Nur jeder vierte Arzt legt Zahlungen offen, die er von Pharmafirmen erhält
Im Jahr 2016 haben die Pharmakonzerne 562 Millionen Euro an Mediziner und Kliniken in Deutschland gezahlt. Als die Firmen anschließend gefragt haben, ob sie diese Zuwendungen veröffentlichen dürfen, hat nur jeder vierte Arzt zugestimmt. Im Jahr zuvor waren noch 31 Prozent mit einer Veröffentlichung einverstanden. In unserer Datenbank könnt ihr ab jetzt suchen, ob euer Arzt transparent ist oder zu den Heimlichtuern gehört – oder ob er Zahlungen der Industrie grundsätzlich ablehnt.
Link direkt zur Datenbank „Euros für Ärzte“
Wenn ein Arzt einem kranken Menschen helfen möchte, verschreibt er häufig Medikamente. Der Patient erwartet, dass sein Arzt nötige Präparate nach bestem Wissen und Gewissen auswählt. Doch Mediziner können in einen Interessenkonflikt geraten, wenn sie zugleich finanzielle Verbindungen zu Herstellern bestimmter Medikamente haben.
2016 finanzierten die Pharmaunternehmen Tausenden Ärzten Besuche auf Kongresse, bezahlten sie für ihre Vorträge bei Tagungen, erstatteten ihnen Hotelrechnungen und zahlten Honorare für Studien. Bei der freiwilligen Initiative FSA legen 54 Pharmafirmen, die nach eigenen Angaben 75 Prozent des Gesamtmarktes abdecken, ihre Zahlungen offen.
Sie allein haben 2016 insgesamt rund 66.000 Ärzte, Apotheker und andere Gesundheitsberufler sowie rund 6020 Institutionen wie Kliniken und Praxen finanziell unterstützt. Die Zahlungen beliefen sich auf insgesamt 562 Millionen Euro.
- 356 Millionen Euro erhielten die Empfänger für sogenannte Anwendungsbeobachtungen (AWB) und klinische Studien.
- 105 Millionen Euro bekamen einzelne Ärzte, Apotheker und Heilberufler für Vorträge, Fortbildungen und Beratung.
- 101 Millionen Euro empfingen Krankenhäuser und andere Einrichtungen für Sponsoring, Beratung und Veranstaltungen.
Nicht jede Verbindung zwischen der Industrie, Kliniken und Ärzten ist zu verteufeln. So ist es zum Beispiel wichtig, dass praktizierende Ärzte Unternehmen bei der Entwicklung neuer Medikamente beraten. Anders als bei Medizinern steht bei den Firmen jedoch nicht allein das Wohl der Patienten im Mittelpunkt, sondern auch das Streben nach einem möglichst großen Gewinn.
Diese verschiedenen Interessen können die unabhängige Urteilskraft von Ärzten beeinflussen, müssen es aber natürlich nicht. Studien haben allerdings gezeigt, dass Mediziner mit vielen Verbindungen zur Pharmaindustrie Gefahr laufen, Nebenwirkungen eher herunterzuspielen oder eher teure Medikamente verschreiben.
Die US-Regierung reagierte bereits 2010 auf die Problematik und schuf ein Gesetz, das die Offenlegung aller Pharma-Zahlungen an Mediziner vorschreibt. Um eine solche Regelung in Deutschland zu verhindern, starteten die Lobbyorganisationen VfA und FSA 2015 den Transparenzkodex. Dieser sieht vor, dass die 54 Mitgliedsunternehmen neben Gesamtsummen jeweils eine Liste mit den Namen einzelner Ärzte und den an sie gezahlten Leistungen veröffentlichen.
Das Problem: Die Firmen nennen die Namen nur, wenn Zahlungsempfänger der Veröffentlichung zugestimmt haben. Im vergangenen Jahr waren dazu 31 Prozent der Empfänger bereit, in diesem Jahr lag die Quote nur noch bei 25 Prozent — also nur bei jeder vierten Person, die Pharmaleistungen empfangen hat. Anders gesagt: Drei Viertel aller Betroffenen wollen die Zahlungen geheim halten. Trotz des geringen Anteils liefern die Dokumente die Namen von mehr als 16.500 Personen, die zusammen Leistungen im Wert von knapp 24 Millionen Euro erhalten haben.
