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Von einem rechten Narrativ und Zahlen – Zweiter Teil

Die hohe Anzahl an Kindern mit Migrationshintergrund in Großstädten seien ein Anzeichen für ein drohende Überfremdung in ganz Deutschland. Stimmt das? Rechte verbreiten immer wieder die Erzählung des „großen Austausches“. Diese Geschichte ist meist ein elementarer Teil ihrer Theorie über die Islamisierung Europas. Wir haben uns die Zahlen einmal näher angeschaut.

von Miro Dittrich

© Amelie Querfurth / AFP

Die hohe Anzahl an Kindern mit Migrationshintergrund in Großstädten seien ein Anzeichen für ein drohende Überfremdung in ganz Deutschland. Stimmt das? Rechte verbreiten immer wieder die Erzählung des „großen Austausches“. Diese Geschichte ist meist ein elementarer Teil ihrer Theorie über die Islamisierung Europas. Wir haben uns die Zahlen einmal näher angeschaut.

Der „große Austausch“: Darunter verstehen Rechte, dass die deutsche Kultur in Deutschland/Europa durch „Fremde“ ausgetauscht werden soll. Hinter der Erzählung steckt ein breites Spektrum, es geht dabei von einem ungesteuerten Ereignis, über eine geplante Invasion durch Muslime, bis hin zu einer gesteuerten Übernahme (wobei am Ende meist die Juden dahinter stecken). Doch was ist dran an dieser Behauptung und wie argumentieren sie dabei genau? Dies soll in diesem Faktencheck überprüft werden.

These: Es gibt keinen Austausch? Schaut euch doch mal die Großstädte an!

Wer die Erzählung des „großen Austausches“ anzweifelt, bekommt häufig den Verweis auf die Lage in Großstädten. Dies passierte auch nach unserem letzten Artikel zum Thema  auf Facebook.

Dort wird geraten, durch „die Innenstadt einer beliebigen westdeutschen Großstadt zu gehen“, dort würde man sehen, „daß der Große Austausch bereits in vollem Gange ist“.

Weiterhin sei „in den meisten großen Städten […] der Migrationsanteil der unter 6 jährigen Kinder bereits über 50%“.

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Ein weiterer Facebook-Eintrag

Ein User weist auf den hohen Anteil von Kinder mit Migrationshintergrund in Frankfurt am Main hin. Dies „deckt sich nicht wirklich mit dem Artikel von Correctiv“.

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Ein weiterer Facebook-Kommentar

Dabei drehte sich unserer letzter Beitrag gar nicht um alle Kinder mit Migrationshintergrund, sondern lediglich um die unterschiedliche Geburtenrate zwischen Frauen mit und ohne deutscher Staatsbürgerschaft. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich, denn auch mit deutscher Staatsbürgerschaft, kann man einen Migrationshintergrund haben.

Um die rechten Argumente zu verstehen, haben wir uns die Berichterstattung diese Jahres dazu in der rechten Blase genauer angesehen und deren Quellen überprüft. Über Frankfurt am Main etwa schreiben die Autoren von „Info Direkt“ in dem Artikel: „Der Beweis: Wir werden zur Minderheit im eigenen Land.“

„Die Deutschen sind in der Main-Metropole also nur noch eine Minderheit unter vielen. Bei den Kindern unter sechs Jahren haben sogar schon drei von vier einen Migrationshintergrund. Die meisten Einwanderer kommen aus der Türkei (12,9 Prozent), Kroatien (7,3) und Italien (7,2).“

Daraus wird geschlussfolgert:

„Dieses Schicksal ereilt nicht nur die historisch bedeutungsvolle Stadt, sondern ganz Europa, wenn nicht bald gehandelt wird.“

Doch nicht nur mit den Zahlen für Frankfurt am Main wird das Bild einer drohenden Überfremdung erzeugt, auch die Situation in Essen wird dafür herangezogen. So berichtet der Artikel „In Essener Flüchtlingsfamilien herrscht ein Baby-Boom“ auf „Epochtimes“:

„Die so genannte Fruchtbarkeitsziffer zeigt aber, dass statistisch gesehen 1000 deutsche Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren im vorigen Jahr 47 Kinder zur Welt brachten, und Ausländerinnen im Vergleich 76 Babys.

Syrische Frauen brachten in 2016 in Essen 231 Kinder zur Welt. Das sind drei Mal so viele wie 2015. Auch bei anderen Flüchtlingsnationen lässt sich laut Statistik ein deutlicher Zuwachs in beiden Jahren erkennen.“

Es muss jedoch nicht immer eine Großstadt sein, wie der Bericht über die Kleinstadt Süderbrarups in Schleswig-Holstein zeigt. Dort ist die Einwohnerzahl (4.203 Ende 2015) laut eines Berichts des NDR durch die Familie Alsayed um fast 50 gewachsen.

