Sanierungs- und Abwicklungsgesetz: Was geschieht bei einer Bankenabwicklung mit dem Sparguthaben von Privatkunden?
Im Netz verbreitet sich die Behauptung, das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz erlaube, jederzeit Sparguthaben von Kundinnen und Kunden einzuziehen. Das ist irreführend: Bankeinlagen sind in Deutschland bis zu einer Höhe von 100.000 Euro gesetzlich geschützt. Droht die Schieflage einer systemrelevanten Bank, können Privatkunden, die mehr als 100.000 Euro angelegt haben, als letzte von mehreren Maßnahmen haftbar werden.
Anfang September verbreitet sich auf Telegram die Nachricht, im Bundestag sei „zu abendlicher Stunde“ ein „hochbrisantes Gesetz zur Enteignung von Sparguthaben“ verabschiedet worden (hier und hier). Es geht um das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG): „Kein Bankkunde oder Aktionär kann seine Einlagen jetzt noch in Sicherheit wiegen, es kann jederzeit ohne rechtliche Gegenmittel eine Enteignung stattfinden”, heißt es.
Als Quelle für die Behauptung nennen die Beiträge den für Verschwörungstheorien bekannten Sender AUF1. Das Video des österreichischen Senders zum SAG erschien allerdings schon am 8. Februar. Es bezog sich auf die Bundestagssitzung im Jahr 2014, als das Gesetz verabschiedet wurde.
Dass das Sparguthaben aller Kunden jederzeit durch das Gesetz enteignet werden kann, ist falsch, wie wir bereits im Dezember 2019 berichteten. Hintergrund des Sanierungs- und Abwicklungsgesetz war die Finanzkrise im Jahr 2007. Es soll dafür sorgen, dass Banken, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten, nicht alleine mit Steuergeldern unterstützt werden müssen, wenn sie abgewickelt oder gerettet werden sollen. Kunden sollen demnach durch das Gesetz möglichst wenig finanzielle Schäden erleiden.
Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz ist seit 2015 in Kraft und kommt nur in bestimmten Fällen zur Anwendung
Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, das am 10. Dezember 2014 verabschiedet wurde, kommt zur Anwendung, falls sich die Finanzlage einer Bank „wesentlich verschlechtert“, dies zu einem „Krisenfall“ führen könnte (§ 12 SAG) und ein normales Insolvenzverfahren nicht zu einem gleich guten Ergebnis kommen würde (§ 62 Absatz 2 SAG). Abgewickelt wird eine Bank laut dem Gesetz, wenn sie „in ihrem Bestand“ gefährdet ist, keine Aussicht besteht, den Ausfall der Bank durch alternative Maßnahmen des privaten Sektors oder sonstige Maßnahmen der Aufsichtsbehörden abzuwenden und die Maßnahme im öffentlichen Interesse erforderlich ist. Es trat am 1. Januar 2015 in Kraft und wurde zuletzt am 3. Juni 2021 geändert.
Es gilt nicht für alle Banken: Kreditinstitute und Finanzgruppen, die als „systemrelevant“ bewertet werden, über ein Vermögen von mehr als 30 Milliarden Euro verfügen oder deren Gesamtvermögen 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, sind vom Gesetz betroffen (§ 20 SAG). Ob eine Bank zu den „systemrelevanten“ gehört, entscheiden die Bankenaufsicht und die Deutsche Bundesbank (§20 SAG). Aktuell gehören laut der Bafin zum Beispiel die Deutsche Bank und die Commerzbank dazu.
Verschlechtert sich die Finanzlage einer Bank, können mit dem Gesetz verschiedene Instrumente angewendet werden. Auf der Webseite der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) ist eine Auflistung der möglichen sieben „Sanierungs- und Abwicklungsinstrumente“ des SAG für Banken zu finden.
