Faktencheck

Die falschen Großväter von Scholz, Lindner, Lauterbach und Tusk

Obwohl diese Fakes längst enttarnt wurden, halten sie sich hartnäckig in Sozialen Netzwerken: Vier Bildcollagen zeigen angeblich die Großväter von einigen deutschen Politikern, etwa von Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie sollen die Männer in Verbindung mit dem Nationalsozialismus bringen – dahinter steckt Desinformation.

von Sarah Thust

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Olaf Scholz, Christian Lindner, Karl Lauterbach, Donald Tusk: Im Netz verbreiten sich Fotos ehemaliger SS-Mitglieder, die den vier Politikern ähneln sollen. Sie seien angeblich deren Großväter; das ist falsch. (Quellen: Kay Nietfeld und Michal Fludra / Picture Alliance und NurPhoto; Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Eine Collage soll belegen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Bundesfinanzminister Christian Lindner und der ehemalige Präsident des Europäischen Rats, Donald Tusk, mit hochrangigen Nazis verwandt seien.
Bewertung
Falsch. Es gibt weder bei Olaf Scholz, noch bei Karl Lauterbach, Christian Lindner oder Donald Tusk Hinweise, dass sie mit den Männern auf der Collage verwandt sind.

Vier Männer, vier „Großväter“, und eine Spur nach Russland: Durch Soziale Netzwerke geistern seit Monaten Collagen, die drei deutsche Politiker – Olaf Scholz, Karl Lauterbach, Christian Lindner – und den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk aus Polen zeigen. Zu sehen sind jeweils daneben deren angebliche Großväter, die allesamt bei der SS gearbeitet haben sollen. „Hmm ist wohl einiges in der Erziehung falsch gelaufen, weil die Großväter wollten bloß das beste für Deutschland“, steht auf einem Bild auf Facebook und Twitter

CORRECTIV.Faktencheck kam bereits im April 2022 zu dem Ergebnis, dass diese Behauptungen nicht stimmen: Die Männer auf den Fotos sehen sich zwar ähnlich, doch verwandt sind sie nicht – und es waren auch nicht alle der angeblichen Großväter bei der SS. 

Eine Collage zeigt Fake-Großväter von Olaf Scholz Christian Lindner Karl Lauterbach und Donald Tusk
Eine Collage auf Facebook zeigt acht Fotos in Gegenüberstellung – doch die Männer sind nicht miteinander verwandt (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

SS-Leutnant Fritz von Scholz ist nicht der Großvater von Olaf Scholz – er hatte keine Kinder  

Am 3. April 2022 wurde in einem russischen Telegram-Kanal eine Bildcollage geteilt – zu sehen sind darauf Bundeskanzler Olaf Scholz und Fritz von Scholz, angeblich ein Gruppenführer der Waffen-SS. Das Bild wurde unter anderem durch den Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ weiter verbreitet, wie wir damals in einem Faktencheck berichteten.  

Eine Google-Recherche, ob „Fritz von Scholz“ der Großvater des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz ist, lieferte keine relevanten Ergebnisse. Wir fanden mehrere Einträge, wonach Fritz von Scholz auch unter dem Namen Friedrich Max Karl Edler Scholz von Rarancze bekannt war – er war Generalleutnant der Waffen-SS. Laut der Internetseite „Lexikon der Wehrmacht“ fiel er am 28. Juli 1944 bei Narwa in Estland. 

SS-Gruppenführer Fritz von Scholz und Olaf Scholz sind nicht verwandt
Links im Bild ist der SS-Gruppenführer Fritz von Scholz zu sehen, rechts im Bild ist Bundeskanzler Olaf Scholz (Quelle: Telegram; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Nachrichtenagentur DPA schrieb in einem Faktencheck, dass Fritz von Scholz keine Kinder hinterlassen habe. Das gehe aus Unterlagen im Bundesarchiv hervor. Er sei in Pilsen im heutigen Tschechien geboren und habe mit seiner Frau Marianne in Österreich gelebt.

Ein Sprecher des Presseamts der Bundesregierung antwortete uns auf die Frage, ob es sich bei dem General um den Großvater des aktuellen Bundeskanzlers handle: „Nein, das ist völliger Unsinn“. Angaben zu den tatsächlichen Namen der Großeltern des Bundeskanzlers mache das Bundespresseamt jedoch aus Persönlichkeitsschutzgründen nicht. 

Auf der Webseite von Scholz steht, sein Großvater sei ein „Eisenbahner“ gewesen. Dies bestätigt auch ein Eintrag im Archiv des Informationsdienstleisters Munzinger. Darin heißt es: „Eltern und auch die Großeltern, die Eisenbahnbeamte waren, stammten aus Hamburg“, wo Scholz aufgewachsen sei.

