CumEx Files

Scholz, Kubicki, Merz: Die Rolle der Spitzenpolitiker bei Cum Ex

An einer ernsthaften Aufbereitung des Steuerskandals scheinen CDU, SPD und FDP wenig Interesse zu haben. Das könnte auch mit einem Glaubwürdigkeitsproblem ihrer Vertreter zu tun haben. Ein Kommentar

von Ruth Fend

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Foto: Benjamin Schubert / CORRECTIV

Machenschaften mit so sperrigen Begriffe wie Cum Ex und Cum Cum können bühnenreif sein. Die Vorführungen des Theaterstücks zu unseren Recherchen sind ausverkauft, das Feuilleton war begeistert. In den vergangenen Tagen führte die Politik ein Sequel auf, das leider wieder groteske Züge trägt. In diesem Nachspiel geht es um die politische Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals.

Warum schlägt der größte Steuerraub Europas nicht noch höhere Wellen, fragten viele, nachdem wir die CumEx-Files veröffentlicht hatten. Eine mögliche Erklärung lautet: Viele deutsche Politiker scheinen wenig Interesse an einer tiefschürfenden Debatte zu Verantwortlichkeiten und Lösungen zu haben, wie die Aktuelle Stunde im Bundestag gestern verdeutlichte.  

Gleich drei Spitzenpolitiker von drei Parteien haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, wenn es um eine ehrliche und ernsthafte Aufarbeitung des Steuerskandals geht: Der stellvertretende Bundestagspräsident, der Bundesfinanzminister und ein Anwärter auf den Parteivorsitz der größten Partei Deutschlands.

Wolfgang Kubicki, FDP

Die Farce begann damit, dass ausgerechnet Wolfgang Kubicki die Sitzung leitete – der Mann mit dem größtmöglichen Interessenkonflikt bei dem Thema. Kubicki ist stellvertretender Chef der FDP-Fraktion, Vize-Bundestagspräsident – und Anwalt von Hanno Berger, einem der Hauptangeklagten in den Fällen, um die es hier geht. Er vertritt also einerseits das Volk, das um Milliarden beraubt wurde und andererseits den wichtigsten deutschen Strippenzieher des Raubzugs.

Die Debatte hörte er sich von seinem erhöhten Podium aus mit tief auf die Nase geschobener Brille und dem süffisanten Lächeln an, das man aus Talkshows von ihm kennt. Wegen seiner markigen Beiträge lädt man ihn häufig und gern ein. Geht es um Steuerfragen, Steuer-CDs, Steueroasen, betont er, dass er in dem Bereich auch als Anwalt tätig ist. Eine bessere Bühne für Kundenakquise gibt es nicht.

Dass er auch Hanno Berger zu so einem TV-Auftritt riet, geht aus einem Telefonat zwischen ihm und seinem Mandanten hervor, das die Staatsanwaltschaft abgehört – und dann wieder gelöscht hat. Weil Kubicki sowohl seinen Status als Anwalt als auch als Abgeordneter ins Feld führte. Deutlicher lässt sich die Rollenvermischung kaum demonstrieren. Darüber, dass er seine Anwaltsmandate abgelegt hätte, als er stellvertretender Bundestagspräsident wurde, ist nichts bekannt.

Die große Bühne sucht Kubicki derzeit nicht. Ein angefragtes Gespräch mit Oliver Schröm, Chefredakteur von CORRECTIV, ließ sein Büro mit angeblichen Terminschwierigkeiten ins Leere laufen.Wie er die Rolle als Sitzungsleiter zu Cum Ex durchzog, hatte etwas Unverfrorenes. Nur einmal hob sich zumindest leicht seine Brust, ob genervt oder unangenehm berührt: als der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick den massiven Interessenkonflikt Kubickis aussprach. Die Brille nahm er danach von der Nase.

