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Ein halbes Jahr Recherche, 1000 Teilnehmer: Gemeinsam mit den Bürgern haben wir den Wohnungsmarkt transparenter gemacht. Unsere Ergebnisse in Zahlen und Geschichten

Wem gehört Hamburg?

23. November 2018

Als wir die Recherche „Wem gehört Hamburg?“ vor einem Jahr starteten, hatten wir wenig mehr als einen Fakt und eine simple Hypothese im Kopf. Der Fakt: Der Immobilienmarkt ist intransparent. Die Hypothese: Das nutzt denen, die lieber im Verborgenen agieren und schadet der Allgemeinheit.

Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit geworden, die Politiker und Interessenvertreter auf unterschiedlichste Art zu lösen versuchen. Man kann Mietpreisbremsen einführen, bauen, fördern. Solche Entscheidungen werden derzeit jedoch auf Basis lückenhafter Informationen getroffen: Wir wissen wenig, wem welche Häuser gehören und wie unterschiedliche Eigentümer sich verhalten.

Deshalb haben wir die Bürgerinnnen und Bürger Hamburgs zu einer gemeinsamen offenen Recherche aufgerufen, zusammen mit unserem Kooperationspartner, dem Hamburger Abendblatt. Um die 1000 Mieter haben Belege über den Eigentümer ihrer Wohnung im CrowdNewsroom hochgeladen, eine Plattform im Internet, die wir für diese Recherche entwickelt haben. Es waren viele kleine Puzzleteile.

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Wem gehört Hamburg also? Mehr als 15.000 Wohnungen konnten wir mithilfe des CrowdNewsrooms konkreten Namen von privaten Eigentümern zuordnen. Die von Privatpersonen veröffentlichen wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht. Die der Unternehmen finden Sie hier.

Mehr als jede dritte der 707.000 Wohnungen und Häuser, die in Hamburg vermietet werden, gehört der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga oder einer Genossenschaft. Die restlichen 443.000 Häuser und Wohnungen befinden sich im Besitz von privaten Eigentümern ganz unterschiedlicher Art. 

Diesen Eigentümern gehört Hamburg

Dass wir das Puzzle nicht komplett vervollständigen können, war uns schon zu Beginn der Recherche klar. Das könnte nur ein Immobilienregister. Uns ging es darum, Strukturen und Muster zu erkennen und den Markt begreifbarer zu machen – mithilfe unserer Ergebnisse sowie durch den Rechercheprozess selbst.

Hilfreich hierfür war, dass viele der Teilnehmer uns über den Namen ihres Vermieters hinaus Hinweise über ihre Wohnsituation lieferten – insgesamt 291. Auch über den Mieterverein zu Hamburg, der unsere Recherche öffentlich bewarb, kamen wir mit vielen Mietern in Kontakt.  

Aus vielen kleinen Datenpunkten entstand nach und nach ein Bild in der Vogelperspektive. Hinweise, Gespräche und Folgerecherchen füllten dieses Datenbild mit Leben. Die zehn wichtigsten Erkenntnisse aus unserer Recherche fassen wir in einer Übersicht zusammen.

Die Geschichten hinter den Daten

 
Besonders hoch war die Datendichte im Bezirk Altona-Altstadt, wo auf kleinstem Raum sämtliche Eigentümertypen vertreten sind. Deshalb sind wir den Hinweisen hier systematisch nachgegangen. Die Reportage Die Große Bergstraße spiegelt im Kleinen etliche Phänomene des Hamburger Wohnungsmarkts.
 
Weiß auch die Stadt, mit wem sie es zu tun hat, wenn sie die Kontrolle über Baugrund aufgibt? Nicht immer, wie unsere Auswertung der kompletten Grundstücksverkäufe der letzten sieben Jahren ergab. In Die verkaufte Stadt lesen Sie, wie Hamburg im Minutentakt Grundstücke verkauft – auch an Firmen in Steueroasen. 
 
Der Senat gab uns häufiger zu verstehen, dass unsere Recherche im Grunde unnötig sei: Hamburg sei ja mieterfreundlich, auch dank der vielen Wohnungen in Hand der städtischen Wohngesellschaft Saga. Im Crowdnewsroom fanden wir mehrere Hinweise, wie die Saga bei Mieterhöhungen fast ans Limit geht. Wie der drittgrößte Vermieter Deutschlands am Boom mitverdient, lesen Sie im Text Sagahafte Mieten.

