Neue Rechte

Die AfD, das Coronavirus und die gesprengte Echokammer

Die AfD verzichtet bei der Coronakrise auf Fundamentalopposition und verliert damit ihren Echoraum in den sozialen Netzwerken. Dort wird anders als bei der AfD die Gefährlichkeit von COVID-19 geleugnet.

von Marcus Bensmann , Carol Schaeffer

Virus Outbreak Germany Parliament
AfD- Bundestagsabgeordnete während der Corona-Krise im Bundestag (25. März) © Michael Sohn / picture alliance / AP Photo

In der Corona-Krise befindet sich die AfD in Umfragen in einem Sinkflug. Dabei kritisieren die AfD-Funktionäre unablässig die Regierung. Auf Twitter und in anderen sozialen Medien werfen sie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer Regierung wie üblich Versagen vor. So forderte die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, den Shutdown Mitte März. „Die Regierung muss jetzt endlich angemessene Schritte einleiten“, schrieb sie, denn nur in Deutschland könne sich COVID-19 ungehindert ausbreiten.

Doch die Kritik der AfD geht größtenteils unter. „Die Wutmaschine funktioniert nicht mehr”, schreibt der Tagesspiegel. Ein Grund: Die Coronakrise führt zu einem Riss zwischen der AfD und ihren Echokammern. Die Reichweiten der Posts der AfD-Politiker in den sozialen Netzwerken brechen ein, weil die Partei vielen ihrer bisherigen Fans in den rechten Echokammern nicht radikal genug ist. Die rechten Blogger, die sonst die AfD-Parolen mit verbreiteten, setzen bei der Corona-Krise auf Verschwörungstheorien.

Seit Beginn versteht sich die Partei als Alternative gegenüber der „entarteten Politik“ der anderen Parteien, wie es einer der Gründer, Bernd Lucke, vor Jahren bezeichnete. Sehr schnell profitierte die AfD von neuen Medien in den sozialen Netzwerken, die sich im rechten Spektrum bildeten. Die Partei nutzte von Beginn an Kommunikationskanäle vorbei an der von ihr verachteten „Lügenpresse“. Die alternativen Medien generieren Klicks und Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken und verbreiten die politischen Parolen. Die AfD und die neuen Medien in den sozialen Netzwerken funktionieren in der politischen Wahrnehmung wie zwei kommunizierende Röhren. Mit diesem Rezept hat Donald Trump die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen. Auch die AfD hat damit eine breite Unterstützer-Basis im Netz gefunden.

Keine Alternative zum Establishment

Bisher stellt die Parteispitze die Gefährlichkeit des Virus nicht in Frage. Ihre Fraktion stimmte im Bundestag nicht gegen das Maßnahmenpaket der Bundesregierung.

Sie ist damit in der Coronakrise keine Alternative zur Regierung. Diese Haltung unterscheidet die AfD nun von einem Teil ihrer langjährigen Verbündeten in den sozialen Netzwerken. Viele der selbsternannten „alternativen Medien“ aus rechten Bloggern, Verschwörungstheoretikern und Putin-Freunden leugnen die Gefahr des Virus oder sehen einen Komplott der „inszenierten Panik“.

Diesen Schritt geht die AfD bisher nicht mit. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch twitterte, dass die Pandemie die Globalisierung in Frage stellt. Parteichef Jörg Meuthen empört sich, dass an den Flughäfen die „Rückkehrer ungeprüft ins Land dürfen” und schimpft: „Was für ein Staatsversagen!“ Der Co-Parteichef Tino Chrupalla twittert seine selbstgenähte Maske. In Corona-Zeiten ruft Chrupalla zu Gesichtsverschleierung auch für den Mann auf.

Das Netzwerk der Leugner

Rechte Blogger und Verschwörungstheoretiker haben dagegen ihre eigene Realität, die sich zum ersten Mal deutlich von den offiziellen AfD-Positionen unterscheidet.

Zu ihren Kronzeugen gehören unter anderem der umstrittene Arzt und ehemalige Gesundheitspolitiker der SPD, Wolfgang Wodarg, oder der Immunologe Stefan Hockertz. Sie behaupten, es sei nicht bewiesen, dass das Coronavirus tatsächlich krank mache. Die Maßnahmen der Bundesregierung seien überflüssig.

Deren Positionen werden von dem überwiegenden Teil der Wissenschaft nicht geteilt; doch sie liefern den Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken das notwendige Futter. Denn wenn das Coronavirus nicht gefährlich ist, dann müssen ja all die Maßnahmen zu dessen Eindämmung einem anderen Zweck dienen. Das ist die Basis für Verschwörungstheorien.

