Hintergrund

Coronavirus: Die Stunde der fragwürdigen Youtube-Doktoren

Youtube duldet Falschmeldungen, Hetze und Verschwörung seit Jahren auf seiner Plattform. Das wird in der Corona-Pandemie zu einem besonderen Problem: Pseudo-Sprechstunden und absurde Gesundheitstipps generieren Millionen Klicks. „Alternative Medien“ helfen bei der Verbreitung.

von Cristina Helberg

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Viele Youtube-Kanäle, die sonst Verschwörungstheorien verbreiten, nutzen die Corona-Pandemie, um Ärzte zu interviewen – auch völlig fachfremde. (Foto: Ivo Mayr/CORRECTIV)

Schon zu normalen Zeiten ist Youtube Umschlagplatz Nummer Eins für gezielte Desinformation und Falschmeldungen. Keine andere Plattform tut so wenig dagegen und nirgendwo anders erreichen Fakes so hohe öffentliche Klick- und Sharezahlen. 

Während der Corona-Pandemie zeigt sich, wie problematisch es ist, wenn sich Millionen Menschen bei Youtube informieren. 

Wenn es um „Fake News“ geht, denken die Meisten an politisch motivierte Falschmeldungen. Unterschätzt wird dabei die Reichweite von Falschmeldungen im Gesundheits- und Medizinbereich. Eine Pflanze heilt Krebs in 16 Stunden und das Masernvirus existiert gar nicht? Schon vor der Corona-Pandemie konnten Faktencheckerinnen beobachten, dass viele der meistgeklickten Fakes medizinische Themen behandelten. Solche, die Betroffenen Heilung versprachen – und mit falscher Hoffnung Geld verdienten. 

In Zeiten von Corona hat sich die Arbeit im Faktencheck-Team daher inhaltlich kaum verändert. Die Narrative der Desinformation sind dieselben geblieben, nur mit einem Corona-Dreh versehen. Einschlägige Webseiten berichteten vorher regelmäßig von einer angeblichen „Invasion“ von Geflüchteten. Jetzt warnen sie, die Corona-Maßnahmen würden ausgenutzt, um „heimlich“ Asylbewerber nach Deutschland zu bringen. Wer früher „Lügenpresse“ schrie, beschuldigt die ARD nun ohne jeden Beleg, Särge von 2014 in der Corona-Berichterstattung gezeigt zu haben. 

Und viele, die vorher auf Youtube fragwürdige Gesundheitstipps und Heilsversprechungen gaben, geben sich nun als Coronavirus-Experten aus. Sie werden auf Youtube-Kanälen als „Mediziner“ vorgestellt und treten gerne in weißen Hemden oder Arztkitteln auf. Dass sie zwar meist Ärzte sind, aber nicht über ihre eigenen Fachgebiete sprechen, wird dabei verschwiegen. 

Urologe im Youtube-Gespräch mit „alternativen Medien“

So behauptet Michael Spitzbart im Compact-Interview auf Youtube, das Virus sei für Gesunde „praktisch harmlos“ und rät dazu, das Immunsystem zu beschäftigen: „Wenn im Restaurant eine Gabel runterfällt, die erst recht nehmen. Das ist eine geimpfte Gabel“. Das Youtube-Video vom 3. April erreichte bisher 172.000 Klicks. (Unser Faktencheck dazu) Spitzbart ist Urologe.  

Der Internist Claus Köhnlein streut in Youtube-Interviews mit den „alternativen Medien“ Der fehlende Part (860.000 Aufrufe) und KenFM (105.000 Aufrufe) Zweifel an der Zuverlässigkeit der PCR-Tests, mit denen auf Corona-Infektionen getestet wird. Knapp eine Million Mal wurden diese Videos insgesamt aufgerufen. (Unser Faktencheck dazu)

Seit dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 hat sich auf Youtube eine Allianz aus Homöopathen, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und „alternativen Medien“ gebildet. Überschneidungen hat es schon vorher gegeben, aber die hohen Klickzahlen befeuern die Gastauftritte und Co-Produktionen. Mediziner der unterschiedlichsten Fachbereiche liefern den Youtube-Kanälen der „alternativen Medien“ die notwendige Faktenfassade während der Pandemie. 

