Geheime Spenden

Anti-Grünen-Kampagne: Mindestens eine halbe Million Euro aus anonymen Quellen

Mit einer aufwendigen, konzertierten Schmähkampagne versuchen offenbar vermögende Hinterleute, mit viel Geld die Grünen vor der Bundestagswahl aus dem Rennen zu drängen. Eine Crowd-Recherche von CORRECTIV weist nun erstmals mehr als 3.500 Standorte der anonym finanzierten Plakate nach und gibt einen Überblick über die Verbreitung in Deutschland sowie die Kosten der Kampagne.

von Gabriela Keller , Jonathan Sachse , Miriam Lenz , Justus von Daniels

Wie hier in Aachen hängen seit dem 9. August in bundesweit rund 50 Städten Plakate einer Anti-Grünen-Kampagne. Foto: Ivo Mayr/ CORRECTIV
Wie hier in Aachen hängen seit dem 9. August in bundesweit rund 50 Städten Plakate einer Anti-Grünen-Kampagne. Foto: Ivo Mayr/ CORRECTIV

Totalitär, sozialistisch, heimatfeindlich – mit drastischen Schlagworten macht eine ominöse Agentur derzeit im Bundestagswahlkampf massiv Stimmung gegen die Grünen: Wie CORRECTIV jetzt mit einer Crowd-Recherche nachweist, hängen derzeit mehr als 3.500 Plakate der deutschlandweiten Anti-Grünen-Kampagne in mindestens 50 Städten. Die Ergebnisse bestätigen Schätzungen, die in den vergangenen Tagen in den Medien kursierten.

Verantwortlich für die Aktion ist die in Hamburg ansässige Firma Conservare Communication, deren Geschäftsführer David Bendels in einer Pressemitteilung zum Beginn der Kampagne von Plakaten in 50 Großstädten spricht. Die CORRECTIV-Recherche bietet nun erstmals einen detaillierten Überblick mit genauen Angaben zu den zahlreichen Plakatierungsorten in Städten wie Hamburg, Berlin, Bochum, Dresden, Frankfurt am Main, Freiburg oder Kiel.

Schwerpunkt der Kampagne in NRW

Wie die CORRECTIV-Recherche zeigt, sind die Schmähplakate recht gleichmäßig über alle Regionen verteilt – mit deutlichem Schwerpunkt in den Ballungsgebieten Nordrhein-Westfalens. Sie hängen vor allem an zuschauerstarken Plätzen, an Hauptstraßen, zentralen Kreuzungen und U-Bahnstationen. Nur in zwei Bundesländern in Ostdeutschland gibt es offenbar bisher gar keine Plakate: Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Laut Experten und Branchenkennern dürfte das Budget allein für die Plakataktion zwischen 550.000 und 750.000 Euro liegen – und das für nur eine Woche.

CORRECTIV hat Hinweise aus ganz Deutschland zusammengetragen, um die Verbreitung der Kampagne in Deutschland zu erfassen. Über Twitter rief das Rechercheteam am Freitag dazu auf, Fotos und konkrete Orte der Plakate zu übermitteln. Mehr als tausend Lokaljournalistinnen und Bürger schickten genaue Straßenangaben und Fotos von mehr als 3.500 Standorten ein, an denen die Plakate hängen.

Geschätzte Kosten: bis zu 750.000 Euro

Der Düsseldorfer Experte und Mediaplaner Thomas Koch schätzt die Kosten der Kampagne auf mindestens 750.000 Euro. Koch setzt seit Jahrzehnten weltweite Kampagnen um und kritisiert deutsche Unternehmen, die Werbung auf Hate- und Fake News-Seiten machen. Für CORRECTIV hat er die Kosten der Kampagne auf Grundlage der Plakatstandorte kalkuliert, die die Recherche ergeben hat: Nach Informationen von CORRECTIV umfasst die Kampagne mindestens 1.700 reguläre Großflächen, die mindestens zehn Tage lang plakatiert sind. Hinzu kommen mindestens 1.800 Megalights, also beleuchtete, besonders gut sichtbare und daher sehr teure Premium-Werbeträger.