Einlagen von Bankkunden bis 100.000 Euro sind geschützt
Generell gilt: In Deutschland sind die Einlagen bei Banken bis 100.000 Euro gesichert. Das heißt, geht die Bank pleite, erhalten Kundinnen und Kunden diese Summe zurück. Wie das Bundesfinanzministerium schreibt, muss im Fall einer Bankinsolvenz das Geld innerhalb von sieben Arbeitstagen zurückgezahlt werden. Es stimmt also nicht, dass alle Sparguthaben eingezogen werden können.
Ist ein Kreditinstitut oder eine Finanzgruppe gefährdet, könnten als letzte von sieben Möglichkeiten jedoch Kundinnen und Kunden mit Sparguthaben von mehr als 100.000 Euro als Gläubiger haftbar werden. Diese Gläubigerbeteiligung wird als „bail-in” bezeichnet. Laut der Bafin kann in diesem Prozess auf „Einlagen von Privatpersonen, Kleinstunternehmen und kleinen und mittelständischen Unternehmen“, „einschließlich Fest-, Termingelder und Sparguthaben“ zugegriffen werden.
Doch bevor das geschieht, wird zunächst auf Aktien, Anteile an GmbH, KG oder Genossenschaften, oder Darlehen zugegriffen. Das schrieb auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten im Jahr 2021 (PDF-Download).
Gedeckte Einlagen oder Anleihen wie Pfandbriefe, die als krisenbewährte Anlagemöglichkeiten gelten, bleiben für Kunden sicher (siehe §91 SAG). Außerdem gilt: Sollte ein Kunde durch diesen Prozess mehr Geld verlieren als in einem regulären Insolvenzverfahren, steht ihm die Differenz laut dem SAG als Entschädigung zu (§ 147 SAG).
Juristisch handelt es sich bei Eingriffen nach dem SAG nicht um Enteignungen
Wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zudem weiter schreibt, handelt es sich nicht um eine Enteignung, wenn das Geld von Bankkundinnen genutzt wird, um eine Bank zu retten oder abzuwickeln. Das sei unter anderem deswegen so, weil nur die staatlichen Eingriffe nach Artikel 14 Absatz 3 des Grundgesetzes als Enteignung gälten, die auf die „Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet“ seien.
Zudem müsse bei einer Enteignung Eigentum auf den Staat übergehen, das sei aber bei einer Bankenabwicklung nicht der Fall: „Im Falle des SAG ist der Rechtsakt darauf gerichtet, gegenläufige private Interessen zu einem Ausgleich zu bringen.“
Bereits 2019 bestätigte uns auch Joachim Wieland, Experte für öffentliches Wirtschaftsrecht und Verfassungsrecht, dass es sich im juristischen Sinne nicht um eine Enteignung handelt. „Würde eine Bank insolvent, verlieren deren Kunden regelmäßig praktisch alle Gelder, die sie der Bank anvertraut haben. Das SAG stellt sicher, dass die Kunden möglichst wenig finanzielle Schäden erleiden und besser dastehen als bei einer Insolvenz der betroffenen Bank.“
Auf Telegram wird der Eindruck erweckt, über diese Vorgänge dürfe nicht gesprochen werden. Eine Verschwiegenheitspflicht, die in Paragraf 5 des Gesetzes geregelt ist, besagt aber nicht, dass über das Gesetz nicht öffentlich gesprochen werden darf. Sie regelt lediglich, dass Personen, die mit der Abwicklung einer Bank zu tun haben, „vertraulichen Informationen, insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von Kreditinstituten, gruppenangehörigen Unternehmen oder sonstigen Dritten“ nicht weitergeben dürfen.
Fazit: Bankeinlagen sind in Deutschland bis zu einer Höhe von 100.000 Euro gesichert. Wer höhere Einlagen hat, kann im Fall einer (drohenden) Schieflage der Bank mit seinem Vermögen haftbar werden. Diese Regelung greift aber nur bei systemrelevanten Banken und ist das letzte von sieben Instrumenten. Der Verlust für Kundinnen und Kunden darf dabei nicht den Verlust übersteigen, den ein reguläres Insolvenzverfahren verursacht hätte.
Redigatur: Sarah Thust, Sophie Timmermann