Verunsicherte Einreichungen von Leser*innen

Viele Einreichungen der letzten Tage in unserem CrowdNewsroom lassen vermuten, dass solche Videos aktuell zahlreiche Menschen erreichen, die die Kanäle zuvor nicht kannten. Unsere Nutzer berichten von Whatsapp-Gruppen mit Bekannten oder Familienmitgliedern, in die plötzlich fragwürdige Meldungen geschickt würden. Nie zuvor hat unser Faktencheck-Team seit der Gründung im Mai 2017 so viele Anfragen erhalten. Viele davon klingen ehrlich verzweifelt. 

Einer breiten Öffentlichkeit wurde das Problem der fragwürdigen Youtube-Videos durch Auftritte des Internisten und Lungenarztes Wolfgang Wodarg bewusst, der sich unter anderem von Eva Herman und dem ZDF-Magazin Frontal 21 interviewen ließ. Diese Videos und ein Kettenbrief zur Ibuprofen-Einnahme schafften es aufgrund ihrer vermeintlichen Legitimation durch Mediziner per Weiterleitung offenbar auch in Kreise, die sonst seltener irreführende oder falsche Meldungen erreichen. 

Interview mit verschwörungstheoretischen Kanälen

Ein weiteres Problem ist die offenbare Unbedarftheit mancher Mediziner bei der Auswahl ihrer Gesprächspartner. So gab etwa die Virologin Karin Mölling dem Medium KenFm ein Interview, das auf Youtube 170.000 Mal aufgerufen wurde. 

Michael Butter, der zu Verschwörungstheorien forscht, sagte dazu in einem Zeit-Interview„Die Virologin Karin Mölling [ist] eine emeritierte Professorin am angesehenen Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Sie hält die strikten Maßnahmen wie das weitreichende Kontaktverbot für übertrieben. Das ist eine legitime wissenschaftliche Position. Aber Frau Mölling hat dazu KenFM ein Interview gegeben. Auf dieser Internetseite wurde schon behauptet, die Massenmedien seien von Zionisten unterwandert oder die Flüchtlingskrise sei bewusst gesteuert und diene der ‘Desorganisation’ Deutschlands. Auch zu Corona werden dort seit Wochen Verschwörungstheorien verbreitet. In so einem Kontext werden Frau Möllings Äußerungen offensichtlich Teil dieser Verschwörungstheorien. Das hätte ihr klar sein müssen.“

Medizinische Tipps, die dem aktuellen Stand der Forschung widersprechen, sind das eine Problem. Ihnen kann man mit Fakten begegnen. Auf Youtube werden diese Falschmeldungen jedoch mit Verschwörungstheorien verbunden und damit Millionen von Klicks generiert. Wahlweise werden die Pharmaindustrie, die USA, China oder satanische Sekten für die Pandemie verantwortlich gemacht. 

„Machtergreifung“, Weltuntergang und Biowaffe: Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten

Eine aktuelle Analyse der Universität Münster hat  15.000 Facebook-Posts von „alternativen Nachrichtenmedien“ von Anfang Januar bis zum 22. März untersucht. Sie kommt zu dem Schluss, diese hätten bisher während der Corona-Krise vor allem Gerüchte und einzelne Verschwörungstheorien verbreitet. „Diese Medien vermischen in ihren Veröffentlichungen das Leugnen des Klimawandels, die Flüchtlingskrise, Weltuntergangstheorien und das Coronavirus“, sagt Thorsten Quandt, der die Studie leitete. 

Unter anderem hätten „alternative Medien“ die Verschwörungstheorie, das Virus sei eine Biowaffe aus China, verbreitet. (Unseren Faktencheck dazu finden Sie hier) „Wir fanden mehrere Fälle, in denen ihre Aussagen an anderer Stelle aufgegriffen wurde, beispielsweise in den Youtube-Kanälen von Verschwörungstheoretikern, die als sekundäres Verbreitungssystem dienen. Sie bezeichnen die Botschaften der alternativen Nachrichtenmedien als glaubhaft“, sagt Thorsten Quandt. 

Das bestätigt, was wir Faktencheckerinnen seit Jahren beobachten: Youtube-Verschwörungstheoretiker und „alternative Medien“ sind untrennbar miteinander verbunden. Nun mischen sich zunehmend auch Mediziner darunter. 