Olaf Scholz, SPD

So absurd Kubickis Rolle als Leiter der Debatte wirkt, so befremdlich ist die Abwesenheit des Finanzministers bei allen parlamentarischen Gremien zum Thema. Olaf Scholz blieb gestern nicht nur der Aktuellen Stunde fern, sondern kam auch trotz ausdrücklicher Einladung nicht zur Beratung im Finanzausschuss am selben Tag.

Zuvor hatte er zunächst abgestritten, dass Dividendendeals nach 2012 überhaupt noch stattfanden, später eingeschränkt, dass es keine Hinweise auf aktuelle Geschäfte gäbe. Und erst in einem freundlichen Matinée mit der Zeit ging er bei dem Thema verbal in die Offensive. Er  forderte ein härteres Vorgehen gegen die dubiosen Steuerdeals und eine bessere Abstimmung auf europäischer Ebene.

Doch kann Scholz die Rolle des Verteidigers der Steuerzahler überhaupt ausfüllen? Bevor Scholz Bundesfinanzminister wurde, war er Regierender Bürgermeister in Hamburg. Als solcher war er nicht nur Gast beim 70. Geburtstag von Christian Olearius, ehemaliger Chef des  Bankhaus M.M. Warburg und tief verwurzelt in der Hansestadt. Scholz stand letztlich auch der Finanzbehörde vor, die Warburg ein großzügiges Geschenk machte.

Warburg steht wegen Cum-Ex-Geschäften in Höhe von 330 Millionen Euro im Fokus der Staatsanwaltschaft. Die Stadt hätte Steuernachzahlungen fordern können, verzichtete aber unter Führung von Scholz darauf.

Aus der Passivität des Finanzsenats lässt sich nicht ableiten, dass Scholz selbst in die Steuerdeals verwickelt war. Möglich ist, dass er sich als Bürgermeister um die Stabilität der hansestädtischen Wirtschaft fürchtete. Die Millionenforderungen könnten Warburg taumeln lassen. Dass Scholz nichts von der Angelegenheit wusste, ist angesichts dieser Beträge indes schwer vorstellbar. Weil er selbst sich dazu nicht äußert, kann man nur mutmaßen.

Fakt ist: Am Ende war es das Bundesfinanzministerium, das Druck auf die Hamburger Behörden machte, die Rückzahlungen endlich einzufordern, bevor sie verjähren – unmittelbar bevor Scholz dessen Chef wurde.

Friedrich Merz, CDU

Ebenso wenig, wie man Scholz eine direkte Verwicklung in die Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank unterstellen kann, wäre es falsch, Friedrich Merz für die Deals bei Blackrock verantwortlich zu machen, zu denen die Staatsanwaltschaft aktuell ermittelt. Merz, der sich nun auf den Parteivorsitz der CDU bewirbt, ist erst seit 2016 Aufsichtsratschef bei der deutschen Tochtergesellschaft des weltgrößten Vermögensverwalters. Zumindest mit Cum Ex war 2012 in Deutschland Schluss.

Man kann aber Merz’ Glaubwürdigkeit infrage stellen, wenn er nun totale Transparenz bei Blackrock anordnet. Merz, so teilte das Unternehmen vor drei Jahren mit, sollte bei Blackrock neben seiner Aufsichtsfunktion eine weiter gefasste Beraterrolle einnehmen, und die Beziehungen mit Regulierern in Deutschland fördern, sprich: als Lobbyist auftreten.

Hinzu kommt, dass er bereits vor seinem Amtsantritt bei Blackrock als Kontrolleur im Zusammenhang mit Steuerbetrug versagt hat: bei HSBC Trinkaus. Schon 2010 holte die Bank Merz in den Verwaltungsrat, später in den Aufsichtsrat. Auch dort wird zu Cum-Ex-Geschäften ermittelt. Und die Anwaltskanzlei Mayer Brown, für die Merz weiter tätig ist, wirbt auf ihrer Website mit der Warnung vor wachsenden Rechtsrisiken als Resultat aus Cum-Ex-Geschäften um Mandanten.

