In eigener Sache

Gazprom-Lobby: Sigmar Gabriel erstreitet Halbsatz gegen CORRECTIV

Der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister hatte gegen CORRECTIV wegen der Berichterstattung über seine Rolle in der Gazprom-Lobby geklagt: Nach einem Urteil des Landgerichts Hamburg müssen nun selbst Details erwähnt werden, wenn über Gabriels Haltung zu den Sanktionen gegen Russland berichtet wird. Das wirft eine grundsätzliche Frage für den Journalismus auf. CORRECTIV geht in die nächste Instanz.

von Justus von Daniels , Annika Joeres

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Sigmar Gabriel (SPD) war häufiger bei deutsch-russischen Treffen zur Energiepolitik zu Gast. Hier bei der Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz 2017 in Sankt Petersburg (picture alliance / Inga Kjer/photothek.net)

Sigmar Gabriel ist ein Detail in seiner Haltung zu Russland so wichtig gewesen, dass er gegen CORRECTIV geklagt hatte. Das Landgericht Hamburg hat ihm nun Recht gegeben und seine einstweilige Verfügung gegen unseren Text über die „Gazprom-Lobby“ in einem Urteil bestätigt. 

CORRECTIV hatte in dem Artikel die Haltung von Gabriel zu den Sanktionen gegen Russland zusammenfassend erwähnt. Das Gericht hat nun entschieden, dass Gabriels Äußerungen zu dem Thema differenzierter dargestellt werden müssen: Sigmar Gabriel habe zwar 2016 befürwortet, Sanktionen gegen Russland zu lockern; er habe sich aber lediglich „für einen schrittweisen Abbau“ der Sanktionen und „unter bestimmten Bedingungen“ eingesetzt. 

Die Richterinnen und Richter begründen ihr Urteil damit, dass die Berichterstattung gegen das „Vollständigkeitsgebot“ verstoße. Die weggelassene Tatsache – dass Gabriel für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen eintrat – sei wesentlich. Für den „unbefangenen Durchschnittsleser“ entstünde ein „negativ entstelltes Bild des Klägers“, das ihn in die Nähe zu Russland bringe. 

Die Klage Gabriels ändert nichts an der grundsätzlichen Aussage des Artikels: In der Recherche zur Gazprom-Lobby ging es um Politiker, Manager und Anwälte, die Deutschland über Jahre in eine gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas führten. Auch der damalige Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) hatte die Abhängigkeit vorangetrieben. Seine Klage ist bezeichnend für das Verhalten der Gazprom-Lobby nach dem Kriegsbeginn gegen die Ukraine: Nun versuchen viele, die über Jahre den Bau der Russland-Pipeline Nordstream 2 und fortgesetzte Gasverträge befördert haben, sich davon zu distanzieren. 

Gabriel drohte schon vor Veröffentlichung rechtliche Schritte an

Gabriel hatte sogar schon vor der Publikation unserer Recherche im September 2022 damit gedroht, „rechtlich dagegen vorgehen“ zu wollen. Wir hatten ihm vor der Veröffentlichung einen Fragenkatalog zu seiner Russland-Politik geschickt. Ohne auf die gestellten Fragen einzugehen, antwortete er auf unsere Bitte um Stellungnahme auf folgende Weise (Rechtschreibfehler sind Teil der zitierten E-Mail): 

„da bereits ein Teil Ihrer Fragen falsche Tatsachenbehauptungen enthalten, schlag ich vor, dass Sie veröffentlich, was Sie glauben verantworten zu können. Sollten Sie dabei Ihre in einzelnen Fragen enthaltenen unwahren Tatsachenbehauptungen wiederholen, werden ich dagegen rechtlich vorgehen. Mit besten Grüßen, Sigmar Gabriel“

Dabei hatte Gabriel tatsächlich als langjähriger Wirtschaftsminister Anteil daran, dass zu Beginn des Ukrainekrieges 50 Prozent der Haushalte von russischem Gas abhängig waren. In der Zeit, in der die Europäische Union und die deutsche Regierung über mögliche weitere Sanktionen diskutierten, vergrößerte der Sozialdemokrat die deutsche Abhängigkeit von Russland: Unter der Führung von Gabriel stimmte das Wirtschaftsministerium 2015 trotz Kritik dem Verkauf von deutschen Gasspeichern durch die BASF-Tochter Wintershall an den russischen Konzern Gazprom zu. Der gegenseitige Tausch von Konzernbeteiligungen wurde damals mit einer Bürgschaft in Höhe von 1,8 Milliarden Euro durch die Bundesregierung abgesichert, wie CORRECTIV berichtete. 

Gabriel zog zudem später – ebenso wie Gerhard Schröder und Erwin Sellering, der Vorgänger von Manuela Schwesig als Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern – öffentlich in Zweifel, ob Putin die Vergiftung Nawalnys zu verantworten hatte. Eine gewisse Nähe zu Russland ist offenbar nicht abzustreiten.

2016 sah Gabriel die Zeit, um Sanktionsabbau gegenüber Russland zu diskutieren

In der Recherche „Die Gazprom-Lobby“ hatte CORRECTIV systematisch Treffen, Vereine, Stiftungen und Vorträge analysiert, die vor allem den Interessen der russischen Energiewirtschaft dienten. In dem Artikel berichtete CORRECTIV auch über die Teilnahme Gabriels als Redner an mehreren deutsch-russischen Energie-Konferenzen. Unter anderem hatte er Vorschläge zu einem möglichen, schrittweisen Abbau von Sanktionen gegenüber Russland gemacht.

Dabei zeigt die Idee zu einem „schrittweisen Abbau“ noch immer die russlandfreundliche Haltung von Gabriel in früheren Zeiten. Unter der Führung Gabriels befürwortete das Wirtschaftsministerium 2015 die deutschen Gasspeicher dem Staat zu überlassen, der erst ein Jahr zuvor in die Krim einmarschiert war. Und die Sanktionen wollte er kurz darauf unter Bedingungen „schrittweise abbauen“: Beides zusammen ging selbst damals über den politischen Konsens der Bundesregierung hinaus. 

Das Urteil ist eine Gefahr für Berichterstattung über politische Haltungen

Für CORRECTIV geht es in diesem Gerichtsverfahren auch um eine grundsätzliche Frage: Können Journalistinnen und Journalisten Positionen von Politikerinnen und Politikern zusammenfassend wiedergeben, ohne Relativierungen im Detail zu nennen? Zumal wenn der Fokus einer Recherche nicht auf die Haltung eines Politikers gerichtet ist sondern auf einen breiteren Zusammenhang. In diesem Fall ging es um ein ganzes Netzwerk zugunsten russischer Gasinteressen.

„Keine Frage: Auch Politiker dürfen ehrabschneidende Falschdarstellungen in der Presse angreifen. Eine solche liegt hier aber nicht vor“, sagt Thorsten Feldmann, Rechtsanwalt von CORRECTIV. „Wir halten diese Entscheidung in mehrfacher Hinsicht für höchst problematisch. Vor allem befürchten wir, dass es der Presse künftig schwer gemacht wird, komplexe Sachverhalte zusammenfassend auf den Punkt zu bringen.“ Der Anwalt sieht außerdem kritisch, dass sich Politiker und Politikerinnen jeglicher Couleur nun bemüßigt fühlen könnten, ihre geschichtliche Rolle weich zu zeichnen: „Sie versuchen, durch Angriffe auf eine in Details vermeintlich verkürzte Darstellung ihre historische Rolle zu schönen.“ 

Die CORRECTIV-Redaktion wird sich gegen das Urteil wehren und in die nächste gerichtliche Instanz gehen.