damit Geld. Fest steht auch: Für vernünftige Arbeitsbedingungen, für Wärme und individuelle Betreuung ist häufig sogar noch zu wenig Geld da.

Gleichzeitig gibt es Lücken, die schlechte Heimbetreiber nutzen, um sich eine hohe Rendite zu genehmigen. Glaubt man den Aussagen von ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern der Pflegebranche, nutzen zahlreiche Anbieter diese unmoralischen Spartricks – und machen damit die Pflege schlechter, als sie sein müsste.


Update: In einer vorherigen Version dieses Textes hatten wir geschrieben, dass Pfleger pro Jahr etwa 40.000 Euro verdienen. Die Formulierung war unklar. Die Summe der etwa 40.000 Euro beinhaltet in diesem Fall die Lohnnebenkosten des Arbeitgebers, der Verdienst der Pfleger liegt im Zweifel niedriger.


Unser Reporter Daniel Drepper hat ein Buch über den Kampf um gute Pflege geschrieben. „Jeder pflegt allein: Wie es in deutschen Heimen wirklich zugeht“ ist im Sommer 2016 erschienen. Das Buch gibt es im CORRECTIV-Shop. Informationen über alle 13.000 deutschen Pflegeheime und weitere Recherchen zum Thema gibt es auf unserer Themenseite unter correctiv.org/pflege.