Die AfD, ihre Desinformationskloaken und die bedeutendste Digitalwährung der Welt
Fakten sind gut, Vertrauen ist besser – besonders, wenn es um Parallelgesellschaften geht. Wieso ist Wertschätzung so wichtig? Weshalb hat die AfD trotz Verfehlungen Erfolg? Und warum verhalten sich viele Erwachsene wie eine bockige Neunjährige? Eine persönliche Einordnung von Bastian Schlange.

„Diese Meldung ist voller Red Flags“, erkläre ich. Missmutiges Raunen brandet mir von den 60 Gästen entgegen, einige räuspern sich im Saal. Eigentlich zeugen vom Schrecken der Covid-Pandemie im Januar 2023 nur noch leise Echos. Die letzten Schutzmaßnahmen fallen. Das Leben normalisiert sich. Doch die Saat des Misstrauens hat Wurzeln geschlagen.
In den vergangenen drei Jahren haben sich viele Menschen von Politik und Institutionen abgewandt – auch hier im Saal eines Kulturzentrums mitten im Ruhrgebiet. Während ich mit einem Kollegen aus unserer Faktencheckredaktion „Das einzig wahre Faktencheckbuch“ vorstelle, gehört ein Großteil der Gäste einer lokalen Querdenker-Bewegung an. Von Minute eins filmen sie mit ihren Handys. Die ersten pseudo-investigativen Fragen fallen, kaum ist unsere Begrüßung verklungen. Die offensichtliche Mission: unsere Veranstaltung zu crashen und ihren Triumph zu dokumentieren. Seit dem Abend nenne ich meinen Kollegen nur noch „Mister Teflon“.
Es ist die erste Veranstaltung zum Buch, nachdem ich fast zwei Jahre der Pandemie damit verbracht habe, mich mit den geistigen Kloaken des Internets auseinanderzusetzen und den Desinformationsflüssen, die dorthin führen. Die virtuellen Abgründe hinter mir zu lassen und mal wieder auf der Bühne zu stehen, tut gut. Zumindest habe ich das vor der Veranstaltung gedacht.
Glaubt man erwähnter „Nachricht“, sollen Wasserwerke in ganz Deutschland fässerweise Beruhigungsmittel lagern, um sie im Falle von Unruhen ins Trinkwasser zu kippen. Die vermeintliche Meldung aus der Welt zitiert „die Leiterin eines Wasserwerkes einer der größten deutschen Städte“ (Red Flag: diffuse Angaben und Quelle, nicht überprüfbar), die bei „einer Plauscherei (…) hinter vorgehaltener Hand“ (unseriöse Sprache) verrät, dass so Aufstände der Zivilbevölkerung befriedet werden sollen.
Eine halbe Stunde sezieren Mister Teflon und ich exemplarisch jedes Detail der Desinformation – mitsamt Zusammenhang und Hintergrund –, nehmen Einwände ernst, lassen Anfeindungen abperlen. Fragen bleiben keine. Am Ende meldet sich dennoch ein mittelalter, weißer Mann und gibt mit besorgter Miene zu bedenken: „Ja, aber … denkbar ist das doch!“
Ich atme tief ein. „Denkbar ist absolut alles“, sage ich und atme aus. Beginnen Sie auch manchmal, an Menschen zu zweifeln?
Mir geht es schon länger so, aktuell aber mehr denn je.
Wen kümmert schon die Presse?
Anfang 2025: Die AfD ist bei der Bundestagswahl die zweitstärkste Kraft geworden und hat ihr Ergebnis mit über 20 Prozent im Vergleich zu 2021 verdoppelt. Und das trotz SA-Parolen, SS-Sympathien, mutmaßlichen Geldern aus China und Russland (über verschiedenste Kanäle), Klimawandelleugnung, Frauenfeindlichkeit und Rassismus, einem Faschisten in der Parteispitze, Demokratiefeindlichkeit, chronisch auftretender Spendenaffären, rechtsextremer Mitarbeiter, verurteilter Gewalttäter als Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Putschversuchen von Parteimitgliedern, Geheimtreffen mit Rechtsextremen, einem Plan, Millionen Menschen zu vertreiben, noch mehr Treffen mit Rechtsextremen und der internen Partei-Agenda, Angst und Schrecken in Deutschland zu verbreiten.
