Das Video „Die Pandemie in Rohdaten“ lässt Kontext aus und führt so in die Irre
In einem viralen Video stellt ein Mann die Existenz der Corona-Pandemie infrage. Er analysiert unter anderem Daten zu Sterbefällen und Intensivbetten und behauptet, darin sei keine Pandemie erkennbar. Mehrfach interpretiert er jedoch die Daten irreführend und lässt wesentlichen Kontext aus.
Viele Leserinnen und Leser haben uns Hinweise auf ein Video geschickt, in dem die Corona-Pandemie relativiert wird. Darin behauptet ein Mann namens Marcel B., die Daten über Sterblichkeit und Intensivbetten im Jahr 2020 ließen keine Pandemie erkennen und die auf PCR-Tests beruhenden Infektionszahlen seien unbrauchbar. Zudem habe die Corona-Impfung mehr Nebenwirkungen als Nutzen. Unser Faktencheck ergab: B. interpretiert die Daten auf irreführende Art und lässt Kontext aus.
Richtig ist: Die Corona-Pandemie in Deutschland ist in den Sterbezahlen im Jahr 2020 kaum sichtbar, wenn man das ganze Jahr betrachtet. Es gab jedoch eine Phase starker Übersterblichkeit am Ende des Jahres. Die Zahl der belegten Intensivbetten blieb relativ konstant. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Pandemie gibt. Es zeigt lediglich, dass es – anders als in anderen Ländern – nicht zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems gekommen ist. Krankenhäuser haben andere Behandlungen aufgeschoben, um Platz für Corona-Fälle zu schaffen. PCR-Tests weisen Infektionen mit SARS-CoV-2 nach – sie dienen dazu, die Ausbreitung des Virus zu verfolgen, um Maßnahmen zur Eindämmung treffen zu können.
Wir haben uns für unseren Faktencheck Marcel B.s Hauptaussagen im Video einzeln angesehen und überprüft. Wir schrieben B. auch eine Anfrage dazu. Er veröffentlichte unsere E-Mail inklusive der Telefonnummer. Auf unsere Bitte hin löschte er sie wieder, dennoch erhielt unsere Autorin anschließend mehrere Hassbotschaften und Drohungen.
Erstes Thema im Video: Übersterblichkeit
Als erstes Thema im Video (ab Minute 10:05) widmet sich B. den Sterbefalldaten in Deutschland im Jahr 2020 vom Statistischen Bundesamt (Destatis). Er vergleicht 2020 mit den Jahren davor, um herauszufinden, ob die Pandemie zu mehr Todesfällen geführt hat.
B. benutzt dafür die prozentualen Sterbequoten in verschiedenen Altersgruppen. Er kommt zu dem Ergebnis (ab Minute 22), dass das Jahr 2020 in keiner Altersgruppe das Jahr mit der höchsten Sterbequote war, im Vergleich mit den Jahren seit 2012.
Seine Rechnungsweise ist ähnlich wie die, die der Youtuber Samuel Eckert Anfang des Jahres verwendet hat. Wie auch Eckert argumentiert Marcel B., dass die Daten keine Pandemie zeigen würden. Wir haben diese Argumentation bereits im März in einem Faktencheck überprüft. Felix zur Nieden, ein Sprecher des Statistischen Bundesamts, widersprach den Argumenten damals und betonte, es müssten saisonale Entwicklungen verglichen werden.
Unterschied: Saisonale Übersterblichkeit vs. Jahresvergleich
Dazu muss man wissen: Beim Thema Sterblichkeit kann man sich entweder das ganze Jahr ansehen (wie Marcel B.), oder man vergleicht kürzere Zeiträume (wie es das Statistische Bundesamt es in seiner Sonderauswertung zu den Sterbefällen 2020/2021 macht). Beides ist zulässig, aber die Aussagekraft ist unterschiedlich. Marcel B. schreibt uns auf unsere Anfrage per E-Mail, er sei der Ansicht, dass Jahresvergleiche aussagekräftig seien. Kürzere Phasen der Übersterblichkeit seien seiner Ansicht nach „Ausreißer“.