Wer oder was treibt die Preise für Immobilien und Mieten in die Höhe? Zum Beispiel die ganz alltägliche Renditegier von Otto Normalverbraucher. Wie wir über unsere private Altersvorsorge den Immobilienmarkt anheizen, lesen Sie in Wir, die Miethaie.

Hinter geschätzt 10 Prozent der Immobilienumsätze in Deutschland steckt allerdings auch Geldwäsche. Wie die Intransparenz des Wohnungsmarkts die Verfolgung von organisierter Kriminalität erschwert, lesen Sie im Text Gewaschene Preise.

Der Versuch, die Transparenz im Immobiliensektor zu erhöhen, dürfte deshalb wenig umstritten sein – sollte man meinen. Doch das Thema Wohnen wird hoch emotional verhandelt. In dem Maße, wie Immobilienpreise und Mieten durch die Decke gehen, ist das Misstrauen zwischen Mietern und Eigentümern gewachsen.

Eigentümer stehen oft als gierige Geldjäger da, Mieter als die Verdrängten, schnell wird pauschalisiert. Sogar Initiativen zum Schutz von Mietern rivalisieren miteinander. In diesem Klima löst auch eine Transparenzoffensive Misstrauen aus. Auch wir gerieten zwischen verschiedene Fronten.

TEIL 1

Die Große Bergstraße

Eine Straße, alle Eigentümertypen: Aus keinem Stadtteil bekamen wir so viele Daten wie aus Altona-Altstadt. Wir sind den Spuren der Mieterhinweise gefolgt und haben uns die Große Bergstraße aus der Nähe angesehen. Ein Porträt

Christian Klöckner und Inge Hannemann waren Nachbarn, ohne sich zu kennen. Auf den ersten Blick könnte man über sie eine dieser klassischen Gentrifizierungsgeschichten schreiben, wie es schon so viele über die Große Bergstraße in Hamburg gab. Eine Geschichte über Aufwertung und Verdrängung.

Dass Christian Klöckner (Name geändert) für ein kleines Apartment in der Großen Bergstraße 156 einen Quadratmeterpreis zahlt, den Inge Hannemann sich nicht mehr leisten konnte, dass sie nach Lüneburg gezogen ist – all das hätte man mit dem so wuchtigen wie umstrittenen Gebäude gleich nebenan erklärt: der ersten Innenstadtfiliale von Ikea in Deutschland.

TEIL 2

Die verkaufte Stadt

Wir haben die Grundstücksverkäufe der Stadt Hamburg aus den letzten sieben Jahren ausgewertet. An wen sie verkauften, war den Entscheidungsträgern zum Teil nicht klar. Eine Geschichte von Blindflügen und Blitzverfahren

Hamburger Rathaus, der 24. August 2017. Zwölf Politiker haben sich versammelt, um wichtige Entscheidungen zu fällen. Jedes Mal, wenn die Kommission für Bodenordnung tagt, sortiert sie den Immobilienmarkt in Hamburg wieder etwas um. Welche Grundstücke kauft die Stadt? Und an wen verkauft sie? Welchen Tauschgeschäften stimmt sie zu?

Diese Fragen klärt sie alle zwei bis drei Wochen. An diesem Sommernachmittag trifft das Gremium 17 Entscheidungen. Wie immer bleibt nicht viel Zeit. Innerhalb von 35 Minuten wird die Kommission 34.057 Quadratmeter der Stadt verkaufen.

TEIL 3

Gewaschene Preise

Wer treibt die Preise für Immobilien und Mieten in die Höhe? Hinter geschätzt 10 Prozent der Umsätze steckt Geldwäsche. Die Intransparenz des Wohnungsmarkts macht die Verfolgung von organisierter Kriminalität nahezu unmöglich

Lassen Sie uns ein Spiel spielen.

Stellen Sie sich kurz vor, sie hätten richtig viel Geld. Jetzt denken Sie an ein Land mitten in Europa. Ein Land mit einer stabilen Regierung, einer großen Volkswirtschaft und attraktiven Anlagemöglichkeiten. Würden Sie Ihr Geld in diesem Land investieren? Vermutlich ja.

Stellen Sie sich zusätzlich noch vor, Ihr Vermögen würde aus illegalen Aktivitäten stammen. Vielleicht handeln Sie mit Drogen oder Waffen. Dann haben Sie nun das Problem, dass Sie Ihr vieles Bargeld wieder in den legalen Wirtschaftskreislauf einspeisen müssen, um die illegale Herkunft zu verschleiern. Sie können nicht einfach das Geld auf Ihr Konto einzahlen, denn Ihre Bank hat die Pflicht, auffällige Bareinzahlungen zu melden. Sie müssen Ihr Geld erst sauber waschen.