Über jeden AfD-Skandal wurde im Vorfeld der Wahl berichtet. Die meisten haben Journalistinnen und Journalisten aufgedeckt. Es ist ihre Aufgabe, „die da oben“ zu kontrollieren und ihre Verfehlungen öffentlich zu machen. Nur so funktioniert Demokratie. Über diese Informationen können Menschen diskutieren, auch streiten und sich am Ende eine eigene Meinung bilden, um dann demokratische Entscheidungen zu treffen.
Am 23. Februar 2025 hat jeder fünfte Wähler in Deutschland seine Stimme der AfD gegeben, was für mich in eine ähnliche Kategorie fällt wie der Typ, der sich eisern an den Tranquilizern aus seinem Wasserhahn festhält. In aktuellen Umfragen liegt die Partei fast gleichauf mit der CDU. Daran hat auch das jüngste Verfassungsschutzgutachten nichts geändert, das die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Als Journalist ist es meine Pflicht, unbeirrt meinen Job zu machen und zu zeigen, was ist. Als Bürger und Vater frage ich mich, ob die Menschen durch klassische Berichterstattung und Fakten überhaupt noch zu erreichen sind.
Loriot hätte es vermutlich gefeiert, dass für mich kaum etwas so treffend die allumfassende Misere unserer Zeit auf den Punkt bringt wie folgende Anekdote aus der Lebenswelt einer Neunjährigen.
Schöne neue (Des-)Informationswelt
„Papa, wusstest du eigentlich, dass Coca Cola aus Insekten gemacht wird?“ „Nein“, antworte ich. „Und das glaube ich auch nicht.“ „Doch! Die Mutter von Amira* hat das gesagt“, sagt meine Tochter. „Die hat das sogar im Internet gelesen.“
Die Behauptung vom Schildlaus-Matsch, der der Coke ihre typische Farbe verleiht, hat im vergangenen Jahr viele Kids in der Grundschule meiner Tochter erschüttert. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Zuckerschock. Besonders unter denen, die Cola schon zum Frühstück trinken.
Nach ein paar Klicks finden meine Kleine und ich zu der Falschbehauptung einen Faktencheck der dpa. Am nächsten Tag erzählt meine Tochter ihrer Freundin Filippa* davon und argumentiert leidenschaftlich gegen die Schildlaus-Lüge: „Nein, das stimmt nicht! Das sagen auch Wissenschaftler!“ Leider wiegen Wissenschaftler in der autoritären Waagschale einer Grundschülerin nicht so viel wie Amiras Mama. „Ist mir egal“, entgegnet Filippa nur, „ich will das trotzdem glauben“. Mit diesen Worten dreht sie sich um, um die krasse Geschichte von den Insekten im Softdrink der nächsten Freundin zu erzählen. Keine Pointe.
Als mir meine Tochter davon erzählt, nehme ich sie fest in den Arm. Komprimiert im Mikrokosmos eines Pausenhofs finden sich hier essentielle Erkenntnisse über die weite Welt des Internets: Warum sollten wir uns mit langweiligen, unbequemen oder anstrengenden Realitäten auseinandersetzen, wenn uns das digitale Schlaraffenland jede Ausflucht mit dem passenden Carepaket versüßt? Opinion Leader sind wichtiger als Wissenschaftler. Wahrheiten haben sich im vergangenen Jahrzehnt von Fakten befreit und sind mehr und mehr zu einer Entscheidung verkommen. Eine vermeintliche Quelle zu jedem Bullshit, an den ich glauben möchte, gibt es im Netz als Kirsche oben drauf. Dabei den leichtesten Weg zu wählen, eigene Weltsichten zu bestärken und populistischen Parolen zu folgen, ist schlichtweg menschlich. „Ich glaube, also habe ich recht!“, heißt der Glaubenssatz, den sich viele Erwachsene heutzutage mit einer bockigen Neunjährigen teilen.
Politische Akteure haben dieses Einfallstor für sich verstanden und bieten den Menschen jede Menge Möglichkeiten, den Ballast der Wirklichkeit abzustreifen und sich die Welt zu machen, widdewidde wie sie ihnen gefällt. „So wie man sich 1923 gefühlt hat, als das Radio erfunden wurde, so fühl ich mich, wenn ich meine Tiktoks anschaue“, schwärmt Erik Ahrens 2023 in einem Vortrag für das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) um den rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek. Ahrens ist Medienexperte, laut Verfassungsschutz Brandenburg Rechtsextremer und war beim Geheimtreffen in Potsdam dabei. Er hielt dort mit dem Sohn des Veranstalters Gernot Möring einen Vortrag über Kommunikationsstrategien und eine rechte Influencer-Agentur im Dienste der AfD. Ahrens selbst bezeichnet sich als Architekt hinter dem Tiktok-Erfolg des AfD-Politikers Maximilian Krah. Die Plattform sei ein guter Weg, Jugendliche zu beeinflussen, erklärt er. Tiktok öffne „ein Fenster in deren Gehirn, wo man da rein senden kann“.