Das Destatis argumentiert in einer E-Mail uns gegenüber, dass Marcel B. den Jahresverlauf der Sterbefälle völlig missachte. Die Betrachtung des ganzen Jahres bringe verschiedene Effekte zusammen und sei daher „nicht ausreichend“. Dadurch mischen sich zum Beispiel auch die Effekte der milden Grippewelle in die Sterbefallstatistik. Das RKI bezeichnet die Grippewelle 2020 als „auffällig“ verkürzt, wozu die Corona-Maßnahmen „erheblich beigetragen haben dürfen“.
Die Destatis-Sprecherin schreibt uns weiter: Auch wenn es kein einheitliches Konzept zur Messung von Übersterblichkeit gebe, bestehe „in Fachkreisen Einigkeit darüber, dass es um die Frage geht, ob die Sterblichkeit in einem Zeitraum höher ist, als sie üblicherweise zu erwarten ist. Bei einer Betrachtung auf Wochenbasis wird sehr deutlich, dass sich Corona auf die Sterbefallzahlen ausgewirkt hat.“
Das Argument des Statistischen Bundesamtes ist also: Da die Corona-Sterbefälle nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt sind, sondern in kürzeren Wellen auftreten, muss man kürzere Zeiträume vergleichen, um die Effekte der Corona-Pandemie analysieren zu können. Das Statistische Bundesamt vergleicht die Zahlen daher nach Wochen und Monaten (hier geht es zur Auswertung). „Im Dezember lag die Zahl der Gestorbenen 32 Prozent über dem mittleren Wert der Vorjahre“, schreibt das Destatis.
Auch in der „Human mortality database“ (HMD) von Forschenden des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung und der University of California werden die Sterbezahlen auf Wochenbasis verglichen – in verschiedenen Altersgruppen. Der Vorwurf von B., das Statistische Bundesamt analysiere die Sterbezahlen nicht nach Altersgruppen, trifft hier also nicht zu.
Abweichungen nach oben vom wochenspezifischen Durchschnitt der Vorjahre (2010 bis 2019) werden in der HMD als Exzess-Mortalität (Übersterblichkeit) bezeichnet. Es zeigt sich: Je älter die Gruppe, desto stärker ausgeprägt ist die Übersterblichkeit am Ende des Jahres 2020. Die Phase reicht etwa von der 45. Kalenderwoche (Anfang November) bis zum Jahresende. Das ist genau der Zeitraum, in dem in Deutschland die Corona-Todesfälle am stärksten gestiegen sind.
In allen Altersgruppen gab es über das Jahr verteilt laut HMD aber auch Phasen, in denen die Sterberaten unter dem Durchschnitt lagen. Das erklärt, weshalb sich diese Effekte gegenseitig teils ausgleichen können, wenn man das ganze Jahr betrachtet.
Ähnlich berechnet auch das europäische Projekt Euromomo die Sterblichkeit in vielen europäischen Ländern. In vielen Ländern sind für 2020 Phasen mit sehr starker Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren sichtbar, zum Beispiel Spanien oder Großbritannien. Euromomo analysiert die Daten ebenfalls separat nach Altersgruppen.
An den Sterbezahlen in Deutschland könne man nicht sehen, „was passiert wäre, wenn die Politik keine oder weniger Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus getroffen hätte und es keine Verhaltensänderungen gegeben hätte“, schreibt uns die Sprecherin des Statistischen Bundesamtes per E-Mail. „Wir sehen nur, was tatsächlich passiert ist, trotz all der Maßnahmen, die ja gerade zum Ziel hatten, zusätzliche Todesfälle zu verhindern.“ Auch andere Infektionskrankheiten wie die Grippe seien durch die Maßnahmen verringert worden (wie das RKI schreibt, war die Grippesaison 2020 wesentlich kürzer und 2021 fiel die Grippewelle ganz aus). Solche Abweichungen von den Vorjahren haben ebenfalls einen Effekt auf die Gesamt-Sterbefälle.
Marcel B. berücksichtigt Lebenserwartung nicht
B. sagt in seinem Video außerdem, die gestiegene Lebenserwartung könne er bei seiner Analyse ignorieren. Das sieht das Statistische Bundesamt anders. „Die Lebenserwartung spielt natürlich eine Rolle zur Einordnung der Zahlen und kann nicht einfach durch bloße Nennung ausgeklammert werden“, schreibt uns die Sprecherin. „Es gibt einen langjährigen Trend des Anstiegs der Lebenserwartung, der bei der Beurteilung aktuellen Entwicklung zu berücksichtigen ist.“
Die Lebenserwartung in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an. Betrachtet werden immer 3-Jahres-Zeiträume. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Lebenserwartung im Zeitraum 2018 bis 2020 weiter steigt. Felix zur Nieden wies bereits uns für unseren Faktencheck im März darauf hin, dass es ein Rückschritt sei, „wenn die Lebenserwartung aus irgendeinem Grund nicht weiter ansteigt“.
