Faktencheck

Landtagswahl Brandenburg: Warum die Zahlen im TV anfangs von Angaben der Landeswahlleitung abweichen

Nach Urnenschluss bei der Landtagswahl in Brandenburg 2024 kommentierten einige, die AfD schneide in Medienberichten schlechter ab als auf der Webseite des Landeswahlleiters. Anders als angedeutet, steckt dahinter aber keine Verschwörung.

von Sarah Thust

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Letzte Handgriffe vor der Eröffnung eines Wahllokals – in Brandenburg fand am Sonntag, 22. September 2024, die Landtagswahl statt (Quelle: Michael Bahlo / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Die Prognosen in den öffentlich-rechtlichen Medien seien am Wahlabend stark von den Daten in Diagrammen der Landtagswahlleitung in Brandenburg abgewichen.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die Diagramme der Landeswahlleitung zeigen Zwischenergebnisse. Medien hingegen veröffentlichen direkt nach Wahlschluss meist Prognosen und Hochrechnungen, die auf Wahlbefragungen vor Wahllokalen sowie Schätzungen, beispielsweise der Briefwahlstimmen, beruhen. Es ist zu Beginn der Stimmauszählung nicht ungewöhnlich, dass sie sich von den Daten der Landeswahlleitung unterscheiden, da diese schlicht noch nicht vollständig sind.

„Glaubt nicht die Zahlen im TV – geht auf die Website Land Brandenburg. AfD liegt vorn“, heißt es auf Tiktok zu einem Diagramm am Abend nach der Landtagswahl am 22. September 2024 in Brandenburg. Das Diagramm zeigt ein Zwischenergebnis der Landeswahlleitung, in dem die AfD die meisten Erststimmen hat. Der Beitrag wurde mehr als 105.000 Mal gesehen. 

Auch auf Telegram, Facebook und X kursieren nach Wahlschluss um 18 Uhr ähnliche Beiträge. Mal liegt die AfD in den Diagrammen bei mehr als 53 Prozent Erststimmen, später bei etwa 37 Prozent. Auch Diagramme zu den Zweitstimmen werden gezeigt, in denen die AfD kurz nach 18 Uhr ebenfalls bei über 53 Prozent lag.

Alle Beiträge heben hervor, dass die AfD laut Daten der Landeswahlleitung zwischen 18 und 20 Uhr besser abschnitt als in Berichten der öffentlich-rechtlichen Sender. Dort war kurz nach Wahlschluss von 29 oder 30 Prozent die Rede. Manche vermuten, dahinter stecke „Wahlmanipulation“ oder das Ergebnis werde „mit der Briefwahl passend gemacht“. 

Doch hier werden zwei unterschiedliche Dinge vermischt: Die Angaben auf der Webseite des Landeswahlleiters zeigen die Zwischenergebnisse, die sich durch die Auszählung noch bis nach 23 Uhr veränderten. ARD und ZDF veröffentlichen dagegen zunächst Prognosen und Hochrechnungen, die auch als solche gekennzeichnet werden und in die unter anderem Wählerinnen und Wähler-Befragungen und Briefwahl-Schätzungen einfließen. Je später es wurde, desto mehr näherten sich die Ergebnisse der Landeswahlleitung den ersten Prognosen in Medienberichten an. Ein Beleg für Wahlmanipulation ist das nicht.

Facebook-Beitrag, dem Kontext fehlt. Er zeigt Erst- und Zweitstimmen der Landeswahlleitung Brandenburg – hier von 18.17 Uhr.
Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken verbreiteten am Wahlabend Diagramme des Landeswahlleiters Brandenburg, wie dieses von 18.17 Uhr. Hier fragt einer, warum die Prognosen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks davon abweichen und streut Zweifel an der Briefwahl. (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Diagramme in Sozialen Netzwerken zeigen Zwischenergebnisse der Landeswahlleitung

Im Internet Archive lässt sich nachvollziehen, dass sich die Angaben auf der Webseite des Landeswahlleiters Brandenburg im Laufe des Abends verändert haben. Bis etwa 19 Uhr war der Stimmanteil der AfD in Brandenburg sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen sehr hoch. Zu diesem Zeitpunkt lagen jedoch noch nicht alle Ergebnisse der auszählenden Wahlvorstände vor, um 18:41 Uhr waren es gerade mal ein Zehntel der Ergebnisse, um 19:19 Uhr dann etwa die Hälfte. Bis zum Ende der Auszählung sank der Stimmanteil der AfD. 

