Faktencheck

Nein, Covid-19 ist keine „Laborpandemie“, sondern eine gefährliche Krankheit

In einem Video auf Youtube behauptet ein Urologe aus Baden-Württemberg, Covid-19 sei keine gefährliche Krankheit. Vielmehr handele es sich um eine „Laborpandemie“, bei der zwar das Virus, aber keine Krankheit nachgewiesen werde. Seine Behauptungen sind größtenteils falsch und führen in die Irre.

von Sarah Thust

Symbolbild Coronavirus
Ein Arzt aus Baden-Württemberg behauptet, bei Covid-19 handele es sich nicht um eine gefährliche Krankheit. (Symbolbild: Tumisu / Pixabay)
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Größtenteils falsch. Covid-19 wird als gefährliche Krankheit eingestuft und existiert nicht nur als „Laborpandemie“.

Yves Oberndörfer, angeblich ein Urologe aus Mosbach in Baden-Württemberg, behauptet in einem 14-minütigen Video: „Ich hatte und habe seit 30 Jahren im Rettungsdienst, im Studium, in der Klinik und in der Praxis jeden Tag mit gefährlichen, tödlichen Krankheiten und Infektionen zu tun. Covid-19 gehört nicht dazu“ (ab Minute 0:12). Außerdem erklärt er, bei der Pandemie handele es sich um eine reine „Laborpandemie“, bei der zwar das Virus, nicht aber eine Infektion oder Erkrankung nachgewiesen werde.  

Das Video wurde am 6. September auf Youtube veröffentlicht und dort bislang mehr als 120.000 Mal aufgerufen. Einen Tag später erschien es unter anderem auf der Facebook-Seite von Michael Molterer, von wo aus das Video mehr als 17.000 Mal geteilt wurde. Molterer ist laut seiner Website Schauspieler und Model in Österreich.

Unsere Recherchen haben ergeben: Die Behauptungen im Video sind größtenteils falsch beziehungsweise irreführend. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch das Robert-Koch-Institut schätzen Covid-19 als gefährliche Krankheit ein. Zudem bestätigen mehrere Virologen, dass Personen, bei denen SARS-CoV-2 per Test nachgewiesen wurde, sehr wohl infiziert sind. 

Das Video von Urologe Yves Oberndörfer aus Mosbach wurde tausendfach auf Facebook geteilt.
Das Video von Urologe Yves Oberndörfer aus Mosbach wurde tausendfach auf Facebook geteilt. (Quelle: Facebook / Screenshot: CORRECTIV)

Yves Oberndörfer arbeitet eigentlich als niedergelassener Urologe in Baden-Württemberg 

Das auf Youtube veröffentlichte Video trägt den Titel „Standpunkt“. Zu Beginn sagt der angebliche Urologe Yves Oberndörfer, er habe das Video am 1. September aufgenommen. Eine Google-Suche nach „Yves Oberndörfer“ führt zur Webseite des Arztes. Er ist demnach Facharzt für Urologie, medikamentöse Tumortherapie, Andrologie, urologische Röntgendiagnostik und praktiziert in Mosbach in Baden-Württemberg.

CORRECTIV hat am 17., 18. und 22. September vergeblich versucht, den Urologen in seiner Praxis in Mosbach zu telefonisch zu erreichen. Dabei wollten wir unter anderem wissen, ob das Video wirklich von ihm stammt und wie er seine Behauptungen darin begründet. Während einer der Sprechstunden, gegen 11 Uhr morgens haben wir schließlich eine Frau erreicht, die unsere Kontaktdaten notierte. Sie verwies darauf, dass der Arzt gerade beschäftigt sei. Auf den Hinweis, dass im Internet ein Video von einem Arzt namens Oberndörfer kursiert, sagte sie: „Ja, das ist der Herr Oberndörfer.“

In den ersten Minuten im Video stellt der Urologe zwei Behauptungen auf: Covid-19 sei keine gefährliche Krankheit und die Pandemie bestehe seit Ende März nur noch als Laborpandemie. Ab Minute 2:31 äußert Oberndörfer hauptsächlich seine Meinung über die Schutzmaßnahmen, ohne diese mit überprüfbaren Fakten zu begründen. 