Zwei Wege gibt es nun, „wo man da“ über Soziale Medien „reinsenden kann“, um mit Desinformation die Demokratie zu unterhöhlen: eine gezielte Beeinflussung und das erbarmungslose Fluten mit Hass, Hetze und Falschnachrichten.
„Flood the zone with shit“
Der Flut-Ansatz erklärt sich in der Maxime Steve Bannons. Der rechte Ideologe und ehemalige Trump-Berater erklärte 2018: „The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit.“ Im Klartext: Du vernichtest die journalistische Kontrollfunktion, indem du das Netz einfach mit so viel Scheiße flutest, dass die Menschen den Überblick verlieren und Fakten nicht mehr von Fiktion unterscheiden können.
Bannons These ist nicht neu. Der „Russia Report“, ein Bericht des Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses des britischen Parlaments, hält zu den russischen Desinformationsattacken rund um den Brexit fest: „Whilst some of the outright falsehoods which are put forward may not be widely believed, they may still succeed in casting doubt on the true account of events.“ („Auch wenn einige der vorgebrachten offensichtlichen Unwahrheiten nicht allgemein geglaubt werden, können sie doch Zweifel an der wahren Darstellung der Ereignisse aufkommen lassen.“) Im Prinzip ist das Bannons Kackflut-Satz in britischem Englisch.
Etwas mehr Fingerspitzengefühl verlangt eine gezielte Beeinflussung, denn dafür sollten die Desinformierer Informationsräume schaffen, in denen sich die Menschen verlieren können. Seit 2015, angefangen mit der verdeckt finanzierten Facebook-Offensive der AfD, arbeitet die Partei daran, eine rechte Gegenöffentlichkeit für ihre Anhänger aufzubauen. Das Verbreiten von Desinformation wird dabei zum klassischen Isolationsbooster: Wenn man an Falschnachrichten wie Messermorde oder Massenvergewaltigungen glauben möchte, über die die Presse nicht berichtet, muss sie lügen – ganz einfach. Also wendet man sich von klassischen Medien ab und rutscht tiefer in die Schwurbelspiralen der Kommentarspalten und Telegramkanäle.
Die ständigen Lügenpressevorwürfe, die anhaltenden Attacken auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem und das ewige Mantra von der vermeintlichen Meinungsdiktatur – all diese Narrative der AfD schüren das Misstrauen gegen klassische Medien und ziehen ihre Anhänger in die Echokammern der Partei. Die Macht dieser radikal rechten Desinformationsgesellschaft geht über die reine Schutzfunktion vor Kritik und Transparenz hinaus. Es geht um Deutungshoheit.
Ist das Vertrauen in den etablierten Journalismus zerstört, können sich AfD-Politiker und alternative rechte Medien als „Trusted Messenger“ im Kommunikationsprozess installieren, als einzige Instanzen in diesem ach so korrupten Land, der AfD-Anhänger noch vertrauen und glauben können. Indem eigene Skandale zu Lügen und schließlich zu boshaften Angriffen auf die AfD verkehrt werden, immunisiert die Partei ihre Wähler gegen jede unliebsame Enthüllung einer kritischen Presse. „Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen“, sagte Alice Weidel bereits 2018, als sie die Gründung eines AfD-Newsrooms verkündete, also einer parteiinternen Redaktion.
Flankieren lässt sich die AfD in ihrer Nachrichtenoffensive von rechten Blogs und Medien, zu denen die Partei schon seit Jahren enge Bande knüpft.
Gemeinsam gegen die „Systempresse“
Das Geheimtreffen im Landhaus Adlon in Potsdam war nicht die erste Veranstaltung mit Beteiligung von AfD-Politikern und Vertretern der Neuen Rechten, bei der ein CORRECTIV-Reporter undercover war. Am 11. Mai 2019 hatte die AfD Repräsentanten alternativer Medien zu einer Konferenz in den Bundestag eingeladen, dem „1. Kongress der freien Medien“. Mit dabei die Crème de la Crème der rechten Meinungsmacher – unter anderem David Berger, Betreiber des Blogs Philosophia perennis; der Blogger Eugen Prinz von PI News (Politically Incorrect News); Thomas Böhm und Philipp Beyer, Gründer der rechten Webseite Journalistenwatch, und der rechte Publizist Götz Kubitscheck mitsamt seiner Frau Ellen Kositza.
