Bayern-AfD fordert „Remigrations“-Plan: Wie die AfD mit einem rassistischen Begriff Politik macht
Die bayerische AfD will Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft unter bestimmten Bedingungen den deutschen Pass entziehen. Es ist das bisher deutlichste Beispiel dafür, wie Teile der Partei versuchen, den völkischen Kampfbegriff „Remigration“ zu normalisieren. Wir haben anhand von Social-Media-Werbeanzeigen analysiert, wo und wie häufig es ähnliche Versuche gibt.
Es war ein bemerkenswerter Zeitpunkt, zu dem die AfD Bayern am vergangenen Wochenende eine „Resolution für Remigration“ beschloss. Fast genau ein Jahr nach dem Treffen in Potsdam spricht sich die bayerische AfD offen für massenhafte Abschiebungen und Rückführungen aus. In Potsdam hatten zum Teil hochrangige AfD-Politiker mit dem Rechtsradikalen Martin Sellner über einen „Masterplan“ beraten. Die Forderungen der Bayern-AfD weisen auffällige Parallelen auf.
So heißt es etwa in der Resolution: Es „müssen grundgesetzkonforme Wege geschaffen werden, eine bereits zuerkannte deutsche Staatsbürgerschaft einfacher wieder abzuerkennen.“ Diese Aberkennung solle „bei schweren Verstößen gegen das geltende Recht“ erfolgen. Was sie damit meint, lässt die Partei offen. Die AfD Bayern setzt in der Resolution das „Staatsziel einer umfassenden Remigration im Millionenbereich“ und will, dass „Personengruppen mit schwach ausgeprägter Integrationsfähigkeit und -willigkeit mittels obligatorischer Rückkehrprogramme in ihre Heimat rückgeführt“ werden.
In ihrem Zehn-Punkte-Plan vermengt die AfD Bayern verfassungskonforme Forderungen wie die Abschiebung straffällig gewordener Asylbewerber mit dem verfassungsfeindlichen „Remigrations“-Konzept. Es ist das erste Mal, dass die millionenfache Vertreibung von einem Landesverband der AfD so offensiv als Ziel ausgegeben wird. Teile der AfD versuchen offensichtlich, das völkisch-nationale Konzept als ganz normale politische Forderung hinzustellen.
Wie die AfD Werbung mit dem Vertreibungs-Begriff macht
Seit der CORRECTIV-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ ist nicht nur für die breite Öffentlichkeit offenkundig, was sich hinter dem Begriff „Remigration“ verbirgt; er wurde und wird in rechtsradikalen Kreisen wie in Teilen der AfD offensiv benutzt.
Wir haben uns daher angesehen, was insbesondere Teile der AfD unternahmen, um darauf hinzuwirken, dass aus der radikalen Idee ein Konzept werden könnte. Die Partei will offenbar erreichen, dass diese Pläne politisch ernsthaft diskutiert werden können.
CORRECTIV hat dafür Hunderte Werbeanzeigen auf Facebook und Instagram aus diesem Jahr analysiert, in denen „Remigration“ im Text oder als Hashtag auftaucht. Mindestens 170 dieser Posts lassen sich 40 offiziellen Accounts von Fraktionen, Verbänden sowie einzelnen Politikerinnen und Politikern der AfD zuordnen. Insgesamt sind ihre Anzeigen über 3,4 Millionen Mal angezeigt worden.
In den jeweiligen Posts wurde der Eindruck vermittelt, als handele es sich um ein normales politisches Konzept.
Beispiele aus den Werbeanzeigen
„Bei einem Wahlerfolg wird die Remigration ein wichtiges Thema sein, um der unkontrollierten Zuwanderung […] endgültig den Riegel vorzuschieben“, schreibt Thomas Rosspacher, Stuttgarter Gemeinderat der Alternative für Deutschland, in einem als Werbe-Post auf Instagram und Facebook im August dieses Jahres.
Dieser Beitrag erschien wenige Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Und kurz nach dem Anschlag in Solingen, bei dem drei Menschen starben. Deutschland müsse aufhören, „das Sozialamt der Welt zu spielen, um damit nur haufenweise Kriminalität und Arbeitslosigkeit zu importieren“, formuliert Rosspacher in seinem Post mit dem Hashtag „#niewiedersolingen“.
Wenige Monate zuvor behauptet der bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Martin Böhm in einem beworbenen Social-Media-Beitrag, „viele junge Deutsche“ würden in der Schule „tagtäglich Unterdrückung und Misshandlung am eigenen Leib“ erfahren. Davon hätten diese jungen Deutschen genug, genau wie vom „Märchen des ‚bunten Paradies‘“, schreibt der Politiker in dem Post von Mai 2024, kurz vor der Europawahl. Und weiter: „Die Remigration ihrer Peiniger wird diese Generation als (Über)Lebensaufgabe begreifen“. Diese Aussage illustriert er mit einer Grafik mit dem Bild eines jungen KI-generierten Mädchens und einem Comic-Flugzeug.
