Projekt ZYTOK: Bottrop nicht geprüft
Nach Recherchen von CORRECTIV hat das Landeszentrum für Gesundheit bereits 2012 eine landesweite Prüfung von Zytoapotheken in NRW veranlasst. Ziel: Die Konzentrationen von Krebsmittelzubereitungen sollte kontrolliert werden. Die Alte Apotheke aus Bottrop entging aber dieser Kontrolle. Es lagen angeblich „datenschutzrechtliche Bedenken“ vor, sagt die Stadt.
Die Verteidiger von Peter Stadtmann, des Bottroper Apothekers, der sich vor dem Landgericht Essen wegen gepanschter Krebsmittel verantworten muss, greifen tief in die Trickkiste. Schwarzhandel, Fakeretouren und alte Lagerbestände sollen die Ungereimtheiten in der Buchhaltung der Alten Apotheke erklären. Den Ergebnissen der Razzia, die die Beweise lieferten, dass der Bottroper Apotheker verdünnte Krebstherapien, teils sogar reine Kochsalzlösungen auslieferte, begegnen die Anwälte noch dreister: Es gebe überhaupt keine geeigneten Analysen für Krebstherapien, sogenannte Zytostatika, sagen sie. Unsere Recherchen belegen aber: Ihre Behauptung ist nicht haltbar.
Das Landeszentrum für Gesundheit in NRW (LZG) hat sehr wohl Erfahrung mit der Analyse von Zytostatika. 2012 untersuchten Wissenschaftler des LZG fast 200 Krebszubereitungen aus Zytoapotheken in NRW. Das Landeszentrum habe 2012 dafür bei knapp 100 Apotheken, „welche patientenindividuelle Zytostatikarezepturen in NRW herstellen“, Proben ziehen lassen, sagt ein Sprecher. Die Alte Apotheke war damals allerdings nicht dabei.
Einmalig in Deutschland
Die Kontrollaktion trug den Namen „Projekt Zytok“ und ist bisher einmalig in der Bundesrepublik. Die unzureichende Kontrollen der Zytoapotheken ist nach der Verhaftung des Apothekers Stadtmann ein zentraler Kritikpunkt der Betroffenen. Unangemeldete Kontrollen finden so gut wie nicht statt, und wenn, dann schaut sich mal ein Amtsapotheker die Labore eines Zytoapotheker an. Amtsapotheker nennen das „Begehungen“. Infusionen werden dabei nicht geprüft. Das Landeszentrum war mit dem Projekt Zytok ein Pionier bei der Kontrolle von Zytoapotheken.
„Das Augenmerk lag auf einem möglichst flächendeckenden und zahlenmäßig repräsentativen Probenzug in Nordrhein-Westfalen“, sagt der Sprecher des Landeszentrum. Das Ziel dieser Kontrolle sei es gewesen, „den Wirkstoffgehalt als auch die mikrobiologische Beschaffenheit der Zubereitungen in diesem Probenzug kontrollieren zu können.“ Also es ging genau darum, was derzeit im Prozess gegen Peter Stadtmann verhandelt wird.
Die Stadt Bottrop sieht das nicht so: „Aufbau und Durchführung des Projektes Zytok lassen erkennen, dass es primär nicht darum ging, vorsätzliche oder fahrlässige Minderdosierungen von Zytostatika-Dosierungen festzustellen“, sagt ein Sprecher der Stadt. „Es ging vielmehr um eine Analyse, ob Parenteralia in öffentlichen und Krankenhausapotheken adäquat und hygienisch einwandfrei hergestellt werden können.“ Bottrop weigerte sich 2012 zusammen mit Gelsenkirchen und Recklinghausen am Projekt Zytok teilzunehmen.
Unangemeldeter Probeentzug
2012 sollten bei der Prüfaktion aus jeder Apotheke „zwei 5-Fluorouracil-Zubereitungen gezogen werden“, sagt der Sprecher des Landeszentrums. Man habe sich für diesen Wirkstoff entschieden, da er von allen Zytoapotheken zubereitet würde.
Es gibt wohl noch einen Grund. Das Mittel ist ein Billigheimer unter den Krebsmitteln. Es stammt schon aus dem Jahr 1962 und wird bei Brustkrebs oder Darmkrebs verschrieben. Eine Lösung mit 55 Milligramm Fluoroucacil kostet knapp 40 Euro.