TEIL 4

Wir, die Miethaie

Über gierige Fonds zu schimpfen, ist populär. Doch wer steckt hinter ihnen? Bei Pensionskassen, der zweitgrößten Käufergruppe von Immobilien in Deutschland, ist das: der Rentner von morgen

„Eigentlich könnte ich meiner Versicherung eine Blankovollmacht für mein Konto ausstellen.“ Kathrin Schwenn (Name geändert) lacht über ihren Witz, der eine ganze Menge Wahrheit enthält. 

Seit 12 Jahren zahlt die Frau um die 50 ihre Miete an die MEAG. Die MEAG verwaltet das Vermögen der Ergo Versicherung. Die Ergo wiederum verschmolz mit der Hamburg-Mannheimer, bei der Schwenn vor etwa 20 Jahren eine Rentenversicherung abgeschlossen hatte. Vor zehn Jahren schloss Schwenn noch eine zweite private Rentenversicherung ab, diesmal direkt bei der Ergo. Und bei der ist Schwenn, ganz nebenbei, auch noch krankenversichert.

TEIL 5

Sagahafte Mieten

Die Saga ist Deutschlands drittgrößter Vermieter und in städtischer Hand – eine einmalige Chance für die Stadt, die Wohnbedingungen direkt zu beeinflussen. Und was tut sie? Sie erhöht die Mieten

Als Petra Fenn ihren Mietvertrag schickte, versah sie ihn mit einem Kommentar: „Ein stiller Skandal“. Der Verursacher dieses Skandals ist ein unscheinbarer Immobilienriese. Es handelt sich um die Saga. Mit ihren 132.000 Wohnungen in Hamburg ist sie das drittgrößte Wohnungsunternehmen Deutschlands.

Ein Player dieser Größe kann für Erleichterung sorgen im angespannten Hamburger Wohnmarkt. Es ist eine große Chance für die Politik. Und deshalb ist es für Fenn, die eigentlich anders heißt, so ein Skandal, wenn die Saga am Immobilienboom mitverdient.

„Es scheint hier das gleiche Renditedenken zu regieren wie bei Immobilieneigentümern auf dem freien Markt“, so Fenn.

Text und Recherche: Jonathan Sachse, Justus von Daniels, Margherita Bettoni, Ruth Fend (alle CORRECTIV), Peter Wenig (Hamburger Abendblatt) Mitarbeit: Elisa Harlan, Jonas Seufert Konzept/Gestaltung/Animation: Benjamin Schubert Fotos: Ivo Mayr, Benjamin Schubert, Sara Kurfeß, euroluftbild.de / Robert Grahn, O-Young Kwon / oyphoto.com Datenanalyse/Visualisierung: Simon Wörpel Leiter CORRECTIV.Lokal: Justus von Daniels CrowdNewsroom: Anne-Lise Bouyer, Knut Hühne

Kooperationspartner: Hamburger Abendblatt (zur Themenseite)
Sie wollen uns erreichen? hamburg@correctiv.org

 

Weitere Veröffentlichungen

Wie wir bei „Wem gehört Berlin“ ein Firmengeflecht von Berliner Wohnungen bis auf die British Virgin Islands enttarnten und was die Intransparenz im Wohnungsmarkt für Folgen hat.

An wen fließen Hamburger Mieten? Bei einer Datenrecherche folgen wir den Spuren bis nach Malta oder auf die Isle of Man. Dabei zeigt sich: Nicht nur die großen Fische machen Offshore-Geschäfte

Die Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften veröffentlichen erstmals die Bestände ihrer etwa 130.000 Wohnungen. Darauf haben sich die Vertreter von 30 Genossenschaften als Reaktion auf die Bürgerrecherche „Wem gehört Hamburg?“ verständigt.

Wem gehört die Stadt?

Hamburg, Düsseldorf, Berlin oder Minden – Wohnen ist zur Existenzfrage geworden. Zusammen mit lokalen Medien fragen wir die Bürger und Bürgerinnen, wer die Eigentümer ihrer Wohnung sind. Um den Markt transparenter zu machen und konkrete Debatten anzustoßen.

„Wem gehört die Stadt?“ ist ein Projekt von CORRECTIV.Lokal