Das Kölner Unternehmen Ströer vermarktet die Außenwerbeflächen für die Kampagne. Unklar sei, wie hoch der Rabatt sei, den Ströer normalerweise für Großkunden vergebe, zudem sei er von einem Durchschnittspreis für die einzelnen Plakatflächen ausgegangen, schreibt Koch weiter: „Bei jeder meiner Annahmen bin ich eher im unteren Bereich geblieben. Geht man von Annahmen im höheren Bereich aus, liegen wir schnell bei 900.000 Euro.“

Ein anderer Branchen-Insider, mit dem CORRECTIV sprach, geht eher von einem Budget in Höhe von 550.000 Euro aus.

Der Organisator der Kampagne

Die Plakate firmen unter dem Titel „Grüner Mist“ und arbeiten mit extremen Zuspitzungen sowie aggressiver Polemik, Kritikerinnen und Kritiker sprechen von einer Schmutzkampagne. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber, der PR-Berater David Bendels, bereits mehrmals aufgrund seiner Verstrickungen in anonym finanzierte Wahlwerbeaktionen für die AfD in die Schlagzeilen geriet: Bendels, ein früheres Mitglied der Union, trat 2016 aus der CSU aus, weil ihm die Partei einen Auftritt als Redner bei einer AfD-Veranstaltung verboten hatte. Seither ist er parteilos. Schon wenig später tauchte er als Vorsitzender und Mitgründer eines rätselhaften Vereins auf, der 2016 und 2017 im großen Stil Wahlwerbung organisierte, die zur Wahl der AfD aufriefen: Mit einer Plakatkampagne und millionenfach verteilten Gratis-Publikationen, „Extrablatt“ und „Deutschlandkurier“.

Als CORRECTIV 2017 über die Werbeaktion für die AfD berichtete, sagte Bendels, dass es sich bei den Spendern auch um einige mittelständische Unternehmer handele, die größere Spendensummen überweisen würden. Die Geldgeber wollten seiner Aussage nach anonym bleiben.

Wer die Kampagne finanziert, bleibt unklar

Die Organisation LobbyControl schätzt das Volumen der damaligen Wahlkampfhilfe des Vereins für die AfD auf rund zehn Millionen Euro. 2017 hatten CORRECTIV und Frontal21 aufgedeckt, dass Geld für Plakatkampagnen einzelner AfD-Politiker, darunter AfD-Co-Chef Jörg Meuthen, über die Schweizer Agentur Goal AG geflossen war. Die damalige Wahlwerbung wurde als illegale Parteispende eingestuft, die AfD mußte hohe Strafzahlungen leisten. Die Finanziers aber sind nach wie vor im Dunkeln.

Zu den auffälligen Parallelen zwischen den anonym finanzierten AfD-Wahlkampfhilfen und der aktuellen Anti-Grünen-Kampagne gehört, dass auch diesmal die Herkunft der Gelder unklar ist; sogar die Wortwahl Bendels hierzu ähnelt früheren Statements: In einer Pressemitteilung schreibt er, diese sei „unabhängig und überparteilich“ und finanziert von „Mittelständlern und engagierten Bürgern“. Seinen Verein bezeichnete er 2016 als „bewusst parteipolitisch ungebunden“. Nähere Angaben zu den Geldgebern verweigerte er gegenüber Medien stets.

Bendels Verbindungen zur AfD

Belege für seine Nähe zur AfD gibt es einige. Zum Beispiel ist der PR-Berater Chefredakteur des „Deutschlandkurier“, in dem AfD-Mitglieder regelmäßig als Autorinnen und Autoren auftauchen. Zunächst gab der „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ das Blatt heraus. Seit 2018 steht im Impressum Bendels PR-Agentur Conservare Communication, die nun auch für die Anti-Grünen-Kampagne verantwortlich zeichnet.

In der Pressemitteilung auf der Website zur Kampagne schreibt Bendels, Ziel sei, „die Politik der Partei ,Bündnis 90/Die Grünen’ zu demaskieren, um sie von der Regierungsmacht im Bund fernzuhalten“. Verwicklungen mit der AfD und der Schweizer PR-Agentur streitet David Bendels auf Anfrage von CORRECTIV jedoch ab. „Weder die AfD noch die Goal AG waren und sind an der Kampagne in irgendeiner Form direkt oder indirekt beteiligt“, heißt es in seiner E-Mail. Der „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ stehe ebenfalls in keinerlei Zusammenhang damit. Weitere Details „zu Organisation und Finanzierung der Kampagne“ seien vertraulich und würden nicht kommentiert.

