Justiz und Polizei

Juristisches Scharmützel gegen die Tagesschau

Der AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau ist vor Gericht erfolgreich gegen einen Bericht auf tagesschau.de vorgegangen, der sich auf das rechtsextreme Treffen in Potsdam bezog. Rechte Medien nutzen das Urteil nun, um die CORRECTIV-Recherche in Zweifel zu ziehen. Tatsächlich aber betraf das Verfahren die Berichterstattung von CORRECTIV nicht.

von Jean Peters , Gabriela Keller , Justus von Daniels , Marcus Bensmann

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Ulrich Vosgerau setzte sich vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht gegen die Tagesschau durch – der Beitrag hatte sich auf die CORRECTIV-Recherche bezogen. Diese wurde aber weder angegriffen noch untersagt.. Foto: picture alliance / dpa | Axel Heimken

Der NDR darf nun nicht mehr behaupten, dass auf dem Potsdamer Treffen von AfD-Politikern und Rechtsextremen im November 2023 auch über eine „Ausweisung“ deutscher Staatsbürger diskutiert worden sei. Der AfD-Jurist Ulrich Vosgerau, ein Teilnehmer des Treffens, setzte sich damit in zweiter Instanz vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht durch, vertreten von der Kanzlei Höcker.

Es geht in dem Fall um eine Formulierung in einem Text des NDR. Auch, wenn sich der Beitrag der Tagesschau auf die CORRECTIV-Recherche bezog, ist unsere Berichterstattung von dem Urteil nicht betroffen. Denn es kommt auf die Details an und auf Definitionen: Deutsche Staatsangehörige können nicht ausgewiesen werden – man müsste sie zuerst ausbürgern. Eine Ausbürgerung ist in Deutschland wegen der Erfahrungen aus der NS-Zeit per Grundgesetz unmöglich. Das heißt: Ausdrückliche Planungen mit dem Ziel, Staatsangehörige erst auszubürgern und dann auszuweisen, wären klar verfassungsfeindlich.

Wie CORRECTIV berichtete, benutzten die Teilnehmer auf dem Potsdamer Treffen ein anderes Wort: den rechten Kampfbegriff „Remigration“. Dafür liegen CORRECTIV Belege vor, und gegen diese Darstellung sind weder Vosgerau noch andere Teilnehmer vorgegangen.

Diese Strategie steckt hinter dem Rechtsstreit

Remigration ist ein schwammiger Begriff. In dem Konzept des rechtsradikalen Martin Sellner, das auf dem Treffen diskutiert wurde, geht es darum, Millionen von Menschen pauschal loszuwerden. Es geht um Ausländer, Menschen mit Aufenthaltstiteln – und ganz ausdrücklich auch in Bezug auf Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit. Es geht ihnen um Millionen von Menschen. Über die rechtlichen Mittel aber sagt das nichts aus. Anders der Begriff der „Ausweisung“: Er ist im Aufenthaltsgesetz spezifisch und juristisch definiert.

Vosgerau hat das Recht, sich gegen unwahre Behauptungen zu wehren. Die falsch wiedergegebene Passage im Bericht der Tagesschau dürfte ihm gelegen gekommen sein. Vor Gericht setzte er sich in diesem Punkt durch, und das Urteil nutzen rechte Medien nun, um wiederum der Recherche von CORRECTIV die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Auf dem Treffen in Potsdam wurde diskutiert, wie die „Remigration“ von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ in die Wege geleitet werden sollte: Der Rechtsradikale Martin Sellner benannte diese Gruppe als das größte „Problem“, wenn es darum gehe, die „Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Eine Teilnehmerin hakte nach, denn sobald jemand einen „entsprechenden Pass“ habe, sei dessen Remigration ja „ein Ding der Unmöglichkeit“.

Sellner hatte darauf eine Antwort parat: Man müsse hierzu einen „hohen Anpassungsdruck“ auf diese Menschen ausüben, etwa über „maßgeschneiderte Gesetze“. Remigration sei nicht auf die Schnelle zu machen, es handele sich um „ein Jahrzehnteprojekt“. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy betonte sogar, dass sie bereits vor sieben Jahren bei ihrem Parteieintritt ein „Remigrationskonzept“ in die AfD vorgeschlagen habe. Eine Idee von ihr auf dem Treffen: Man solle auf die doppelte Staatsbürgerschaft setzen: „Denn dann kann man die deutsche wieder wegnehmen, sie haben immer noch eine.“

Die Aussage zeigt, dass einige Teilnehmer des Treffens die Gesetzeslage offenbar genau kennen: Denn ein Verlust der Staatsangehörigkeit ist im Einzelfall überhaupt nur möglich, wenn der Betroffene eine weitere Staatsangehörigkeit hat.

Kein Teilnehmer klagte gegen die entscheidenden Passagen der Correctiv-Recherche

Auf unsere Anfrage vor Veröffentlichung der Potsdam-Recherche ging Ulrich Vosgerau nicht auf die benutzten Begriffe ein, sondern brachte selbst etwa den Begriff „Ausbürgerung“ ins Spiel. So teilte Vosgerau in seiner Antwort auf die Konfrontation von CORRECTIV am 09.01.2024 mit: „Es ist dort nach meiner Erinnerung von niemandem gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, irgendwie repatriiert oder ausgebürgert worden.“

Aber CORRECTIV hatte gar nicht nach seiner Haltung zu „Ausbürgerungen“ gefragt, sondern nach einer „Remigration“, unter anderem von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“. Hierauf antwortete Vosgerau CORRECTIV gegenüber nicht, sondern wich auf den brisanten und konkreteren Begriff aus.

Gegen die im Text von CORRECTIV dokumentierten Aussagen hatten weder Vosgerau noch andere Teilnehmer geklagt. Stattdessen hat etwa Martin Sellner die Forderungen nach einer „Remigration“, auch von  „nicht-assimilierten Staatsbürgern“, wiederholt. Einige AfD-Verbände werben im Wahlkampf offen mit dem Begriff, die Partei grenzt sich zugleich offiziell von Sellners konkretem Konzept ab.

CORRECTIV hat Vosgerau nach dem Verfahren in Hamburg erneut gefragt, wie er zu dem von Sellner vorgestellten Konzept steht. Vosgerau ließ die Frage unbeantwortet.

Dabei kann auch dem Begriff „Remigration“ eine völkische und verfassungsfeindliche Haltung zugrunde liegen – so sahen es jedenfalls die Richter des Oberverwaltungsgericht Münster in einem anderen Fall.

Dort wurde im Mai dieses Jahres entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD und die Junge Alternative als Verdachtsfall beobachten darf. In der Urteilsbegründung bezogen sich die Richter unter anderem auf Äußerungen von Björn Höcke: Wenn Höcke die „geordnete Rückführung der hier nicht integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer“ als „gesamteuropäisches Remigrationsprojekt“ bezeichne, dann lege die Formulierung „zumindest nahe, dass auf lange Sicht auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen sollen, wenn sie kulturell nicht integriert sind.“

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