Um deutlich zu machen, wie sich die Werte verändert haben, haben wir die Zwischenergebnisse der Zweitstimmen, die die Landeswahlleitung um 18.41 Uhr und 19.19 Uhr veröffentlichte, dem vorläufigen Ergebnis von 23.36 Uhr gegenübergestellt. Vor allem die gültigen Zweitstimmen wirken sich auf die Sitzverteilung nach Partei im Landtagsparlament aus.

Laut vorläufigem amtlichem Ergebnis ging die SPD nach der Auszählung als stärkste Partei aus der Wahl hervor – mit 33,57 Prozent Erststimmen und 30,89 Prozent Zweitstimmen, knapp vor der AfD. 

Auf Anfrage betont auch ein Sprecher der Landeswahlleitung in Brandenburg: Die Daten auf der Webseite haben am Wahlabend den jeweils aktuellen Auszählungsstand angezeigt. Medien würden sich in den nach 18 Uhr gezeigten Zahlen dagegen unter anderem auf Nachwahlbefragungen von Meinungsforschungsinstituten beziehen.

Medien veröffentlichen Prognosen und Hochrechnungen, die die politische Stimmung abbilden

Wie wir bereits nach der Europawahl berichteten, fließen in die Prognosen solcher Meinungsforschungsinstitute Nachwahlbefragungen von Urnenwählerinnen und -wählern und Schätzungen von Briefwahl-Ergebnissen ein. Etwas später veröffentlichen Medien auch Hochrechnungen, in die zusätzlich bereits ausgezählte Stimmen einfließen

Das ZDF nutzt Prognosen der Forschungsgruppe Wahlen, die ARD solche des Forschungsinstituts Infratest Dimap. Die Tagesschau schrieb um 18 Uhr im Live-Blog zur Landtagswahl in Brandenburg: „Laut der ARD-Prognose von Infratest Dimap liegt die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke mit 31 Prozent knapp vor der AfD mit 30 Prozent.“ Beim ZDF kam die Partei SPD laut der Forschungsgruppe Wahlen um 18 Uhr auf 32 Prozent, die AfD auf 29 Prozent. 

In einer ersten Hochrechnung von 18.24 Uhr von Infratest Dimap lag die AfD bei 29,9 Prozent
In einer ersten Hochrechnung von 18.24 Uhr von Infratest Dimap lag die AfD bei 29,9 Prozent (Quelle: RBB / ARD; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Angaben in den Diagrammen der Landeswahlleitung, die online kursieren, sind also nicht vollständig, weil noch nicht alle Stimmen ausgezählt waren. 

Ergebnisse aus größeren Wahlbezirken fließen erst später in die Statistik ein, weil die Auszählung länger dauert

Doch hat der anfänglich höhere Stimmenanteil der AfD etwas mit der Briefwahl zu tun, wie manche der Beiträge suggerieren? Querdenken-Rechtsanwalt Markus Haintz sieht etwa eine „offenkundige Diskrepanz“ zwischen der Urnen- und Briefwahl bei dem Ergebnis der AfD, die statistisch „auffällig“ sei; andere Nutzer unterstellen „Wahlmanipulation“. 

Tatsächlich spielt die Briefwahl dabei eine Rolle – aber es spielt auch mit, wann welche Wahlbezirke ausgezählt werden. Um Manipulation geht es dabei aber nicht.