Ken Jebsen, Gründer des Youtube-Kanals „KenFM“, macht aus den Sicherheitsmaßnahmen der Regierung ein „Gehorsamsexperiment“ und sieht in den Notfallmaßnahmen Ähnlichkeiten zur Machtergreifung: „Wie hat das damals angefangen, als die Nachbarn plötzlich weniger wurden“, fragt Jebsen und gibt sich selbst die Antwort: „Es hat sich angefühlt wie jetzt.“ Allerdings sei in der Nazizeit und in den Bombennächten nie eine „Ausgangssperre“ verhängt worden, raunt Jebsen in die Kamera. „Wenn Erich Honecker es gewollt hätte, dass die Mauer länger stehen bleibt, dann hätte er das mit der Corona haben müssen“, sagt er weiter. Der Videoclip erhielt bisher über 760.000 Klicks. Auch diesen Auftritt beginnt Jebsen mit der typischen Widerstandserzählung, die die Echokammer der alternativen Medien so stark macht. „Es ist jetzt in Deutschland wahnsinnig gefährlich etwas zu sagen, was von der Mainstream-Meinung abweicht. Es war schon vorher gefährlich.“ Jebsen sieht sich selber zwar nicht als AfD-nah. Seine Angriffe gegen die Medien öffneten aber bisher den für die AfD wichtigen Echoraum.

Er ist nicht der einzige, der gegen die Schutzmaßnahmen wettert und über eine große Verschwörung munkelt. Der Blogger Billy Six filmt angebliche leere Krankenhäuser in Berlin als Beweis für unbegründete Maßnahmen.

Die AfD-nahe Zeitung Deutschland-Kurier sieht im Shutdown Angela Merkels Plan für die Zerstörung Deutschlands. „Corona-Hysterie: Stoppt endlich den Shutdown-Irrsinn! Geschichte wiederholt sich nicht? Doch, Frau Merkel – Sie schaffen AUCH das! Die Massenarbeitslosigkeit der 1920/30er-Jahre lässt grüßen”, heißt es auf der Website. Die Zeitung wurde 2018 als Unterstützungszeitung für die AfD gegründet, und teilweise von AfD-Mitgliedern verteilt. Mittlerweile erscheint der Deutschland-Kurier online.

Das Querfront-Magazin Compact warnt in der Druckausgabe vor „inszenierter Panik, gesteuertem Crash und der Einführung eines Notstandsregimes“. Dessen Gründer, der vormals linke Journalist Jürgen Elsässer, sucht mit prorussischen Artikeln und der Angst vor einem „Bevölkerungsaustausch“ Anschluss im rechtsradikalen Lager.

Und der Sänger Musiker Xavier Naidoo sagte in einem Youtube-Clip unter Tränen, dass im Schatten der Coronakrise weltweit Kindergefängnisse befreit würden und gibt einen verklausulierten Hinweis auf eine Verschwörungstheorie, nach der reiche Bürger das Blut von Kindern für Verjüngungskuren trinken würden. Der AfD-Kreisverband Leipzig teilte die Verschwörungen von dem Sänger Naidoo zur Coronakrise. Doch das ist eine Ausnahme zur offiziellen Parteilinie der AfD.

Noch 2019 versuchte die AfD, die Verbindung zu den rechten Bloggern und Verschwörungs-Seiten zu vertiefen und lud einige ihrer Repräsentanten zu einem Kongress in den Reichstag ein, unter anderem auch den Blogger Billy Six. CORRECTIV berichtete über den Kongress.

In der Ukraine-, Euro- und Flüchtlingskrise waren diese Blogs und Portale die natürlichen Verbündeten der AfD. Man spielte sich gegenseitig die Bälle zu, befeuerte sich gegenseitig in der Echokammer. Als Xavier Naidoo wegen seiner rassistischen Sprüche aus der Jury der RTL-Talentshow „Deutschland sucht den Superstar“ flog, sah Weidel auf Twitter mal wieder die „Meinungsfreiheit“ gefährdet.

Bedeutungsschwund

Die AfD versuchte vor Ostern aus der „politischen Quarantäne“ auszubrechen, um eine gemeinsame Haltung zur Corona-Krise zu finden. Knapp über 50 Bundestagsabgeordnete versammelten sich – einige mit Mundschutz – trotz Corona im Reichstag und verabschiedeten ein Positionspapier zum Virus, dass eine „schrittweise Normalisierung nach Ostern” vorschlägt. CORRECTIV liegt dieses Papier vor. Es ist kein Manifest gegen das Establishment, sondern zeigt erneut die Spaltung zu den Bloggern, die das Virus leugnen.

Mehrere Politiker der Regierungsparteien fordern ebenfalls eine schrittweise Aufhebung des Shutdowns bei gleichzeitigem Schutz der Risikogruppen und Erhöhung der Testkapazitäten sowie der Produktion von Schutzmasken und -kleidung. Die Gefährlichkeit des Virus stellt das Papier der AfD nicht in Frage.

Fraktionschefin Weidel, die bei der Sitzung nur über Telefon zugeschaltet war und nicht mit abstimmen durfte, kommentierte das Positionspapier der eigenen Fraktion auf Twitter lakonisch: „Auch der Osterhase hat keinen Impfstoff im Nest“.

Für die AfD könnte das Leugnen der Coronavirus gefährlicher sein als ein vielleicht temporärer Bedeutungsschwund. Nun lähmt das Corona-Virus die Schlagkraft der Partei.

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