Tatsächlich sieht das Statistische Bundesamt hier Auswirkungen der Pandemie: Es hat im Juli 2021 eine Pressemitteilung für den Zeitraum 2018 bis 2020 herausgegeben, in der erklärt wird, dass die Lebenserwartung für Neugeborene und ältere Menschen in Deutschland nahezu stagniere; sie sei wesentlich weniger stark gestiegen als in den Jahren davor. Hauptgrund seien die „außergewöhnlich hohen Sterbefallzahlen zum Jahresende 2020 im Zuge der zweiten Welle der Corona-Pandemie“. In einigen Bundesländern, wie Sachsen, sei die Lebenserwartung gesunken.
„Aufgrund des zunehmenden Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung wird derzeit von Jahr zu Jahr mit einer steigenden Zahl der Sterbefälle in Deutschland gerechnet“, schreibt das Bundesamt weiter. „Von 2019 auf 2020 ist sie um etwa 46.000 Fälle angestiegen. Davon ist jedoch laut den nun vorliegenden endgültigen Daten weniger als die Hälfte, nämlich etwa 20.000 Fälle, durch den höheren Anteil älterer Menschen zu erklären.“
Vergleich mit Schweden belegt nicht, dass es keine Pandemie gäbe
Marcel B. räumt am Ende seiner Analyse ein (ab Minute 24:30), die Corona-Maßnahmen könnten dazu geführt haben, dass die Pandemie in Deutschland nicht zu einem extremen Anstieg der Todesfälle führte. Gleich darauf will er jedoch dieses Argument wieder entkräften, indem er dieselbe Analyse nochmal für Schweden macht. Schweden habe „viel weniger Maßnahmen“ gehabt, behauptet er, und auch dort sei angeblich 2020 kein auffälliges Jahr gewesen. Dass seine Tabelle tatsächlich 2020 als das tödlichste Jahr seit 2012 in der Altersgruppe der Über-90-Jährigen in Schweden ausweist, sagt B. zwar, geht aber nicht näher darauf ein.
Zudem ist seine Aussage über „viel weniger Maßnahmen“ in Schweden vage, Belege nennt er nicht. Auch in Schweden wurde das öffentliche Leben eingeschränkt. Es gab zwar keinen „Lockdown“, aber Auflagen für private Treffen und Restaurants. Es gab Fernunterricht an Schulen und Versammlungen mit mehr als 50 Personen wurden verboten. Mit steigenden Corona-Zahlen wurden gegen Ende 2020 an vielen Orten auch zusätzliche Maßnahmen beschlossen, zum Beispiel durfte man sich dann nur noch mit Angehörigen des eigenen Haushalts treffen.
Insgesamt verlief die Corona-Pandemie in Schweden ab dem Sommer 2020 ähnlich wie in Deutschland, während der ersten Welle waren die Sterbezahlen jedoch deutlich höher. Ein Beweis, dass es keine Pandemie gäbe oder Corona-Maßnahmen nicht nötig seien, ist der Ländervergleich nicht.
Studie berechnet Übersterblichkeit in Deutschland, Schweden und Spanien
Es gibt auch eine neue Studie aus Deutschland zur Sterblichkeit 2020 in Deutschland, Schweden und Spanien. Sie wurde am 3. August 2021 in der Online-Fachzeitschrift Plos One veröffentlicht und basiert auf Daten von Eurostat, dem Statistikamt der Europäischen Union. Zur Berechnung der Übersterblichkeit nahmen die Forschenden einmal den Wochendurchschnitt der Sterbefälle von 2016 bis 2019 als Referenz, und einmal berücksichtigten sie zusätzlich die über die Jahre gestiegene Lebenserwartung.
Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es 2020 in Deutschland nach beiden Modellen insgesamt kaum eine Übersterblichkeit gegeben habe. In Schweden lag die Übersterblichkeit aber bei drei Prozent – und bei acht Prozent, wenn der Anstieg der Lebenserwartung einbezogen wird. In Spanien lag die Übersterblichkeit in beiden Modellen bei rund 15 Prozent.