„Ich feiere diesen Tag“, sagt die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst damals im Interview mit PI-News, denn diese Vernetzung bringe die Macht der etablierten Medien in Gefahr. „Diese Deutungshoheit, die steht plötzlich infrage, die Deutungshoheit über Fake News, über Fakten.“ Es sei wichtig, dass sich die Szene der „freien Medien“ vernetze, dass „sie zusammenwirken“, dass „sie sich gegenseitig Unterstützung und Informationen zukommen lassen“, erklärt Martin Renner, Gründungsmitglied der AfD und medienpolitischer Sprecher, gegenüber PI-News. Nur so ließe sich „sukzessive die Waffengleichheit zu dem polit-medialen Komplex“ herstellen, wie Renner die etablierte Medienlandschaft nennt.
Die rechten Medien fallen ins sogenannte „Vorfeld“ der Partei. Experten halten dieses Vorfeld für den „Humus, auf dem die AfD wächst“. Zu ihm gehören weitaus mehr als ein paar Blogs.
Die Tiktok-Guerilla und das Angerverse
Glauben Sie, dass sich eine Neunjährige ein Spiel namens „Ausländer raus!“ ausdenkt? Vom Prinzip her ist das nichts anderes als Fangenspielen, nur dass auf dem Schulhof Hetzjagden nachgestellt und normalisiert werden. Todesangst als Pausenspaß. Die Fänger nennen sich „die AfD“, das gejagte Kind ist „der oder die Ausländerin“. Meine Tochter hat mir im vergangenen Jahr davon erzählt. Erst war ich geschockt, dann aufgebracht. Nach Gesprächen mit dem Rektor ihrer Grundschule wurde das Lehrpersonal sensibilisiert und das Thema im Unterricht aufgegriffen. Trotz vereinter Recherche mit mehreren CORRECTIV-Kolleginnen und -Kollegen konnten wir den Ursprung des Spiels nie ausmachen. Mehrere Extremismusberatungsstellen in NRW erklärten mir, dass in den vergangenen Jahren derartige Meldungen von Grundschulen zugenommen hätten. So ein Spiel-Setting entspringt keiner Fantasie eines Kindes, davon bin ich überzeugt, eher den Untiefen des Internets.
Nicht nur Magazine, Blogs und Publizisten vereint das Vorfeld der AfD, auch rechtsextreme Vereine und Online-Shops gehören dazu, ebenso wie rechte Aktivisten, Youtuber und Identitäre, die die Untergrundkämpfe der Partei übernehmen. Das Vorfeld ist die außerparlamentarische Hand der AfD, die unter dem Radar bleibt, sich auch mal schmutzig machen darf und zur Not hinter dem Rücken verschwindet. Ein Beispiel dafür ist die Schatten-AfD, eine Art Tiktok-Armee von AfD-Fake-Profilen, die sich als offizielle Konten der Partei ausgeben, ihre Inhalte teilen, ideologisch auf Linie sind, aber frei von jeglichen Konventionen. Sie können pöbeln und mit so viel menschenverachtendem Dreck werfen, wie sie wollen. Wenn sich jemand beschwert, gehören sie nicht zum offiziellen Auftritt der Partei. So lässt sich selbst in den dunkelsten Gewässern nach Jüngern fischen, ohne dabei nass zu werden.
Unsere Faktenchecker haben 60 Profile der Schatten-AfD stichprobenhaft analysiert: Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sammelten sie über sechs Millionen „Gefällt mir“-Angaben im Namen der AfD und kamen auf etwa eine halbe Million Follower – die vermutlich dachten, der echten Partei anzuhängen.
Ahrens, der sich in seiner Bedeutung auf Augenhöhe mit rechten Vordenkern wie Steve Bannon versteht, zählt ebenfalls zum Vorfeld der Partei. Eines seiner Projekte, um den rechten Humus mit braunem Mist zu düngen, ist die „Tiktok-Guerilla“, ein über Telegram organisierter, etwa 2000 Personen starker Schwarm von AfD-Anhängern, die helfen, die Zensurbestimmungen der Plattform zu umgehen, und den AfD-Inhalten größere Reichweiten verschaffen. „Mit der http://t.me/tiktokguerilla habe ich das mächtigste neue Tool im rechten Kampf um Social Media geschaffen“, verkündete Ahrens am 21. Mai 2024 auf X.