Auf dem Account der AfD Sachsen heißt es auf Instagram und Facebook im Frühjahr: „Remigration ist nicht verboten oder anstößig, sondern im nationalen Interesse Deutschlands.“ Die Politiker – unter anderem Björn Höcke – nennen diverse Maßnahmen, die die AfD nach der Regierungsübernahme ergreifen werde. Etwa mehr Grenzschutz, großangelegte Rückführungsinitiativen, erhöhter „Assimilationsdruck auf nicht integrierte Ausländer“. Das Ziel von Höcke und seiner Kollegen: „Deutschland muss wieder deutscher werden.“
Wir zeigen im Folgenden die zweifelhafte Karriere des Begriffs auf – bei der es darum geht, einem verfassungsfeindlichen Konzept einen harmlosen Anstrich zu verpassen.
Sellner und sein „Masterplan“ in Potsdam
Die Gruppe von Rechtsextremen, AfD-Funktionären, Mitgliedern von Werte-Union und CDU, Unternehmern und Juristen, die sich Ende November 2023 in einem Hotel nahe Potsdam traf, beriet sich zu dem „Masterplan“ von Martin Sellner maßgeblich über ein Ziel: Wie es gelingen kann, Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland heraus zu drängen – ohne und auch mit deutschem Pass.
Auf dem Treffen sprachen sie von „Remigration“. Der Begriff klingt abstrakt und irgendwie wissenschaftlich, er beschreibt eigentlich die Rückkehr von Menschen mit Migrationshintergrund in ihr Herkunftsland. Aber auf dem Treffen wurde er anders verwendet: Sellner und weiteren Teilnehmern ging es darum, Millionen von Menschen zu vertreiben – mit „maßgeschneiderten Gesetzen“ und „hohem Anpassungsdruck.“
CORRECTIV hatte das Potsdamer Geheimtreffen aufgedeckt und damit eine Welle von Protesten gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland ausgelöst. Seit der Veröffentlichung ist der Begriff weit über Neonazi-Kreise hinaus bekannt. „Remigration“ wurde zum Unwort des Jahres gewählt und von der AfD massiv im Kommunalwahlkampf verwendet. Gerade im Wahlkampf kommt es auf genaue Definitionen an. Denn das Thema birgt gesellschaftlichen Sprengstoff: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte im Juli in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: Die drei „wichtigsten Themen“, bei denen die Ampel versage, seien: „Migration, Migration, Migration.“
Es gibt einen Unterschied zwischen Parteien, die die Zuwanderung auf Grundlage der Verfassung regulieren oder begrenzen wollen – und Kräften, die eine völkische und grundgesetzwidrige Politik propagieren. Genau dafür steht der Begriff „Remigration“.
Martin Sellner nannte beim Geheimtreffen in Potsdam drei Gruppen, die das Land verlassen sollen: Asylsuchende, Ausländer mit Bleiberecht sowie „nicht assimilierte Staatsbürger“. Das meint er mit „Remigration“, wie er in Potsdam erklärte und seither bei einem weiteren Online-Vortrag wiederholte: Sellners Ziel ist es, so sagt er selbst, dass sich seine völkischen Visionen und der Begriff „Remigration“ ausbreiten. Er will den „Rahmen des Sagbaren“ verschieben – Begriffe aus dem rechtsextremen Wortschatz sollen erst „undenkbar“, dann „radikal“, „akzeptabel“, „sensibel“ und schließlich „Realpolitik“ werden.
Dasselbe Ziel verfolgt auch der völkische Vordenker und Verleger Götz Kubitschek (sein Verlag Antaios veröffentlicht auch Bücher von Sellner). Als der AfD-Politiker Maximilian Krah im Sommer 2023 als Spitzenkandidat für die Europawahl nominiert wurde, schrieb der Verleger auf seinem Blog: „Wir werden, wenn es so weitergeht, bis zum Ende des Jahres den Begriff Remigration in der Gesellschaft […] platziert haben“ Und: „Krah in Magdeburg, Sellner in Wien – das sind Zahnräder“.
Die Abschiebung von Menschen ohne Aufenthaltstitel solle in der politischen Debatte durch das Wort „Remigration“ ersetzt werden. „Remigration“ betreffe auch Menschen mit Aufenthalt – und eben auch deutsche Staatsbürger. Das sagt Sellner in einem Video des rechtsextremen Magazins Compact am 22. November 2023. Zwei Tage vor dem Treffen in Potsdam.
Die Ideologie hinter dem völkischen Begriff
Heute, ein Jahr später, wird das Wort „Remigration“ zum Teil allgemein verstanden und vor allem von AfD-Politikern offensiv genutzt. Es ist nun eine Chiffre für Rechtsextremisten. Die CORRECTIV-Recherche hat klar aufgezeigt, welcher völkische Kern dahintersteckt.