Das Video wurde ursprünglich auf dem Youtube-Kanal „DocUro2020“ hochgeladen. Am 7. September wurde es in einem Twitter-Beitrag der „Ärzte für Aufklärung“geteilt. 

Die Initiative „Ärzte für Aufklärung“ hat den Link zum Video auf Twitter geteilt.
Die Initiative „Ärzte für Aufklärung“ hat den Link zum Video auf Twitter geteilt. (Quelle: Twitter / Screenshot: CORRECTIV)

Erste Behauptung: Covid-19 sei keine gefährliche Krankheit und es gebe inzwischen Herdenimmunität

Der Urologe behauptet in dem Video, Covid-19 sei „keine gefährliche Krankheit“. Diese Behauptung unterscheidet sich stark von den Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Robert-Koch-Instituts (RKI), das im Auftrag der deutschen Bundesregierung für Krankheitsüberwachung und -prävention zuständig ist.

Die Risikobewertung der WHO: „Aufgrund der rapiden Zunahme der Fallzahlen außerhalb Chinas“ erklärte die WHO am 12. März 2020 den Ausbruch des neuartigen Coronavirus offiziell zu einer Pandemie. An dieser Einschätzung hat sich bisher kaum etwas geändert (Stand: 12. Oktober). Am 27. Juli schrieb die WHO in einer Pressemitteilung: Es sei das sechste Mal, dass der globale Gesundheitsnotstand ausgerufen wurde, aber es sei „bei weitem der schwerste“.

Die Risikobewertung des RKI: Das RKI in Deutschland hat seine Risikobewertung zu Covid-19 zuletzt am 7. Oktober aktualisiert. Die Behörde schreibt: „Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine dynamische und ernst zu nehmende Situation. […] Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch.“ Bisher sei bekannt, dass die Erkrankung bei der überwiegenden Zahl der Fälle mild verlaufe. Doch die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nehme mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Zudem seien Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, derzeit nicht abschätzbar.

Über die Immunität nach durchlebter Covid-19-Erkrankung gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse 

Der Urologe behauptet außerdem, die meisten Menschen in Deutschland seien inzwischen immun gegen das neuartige Coronavirus. Er sagt ab Minute 0:23: „Mittlerweile ist die Immunität in Deutschland so weit fortgeschritten, dass sämtliche bisherigen Maßnahmen zum Wohle meiner Patienten und der gesamten Bevölkerung aufgehoben werden müssen.“ Einen Beleg für diese Behauptung nennt der Urologe nicht.

Auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stand am 12. Oktober: „Bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann der Körper Antikörper bilden, die das Virus neutralisieren und zu Immunität führen können. Antikörper sind in der Regel am Ende der zweiten Woche nach Beginn der Erkrankung nachweisbar, vermutlich jedoch nicht bei allen Infizierten.“ 

Zudem sei unklar, wie robust und dauerhaft eine aufgebaute Immunität ist und ob es dabei von Mensch zu Mensch Unterschiede gebe. Das RKI schrieb dazu: „Die Erfahrungen mit anderen Coronavirus-Erkrankungen wie SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) und MERS (Middle East Respiratory Syndrome) deuten darauf hin, dass eine aufgebaute Immunität bis zu drei Jahre anhalten könnte. Ob dies auch bei COVID-19 der Fall ist, lässt sich noch nicht sagen. Hierfür sind weitere Studien erforderlich, die den Verlauf der Abwehrleistungen im Körper über einen längeren Zeitraum beobachten.“

Zu einem ähnlichen Fazit kam auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im August. In einer Präsentation hieß es: „Bedeutet das Vorhandensein von Antikörpern gegen COVID-19, dass eine Person immun und vor einer erneuten Infektion geschützt ist? Das weiß noch niemand!“ (Seite 18)

Die Behauptung von Yves Oberndörfer, die meisten Menschen in Deutschland seien inzwischen immun gegen das neuartige Coronavirus ist demnach unbelegt. 

Zwischenfazit: Die Behauptung ist größtenteils falsch. Sowohl die WHO als auch das RKI stufen Covid-19 als eine gefährliche Krankheit ein. Zudem ist bisher noch unklar, inwiefern nach einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 wirklich Immunität vorliegt. 