Kriegsrhetorik, reaktionäre Schwarz-Weiß-Bilder, Wir-gegen-Die – das Vorfeld mag martialische Metaphern und Begriffe. 2017 mischte die Truppe „Reconquista Germanica“ („Germanische Rückeroberung“) aus dem Umfeld der Identitären den damaligen Bundestagswahlkampf auf, organisierte sich in militärischen Rängen und gab „Tagesbefehle“ aus, wie der Desinformationskrieg und ihre Trollattacken im Sinne der AfD zu führen seien.
Der „Fat Man“ in dieser Metaphorik ist das Angerverse, ein Kollektiv von rechten Youtubern und Podcastern, die primär auf der Videoplattform und auf X ihre Meinungen in die Welt hinaus ballern und kräftig die Propagandatrommel für die AfD rühren. Zentrale Figur ist Aron P. alias „Shlomo Finkelstein“, der 2019 unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Bei Bedarf verlassen Finkelstein und seine Schergen das Angerverse, um als Guerilleros auf Tiktok zu wüten.
Angerverse … Was für ein Wort … Wie muss ich mich und die Welt sehen, um ein Wutuniversum zu erschaffen?
Aber damit nicht genug. Unterstützung bekommt die Alternative für Deutschland nicht nur aus dem Angerverse, sondern auch aus dem Ausland.
Schützenhilfe von rechts und Russland
Die Liebe der AfD zum Kreml ist kein Geheimnis und könnte ein ganzes Buch füllen, deswegen hier nur kurz: Die Partei strebt nach einem Eurasien. Ein derartiger Wirtschaftsraum kann nur unter russischer Dominanz existieren, würde den Rückzug der USA als „raumfremde Macht“ aus Europa bedeuten und eine stärkere Bindung des Kontinents an China und Russland. Eine solche „multipolare Weltordnung“ liegt sowohl im Interesse der AfD als auch im Interesse des Kremls.
Der russische Nationalist und Philosoph Alexander Dugin erklärt, welche wichtige Rolle Deutschland dabei zukommt, das er als „Herzland“ eines zukünftigen „Eurasiens“ sieht. Dugin gilt als ideologischer Wegbereiter des russischen Krieges gegen die Ukraine. „Die Entkolonialisierung von Deutschland ist eines der Projekte der eurasischen Strategie. Deutschland ist das Land, das uns als Partner am nächsten steht. Dafür muss es aber ein anderes Deutschland sein. Ein deutsches Deutschland. Kein amerikanisches Deutschland. Kein Marionetten-Deutschland. In Wirklichkeit braucht Europa einen nationalen Befreiungskampf gegen die amerikanische Hegemonie.“ In diesem Sinne ist es für den Kreml nur logisch, spaltende Kräfte wie die AfD zu stärken.
Denn der Kreml weiß: Europas Schwäche ist Russlands Stärke. Putins Pläne zur territorialen Machterweiterung lassen sich nur verwirklichen, wenn die europäischen Demokratien destabilisiert sind und die Westbindung fällt.
Während des Wahlkampfes waren vor allem drei große russische Einflussoperationen und Desinformationskampagnen relevant, deren Spuren unsere Faktenchecker bis zum Kreml zurückverfolgen konnten: die Doppelgänger-Kampagne, die Matrjoschka-Kampagne und die Einflussoperation „Storm-1516“. Die russischen Narrative, die verbreitet werden, sind nahezu deckungsgleich mit denen der Rechten: Politische Akteure – bevorzugt die Grünen, im Bundestagswahlkampf aber auch Friedrich Merz – werden diskreditiert, parallel werden Zweifel an der Wahl und der Integrität des Systems gesät.
Die AfD ist nachweislich Nutznießer der russischen Kampagnen: Einerseits werden AfD-Politiker und -Politikerinnen von Anfeindungen verschont, andererseits werden ihre Inhalte über Kampagnennetzwerke verbreitet. Außerdem spielen die russischen Desinformationen genau in die Agenda der Partei. Der Plan des Kremls, die AfD so auf 20 Prozent zu pushen, ging auf.
Auch die amerikanische Rechte auf der anderen Seite des großen Teichs liebt die AfD: Trump, Musk und Vance werden nicht müde, die rechten Deutschen zu protegieren, wo es nur geht. Im Gegenzug bekundet die AfD ihre Hingabe zur neuen US-Regierung in ihrem Parteiprogramm: Man sehe in der neuen Trump-Administration einen Verbündeten im Kampf gegen „Klimaideologie“, „Wokeness“ und „in unserem Einsatz für die Meinungsfreiheit und gegen die Internet-Zensur“. Realitätsverdrehung at its best. Und blind für das, was kommen könnte.
