In eigener Sache

Unsere Recherchen zeigen Wirkung

Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass viele Themen, die wir seit Langem und strukturiert recherchieren, für die aktuellen politischen Debatten von hoher Relevanz sind. Wir blicken auf vier spannende Monate zurück.

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Unsere Recherchen zeigen, wer im Verborgenen Einfluss auf die Politik nimmt.

Ob CumEx, der Klimawandel, die Parteienfinanzierung, das Versagen beim Kampf gegen Geldwäsche oder Desinformation. In den vergangenen Monaten wurde deutlich, welche Wirkung einige unserer Recherchen auslösen. Wir blicken zurück auf ein spannendes und turbulentes Quartal.

Intransparente Parteispenden

Mehrere Parteien forderten nach unserer Recherche zu Parteispenden auf kommunaler Ebene im Juli, mehr Transparenz im Gesetz zu verankern. Die Grünen kündigte gar an, künftig regelmäßig alle ihre Spenden auf der unteren Ebene aufzuschlüsseln und zu veröffentlichen. Was war passiert? Wir hatten mit unserem CORRECTIV.Lokal-Netzwerk alle Parteien im Bundestag gebeten, Auskunft darüber zu geben, bei welchen Kreisverbänden wie viele Spenden eingehen. Und wir haben nach Namen der größten Spender gefragt.

Bisher gibt es keine Regel, dass Spenden an Parteien derart aufgeschlüsselt angegeben werden müssen. Wenn man wissen will, ob Spenden politische Parteien beeinflussen oder ob es gar Gefälligkeiten von Parteien gegenüber Spendern gibt, lässt sich das nur erkennen, wenn aufgeschlüsselt wird, wo der Geldsegen eingeht. Mit den Antworten konnten wir erstmals eine durchsuchbare Datenbank für Parteispenden aufbauen, die von unseren Medienpartnern im CORRECTIV.Lokal-Netzwerk für regionale Berichte aufgegriffen wurde. Spannendes Detail: Während die Grünen alle Spenden aufgeführt haben, wollten die Union als auch die AfD kaum Spenden nennen.

Hohe anonyme Spenden an Parteien oder Abgeordnete sind eine Gefahr für die Demokratie.

Wie wichtig die Offenlegung von Parteispenden ist, zeigte unsere große investigative Recherche dieses Quartals, die uns nun schon seit 2017 begleitet und im September zu einem Durchbruch führte. Es geht um die millionenschwere Wahlkampfhilfe durch anonyme Spender für die AfD seit 2016. Wir hatten über Quellen mehrere Hinweise gesammelt, dass AfD-Funktionäre in eine Wahlkampfhilfe eingebunden war, bei der millionenschwere Kampagnen für die AfD organisiert wurden, ohne dass die Spendernamen offengelegt wurden. Offensichtlich war den Spendern die Anonymität wichtiger als demokratische Offenheit. 

Spendenaffäre in Millionenhöhe

Als in diesem Wahlkampf wieder eine anonym finanzierte Kampagne in der Öffentlichkeit auftauchte, die unter dem Titel #GrünerMist firmierte, riefen wir zu einer offenen Recherche auf, bei der wir Hinweise zu den Plakaten sammelten. Über diesen Weg bekamen wir Einblick in interne Unterlagen des größten deutschen Plakatwerbers Ströer, die brisante Verbindungen belegten: In den Jahren 2016-2018 wurden Plakate im Wert von über drei Millionen Euro gebucht, die für die AfD warben. Die AfD tauchte in den Buchungen als Kunde auf. Involviert war zudem eine Schweizer Agentur. 

Hier liefen nun zwei Recherche-Stränge zusammen, die in der Kombination ein klares Bild ergaben: aus den Daten wurde nun erstmals konkret, dass es Millionenbuchungen aus der Schweiz gab, um die AfD zu unterstützen. Aus internen Quellen erfuhren wir wiederum, dass es Treffen mit AfD-Funktionären gab, um die anonym finanzierten Plakatkampagnen mit den AfD-eigenen Plakaten zu koordinieren. 

