Wem gehört das Saarland?

Die Rendite-Krieger

Von maroden Wohnungen in einer saarländischen Stadt führen die Spuren des Eigentümers bis in die schottischen Highlands: Dort residiert der Gordon-Clan, dem ein riesiges Portfolio von Immobilien in Europa gehört. Die gemeinsame Recherche des Saarländischen Rundfunks und von CORRECTIV deckt ein komplexes und intransparentes Firmen-Netzwerk auf. Über Bravehearts Kampfgefährten und Gottes Profit-Missionare.

von Michel Penke , Jonathan Sachse , Linda Grotholt , Volker Roth , Niklas Resch

Das Eilean Donan Castle in Schottland: In dieser Region besitzt der Clan Gordon zahlreiche Schlösser, zudem investierten Mitglieder der Gordon Familie in deutsche Immobilien. © Patrick Dieudonne / picture alliance/ robertharding
Das Eilean Donan Castle in Schottland: In dieser Region besitzt der Clan Gordon zahlreiche Schlösser, zudem investierten Mitglieder der Gordon Familie in deutsche Immobilien. © Patrick Dieudonne / picture alliance/ robertharding

„Es ist schwer, eine vernünftige, günstige Wohnung zu finden“, sagt Bernhard Werner, „selbst hier in Ottweiler.“ Er wohnt in einer etwas heruntergekommenen Immobilie eine halbe Autostunde nördlich von Saarbrücken. Schimmel an den Wänden, schlechte Dämmung, hohe Nebenkosten – es sind Probleme, die viele Mieter in Deutschland haben. Werner heißt eigentlich nicht Werner. Aber er hat zu viel Angst vor seinem Vermieter, um sich öffentlich über ihn zu äußern. Schon lange sucht er nach einer neuen Wohnung. Dass der Vermieter das Haus noch saniert, glaubt er nicht mehr.

„Residential Value West“ heißt die Eigentümerfirma. Wer dahinter steckt, weiß Bernhard Werner nicht. Erst als der Saarländische Rundfunk und CORRECTIV bei der gemeinsamen Recherche „Wem gehört das Saarland?“ die Gesellschaft genauer untersuchen, wird nach und nach klar, wie groß das internationale Netz von Briefkastenfirmen ist, das sich hinter der unscheinbaren Firma verbirgt.

„Wenn so ein großes Firmennetzwerk dahintersteht oder Investoren, die nur auf ihr Geld schauen, dann ist mir klar, warum die sich für uns Mieter in Ottweiler nicht groß kümmern“, findet Werner, als er über die Recherche von Saarländischem Rundfunk und CORRECTIV erfährt. Mehrfach hat seine Wohnung in den vergangenen Jahren den Besitzer gewechselt. Nun ärgert sich Werner, dass er als Mieter nie informiert wurde. „Schließlich ist es ja wichtig zu wissen, wer meine Miete letztlich einstreicht und wer damit auch die Verantwortung für den Zustand der Gebäude trägt.“

Legal, aber extrem problematisch

Tatsächlich ist die Residential Value West I GmbH, wie der Name vermuten lässt, nicht die einzige Firma ihrer Art. Eine ganze Reihe von Residential-Value-Unternehmen und weiteren verbundenen Firmen halten in Deutschland Immobilien. CORRECTIV und der Saarländische Rundfunk haben Belege für mindestens 2.000 Wohnungen gefunden, darunter neben dem Saarland viele in Nordrhein-Westfalen. Sie alle waren bis vor Kurzem Teil eines Firmennetzwerks, das sich weiter in das steuersparsame Luxemburg sowie auf die fast steuerbefreiten britisch-karibischen Virgin Islands verteilte.

Die aufwendige Struktur verknüpft Dutzende Firmenhüllen, anonyme Gesellschaften in Steuerparadiesen, einen rätselhaften Trust mit christlichem Zweck und endet bei einem jahrhundertealten schottischen Clan aus Aberdeenshire, der in Burgschlössern residiert und über ein weitreichendes Immobilien-Portfolio in Europa verfügt.
Derzeit ist das Netzwerk dabei, Wohnhäuser wieder gewinnbringend abzustoßen. Auch das Haus von Bernhard Werner gehört dazu.

Diese Firmen-Struktur ist ein übliches Konstrukt, um möglichst wenig Steuern zu zahlen. Gewinne werden über teure Kredite ins Ausland verschoben, die sich die Firmen im Netzwerk untereinander geben. Die Grunderwerbsteuer wird mit sogenannten Share Deals umgangen. Wieviel Steuern dem deutschen Staat so entgangen sind, ist unklar. Das hessische Finanzministerium schätzte 2016 einen Betrag von einer Milliarde Euro jährlich, die der Staat allein durch Share Deals verliere.