Angesichts der bestehenden Widerstände gegen eine tiefgreifende Aufarbeitung der CumEx-Files braucht es weniger Verflechtungen zwischen Finanzindustrie und Politik. Nicht noch mehr. Das verdeutlichte auch die gestrige Parlamentsdebatte.

Die Hinterbänkler

Durch viele Debattenbeiträge zog sich ein Muster, das schon aus dem Untersuchungsausschuss bekannt ist: Man redete den Skandal klein und die Rolle der Bundesregierung schön. Eine mögliche Erklärung dafür: Das Dividendenstripping spielte sich während eines langen Zeitraums ab, in dem sowohl CDU als auch SPD Finanzminister stellten.  

Schon im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wurde der Verlust für den Steuerzahler künstlich heruntergerechnet. Der Mehrheitsbericht – also der von CDU und SPD bestrittene Teil – kam 2015 zu dem Schluss, dass es sich um weniger als eine Milliarde Euro an gestohlenem Steuergeld handelte. Obwohl viele Fälle bereits verjährt sind, liegt die bewiesene Summe heute schon bei 5,7 Mrd. Euro in Deutschland – allein aus Cum-Ex-Geschäften, ohne Cum Cum.

Trotzdem behaupteten Politiker wie der SPD-Abgeordnete Lothar Binding, es gäbe nichts Neues, und da würden jetzt einfach wilde Zahlen in den Raum gestellt.

Kurze Erinnerung, welche Neuigkeiten die CumEx-Files bereit hielten: Deutschland versäumte es, seine Nachbarn vor Steuerräubern zu warnen. Und anders als auch jetzt immer wieder mal gesagt wird, sind steuergetriebene Aktiendeals keineswegs komplett gestoppt, sondern nur in ihrer Form mutiert.

Sebastian Brehm von der CDU hatte die Frechheit zu behaupten, dass es ab 2007 nicht mehr möglich gewesen sei, die Kapitalertragsteuer einmal zu zahlen und sich zweimal zurückzuholen. Er bezieht sich darauf, dass ab 2007 ein internationaler Akteur bei den Trades involviert sein musste – als spielte es für die Bewertung eine Rolle, über welche genaue Methode die Investoren und Banker sich Steuergeld holten. Dass der Steuerraub nach dieser Modifikation erst richtig losging, unterschlägt Brehm hingegen einfach.

Vielleicht sollte man den Begriff Cum Ex gar nicht mehr verwenden, sondern nur noch von Dividendenstripping sprechen. Das würde Politikern die Möglichkeit nehmen, sich für das Schließen der Cum-Ex-Lücke, zehn Jahre nach ihrem Bekanntwerden, auch noch zu rühmen.

Die Verluste durch Cum-Cum-Geschäfte betrugen ohnehin ein Vielfaches derer durch Cum Ex. Heute heißen sie schlicht „Event Driven”, wie wir in den CumEx-Files ausführlich beschrieben haben. Richtig ist zwar, dass der juristische Status der unterschiedlichen Formen von Dividendenstripping derzeit noch jeweils ein anderer ist. Aus Sicht des Steuerzahlers ist das Ergebnis aber das gleiche: Menschen haben Steuergeld erbeutet, auf das sie keinen Ansprach hatten.

Manche Politiker und auch manche Kommentatoren führen lieber Terminologiedebatten als sich mit Verantwortung und Lösungen zu beschäftigen. Oder sie streiten sich darüber, ob nun nur wahnsinnig viel oder unfassbar viel Geld verloren ging.

Wie Gerhard Schick gestern im Zusammenhang mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss feststellte:„Der Ausschuss, also die Mehrheit, kommt zu dem Schluss, dass sachgerecht und pflichtbewusst gearbeitet wurde. Alle haben alles richtig gemacht und trotzdem wurde sehr viel Geld geklaut. Das versteht niemand in diesem Land.”

Videos: Aktuelle Stunde zu Cum-Ex-Gestaltungen im deutschen Bundestag

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