Ob in Russland oder den USA – autoritäre Regierungen profitieren vom Destabilisieren. Schwache Demokratien lassen sich leichter kontrollieren und führen. Und so schlagen Akteure von beiden Seiten in die immer selben Kerben, um gesellschaftliche Risse zu vertiefen, Unruhen anzufeuern und Konsens zu verhindern.
Dass sich im Fall der AfD der Desinformationskreis an den Rändern zwischen rechts und Russland schließt, zeigte sich letztens noch am Beispiel einer Falschnachricht der Matrjoschka-Kampagne: Hollywood-Celebrities hätten eine Propagandatour für die Ukraine gemacht – auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers. Elon Musk leitete die KI-generierten Videos aus Russlands Desinformationsschmieden an seine 217 Millionen Follower auf X weiter. Donald Trump Jr. reihte sich mit einem Repost ein und schließlich griff das Thema auch AfD-Mann Maximilian Krah mit dem Kommentar auf: „Diese Enthüllung ist ein weiterer Grund, das Ukraine-Abenteuer endlich zu beenden.“
Propagandaziel erreicht. Punkt für Putin.
Was bleibt, ist Beziehungsarbeit
Die Welt ist kompliziert geworden, das Netz ist voller Informationen und die Sehnsucht nach Einfachheit groß. Mit meiner Tochter rede ich gerade viel über Politik und Medien, altersgerecht natürlich, aber trotzdem offen und ehrlich. Über meine Ängste und Sorgen und auch über die Hoffnungsschimmer, die ich nicht loslassen werde, weil unsere Kinder eine Zukunft verdienen.
Aufgeben ist keine Option.
Und so habe ich auch den Abend mit den kritischen Querdenkern überstanden, um am Ende eine einschneidende Erfahrung zu machen. Fast zwei Stunden haben Mister Teflon und ich mit unseren Gästen geredet, anstrengende zwei Stunden voller Missverständnisse und Reibereien. Nur selten haben wir dieselbe Sprache gesprochen – wie soll man sich auch verstehen, wenn eine Seite die Zahlen des Robert-Koch-Institutes als Diskussionsgrundlage nimmt und die andere dahinter einen versteckten Genozid vermutet –, trotzdem nahmen wir die Menschen in ihren Ängsten ernst und konnten uns irgendwann auf einem Nenner treffen:
Manchmal habe ich den Eindruck, Falschnachrichten werden geteilt, um der Angst Ausdruck zu verleihen, nicht gehört zu werden. Viele im Saal waren von ihrer lokalen Presse enttäuscht, haben sich nicht mehr verstanden und repräsentiert gefühlt. Deshalb müsse der Journalismus besser und bissiger werden und auch diverser. Wenn sich Menschen nicht gesehen fühlen, wenden sie sich ab. Pseudo-journalistische Angebote, um ihr Bedürfnis nach Information zu stillen, gibt es mehr als genug. Das ist verheerend, denn die Wiege des Medienvertrauens liegt im Lokalen.
Am Ende des Abends stand ich mit Mister Teflon vor der Tür und habe noch eine Kippe geraucht (nur ich, Mister Teflon raucht nicht). Da kam ein anderer mittelalter, weißer Mann aus dem Publikum zu uns und klopfte mir auf die Schulter: „Was ihr macht, ist kacke“, sagte er grinsend, „aber ihr zwei seid echt okay.“
Bäm – was für ein Moment!
Die Geste war nicht viel, aber mehr, als ich nach unseren Recherchen in verschwurbelten Filterblasen und rechten Messengergruppen erwartet hätte. Und ein Anfang. Die wichtigste Währung in unserer Informationsgesellschaft ist Vertrauen. Und das müssen wir Journalistinnen und Journalisten uns wieder verdienen. Nur Artikel zu veröffentlichen oder Bücher zu schreiben reicht nicht aus. Wir müssen raus aus dem Elfenbeinturm der Medienhäuser, raus aus unseren selbstgerechten Redaktionssesseln und verdammte Beziehungsarbeit leisten. Wir müssen uns wieder begegnen und miteinander reden. Wir müssen uns einander als Menschen zeigen. Diese Beziehungsarbeit wird über die Zukunft unserer Demokratie entscheiden.
Ein Mitschnitt unseres Querdenker-Abends ist nie im Netz erschienen.
*Namen geändert