„Der Probenentzug sollte möglichst unangemeldet erfolgen“, sagt der LZG-Sprecher. Projekt Zytok war ein Erfolg. Es gab keine Beanstandung bei den untersuchten Apotheken. Allerdings wurden auch nicht alle Apotheken kontrolliert.
Bottrop war nicht dabei
Die jeweiligen Gesundheitsämter konnten entscheiden, ob ihre Apotheken dabei sind oder nicht. Knapp 40 Zytokapotheken in NRW blieb die Prüfung erspart. Darunter war auch die Alte Apotheke in Bottrop. Im Prozess vor dem Landgericht Essen wird nun dem Apotheker aus Bottrop vorgeworfen, zwischen 2012 und 2016 über 60.000 Krebsinfusionen gestreckt und einen Schaden von über 56 Millionen Euro angerichtet zu haben. Hätte Projekt Zytok bereits 2012 die Panschereien des Bottroper Apothekers aufliegen lassen können?
In der Alten Apotheke wurden keine Proben gezogen – „aus datenschutzrechtlichen Bedenken“, sagt der Sprecher der Stadt Bottrop. Hat der Apotheker Peter Stadtmann, der enge Verbindungen zur Stadtspitze genoss, auf den Entscheidungsprozess eingewirkt? „Eine Beteiligung von Herrn Peter Stadtmann an der Entscheidungsfindung, ob an diesem Projekt teilgenommen werden soll oder nicht, ist nicht bekannt“, sagt der Stadtsprecher. Definitiv ausschließen kann er es nicht.
Die Anwälte von Peter Stadtmann ließen die Frage unbeantwortet.
Datenschutz versus Kontrolle
Die Begründung aus „datenschutzrechtlichen Bedenken“, nicht an dem Projekt Zytok teilzunehmen, überrascht Apotheker und Verbände. Ein Sprecher des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apotheker/innen sagt: Sie hätten das Projekt Zytok ausdrücklich begrüßt. Und in Düsseldorf zum Beispiel hatte das Gesundheitsamt keine „datenschutzrechtliche Bedenken gegen die Durchführung des Projekts Zytok“, sagt ein Sprecher der Landeshauptstadt.
So wurden auch in dem Zytolabor des Düsseldorfer Apothekers Gregor Müller die Proben für das Projekt Zytok gezogen. Müller belieferte unter anderem den Brustkrebsspezialisten Mahdi Rezai mit Zytostatika, bis Peter Stadtmann die Versorgung der Patientinnen von Rezai übernahm. Müller fand das Projekt Zytok „wichtig“, „datenschutzrechtliche Bedenken“ sehe er keine.
2012 hatte das LZG aber keine Chancen, zwei Infusionen mit 5-Fluorouracil aus der Alten Apotheke in Bottrop zu untersuchen. Das geschah erst nach der Razzia im November 2016. Unter den sichergestellten Infusionen waren auch Zubereitungen mit diesem Wirkstoff, und bei zweien stellte das Landeszentrum für Gesundheit einen Mindergehalt fest.
Das zentrale Beweismittel
Die Untersuchung der Infusionen aus der Alten Apotheke durch das Paul-Ehrlich-Institut und das Landeszentrum für Gesundheit ist ein zentrales Beweismittel im Prozess des Landgerichts Essen gegen den Apotheker Peter Stadtmann. Ermittler beschlagnahmten 117 Infusionen und Spritzen bei der Razzia im November 2016. 66 Infusionen wiesen nach Überprüfung durch die Institute eine geringere Konzentration auf. Unter den beschlagnahmten Zubereitungen waren auch 29 sehr teure Antikörpertheraphien, die das PEI analysierte, davon waren 28 unterdosiert.
Die Verteidiger von Stadtmann behaupten, es gebe keine Methode zur Untersuchung von Zytostatika. Beide Institute hätten Neuland betreten und damit seien die Untersuchungsergebnisse nicht beweiskräftig. Sie stützen sich dabei auf das Gutachten von Fritz Sörgel, Professor des Instituts für biomedizinische Studien und Pharmazeutische Forschung aus Nürnberg. Das Projekt Zytok spricht dagegen.
Sörgel kritisiert außerdem Lücken in der Analyse-Dokumentation. Die Anwälte von Stadtmann bezweifeln darüber hinaus die Kompetenz des Apothekers Christoph Luchte vom LZG. Luchte hatte die Razzia in der Alten Apotheke begleitet und wertete als Sachverständiger die Untersuchungen aus. Er soll am Montag, den 20.11.2017, im Prozess in Essen als Zeuge und Sachverständiger aussagen.