Karl Lauterbach und SS-Obergruppenführer Hartmann Lauterbacher sind nicht miteinander verwandt 

In mehreren Beiträgen in Sozialen Netzwerken wurde behauptet, der Großvater von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sei „Hartmann Lauterbach, Obergruppenführer bei der SS“. Die Behauptung wurde unter anderem in dem deutschsprachigen Telegram-Kanal „Ärzte für Frieden“ geteilt, wie wir im April 2022 berichteten.

Der Mann auf dem Foto neben Gesundheitsminister Karl Lauterbach heißt aber Hartmann Lauterbacher, wie eine Aufnahme aus dem Bundesarchiv bestätigt.

Es gibt keinerlei Belege, dass der SS-Mann Hartmann Lauterbacher und Gesundheitsminister Karl Lauterbach miteinander verwandt sind. Das Gesundheitsministerium schrieb im April 2022: „Hartmann Lauterbacher ist nicht der Großvater von Herrn Bundesminister Lauterbach.“

Karl Lauterbach und Hartmann Lauterbacher sind nicht verwandt (1)
Links im Bild ist der SS-Obergruppenführer Hartmann Lauterbacher zu sehen, rechts im Bild ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach – sie sind nicht verwandt (Quelle: Telegram; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Hartmann Lauterbacher wurde laut mehreren Kurzbiografien im Internet am 24. Mai 1909 im österreichischen Reutte geboren und starb im April 1988 in Bayern. Er war stellvertretender Reichsjugendführer der Hitlerjugend und SS-Obergruppenführer. Laut mehreren Internetseiten flüchtete er nach Kriegsende ins Ausland, sagte später in den Nürnberger Prozessen aus, und arbeitete nach seiner Rückkehr nach Deutschland unter anderem für den Bundesnachrichtendienst.

In einem Bericht der Braunschweiger Zeitung schrieb eine Journalistin, dass die Kinder von SS-Mann Lauterbacher Jörg, Ilse und Klaus heißen. Dies habe sie aus Archivdokumenten erfahren, bestätigte sie uns damals am Telefon. 

Der Vater von Gesundheitsminister Lauterbach heißt laut eines Berichts der TZ allerdings Wilhelm und arbeitete in einer Molkerei. Die Mutter heißt Gertrud und war Hausfrau. Lauterbach wurde am 21. Februar 1963 in Düren in Nordrhein-Westfalen geboren. 

Gerhard Lindner war Oberst bei der Wehrmacht – Hinweise auf eine Verwandtschaft mit Christian Lindner gibt es nicht 

Auch bei Christian Lindner gibt es keinen Hinweis auf eine Verwandtschaft mit dem Mann auf dem Foto neben ihm. Die Collage wird ebenfalls seit Frühjahr 2022 in Sozialen Netzwerken verbreitet, wie wir berichteten. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums teilte uns telefonisch mit: Die Behauptung, dass Gerhard Lindner der Großvater von Christian Lindner sei, sei falsch.

Nicht verwandt: Christian Lindner und Gerhard Lindner
Links im Bild ist Gerhard Lindner zu sehen, rechts im Bild ist Finanzminister Christian Lindner (Quelle: Telegram; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Darauf deutet auch unsere Recherche hin. Aus Gerhard Lindners Biografie geht hervor: Er wurde 1896 in Bautzen, Sachsen geboren und starb 1982 im niedersächsischen Aurich. Er diente im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht und als Oberst in der 17. SS-Panzer-Grenadier-Division „Götz von Berlichingen“. Das bestätigen mehrere Foren-Einträge sowie ein Buch des britischen Buchverlags Osprey Publishing, der auf Militärgeschichte spezialisiert ist. SS-Brigadeführer war er demnach nicht. 

Aus Medienberichten über Christian Lindner und aus seinem Profil beim Bundestag geht dagegen hervor, dass er am 7. Januar 1979 in Wuppertal in Nordrhein-Westfalen geboren wurde und seine Großeltern väterlicherseits dort eine Bäckerei hatten. Dasselbe steht auch im Archiv des Informationsdienstleisters Munzinger

Großvater von Donald Tusk hieß Jósef, doch er arbeitete nicht für die SS und ist nicht der Mann auf dem Foto  

Die vierte Bildcollage zeigt den EU-Politiker Donald Tusk aus Polen – und daneben angeblich seinen Großvater Jósef Tusk (hier, hier und hier). Donald Tusk war von 2007 bis 2014 Ministerpräsident Polens und danach EU-Ratspräsident. 

Donald Tusk (rechts)
Links im Bild ist nicht Jósef Tusk, sondern ein unbenannter Sturmmann der Luftwaffen-Kriegsberichtserstatter-Kompanie Nummer 4 des SS-Geheimdienstes, rechts im Bild ist der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk zu sehen (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Collage verbreitete sich ebenfalls schon im April und zunächst auf Russisch, später in deutschsprachigen Beiträgen, wie wir in einem früheren Faktencheck berichteten. 