Auch die AfD streitet CORRECTIV gegenüber Verbindungen zu David Bendels oder seiner Firma Conservare kategorisch ab. Es gebe keinerlei Kooperation. Auch Parallelen zu der anonym finanzierten Wahlkampfunterstützung 2016/17 gebe es nicht, heißt es aus der Bundespressestelle, und ohnehin habe die AfD nichts mit Bendels Verein zu tun.

Solidarität mit Grünen

In den vergangenen Tagen hat die Anti-Grünen-Kampagne für Aufregung gesorgt. Formulierungen wie „Ökodiktatur“ und „Gesinnungsterror“ bezeichnet Bendels im Interview als „zugespitzt“. Indes stieß er damit parteiübergreifend auf heftige Empörung: Die Grünen reagierten mit Wut, auch Politikerinnen und Politiker von SPD und Union verurteilten die Plakate. Sogenanntes Negative Campaigning mit brachialen Angriffen und Diffamierungen gehört in den USA schon lange zum strategischen Repertoire der großen Parteien im Wahlkampf. In Deutschland sind solche Schmähkampagnen bislang eher unüblich.

Auch der Außenwerbungskonzern Ströer geriet in Folge der Debatte unter Rechtfertigungszwang. Auf die Fragen von CORRECTIV antwortete die Firma nicht, sondern verwies auf ein Informationsblatt auf ihrer Website. Demnach sieht sich Ströer als Vermarkter von Plakatflächen nicht für die Inhalte und Gestaltung der Werbung verantwortlich. Da viele Ströer-Flächen der öffentlichen Hand gehören, könne das Unternehmen keine Werbung ablehnen, außer sie verstoße gegen das Gesetz: „Als Partner der öffentlichen Hand nehmen wir die Verpflichtung wahr, uns politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten“, heißt es in der Stellungnahme. Generell sei der Schutz der Meinungsfreiheit zu respektieren.

„Angriff auf die Demokratie“

Rabiate Attacken auf politische Gegner kommen im Wahlkampf immer wieder vor und sind durchaus Teil der demokratischen Diskussionskultur, auch Unterstellungen und Schmutzkampagnen sind nicht selten. Neu ist bei der Aktion „Grüner Mist“ allerdings, dass anonyme und offenbar vermögende Akteure versuchen, mit einer groß angelegten Anti-Kampagne gegen eine Partei Einfluss auf die Ergebnisse der Bundestagswahl zu nehmen. Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, wertet die Kampagne daher als „Angriff auf die Demokratie“. Die Kampagne zeige einmal mehr, „dass es strengere Transparenzpflichten bei der Finanzierung politischer Werbung braucht. Wahlen sollten in Deutschland entschieden werden und nicht durch Hetzkampagnen aus dem Ausland“.

Betrachtet man die finanziellen Mittel der Parteien, kommt die Negativkampagne durchaus in die Nähe der offiziellen Wahlkämpfe: Das Budget der Grünen beträgt 12,5 Millionen Euro – für den gesamten Wahlkampf; die Partei wirbt derzeit auf rund 12.000 Großflächen für sich. Die FDP dagegen hat nur 6,5 Millionen Euro zur Verfügung und ist mit ihren Motiven auf 8.000 Plakaten zu sehen. Der Verein Conservare ließ innerhalb einer Woche für mindestens eine halbe Millionen Euro plakatieren; auch im Internet hat er bezahlte Anzeigen geschaltet. Gut möglich, dass bis zur Bundestagswahl noch einiges dazukommt.

Aktualisierung 21:32 Uhr am 16.8.2021: In einer ersten Version des Textes hieß es, dass in Brandenburg keine Plakate hängen. Mit der Stadt Erkner hängen aber mindestens in einer brandenburgischen Stadt Plakate. Die Passage wurde korrigiert und die Mindestzahl der plakatierten Städte von 49 auf 50 erhöht.

Mitarbeit: Jonas Halbe

Grafik: Max Donheiser