Um auf Basis dieser Daten eine größtmögliche Transparenz zu schaffen, hat CORRECTIV gemeinsam mit dem Datenteam von „Spiegel Online“ die Informationen aus den Dokumenten zusammengefasst und die Datenbank „Euros für Ärzte“ 2016 erstellt. Darin lassen sich die Summen für jene Ärzte und Fachkreisangehörige suchen, die einer Namensnennung zugestimmt haben. Auch die Institutionen, Organisationen und Kliniken sind auffindbar samt erhaltener Summe. Außerdem gibt es so genannte „Null-Euro-Ärzte“, die Pharmazahlungen laut eigenen Angaben ablehnen.
Die meisten der aufgeführten Ärzte und sogenannten Fachkreisangehörigen bekamen weniger als 1000 Euro, wie die folgende Auflistung verdeutlicht:
- Anteil der Personen, die unter 100 Euro erhalten haben: 9,1 Prozent
- Anteil der Personen, die unter 500 Euro erhalten haben: 47,4 Prozent
- Anteil der Personen, die unter 1000 Euro erhalten haben: 70,4 Prozent
Daneben gab es jedoch auch Einzelpersonen mit enorm hohen Beträgen. Rund 1,3 Prozent der Ärzte kam auf mehr als 10.000 Euro. Dem Spitzenreiter der Liste ließen Pharmafirmen sogar eine Summe von knapp 200.000 Euro zukommen. Er ist allerdings der einzige Arzt in der Datenbank, bei dem die Summe die 100.000-Euro-Marke überstieg. Gezahlt wurden die Gelder vor allem für Beratungs- und Dienstleistungshonorare sowie Reise- und Übernachtungskosten im Zusammenhang mit Fortbildungen.
Diese Pharmafirmen zahlten 2016 die größten Geldsummen an Mediziner, Fachkreisangehörige und Institutionen:
- Novartis Pharma: 23,6 Millionen Euro
- Bayer: 17 Millionen Euro
- MSD: 12,1 Millionen Euro
- Berlin-Chemie: 11,7 Millionen Euro
- Bristol-Myers-Squibb: 11,2 Millionen Euro
Die im vergangenen Jahr zum ersten Mal aufgeschlüsselten Daten bedeuten eine Zäsur. Noch nie erhielt die Öffentlichkeit einen so detaillierten Einblick in die finanziellen Verbindungen von Medizinern, Kliniken und der Industrie. Dennoch krankt das aktuelle System neben dem Prinzip der Zustimmung für eine Offenlegung noch an einem weiteren Punkt: Es klammert einen Großteil der Zahlungen aus.
Firmen mit den schlechtesten Veröffentlichungsquoten bei Fachkreisangehörigen
Umstrittene Anwendungsbeobachtungen
Die detailliert aufgeschlüsselten Angaben umfassen aktuell nur Leistungen im Zusammenhang mit Beratung, Fortbildung oder etwa Sachspenden. Welche Personen und Institutionen wie viel Geld im Zusammenhang mit Forschungsprojekten bekommen haben, halten die Unternehmen weiterhin geheim. Damit verschweigen sie Details über eine Summe von 356 Millionen Euro — mehr als 60 Prozent der Gesamtzahlungen.
Kritiker sehen darin Kalkül, da die Unternehmen so Ausgaben für eine umstrittene Praxis verschweigen können. Neben wichtigen klinischen Studien, bei denen potenzielle neue Medikamente vor ihrer Zulassung erprobt werden, enthält die Summe von 356 Millionen auch Zahlungen für sogenannte Anwendungsbeobachtungen. Dabei erhalten Mediziner Geld, wenn sie ihren Patienten ein bestimmtes Medikament verordnet haben und anschließend einen Fragebogen etwa zur Verträglichkeit ausfüllen.
Die wissenschaftliche Qualität der Anwendungsbeobachtungen sei äußerst schlecht, wird oft kritisiert. Statt dem Wohl der Patienten dienen sie demnach vor allem dazu, die Ärzte für die Verordnung des neuen Mittels zu bezahlen und die Behandelten langfristig an das Präparat zu binden. Die Unternehmen hingegen rechtfertigen die Untersuchungen als wichtige Praxisprobe — und wollen deshalb auch bei der Veröffentlichung der Zahlen keine Unterscheidung zwischen diesen und gesetzlich vorgeschriebenen klinischen Studien machen.
Link direkt zur Datenbank „Euros für Ärzte“
Irene Berres, Christina Elmer, Heike Le Ker und Patrick Stotz sind Redakteure von „SpiegelOnline“.