Es stimmt, dass Donald Tusks Großvater Jósef hieß: Bilder aus dessen Nachlass zeigen jedoch einen anderen Mann. Sie wurden laut polnischen Medienberichten im Mai 2014 versteigert. 

Józef Tusk
Diese Bilder stammen laut Medienberichten aus dem Nachlass von Jósef Tusk – links ist er auf einem Ausweis zu sehen und rechts mit einem seiner Instrumente. Die Aufnahmen wurden 2014 im Auktionshaus „Lamus“ in Warschau ausgestellt. (Quelle: Lamus.pl; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Schwarz-Weiß-Foto des Mannes in Uniform, das auf Telegram und Twitter zu sehen ist, fanden wir unter anderem in der Online-Datenbank des Bundesarchivs – es zeigt laut Beschreibung Männer des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS beim Transport verhafteter Juden in Polen. Die Datumsangabe ist September 1939.

Die Faktenchecker von Fullfact berichteten: Donald Tusks Großvater Jósef Tusk war laut Angaben des Europäischen Rates bei der polnischen Staatsbahn angestellt. Im September 1939 – also in dem Monat, in dem das Foto des Mannes in Uniform aufgenommen wurde – sei er von der Geheimen Staatspolizei des NS-Regimes verhaftet worden und wurde zum Aufbau des Konzentrationslagers (KZ) Stutthof geschickt sowie in das KZ Neuengamme. Ausweise, die diese Aufenthalte belegen, wurden in seinem Nachlass gefunden. 

Im Zweiten Weltkrieg wurden teilweise Männer aus Polen für die deutsche Wehrmacht verpflichtet – auch Tusk wurde 1944 eingezogen und desertierte nach Angaben der Pressestelle des EU-Rates im März 1945. 

Die Tatsache, dass Józef Tusk kurze Zeit in der Wehrmacht diente, benutzten laut Medienberichten damalige politische Gegner der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit bei den Präsidentschaftswahlen 2005. Es gab damals keine Belege dafür, dass sich sein Großvater freiwillig der Wehrmacht angeschlossen habe. Donald Tusk zeigte sich „schockiert“ über die Vorwürfe und sagte, er wisse nichts davon. 

Mehreren Politikern wurden im Netz angebliche SS-Großväter angedichtet

Russland begründet den Krieg gegen die Ukraine mit einer angeblich notwendigen „Entnazifizierung“– ein prorussisches Propaganda-Narrativ. Mit diesen vier Bildern wird auch deutschen und EU-Politikern eine angebliche Verwandtschaft mit früheren SS-Mitgliedern angedichtet. 

Wie wir im Mai 2022 hier ausführlich berichteten, führt die Spur der Fakes über Scholz, Lindner und Lauterbach zu dem russischen Oligarchen Jewgeni Prigoschin, der laut Angaben Russlands am 23. August 2023 bei einem Absturz seines Jets ums Leben kam. Er war als Chef der Söldner-Gruppe Wagner und einer „Trollfabrik“ bekannt. Als Trollfabriken bezeichnet man verdeckte Organisationen, die Desinformation und Propaganda im Internet verbreitet. 

Am 5. März 2022 hatte der Account „Pressedienst der Firma Concord“ in dem russischen Sozialen Netzwerk VK ein Zitat von Prigoschin veröffentlicht, in dem er die Behauptungen über Olaf Scholz, Christian Lindner und Karl Lauterbach aufgestellt hat. Donald Tusk erwähnte er darin nicht – die Behauptung über dessen angeblichen Großvater war schon zuvor in der Welt. 

Die ersten Bildcollagen mit den Bildern der falschen Großväter erschienen wenig später in dem russischen Sozialen Netzwerk und bauten auf dieser Erzählung auf. Sie verbreiten sich international, zum Beispiel auf Polnisch, Französisch, Tschechisch, Spanisch oder Türkisch. Und: Obwohl bereits seit Monaten bekannt ist, dass es sich um Falschinformationen handelt, teilte die russischsprachige Webseite Donbass Today einen Videoclip mit den Bildern im April 2023 auf X (ehemals Twitter).

Um die angeblichen Nazi-Großväter der deutschen Spitzenpolitiker geht es auch im Podcast „Fakten, Front und Fakes” von CORRECTIV.Faktencheck. In der sechsten und letzten Folge, die am 14. September erscheint, folgt das Faktencheck-Team den Spuren dieser und anderer Falschbehauptungen und blickt auf das System hinter der prorussischen Desinformation. Den Podcast finden Sie zum Beispiel auf Spotify, Youtube, Apple Podcasts oder Deezer.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Steffen Kutzner, Gabriele Scherndl

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