Mit den neuen Erkenntnissen schließt sich ein Kreis, der 2017 mit der Aufdeckung einer ersten Einzel-Wahlhilfe begonnen hatte. Damals ging es um gut 40.000 Euro, später kam unsere Recherche zu knapp 90.000 Euro an verdeckter Hilfe für den Parteichef Jörg Meuthen hinzu. Beides führte zu hohen Strafzahlungen von insgesamt 400.000 Euro seitens der AfD. Bei den jetzt enthüllten Millionenbuchungen war die Organisation der Wahlkampfhilfe teilweise deckungsgleich mit den vorherigen Fällen. 

Dass wir über einen so langen Zeitraum an diesem Thema bleiben und immer wieder nachlegen konnten, wurde durch unsere Unterstützerinnen und Unterstützern gewährleistet, die diese Arbeit überhaupt erst ermöglichen.

Hohe Wellen schon vor der Veröffentlichung

Die Recherche schlug schon kurz vor der Veröffentlichung hohe Wellen: mit den Erkenntnissen konfrontiert, kündigte der größte deutsche Plakatwerber Ströer an, künftig keine Aufträge zu politischer Wahlwerbung, egal von welcher Partei, mehr anzunehmen. Dem Unternehmen waren die unklaren Finanzstrukturen der AfD-Wahlhilfe zu einer Gefahr für die eigene Reputation geworden. Nach Einschätzung von Experten müßten die neuen Erkenntnisse zwingend dazu führen, dass gegen die AfD wegen des Verdachts auf illegale Parteispende ermittelt wird. Der Partei drohen damit Strafzahlungen von rund neun Millionen Euro.

Mit dem Schwerpunkt zur Parteienfinanzierung („Geheime Spenden an die Politik“) haben wir neben der investigativen Recherche damit mehrere Recherchemethoden angewendet, mehr Transparenz geschaffen sowie umfassend die Schwachstellen des Parteienrechts ausgeleuchtet.

Desinformation vor der Wahl

Die Bundestagswahl selbst war für uns ein weiterer Schwerpunkt. Die Arbeit unseres Faktencheck-Teams war stark vom Wahlkampf geprägt. Im Juli veröffentlichten wir eine Hintergrundrecherche über skurrile Fake-Accounts auf Facebook und eine erfundene Zeitung namens „NRW Kurier“. Auch wenn Faktenchecks zur Corona-Pandemie und zu Impfungen weiterhin sehr präsent sind, hatte es das Team zunehmend mit Desinformation und Fakes über die Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl zu tun. Zitate und Plakate wurden gefälscht, falsche Unterstellungen und Beleidigungen verbreitet. 

Uns hat dabei die Frage nach den Urheberinnen und Urhebern und deren Motiven beschäftigt. Die Recherche-Ergebnisse haben wir im September kurz vor der Wahl veröffentlicht – als ausführliche Dokumentation und interaktive Grafik

In Kooperation mit der Produktionsfirma „Undone“ sind wir zudem einem Netzwerk dubioser Online-Medien aus Österreich nachgegangen. Sie mischten sich in den deutschen Wahlkampf ein und haben starke Verbindungen in die rechte bis rechtsextreme Szene. Die Recherche ist bei uns als Text und als Folge des Podcasts „Noise“ mit dem Titel „Vienna Calling“ erschienen. 

Am Wochenende der Bundestagswahl hat das Team rund um die Uhr auf die zahlreichen Falschinformationen und Gerüchte reagiert. Als einzige Faktencheck-Redaktion in Deutschland haben wir die Wahl live begleitet. 

Die Kuppel des Reichstagsgebäudes
Die Bundestagswahl 2021 war begleitet von Behauptungen über angebliche Wahlfälschung (Foto: picture alliance /DPA / Paul Zinken)

Aufklärung zur Bundestagswahl

Zur Bundestagswahl haben wir in der Redaktion zudem ein neues Format ausprobiert, bei dem wir für uns ungewöhnliche Wege gegangen sind. Zusammen mit dem Bundesverband der Deutschen Anzeigenblätter (BVDA) starteten wir zwei Monate vor der Wahl eine mehrteilige Reihe, in der wir die wichtigsten Themen zur Wahl in verständlicher Form dargestellt haben, um ein möglichst breites Publikum zu informieren, worauf es ankommt. Mit den Wochenblättern, die deutschlandweit verteilt werden, haben wir jede Woche rund 20 Millionen Leserinnen und Lesern erreicht. 

