„Weckruf“ von „Kla.tv“ über angebliche Schäden nach Corona-Impfungen führt in die Irre
Die Internetseite „Kla.tv“ behauptet, Tausende würden nach der Corona-Impfung sterben. In einem Video werden Daten über die Impfstoffe verbreitet, die jedoch irreführend dargestellt werden, um Ängste zu schüren.
„Dringender Weckruf: Tausende sterben nach Corona-Impfung“: Mit dieser Schlagzeile verbreitet die Internetseite Kla.tv („Klagemauer.tv“) ein fast 30 Minuten langes Video, in dem behauptet wird, die Impfstoffe seien nicht sicher. Ein Sprecher zieht darin vermeintlich „Bilanz“ auf Grundlage von „Zahlen und Fakten aus Tageszeitungsberichten“ und Daten der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA). Doch die genannten Daten belegen seine Aussagen nicht. In dem Video werden mit spekulativen Äußerungen Ängste geschürt.
Obwohl sich der Moderator anfangs auf eine lange Liste von Medienberichten über Todesfälle nach Impfungen bezieht, behauptet er später, „die Medien“ würden solche Informationen „zensieren“. „Oberste Priorität“ sei darum, das Video von Kla.tv möglichst weit zu verbreiten.
Der Aufruf zeigte offenbar auch Wirkung: Geteilt wurde das Video laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 6.300 Mal auf Facebook; Anfang Mai wurde der Beitrag zusätzlich auf Telegram veröffentlicht und dort mehr als 780.000 Mal gesehen (Stand: 12. Mai).
Wir haben die im Video von Kla.tv genannten Behauptungen überprüft. Die Daten werden im falschen Kontext dargestellt, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind falsch. Die aktuell in Deutschland erhältlichen Impfstoffe gelten als sicher und wirksam gegen Covid-19. Es gibt keine Belege, dass „tausende Tote“ auf die Impfungen zurückzuführen seien.
Kla.tv zieht irreführende „Bilanz“ zur Corona-Impfung
„Wie sieht die Bilanz nach etwa drei Monaten Corona-Impfungen tatsächlich aus?“, fragt der Moderator am Anfang des Videos, das in drei Teile gegliedert ist. Der erste Teil dreht sich um „Todesfälle nach Corona-Impfungen“. Danach wird spekuliert, warum niemand die Impfungen stoppe, und im dritten Teil fordert der Moderator dazu auf, Verantwortliche zu kontaktieren, vermeintliche „Impfschäden“ zu melden sowie das Video zu verbreiten.
Die Kernbehauptungen stellt Kla.tv im ersten Teil auf. Sie lauten zusammengefasst:
- Aufgrund der Häufung von Todesfällen sei es „völlig abwegig, den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Impfungen und den Todesfällen abzustreiten“.
- Impfungen hätten Corona-Erkrankungen nicht verhindern können und „vermutlich sogar ausgelöst“.
- Die Impfstoffe seien bei so einer schnellen Zulassung nicht sicher.
Der Moderator suggeriert, dass Menschen wegen der Impfung an Covid-19 erkrankt oder gestorben seien. Die Daten, die er verwendet, passen aber nicht zu der Schlussfolgerung.
1. Behauptung: Es sei „völlig abwegig“, den ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfungen und Todesfällen abzustreiten
Wir haben uns die Tabellen und Schaubilder angesehen, auf die sich der Moderator im Video bezieht. Es handelt sich um mehrere Listen von Todes- und Infektionsfällen nach einer Impfung. Quellen dafür sind Berichte von deutschen Regionalmedien wie dem Kölner Stadtanzeiger über Corona-Todesfälle in Pflegeheimen, aber auch Texte von Internetseiten wie Wochenblick oder Corona Transition, die bereits mehrfach Falschinformationen verbreitet haben.
Zudem zeigt Kla.tv Daten der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA), des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) sowie der US-Gesundheitsbehörde CDC zu Nebenwirkungen von Impfungen.
Diese Daten dokumentieren Todes- und Krankheitsfälle, die aufgetreten sind, nachdem jemand eine Corona-Impfung erhalten hat. Ein ursächlicher Zusammenhang wurde in diesen Fällen aber nicht nachgewiesen – es sind Verdachtsfälle.
Daten von EMA, PEI und CDC zeigen Verdachtsfälle von Nebenwirkungen
In der Datenbank der EMA werden Verdachtsfallmeldungen über Nebenwirkungen („unerwünschte Reaktionen“) im Europäischen Wirtschaftsraum zentral gesammelt. Zahlen über Todesfälle nach Covid-19-Impfungen gehen daraus jedoch gar nicht hervor, wie wir bereits in einem Faktencheck erklärt haben. Eintragungen in dieser Datenbank können zudem fehlerhaft sein: Bei einem weiteren Faktencheck fanden wir heraus, dass laut EMA in zwei Fällen ein falsches Alter eingetragen wurde.
Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlicht selbst regelmäßig Daten über mögliche Verdachtsfälle in den sogenannten Sicherheitsberichten. Über eine deutsche Online-Plattform kann jede Person gesundheitliche Ereignisse nach einer Covid-19-Impfung melden. Diese Meldungen werden erfasst, bewertet und dann an die EMA weitergeleitet, erklärte uns Susanne Stöcker, Pressesprecherin des PEI.
In der folgenden Abbildung des Pharmaindex „Gelbe Liste“ sind die laut PEI-Sicherheitsbericht am häufigsten gemeldeten unerwünschten Reaktionen nach prozentualer Häufigkeit aufgeführt (Zeitraum 27.12.2020 bis 02.04.2021):
Kla.tv bezieht sich in dem Video nur auf die absolute Zahl möglicher Nebenwirkungen und verschweigt, dass es sich bei dem Großteil um lokale Reaktionen oder typische Impfreaktionen wie Fieber handelt.
Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC sammelt nach eigenen Angaben „nicht verifizierte Berichte“ in der VAERS-Datenbank (Vaccine Adverse Event Reporting System). Berichte kann dort jeder Bürger elektronisch einreichen, wie wir in einem Faktencheck berichteten. Eine Anekdote aus den USA zeigt, wie diese Daten einzuordnen sind: Im Jahr 2005 reichte der Anästhesist James Laidler einen Bericht in VAERS ein. Laidler schrieb, dass er nach seiner jährlichen Grippeimpfung Muskeln bekam, seine Haut grün wurde und er sich in den „Unglaublichen Hulk“, eine Comicfigur, verwandelte. Dieser Eintrag wurde in der VAERS-Datenbank veröffentlicht, wie Laidler den Faktencheckern von PolitiFact bestätigte.
Zwischenfazit: Auf Grundlage der Datenbanken von EMA und CDC lässt sich kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen und Todesfällen belegen. Es kam zu einzelnen Todesfällen durch Hirnvenenthrombosen – laut Paul-Ehrlich-Institut starben in Deutschland 14 Menschen an Thrombosen in Verbindung mit Thrombozytopenie (Blutplättchenmangel) nach einer Impfung mit Astrazeneca (Stand 7. Mai). Wegen dieser seltenen Nebenwirkung empfiehlt die Ständige Impfkommission den Impfstoff nur noch für ältere Menschen. Für die „tausenden“ Todesfälle, die Kla.tv behauptet, gibt es keine Belege.
2. Behauptung: Impfungen hätten Corona-Erkrankungen nicht verhindern können und „vermutlich sogar ausgelöst“
Es kann trotz einer Corona-Impfung zu einer Covid-19-Erkrankung kommen. Dafür gibt es laut RKI drei mögliche Gründe:
- Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gelten zwar als hochwirksam, doch sie bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Es kann dennoch zu einer Infektion kommen, die in der Regel aber milder verläuft.
- Wenn die Infektion schon kurz vor der Impfung stattgefunden hat, kann die Impfung nicht davor schützen.
- Wer sich in den ersten Tagen nach der Impfung infiziert, kann krank werden, weil der Impfschutz in der Regel erst 10 bis 14 Tage nach der ersten Impfstoffdosis eintritt.
So kann es zu den Corona-Fällen in Pflegeheimen kommen, auf die sich Kla.tv im Video bezieht. Das RKI schreibt aber auch, dass „in der Regel geimpfte Personen nur leichte Symptome der Covid-19-Erkrankung aufwiesen oder häufig gänzlich symptomlos blieben“.
Wie wirksam eine Corona-Impfung ist, hängt vom Einzelfall ab, wie mehrere Studien zeigen. Eine Studie aus Großbritannien ergab, dass bereits die erste Impfung das Risiko einer Corona-Infektion um etwa zwei Drittel senken könne – sowohl beim Impfstoff von Astrazeneca als auch bei der Biontech-Impfung. Die Zahl symptomatischer Infektionen, also Covid-19-Erkrankungen, sei demnach um 72 Prozent gesunken. Zwei andere Studien zeigen laut der Pharmazeutischen Zeitung aber auch, dass sich vollständig Geimpfte in seltenen Fällen neu mit Corona infizieren könnten.
Dass eine Covid-19-Impfung angeblich selbst Covid-19 auslösen kann, ist falsch. Dazu haben wir in einem anderen Faktencheck ausführlich recherchiert.