Ohne Steuern hohe Rendite

Ähnliche Netzwerke konnte CORRECTIV bereits bei groß angelegten Immobilienrecherchen unter anderem in Berlin und Bayern enttarnen. So versteckte sich die britische Milliardärsfamilie Pears hinter vielen Dutzend scheinbar unabhängigen Luxemburger Immobilienfirmen, die letztlich über zypriotische und karibische Firmen alle einem Trust gehören und in Berlin Tausende Wohnungen halten. Das ist nicht illegal. Weder die Intransparenz noch die Steueroptimierung, wie es in der Branche beschönigend genannt wird. Denn Pears zahlt in Deutschland kaum Geld an den Fiskus, obwohl das Unternehmen jedes Jahr viele Millionen Euro Mietzahlungen einnimmt.

Die Verschleierung und die Steueroptimierung mögen zwar legal sein, aber sie untergraben den Gleichheitsgrundsatz, dass alle Vermieter vor dem Gesetz gleich sein sollten. Und sie öffnen in anderen Fällen Geldwäsche und dem organisierten Verbrechen Tür und Tor.

Kooperation: Saarländischer Rundfunk & CORRECTIV

Dieser Artikel ist Teil der Recherche „Wem gehört das Saarland?“, die CORRECTIV zusammen mit dem Saarländischen Rundfunk durchgeführt hat.
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Zurück in die saarländische Kleinstadt Ottweiler, zu Bernhard Werners Wohnung und der Vermieterfirma Residential Value. In diesem Fall ließe sich allein über die Holdingstruktur und den Umweg nach Luxemburg die Kapitalertragsteuer erheblich drücken, von der Verschleierung des fast steuerfreien Karibik-Trusts ganz zu schweigen. Für Mieter, Steuerfahnder und Journalisten ist nur selten oder mit erheblicher Mühe zu ermitteln, wer hinter all den luxemburgischen Firmen mit den Kürzeln SARL oder SA, britischen Limited-Gesellschaften und karibischen Trusts steckt. Erst kurz vor der Veröffentlichung dieser Geschichte haben die Eigentümer erneut gewechselt.

Der Masterplan des Master Funds

Von der Residential Value West I führt der Weg nach Luxemburg zur Balandra Wohnen SARL, dann weiter zur Balandra Holding, die beide an der gleichen Adresse sitzen. Am Klingelschild in der Avenue Pasteur finden sich gut 100 Firmen, die, scheinbar dicht gedrängt in einem Haus mit drei Etagen Platz finden.

Verteidigt wird die Eingangstür von einer schick angezogenen Hausmeisterin – „Machen Sie die Kamera aus!“ –, die keine Auskunft geben will. Die Direktoren seien nicht im Büro. Home-Office! Man habe die Mail von SR und CORRECTIV samt Fragen zu Mieten und Steuerrecht erhalten. Wenige Tage später dann die Antwort. Man halte sich an geltende Regeln und Gesetze. Ansonsten: kein Kommentar.

Ein Schild mit zig Firmennamen
Blick aufs Eingangsschild: An dieser Adresse in Luxemburg sind neben der Residential Value West I zahlreiche weitere Firmen gemeldet. Foto: SR

In Luxemburg dreht die deutsche Miete noch ein paar Runden in Finanzvehikeln, die alle das Wort „Cheyne“ im Namen tragen und wird in einem Immobilienfonds organisiert, der für sechs Jahre aufgelegt wurde. Drei Jahre lang wolle man investieren, so lässt es sich in den Firmenunterlagen nachlesen, bevor man drei Jahre lang „realisieren“ werde. Gemeint ist damit üblicherweise das Eintreiben der Gewinne – also Mieterhöhungen und lukrative Weiterverkäufe.

Der „Master Fund“, wie der Immo-Fonds großspurig bezeichnet wird, setzt sich dabei eine Renditeerwartung von „12-15 % pro Jahr“. Die dort investierten 800 Millionen Dollar sollen sich schließlich rechnen. Etwa 72 Millionen davon sind in Deutschland angelegt. Begonnen hat die Zeit der Gewinn-Ernte 2020. Seitdem widme sich das Management „der Optimierung der Investor-Rendite“.

Auch die Residential Value West war am Anfang der „Wem gehört das Saarland?“-Recherche fest in Händen des Master Funds. Nun ist sie, kurz vor der Veröffentlichung, „optimiert“ und weiterverkauft. Für Stefanie Gruber, Mieterin der Residential-Value-West, Grund zum Ärger: „An unseren Balkonen bröckelt der Beton ab, die Dächer müssten dringend neu gemacht werden und die Wände sind sehr schlecht gedämmt“, so Gruber, deren wirklicher Name nicht in der Zeitung stehen soll. „Aber das passt, dass das solche Heuschrecken sind. Dass denen am guten Zustand der Häuser nix liegt, das sieht man ja eigentlich auf den ersten Blick.“

Blick auf Wohnungen im saarländischen Ottweiler im Winter
Schimmel an den Wänden, schlechte Dämmung, hohe Nebenkosten: Die Mieterinnen und Mieter im saarländischen Ottweiler haben mit mehreren Problemen zu kämpfen. Foto: SR

Das Evangelium des Vermieters

Doch damit ist das Kapital-Karussell aus saarländischen Mieten und Verkaufserlösen noch nicht am Ende. Weiter geht die Reise auf die British Virgin Islands. Auf der tropischen Insel wird der Miet- und Verkaufserlös in zwei Limited-Firmen geparkt und maximal-anonymisiert, bevor er an einen sogenannten Galilee Trust überwiesen wird. Über diesen Trust ist so wenig bekannt, dass sich nicht einmal feststellen lässt, in welchem Land er eingetragen wurde.

