IFG-Urteil: CORRECTIV setzt sich vor Gericht gegen Behörden in NRW durch
Von dem Entscheid des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen profitieren alle Bürger und alle Journalisten, die Auskünfte von Behörden in NRW haben wollen. Nach Ansicht des Gerichtes waren Gebührenforderungen des Gesundheitsministeriums und der Bezirksregierung Münster für Informationsanfragen überzogen – und damit rechtswidrig.
Im Sommer 2018 beantragte CORRECTIV im Rahmen der Recherchen zur Alten Apotheke in Bottrop Einblick in Unterlagen des NRW-Gesundheitsministeriums. Es ging um tausende gepanschte Krebsmedikamente, die der Apotheker Peter Stadtmann in Verkehr gebracht hatte und um ein mögliches Behördenversagen bei der Aufsicht über den Apotheker.
CORRECTIV nutzte für die Anfrage das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Das von Karl-Josef Laumann (CDU) geführte Ministerium und die Bezirksregierung Münster sind durch das Gesetz grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet. CORRECTIV wollte anhand der angeforderten Unterlagen nachprüfen, was die Aufsichtsbehörden getan – und was sie unterlassen hatten.
Nach wochenlanger Prüfung gaben die Behörden CORRECTIV einen Bruchteil der angeforderten Unterlagen heraus. Allein die Bezirksregierung Münster, die für die direkte Aufsicht über die Alte Apotheke verantwortlich war, hielt 900 Seiten zurück. Sie schickte von 1000 Seiten nur rund 100 Seiten, von denen ein weiterer Teil geschwärzt war.
Die gleichzeitig vorgelegte Gebührenrechnung hatte es in sich. Sowohl das Ministerium als auch die Bezirksregierung forderten von CORRECTIV jeweils rund 500 Euro.
Gegen diese Gebührenforderung setzte sich CORRECTIV vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zur Wehr.
Das Gericht stellte nun fest, dass die Berechnung der Gebührenhöhe sowohl vom Ministerium als auch von der Bezirksregierung aufgrund der mangelhaften Abwägung rechtswidrig war. Durch dieses Urteil wird vermieden, dass für ähnliche Anfragen jetzt und in Zukunft von jedem Bürger rund 500 Euro an Gebühren verlangt werden können.
Die Argumentation vor Gericht
CORRECTIV hatte im Verfahren dargelegt, warum der Gebührenbescheid rechtswidrig war. Bei der Abwägung der Gebührenhöhe hatten die Behörden allein auf eigene Kosten abgestellt – ohne auf gebührenmindernde Tatsachen Rücksicht zu nehmen. Zudem waren die Gebühren so hoch bemessen, dass sie abschreckende Wirkung auf weitere Nachfragen von Bürgern und Journalisten haben können. Beides ist höchstrichterlich untersagt.
Bei einer mündlichen Verhandlung trug das Gesundheitsministerium unter Minister Karl-Josef Laumann (CDU) vor, dass es sich bei der Bearbeitung der IFG-Anfrage von CORRECTIV um eine Anfrage „mittlerer Art“ handele, was Umfang und Arbeitseinsatz angehe. Mit anderen Worten, um einen normalen Antrag. Für den dabei anfallenden Aufwand wollte das Ministerium – genauso wie die Bezirksregierung – den mittleren Teil der Gebühren, die das Gesetz bei einer Spanne von 10 bis 1000 Euro zulässt.
Mit anderen Worten: Sowohl Ministerium als auch Bezirksregierung wollten für solche Anfragen jetzt und in Zukunft von jedem Bürger rund 500 Euro an Gebühren durchsetzen.
Wäre dies gelungen, wären Anfragen für Bürger oder Journalisten nach dem IFG sehr teuer. Der Zugang zu Behördenwissen wäre dann abhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen, obwohl das IFG dafür da ist, Zugang zu öffentlichen Dokumenten für jeden zu ermöglichen.
CORRECTIV hat deswegen dem Ministerium und der Bezirksregierung widersprochen. Zunächst hätten die Behörden nicht bewiesen, dass die Bearbeitung der IFG-Anfrage zur Alten Apotheke einen Aufwand „mittlerer Art“ entsprochen hätte. Die Ämter hätten das schlicht behauptet, ohne dass dieser Aufwand im Verhältnis zu anderen Anfragen begründet wurde.
Zudem hätten sowohl Ministerium als auch Bezirksregierung weitere Faktoren bei der Festlegung der Gebühren ignoriert, obwohl diese in die Abwägung der Gebühren einbezogen werden müssen.
Öffentliche Interesse überwiegt
Zunächst hätten sie berücksichtigen müssen, dass die Information über die Alte Apotheke keinerlei wirtschaftlichen Wert für CORRECTIV haben. Die Redaktion ist eine gemeinnützige GmbH, die ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig ist. Das Gehalt der Angestellten von CORRECTIV ist unabhängig von den begehrten Informationen. Im Gegenteil, für die Anfrage müssten ideelle Mittel aufgewendet werden, nämlich Spendengelder, um die Informationen aufzubereiten, die für die Allgemeinheit von besonderem Interesse sind. Es gehe eben nicht um die Befriedigung eines auf einen finanziellen Nutzen ausgerichteten Interesses.
Die Behörden hätten dieses öffentliche Interesse in der Abwägung der Gebührenhöhe einbeziehen müssen – zumal der Fall der Alten Apotheke in Bottrop von „außerordentlicher Bedeutung“ für das Land NRW war, wie der Vertreter des Gesundheitsministers Laumann (CDU) vor Gericht bestätigte.
Die Höhe der Gebühren gerade in diesem für die Öffentlichkeit wichtigen Fall hatte nach Ansicht von CORRECTIV abschreckende Wirkung. Kaum einer der Betroffenen oder der ebenfalls recherchierenden Medien hätte die Mittel aufbringen können, entsprechende Informationen von den Behörden zu beschaffen. Dies widerspreche aber höchstrichterlicher Rechtssprechung, wie zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Fall entschieden hat (BVerG 7 C 6/15).
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hob in seiner Entscheidung am 28. Oktober 2019 die Gebührenbescheide der Behörden auf. Sowohl Ministerium als auch Bezirksregierung können gegen das Urteil vor das Oberverwaltungsgericht Münster ziehen.
CORRECTIV wird weiterhin gegen überzogene IFG-Gebühren vorgehen. Wir setzen uns regelmäßig für die Pressefreiheit, für die Freiheit der Information und für Bürgerrechte ein und ziehen dafür immer wieder auch vor Gericht. Auf dieser Seite finden Sie eine Übersicht der Klagen, die CORRECTIV führt.