Zwischenfazit: Covid-19-Impfungen können die Krankheit laut wissenschaftlichen Studien nicht zu 100 Prozent verhindern, bieten aber einen wirksamen Schutz vor schweren Erkrankungen. Eine Corona-Infektion auslösen können die Impfstoffe nicht, da sie das Virus nicht enthalten.
3. Behauptung: Die Impfstoffe seien nicht sicher
Zuständig für die Zulassung von Corona-Impfstoffen in Europa sind die EMA und die Europäische Kommission. Die EU-Kommission schreibt dazu auf ihrer Webseite: „In solchen Notsituationen ist das Verfahren für die bedingte Marktzulassung speziell so konzipiert, dass Marktzulassungen so schnell wie möglich erteilt werden, sobald ausreichende Daten vorliegen.“
Entscheidend für eine solche Beschleunigung seien fortlaufende Überprüfungen, die es der EMA ermöglichen, Daten zu den Impfstoffen zu bewerten, sobald sie verfügbar werden, anstatt abzuwarten, bis alle Versuche abgeschlossen sind. An den Grundsätzen von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit ändere sich jedoch nichts.
Langzeitbeobachtungen zu diesen Impfstoffen existieren natürlich noch nicht. Fakt ist jedoch, dass sie nach den geltenden Kriterien entwickelt und mit tausenden Freiwilligen geprüft wurden, wie wir bereits hier berichteten.
In Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Zulassung von Impfstoffen zuständig. Es schreibt zur Beschleunigung des Verfahrens auf seiner Webseite, die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Impfstoffe sei enger gewesen, und man habe die Prozesse effizienter gestaltet, „ohne Abstriche bei der Sorgfalt zu machen“. Das habe unter anderem „zu deutlichen Optimierungen der Verfahrensabläufe und einem Zeitgewinn bei der Entwicklung geführt.“ So seien Daten bereits parallel zu den klinischen Studien von der EMA ausgewertet worden („Rolling-Review-Verfahren“).
Wie funktioniert die Zulassung von Corona-Impfstoffen?
Bei der Entwicklung von Impfstoffen gibt es stets drei Phasen von klinischen Studien, bei denen sie an Menschen erprobt werden. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erklärt dies so: Nach Labor- und Tierversuchen geht es in Phase 1: Die Verträglichkeit des Impfstoffs wird an zehn bis 30 gesunden, erwachsenen Menschen getestet. In Phase 2 wird er dann an einer größeren Gruppe (50 bis teilweise mehr als 1.000 Erwachsene) erprobt, um die richtige Dosierung zu finden. In Phase 3 wird der Impfstoff dann zehntausenden Personen verabreicht, unter denen teilweise auch ältere Menschen sind.
Bei den vier Corona-Impfstoffen, die aktuell in der EU zugelassen sind, wurden jeweils alle drei Phasen durchgeführt (Biontech, Astrazeneca, Moderna, Johnson & Johnson).
Fazit: In dem Video von Kla.tv wird viel behauptet, Belege liefert der Bericht jedoch nicht. Es werden stattdessen unbelegte Behauptungen reproduziert und Kontext ausgelassen.
Hinter Kla.tv steckt die Sekte OCG
Gründer von Kla.tv ist laut der Webseite der Schweizer Ivo Sasek, der laut Medienberichten die Sekte „Organische Christus-Generation“ (OCG) anführt. Belltower News und der Standard berichteten von antisemitischen Tendenzen innerhalb der Sekte.
Die Bundesregierung berichtete über ihre Kenntnisse über die OCG in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion „Die Linke“ im Juni 2020. Darin hieß es, „dass die OCG und ihr Gründer insbesondere Verschwörungsmythen verbreiten mit Tendenzen zu Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus sowie Holocaustleugnung“. Nach ihrer Einschätzung liege bei der OCG „ein eher sektenartiger Charakter zugrunde“.
Laut dem Verein „Sekteninfo NRW“ inszeniert sich Ivo Sasek zum „religiösen und gesellschaftlichen Heilsvermittler“. Der Verein kritisierte vor allem die offenbar harten Erziehungsmethoden, die bei der OCG gepredigt werden. Im Februar dieses Jahres berichtete Saseks Sohn Simon in einem Youtube-Video von einem „totalitären System“ und bot Menschen, die aus der Sekte aussteigen wollen, seine Hilfe an.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Datenbank der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA): Link
- Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI): Link
- Datenbank des US-amerikanischen Center for Disease Control (CDC): Link
- Vergleich der Corona-Impfstoffe beim Pharmaindex „Gelbe Liste“: Link
- Epidemiologisches Bulletin des Robert-Koch-Instituts (22. April): Link
- RKI zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe: Link
Fragen und Antworten zur bedingten Marktzulassung für Covid-19-Impfstoffe in der EU: Link