Nur soviel ist sicher: Bei der englisch-walisischen Wohltätigkeitskommission gibt es eine Notiz zu Galilee: Der Trust seit 1979 als wohltätige Organisation anerkannt worden. Sein Ziel: die christliche Religion zu fördern und das Evangelium von Christus zu verkünden. Halleluja. Dafür, so scheint es, sind am deutschen Fiskus vorbei geschleuste Mietzahlungen nötig. Doch die renditeorientierte Mission geriet zuletzt ins Stocken. 2004 hob die Behörde die Wohltätigkeitsbescheinigung auf. Aus unbekannten Gründen.

Über diesem Trust stehen noch drei weitere britische Holdings – alles in allem sind es zwölf Kapital-Weiterleitungs-Firmen – bevor das Mietgeld endlich sein letztes Ziel erreicht. Die Spes Bona Limited, auf Deutsch „Gute Hoffnung“, eingetragen auf den British Virgin Islands. Doch wer besitzt nun diese Spes Bona? Wer bekam die saarländischen Erlöse am Ende dieser langen Reise?

Mel Gibsons Kampfgefährten

Vielleicht sagt Ihnen der Film „Braveheart“ von und mit Mel Gibson etwas. Darin kämpft Ende des 13. Jahrhunderts der schottische Highlander William Wallace mit viel blauer Gesichtsbemalung und einigen örtlichen Provinzfürsten für die Unabhängigkeit vom expandierenden England. Mit dabei: der Gordon-Clan. 700 Jahre später haben sich die Erben dieses mächtigen Hauses der Verteidigung ihres Kapitals und der Rendite ihrer Investoren verschrieben.

Mit der Spes Bona Limited halten Mitglieder des schottischen Clans zusammen mit weiteren unbekannten Familien ein weitverzweigtes Immobilienportfolio in Großbritannien und Westeuropa. Das belegen Recherchen des Saarländischen Rundfunks und CORRECTIVs anhand von Dokumenten der Londoner Börse. Auch die saarländischen Mieten der Residential-Value-Mieter fließen letztendlich an die Nachfahren der William-Wallace-Streiter.

Zum Erbe der Familie aus Aberdeenshire gehört das Burgschloss „Gordon Castle“ in Moray und ein weiteres Schloss in Aboyne sowie weitere geschichtsträchtige Orte wie die Burgruine Huntly. Die Clanchefs tragen seit dem 14. Jahrhundert Adelstitel wie „Earls of Huntly“ und bis heute „Marquess of Huntly“. Das Familienwappen zeigt einen Hirschkopf, auf dem der Spruch „animo non astutia“ prangt. Auf Deutsch ließe sich das als „Mut, nicht Intrigen“ übersetzen. Den Anfragen von Journalisten stellten sich die Freischärler-Nachfahren allerdings nicht. Alle E-Mails und Anrufe blieben ohne Reaktion.

Ein neuer Investor aus den USA

Neben seinem Immobilienportfolio betätigt sich der Clan auch als Vermögensverwalter, das zeigen Dokumente aus den Panama Papers, die CORRECTIV mithilfe der internationalen Journalisten-Organisation ICIJ und der Süddeutschen Zeitung einsehen konnte. Die zentrale Firma für diesen Geschäftszweig ist die Novatrust Limited. Sie tritt als Treuhänder von vielen Family Offices und anderen anonymen Firmenhüllen auf. Wer hinter all diesen Firmen steckt, war für den Saarländischen Rundfunk und CORRECTIV nicht zu ermitteln. Auch wie groß das verwaltete Kapital ist, bleibt im Dunkeln. Alle Anfragen an das Konsortium blieben unbeantwortet.

Die Mieterinnen und Mieter im saarländischen Ottweiler hoffen nach dem Verkauf die tatsächlichen Eigentümer erreichen zu können und nicht nur die Hausverwaltung. Das könnte allerdings schwierig bleiben. Die Wohnungen gehören jetzt zu einem Fonds des US-Finanzinvestors KKR. Dieser lässt auf Anfrage von SR und CORRECTIV ausrichten, man hätte in den vergangenen Wochen 7.500 Wohneinheiten in Deutschland erworben. Jetzt würde man „sinnvolle Maßnahmen evaluieren“. Konkreter wird KKR nicht.

Das „Wem gehört die Stadt?“-Team

Neun Städte und ein ganzes Bundesland, mehrere tausend Bürger und hunderte Artikel. Bei der Schwarm-Recherche „Wem gehört die Stadt?“ kooperiert CORRECTIV mit lokalen Medien, um den Wohnungsmarkt mit Hilfe der Bürger transparenter zu machen.

Justus von Daniels (Leitung), Jonathan Sachse (Leitung & Recherche), Michel Penke (Recherche & Text), Gabriela Keller (Korrektorat), Luise Lange (Community), Katharina Späth (Community)

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