Bei der Landtagswahl in Brandenburg gab es neben den 3.238 Urnenwahlbezirken 687 Briefwahlbezirke. Der Sprecher des Landeswahlleiters schrieb uns hierzu: „Kleinere Wahlbezirke wurden schneller ausgezählt als größere Wahlbezirke (bemessen an der Anzahl der Wählenden). Große Wahlbezirke befanden sich in der Regel in Städten. Auch die Briefwahlbezirke waren groß geschnitten. Hat eine Partei im ländlichen Raum andere Wahlergebnisse als im städtischen Raum, ändert sich im Laufe des Wahlabends die Stimmenverteilung entsprechend.“ Kurzum: Gerade in großen Wahlbezirken mit hoher Wahlbeteiligung dauert das Auszählen länger, deswegen fließen zu einem relativ späten Zeitpunkt viele Stimmen auf einmal in das Zwischenergebnis.

Und auch die Briefwahlstimmen sind nicht von Anfang an in den Zahlen abgebildet. Der Sprecher der Landeswahlleitung schilderte uns auch, wie die aktuelle Auszählung der Briefwahlstimmen in Brandenburg ablief: Die enthaltenen Umschläge wurden auf Echtheit und Unversehrtheit geprüft, zudem wurde die beiliegende Versicherung an Eides statt geprüft. Danach wurde der Umschlag mit dem Stimmzettel ungeöffnet in eine verschlossene Wahlurne eingeworfen. Diese wurde nach 18 Uhr geöffnet und ausgezählt.

Der Sprecher schrieb uns, dass die Briefwahlvorstände – wie auch die Urnenwahlvorstände – die Ergebnisse nach Beendigung der Auszählung telefonisch an die zuständige Wahlbehörde melden würden, die wiederum diese Ergebnisse elektronisch in der Wahlsoftware erfasse. „Somit sind sie sukzessive über den gesamten Wahlabend in die Darstellung der Ergebnisse auf der Webseite eingeflossen.“ 

Irina Roth vom Umfrageinstitut Infratest Dimap, das unter anderem von der ARD mit Wahl-Prognosen beauftragt wird, schrieb uns für einen Faktencheck 2023, es sei „ein häufiges Muster, dass zunächst Urnenwahlbezirke bei den Ergebnismeldungen einlaufen und erst später Briefwahlbezirke“. 

Anzahl der Briefwählenden steigt – AfD-Wählende stimmen eher persönlich an der Urne als per Briefwahl ab

Die Zahl der Briefwähler steigt in vielen Gemeinden seit Jahren: Bei der Landtagswahl in Brandenburg 2024 stimmten 32 Prozent der Wählenden per Briefwahl ab – 2019 waren es noch 23,1 Prozent. Die Briefwahl war laut Fachleuten ursprünglich als Ausnahme gedacht, auch weil sich außerhalb der Wahlkabine nicht sicherstellen lässt, ob die Wahl geheim abläuft. Und sie kann fehleranfällig sein: In Berlin etwa kam es 2024 bei der Europawahl im Juni zu einer Panne beim Versand der Unterlagen, bei der Landtagswahl in Sachsen im August waren mutmaßlich Briefwahlstimmzettel zugunsten der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen manipuliert worden. 

Ein Großteil der AfD-Wählenden hat in Brandenburg laut Landeswahlleitung nicht per Briefwahl abgestimmt, sondern persönlich an der Wahlurne. Auch Auswertungen vergangener Wahlergebnisse zeigen, dass, wer AfD wählt, seltener per Briefwahl abstimmt. Ein Grund dafür: Etliche Politikerinnen und Politiker der AfD warnen schon seit Jahren vor „Wahlbetrug“ durch die Briefwahl – ohne Beweise und oft ausgehend von falschen Annahmen. Weshalb die Angst vor Betrug in großem Stil unbegründet ist, haben wir in diesem Text erklärt. 

Alle Faktenchecks rund um die Landtagswahlen 2024 finden Sie hier.

Redigatur: Paulina Thom, Gabriele Scherndl