Der Begriff der „Remigration“ ist, so wie Sellner und die rechtsradikalen Ideologen ihn verwenden, Teil einer völkischen Ideologie, die ein rassistisch geprägtes Bild vom deutschen Volk entwickelt hat. In diesem Weltbild wird das Volk als eine Gemeinschaft des Eigenen betrachtet, das von dem Fremden bedroht sei und sich daher dagegen schützen müsse.
Das war auch das Leitmotiv im Landhaus Adlon. Der Veranstalter Gernot Mörig eröffnete das Treffen mit der Frage, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“, wie die CORRECTIV-Recherche zeigt. Diese Idee treibt den ehemaligen Zahnarzt und langjährigen rechtsextremistischen Aktivisten schon seit den Siebzigern um. Auch Martin Sellner, ehemaliger Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, setzte diesen Ton, als er den „Masterplan“ in Potsdam vorstellte. Beim Treffen und in seinem Buch nennt er das „Hauptziel“: „Wir müssen unsere ethnokulturelle Identität und Substanz bewahren“.
Die Brisanz dieser Ideologie beschreibt die konservative Publizistin Liane Bednarz, „mit einer willkürlichen Definitionsmacht wird in der Neuen Rechte ‚das Fremde‘ ausgemacht, das je nach Enthemmung auszumerzen oder zu verdrängen ist, um den ersehnten Idealzustand ‚des Eigenen‘ wiederherzustellen“, schreibt Bednarz, „die Vordenker der Neuen Rechten wie Sellner kleiden dieses völkische Phantasma in harmlos klingende Begriffe wie „Ethnopluralismus“, „ethnokulturelle Identität“ oder eben „Remigration“, in denen allen aber die Menschenfeindlichkeit weiter zu Hause ist“.
Gerichte sehen dieses Konzept als verfassungswidrig an
Mehrere Gerichte haben seit dem Treffen im November 2023 festgestellt, dass dieses Verständnis verfassungswidrig ist. Das Oberverwaltungsgericht in Münster moniert in dem Urteil von Mai 2024 etwa die „Verknüpfung ‚eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs‘ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsbürger in Frage gestellt wird“. Das Gericht hatte sich mit der Frage befasst, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf.
Auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kam zu einer vergleichbaren Einschätzung. In einer Entscheidung, in der es den vorläufigen Verbotsantrag gegen das rechtsextreme Magazin Compact aufhob, heißt es: „Der rechtlich abgewertete Status für die […] lediglich ‚Passdeutschen‘ offenbart sich vor allem in dem – vermeintlichen – ‚Lösungskonzept‘ der ‚Remigration‘, welches die Vereinigung (sic. Compact) in enger Anlehnung an die Pläne von Martin Sellner vertritt“, so die Richter in Leipzig.
Mit der Debatte über eine Reform des Asylrechts hat das Konzept nichts zu tun
Das Konzept der „Remigration“ hat nichts mit der Debatte über geregelte Einwanderung oder eine Reform des Asylrechts zu tun. Diesen Ideologen geht es nicht um eine andere Einwanderung, sie wollen keine. Ihnen geht es nicht nur um Kriminelle oder sogenannte „Clan-Mitglieder“. Das Ziel ist: Die Realität Deutschlands als Einwanderungsland verändern, und zwar über Millionenfache Vertreibung im Gewand der „Remigration“, die auch Staatsbürger im Fokus hat. So teilen sie die Gesellschaft mit willkürlicher Definitionsmacht in Fremde und Eigene, um das Fremde zu vertreiben. Das war der Geist von Potsdam, dieser Schatten liegt über dem Wort „Remigration“.
Begriff in den Medien
Was vor einem Jahr noch eine Vokabel vom rechtsextremen Rand war, wird nun von sehr vielen Menschen verstanden. AfD-Politiker machen sich das polarisierende Potenzial der Vokabel zunutze, und manchmal zitieren Medien sie ohne Kontext und ohne Erklärung und tragen so selbst zur Verbreitung mit bei.
Die WAZ schreibt von Schülern, „die von Remigration träumen“, statt diese Träume als das zu benennen, was sie sind: Abschiebe- oder Deportationsfantasien. Der Kölner Stadt-Anzeiger titelt zur Wahl in Österreich, die FPÖ wolle „Remigration“ und gibt die Parolen in der Überschrift wortgetreu wieder – viele andere Tageszeitungen machten es ähnlich. Sogar auf Anführungszeichen verzichtet die Märkische Oderzeitung mit der Überschrift „Wohnraum durch Remigration?“ Sie zitiert damit den Slogan eines AfD-Politikers aus Eberswalde – und macht sich zum Lautsprecher. Bemerkenswert ist: Die Parole stellt die MOZ nur online als Überschrift über den Beitrag. In der Printausgabe lautet die Überschrift: „Rechtspopulist polarisiert mit Aussage.“