Gerade weil große Herausforderungen, etwa beim Klimawandel, der Infrastruktur oder der Arbeitswelt bevorstehen, haben wir herausgearbeitet, was die Kernfragen in diesem Wahlkampf sind, die die politischen Parteien beantworten müssen. Die Serie sollte Orientierung bieten und Lust an der politischen Auseinandersetzung wecken. Für uns war es mal eine andere Perspektive, bei der nicht die Recherche im Vordergrund stand, sondern die Zusammenstellung und Aufbereitung von Information in verständlicher und unterhaltsamer Weise.

Entschuldigung eines Kardinals

Sie erinnern sich vielleicht an unsere Recherche über den sexuellen Missbrauch eines katholischen Priesters, die wir Anfang 2020 veröffentlichten. Wir konnten damals zeigen, dass die Zahl der Opfer weit größer ist als bis dahin angenommen und wie stark die Kirche ihren Priester geschützt hat – bis hoch zum Vatikan. Die Recherche hatte direkte Folgen: zum einen wurde der ehemalige Priester unter Aufsicht des Bischofs von Essen gestellt, zum anderen gründete sich eine Bürger-Bewegung in Garching an der Alz, einem der Orte, an denen der Priester über Jahre Jugendliche missbrauchte. Die Bürger forderten eine deutliche Aufarbeitung der Fälle durch die Kirche. Auf Drängen der Bürgerinnen und Bürger, stattete der zuständige Kardinal von München und Freising, Reinhard Marx, der Gemeinde im Juli einen Besuch ab und bat die Gemeinde um Verzeihung. Die Aufarbeitung in der katholischen Kirche hat ihre eigenen Gesetze, aber der Druck aus der Gemeinde führte dazu, dass dieser Fall weiter verfolgt wird.

Subtile Macht der Milchlobby

Ein gesundes Produkt, das klimaschädlich ist? Milch hat eigentlich einen guten Ruf, selbst in Süßigkeiten verpackt wird die Extra-Portion Milch als gesund angepriesen. Die Lobby der Milchproduzenten hat in den vergangenen Jahrzehnten allerdings deutlich überzogen, das zeigt eine Recherche der Klimaredaktion. Die schiere Menge an Milchprodukten ist weder gesund noch umweltfreundlich. Die Massenhaltung von Kühen ist für die Tiere oft schädlich, durch den Ausstoß an Methan trägt die Milchproduktion in nicht unerheblicher Weise zur Erderwärmung bei. Die Politik hat sich, das belegt die Recherche, zu oft auf die Seite der Milchindustrie gestellt und die Massenproduktion gefördert. 

Eine einflussreiche Lobby der Milchindustrie –​​ in Parlamenten, Institutionen und Schulen – hat es geschafft, die wahren Kosten des Tierprodukts zu verschleiern.

Weltweiter Betrug

Wir haben vor einigen Monaten schon angekündigt, dass wir beim Thema Cum-Ex nicht locker lassen, sondern mit Medienpartnern aus allen Kontinenten über die weltweite Dimension des Betruges weiter recherchiert haben und über die Versäumnisse seitens der Politik berichten. Der Bundesgerichtshof hatte die Cum-Ex-Deals jüngst als illegal eingestuft. Viele Beteiligte sitzen daher als Beschuldigte auf der Anklagebank. Es könnten noch viel mehr sein. „CumEx-Files II“ zeigt, wie Steuerzahler weltweit um 150 Milliarden Euro betrogen wurden.

Theater

Zum Schluss möchten wir ein (mal wieder) außergewöhnliches Highlight erwähnen: Es gibt ein neues Theaterstück, das in Kooperation mit uns entwickelt wurde. „Reality Check“ wurde im September am Schauspielhaus Düsseldorf uraufgeführt. Es geht um Verschwörungsmythen und den Kampf gegen Desinformation. Ein großartiges Stück, das wir sehr empfehlen! 

Wir freuen uns, wenn wir Sie neugierig machen und mit unserer Arbeit auch überraschen konnten. Wir bleiben dran.