So spielte zum Beispiel der Homöopath Ralf Kron im Youtube-Interview mit dem Blog eingeschenkt.tv auf eine Verschwörungstheorie an: Auf Desinfektionsmitteln werde schon seit Jahren Schutz gegen Coronaviren versprochen. (Unser Faktencheck dazu) 

Auch bekannte Größen der Verschwörungsszene wie Oliver Janich melden sich in diesen Wochen zu Wort: In einem seiner Videos tritt der ebenfalls bekannte Verschwörungstheoretiker Gerhard Wisnewski auf und bekräftigt, was er schon in einem zweiten Youtube-Interview sagte: „Was wir hier haben, das ist 1933 auf globaler Ebene, die Machtergreifung der WHO-Strukturen zusammen mit chinesischen Strukturen“. Knapp 300.000 Mal wurde das Video aufgerufen. 

Youtubes zögernde Antwort auf Desinformation

Youtube stellt Faktenchecker vor besondere Herausforderungen: Die Videos sind häufig lang und die Aussagen ein wildes Durcheinander aus Tatsachenbehauptungen (prüfbar), Meinung (nicht prüfbar) und Verschwörungstheorien (nur Aspekte prüfbar). Der Faktencheck eines einzigen Videos kann Tage dauern, während die Klickzahlen im Minutentakt steigen. Anders als Facebook ermöglicht Youtube außerdem bisher keine Verknüpfung von Faktenchecks mit Falschmeldungen, die Usern dann angezeigt werden. Zudem bietet Youtube Faktencheckerinnen kein Tool, mit dem die Plattform effektiv nach Falschmeldungen durchsucht werden kann.

WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus kündigte im Februar an, nicht nur gegen das Virus anzukämpfen, „sondern auch gegen die Trolle und Verschwörungstheoretiker, die Fehlinformationen vorantreiben und die Reaktion auf den Ausbruch untergraben“. 

Bei Youtube scheint man das Problem weiterhin nur langsam anzugehen. Angesichts der Corona-Pandemie blendet die Plattform in Deutschland aktuell unter Videos lediglich einen Verweis auf Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder WHO ein, wie der Konzern in einem FAQ zum Coronavirus schreibt. Beim Thema „Falschmeldungen“ bleibt Youtube in diesen Richtlinien jedoch vage und schreibt, man würde Inhalte löschen – nach eigenen Angaben aber erst dann, wenn es sich um Inhalte handele, in denen behauptet werde, „dass schädliche Substanzen oder Behandlungen positive gesundheitliche Auswirkungen haben können.“

Aus den Youtube-Richtlinien zum Thema „Falschmeldungen“. (Screenshot: CORRECTIV)

Bleiben bei sonstig irreführenden Videos also die Info-Einblendungen. Diese jedoch sind selbst irreführend designt: Wer ein Video damit sieht, könnte meinen, die abstrusesten Verschwörungsvideos seien durch die Bundeszentrale legitimiert oder stammten sogar von ihr. Selbst Youtubes aktuelle Verbesserungsansätze promoten Fakes und Verschwörung demnach noch.

Update, 11. April:  Wir haben am Ende des Artikels einen Auszug aus den Youtube-Richtlinien ergänzt. 

Update, 24. April 2020: In einer Stellungnahme hat sich Youtube nach Erscheinen zu unserem Text geäußert. Youtube schreibt, es sei nicht zutreffend, dass man Falschmeldungen, Hetze und Verschwörung auf der Plattform dulde.  

„Wir nehmen den Kampf gegen jedwede Form problematischer Inhalte sehr ernst und entfernen schon seit vielen Jahren alle Inhalte, die gegen unsere Produktrichtlinien verstoßen. Zum Beispiel erlauben wir keine Anstiftung zu Gewalt, Belästigung oder Hassrede. Dabei setzen wir auf eine Kombination aus Nutzern und Technologie, um unzulässige Inhalte zu melden und diese Richtlinien durchzusetzen. Wir arbeiten laufend an der Verbesserung unserer internen Prozesse, um eine zügige und sachgerechte Prüfung und Entfernung sicherzustellen und haben die betreffenden Richtlinien für Hassrede und ähnlich problematische Inhalte immer wieder verschärft.“

Weiter schreibt Youtube: „Natürlich wird es auf YouTube immer wieder Inhalte geben, die sich an der Grenze unserer Richtlinien befinden. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren daran gearbeitet, Inhalte von verlässlichen Quellen auf YouTube zu fördern und die Verbreitung von grenzwertigen Inhalten und schädlichen Fehlinformationen zu reduzieren.“ Die Infotafeln mit Verweis auf Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, über die CORRECTIV berichtet hatte, seien mit der Behörde abgestimmt.