Daraus macht „Journalistenwatch“:

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Quelle: Journalistenwatch „100.000 Kita-Plätze für Migranten und „Flüchtlinge“!

Das Problem sieht „Epochtimes“ dabei nicht nur in Deutschland, auch andere europäische Großstädte sind davon betroffen. So zitieren die Autoren im Artikel „Europa wird immer mehr vom Islam durchtränkt – Droht uns ein Bürgerkrieg?“, den Artikel der immer wieder durch falsche Berichterstattung ausgefallene rechten Denkfabrik „Gatestone Institute“, indirekt so:

„Mohammed sei inzwischen der populärste Name für Neugeborene in Mailand, London und vielen anderen europäischen Großstädten.“

Für Deutschland wird diese These auch von den Autoren des „PI-Magazin“ im Artikel „Migranten-Nachwuchs: Die Kinderlein kommen…“ vertreten.

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Quelle Pi-News „Migranten-Nachwuchs: Die Kinderlein kommen…“

Ihr einziger Beleg dafür ist eine Auflistung des Migrantenanteils der Kinder unter 6 Jahren in Großstädten. Dafür verwenden sie die Zahlen aus dem Bericht „Bevölkerung nach Migrationsstatus regional“ des Statistischen Bundesamtes. Dieser wurde 2013 veröffentlicht, die Zahlen beziehen sich jedoch auf Ergebnisse aus 2009.

Hamburg 48,94 % Hannover 46,67 % Bremen 57,58 % Berlin 43,83 % Duisburg 57,14 % Dortmund 53,33 %, Köln 50,98 % Düsseldorf 50,00 % Essen 50,00 % Darmstadt 52,76 % Stuttgart 56,67 % Nürnberg 51,85 % München 58,44 % Augsburg 61,54 % Frankfurt 75,61 %

Dass diese Zahlen keine Aussagen über den Anteil an Muslimen in den Städten zulassen, erklären sie selbst in ihrer Angabe zur Quelle:

„Nicht ,alle’ der Kinder sind Muslime. Aber sie sind in der Mehrzahl. Wie viele genau. Null Statistiken.“

Wie sie ohne Statistiken wissen, dass die Mehrheit dieser Kinder muslimisch sind, wird nicht klar. Sie verweisen lediglich auf die niedrige Geburtenrate der Deutschen.

„Wie kann es sein, dass uns Migranten in den Städten bald eingeholt haben? Weil Deutschland inzwischen eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt hat.“

Sind diese Zahlen repräsentativ für Deutschland?

Stimmt also ihre These, dass der hohe Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in einzelnen, vor allem westdeutschen Großstädten, ein Anzeichen für einen Austausch ist?

Die Zahlenspielereien von „PI-News“ werden mit dem 2012 veröffentlichten Bericht „Familien mit Migrationshintergrund: Traditionelle Werte zählen“ in einen Kontext gesetzt. Dort heißt es: „Familien mit Migrationshintergrund [leben] überdurchschnittlich oft in Ballungsgebieten“. 2010 lag der Anteil an Familien mit Migrationshintergrund in Großstädten ab 500.000 Einwohnern bei 43 Prozent, in kleinen Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern jedoch nur bei 12 Prozent. Insgesamt hatten 29 Prozent aller Familien mit minderjährigen Kindern einen Migrationshintergrund. Dabei gab es jedoch starke Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. So lag der Anteil in Westdeutschland mit 32 Prozent, mehr als doppelt so hoch wie in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) mit 15 Prozent.
Dass „PI-News“, bis auf Berlin, nur westdeutsche Großstädte aufgelistet hat, erzeugt also ein verzerrtes Bild über die tatsächliche Anzahl an Kindern mit Migrationshintergrund in ganz Deutschland.

Und auch die anderen Artikel berichten nur über Extrembeispiele, Zahlen für ganz Deutschland finden sich nicht. Dass die Berichte sich nur auf Einzelbeispiele fokussieren, die mit der eigenen These übereinstimmt, ist ein beliebtes Mittel um Tatsachen verzerrt darzustellen. Hier soll dabei der Eindruck entstehen, der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund sei größer als er tatsächlich ist. Diese Interpretation nutzen sie dabei, um die Angst vor einer „Überfremdung“ zu schüren. 

Fazit:

Ja, es gibt in einigen westdeutschen Städten einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, diese sind jedoch nicht repräsentativ für Deutschland. Weiterhin ist die Gleichsetzung von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit muslimischen Glaubens einer verzerrten Wahrnehmung geschuldet. Diese machten 2015 nur etwa ein Viertel dieser Gruppe aus. Aus diesem Jahr kommt die letzten Schätzung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Laut dieser lebten Ende 2015 zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Dies entspricht bei einer Gesamtbevölkerung von  82,2 Millionen, einem Anteil von 5,4 bis 5,7 Prozent, während 21 Prozent der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund hatten (2016: 22,5 Prozent).ozent der Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund hatten (2016: 22,5 Prozent).