Zweite Behauptung: Die Pandemie bestehe seit Ende März nur noch als Laborpandemie

Yves Oberndörfer sagt in seinem Video, dass er selbst bis Februar besorgt gewesen sei (ab Minute 00:44). Doch seit Ende März sei die Pandemie „nur noch eine Laborpandemie“. Damit meint er, dass das Virus zwar im Labor diagnostiziert werde, doch es sei nicht bekannt, ob der betreffende Mensch auch krank sei oder werde.

Der Urologe bezieht sich hier vermutlich auf die PCR-Tests, mit denen eine Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 nachgewiesen werden kann. PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion. Mit diesem Verfahren werden im Labor ganz bestimmte Sequenzen des Erbguts (RNA) von SARS-CoV-2 vervielfältigt, um sie nachweisen zu können. Die Proben dafür werden mit einem Abstrich (meist durch die Nase im Rachen eines Menschen) entnommen und untersucht.

CORRECTIV hat bereits darüber berichtet, dass ein PCR-Testergebnis der Nachweis einer Infektion ist. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Person zum Zeitpunkt des Tests ansteckend oder krank ist. Es kann sein, dass jemand erst später infektiös wird, oder das Virus zum Zeitpunkt des Tests bereits nicht mehr vermehrungsfähig ist.

Virologe bestätigt: PCR-Tests weisen Infektionen nach

Dass PCR-Tests Infektionen nachweisen, bestätigte uns auch der Virologe Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Er schrieb CORRECTIV am 29. September, dass ein solcher Test das Erbgut des Erregers zum Zeitpunkt der Probenentnahme nachweise. Dies könne sehr wohl als Nachweis der erfolgten Infektion gelten.

E-Mail von Virologe Friedemann Weber von der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
E-Mail von Virologe Friedemann Weber von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. (Quelle: E-Mail / Screenshot: CORRECTIV)

Der Virologe erklärte: „Wenn die PCR anschlägt, dann hat sich der Erreger vermehrt. Ob er das im Moment der Probenentnahme noch tut, ist irrelevant. Ein Test auf echte Infektiosität ist viel zu aufwändig und nicht sehr sensitiv und für Massentestungen auch nicht notwendig.“ 

Unabhängig davon, ob ein Infizierter Symptome zeigt, ist er also dennoch Träger des Virus. Allein in den vergangenen sieben Tagen wurden dem RKI in Deutschland 22.832 Infektionsfälle gemeldet, seit Beginn der Pandemie sind hierzulande 9.621 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben (Stand: 12. Oktober). Weltweit gab es laut der Johns-Hopkins-Universität bisher mehr als 1,05 Millionen Todesfälle. 

Stand 12.10.2020: Diese Statistik zeigt die Zahl der täglichen Covid-19-Sterbefälle weltweit seit Beginn der Pandemie.
Stand 12.10.2020: Diese Statistik zeigt die Zahl der täglichen Covid-19-Sterbefälle weltweit seit Beginn der Pandemie. (Quelle: Johns-Hopkins-Universität, Covid-19 Dashboard / Screenshot: CORRECTIV)

Etwa eine von fünf Personen, die mit Covid-19 infiziert sind, entwickelt laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Atembeschwerden und benötigt eine Krankenhausbehandlung. Laut der US-Behörde CDC mussten im Durchschnitt 178 von 100.000 Personen seit Beginn der Pandemie im Krankenhaus behandelt werden. Menschen, die älter als 60 Jahre sind, und Menschen mit medizinischen Grunderkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten, Atemwegserkrankungen oder Bluthochdruck sind einem noch höheren Risiko ausgesetzt.

Zwischenfazit: Die Behauptung, es handele sich bei Covid-19 um eine „Laborpandemie“, führt in die Irre. Mehrere Experten haben uns bereits zuvor bestätigt, dass die durchgeführten PCR-Tests eine Infektion nachweisen. Ob der Mensch auch Symptome zeigt, diagnostiziert gegebenenfalls der behandelnde Arzt. In den vergangenen Monaten haben sich weltweit mehrere Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert und viele zeigen auch weiterhin Krankheitssymptome.

Darüber hinaus stellt der Urologe in seinem Video weitere Behauptungen auf. Wir haben drei von ihnen herausgegriffen, die wir bereits in früheren Faktenchecks überprüft haben. Warum diese kritisch zu sehen sind, haben wir im Folgenden zusammengefasst.

In den USA sind nicht nur sechs Prozent der Corona-Toten ursächlich an Covid-19 gestorben 

Der Urologe behauptet, in den USA seien nur sechs Prozent der SARS-CoV-2 Infizierten ursächlich am Coronavirus gestorben seien. Das zeige angeblich ein Bericht der Centers for Disease Control (CDC), einer Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums (ab Minute 1:47). 

Diese Aussage haben wir bereits in einem Faktencheck überprüft. Das Ergebnis unseres Faktenchecks: Die Behauptung ist falsch. Der Bericht des CDC zeigt lediglich, dass 94 Prozent der im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbenen in den USA auch mindestens eine Vorerkrankung hatten. Über die Todesursache sagt das jedoch nichts aus. 

Influenza-Fälle lassen sich nicht mit den SARS-CoV-2-Fällen vergleichen

Zudem vergleicht der Urologe die Zahl der Covid-19-Sterbefälle mit der Sterberate der Influenza im Jahr 2018. „2018 mussten wir über 20.000 Tote während der Grippewelle beklagen“, sagt er im Video (ab Minute 2:11). 

Über ähnliche Behauptungen haben wir bereits in mehreren Faktenchecks berichtet. Das Ergebnis unserer Recherchen: Die Fallzahl aus der Grippe-Saison 2018 lässt sich nicht mit der Zahl der Covid-19-Sterbefälle vergleichen. Bei der oben genannten Zahl der Grippetoten handelte es sich um eine Schätzung des RKI (Seite 47). Die Zahl der Covid-19-Sterbefälle bezieht sich jedoch auf laborbestätigte Fälle. Wie wir bereits hier in einem Faktencheck berichtet haben, liegt der Anteil der Verstorbenen an allen Infizierten (Infektionssterblichkeitsrate; IFR) bei SARS-CoV-2 laut WHO vermutlich höher als bei der saisonalen Grippe.

Der Urologe meint: Die Maßnahmen der Regierung seien unverhältnismäßig

Der Urologe sagt auch, dass die Maßnahmen gegen das Virus mehr Schaden anrichten würden als das Virus selbst. Mit diesem Eindruck will er unter anderem gegen Kontaktverbote und die Maskenpflicht Stimmung machen. Er erwähnt zu diesem Zweck auch, dass die WHO ihre Meinung zur Maskenpflicht geändert habe. 

Eine ähnliche Behauptung hat bereits im Juli ein Student aus Ulm in einem Youtube-Video verbreitet. Wir haben bereits in diesem Faktencheck berichtet, dass die WHO nur teilweise ihre Haltung zu Schutzmasken geändert hat. Es stimmt nicht, dass die WHO zu Beginn der Pandemie geschrieben hat, dass Masken „nichts nutzen würden“. 

„Die Bundesärztekammer hält die bundesweit geltenden AHA-Regeln für gerechtfertigt und unterstützt diese ausdrücklich“

Der Urologe kritisiert in seinem Video die Schutzmaßnahmen deutlich. Er vertritt damit eine Meinung, die der vieler Wissenschaftler und Bundesbehörden widerspricht. Auch die Bundesärztekammer teilte uns auf Anfrage per E-Mail mit, man halte die bundesweit geltenden AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten und Alltagsmaske tragen) für gerechtfertigt und unterstütze diese ausdrücklich. 

Außerdem schrieb uns der Sprecher in einer E-Mail: „Besonders zu betonen ist, dass – anders als gegen die Influenza – gegen Covid-19 noch nicht geimpft werden kann und dass es noch keine ausreichend sichere Behandlung gibt, um schwere Verläufe abzuwenden. Zudem können zwar Risikokonstellationen identifiziert werden, dennoch lässt sich im Einzelfall auch bei jungen und scheinbar gesunden Erwachsenen nicht vorhersagen, dass sie vor einem schweren Verlauf geschützt sind.“

Fazit: Viele Behauptungen, die der Urologe in seinem Video aufstellt, sind falsch oder lassen wichtigen Kontext aus. Das Video enthält zudem zahlreiche Meinungsäußerungen des Arztes. Er liefert für seine Behauptungen nur wenige Belege. Einige davon sind falsch, andere führen in die Irre.

Redigatur: Uschi Jonas, Bianca Hoffmann

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