Auch das Statistische Bundesamt weist darauf hin, dass es in anderen Ländern 2020 größere Effekte auf die Sterblichkeit gegeben habe als in Deutschland. „Daten solcher Länder werden im Video nicht näher betrachtet, aber eine Schlussfolgerung für alle gezogen. Das ist keine saubere Vorgehensweise“, schreibt uns die Sprecherin. Sie verweist uns außerdem auf eine andere Studie von August 2021, die bisher allerdings nur als nicht abschließend geprüftes Preprint erschienen ist. Sie untersucht die Auswirkungen von Covid-19 auf die Lebenserwartung in 29 Ländern und kommt zu dem Schluss, dass die Pandemie den positiven Trend in der Entwicklung der Lebenserwartung in vielen Ländern umgekehrt habe.
Auf unsere Frage, warum er in seinem Video keine anderen Länder erwähne, die von der Pandemie stärker betroffen waren, schreibt Marcel B., das könnte man zwar tun, sei aber ein „anderes Thema“.
Zwischenfazit: Dass die Pandemie in Deutschland in den Sterbezahlen des ganzen Jahres kaum sichtbar ist und es auf das ganze Jahr gesehen nicht zu einer starken Übersterblichkeit kam, bedeutet nicht, dass es keine Pandemie gibt. Es bedeutet lediglich, dass Deutschland von der Pandemie nicht so hart getroffen wurde. Eine mögliche Erklärung sind die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, die laut RKI auch zu einer auffällig verkürzten Grippesaison 2020 geführt haben.
Zweites Thema im Video: Intensivbetten
Ab Minute 29:45 beschäftigt sich B. mit der Belegung von Intensivbetten in den Krankenhäusern während der Corona-Pandemie. Er vergleicht zuerst die Tagesdaten aus dem Divi-Intensivregister vom 12. November 2020 und vom 10. August 2021. Auf Grundlage dieser Daten habe er die Auslastung danach berechnet, wie viele der insgesamt verfügbaren Intensivbetten gerade belegt seien. Der Vergleich zeige zunächst, dass die Auslastung in den meisten Krankenhäusern zugenommen habe, sagt er – ihm seien aber Widersprüche aufgefallen:
- Die Zahl der belegten Intensivbetten sei während der Coronawellen relativ konstant geblieben.
- Die Auslastung der Intensivbetten sei gestiegen, weil 6.000 verfügbare Betten abgebaut worden seien. Krankenhäuser würden von hoher Auslastung profitieren.
Die Divi-Daten würden also keine Pandemie zeigen, schlussfolgert Marcel B. Wir haben ähnliche Behauptungen über Intensivbetten bereits in mehreren Faktenchecks überprüft – mit dem Ergebnis, dass sie irreführend und teils falsch waren. Unser Faktencheck von B.’s Annahmen führt zu einem ähnlichen Ergebnis – er lässt wichtigen Kontext aus und zieht falsche Schlussfolgerungen.
Das Divi-Intensivregister dient als Orientierungshilfe für Fachpersonal auf Intensivstationen, nicht der Messung der Pandemie
Für zeitliche Vergleiche, wie B. sie anstellt, sind die Divi-Daten wenig geeignet. Das Intensivregister gibt es erst seit Ende März 2020 und die Erfassungsmethode wurde seitdem verändert.
„Das Intensivregister ist aufgebaut worden, damit es den einzelnen Ärzten Überblick gibt“, sagte uns Divi-Sprecherin Nina Meckel am Telefon. „Wenn in meiner Klinik alle Betten belegt sind, kriege ich meinen Patienten jetzt noch zum Nachbarn verschoben?“ Solche Fragen helfe das Divi-Register zu klären, damit beispielsweise ein Arzt abschätzen könne, ob eine Verlegung möglich sei oder nicht. „Ich kann damit keine Pandemie darstellen,“, sagt Meckel.
Die Daten im Divi-Register sind auch nicht perfekt. „Was im Hintergrund passiert, kann man an den Daten gar nicht erkennen“, sagte uns Divi-Sprecherin Meckel. Zum Beispiel meldeten Krankenhäuser ihre Fälle zu unterschiedlichen Zeitpunkten, Daten würden auch mal versehentlich falsch eingegeben. Es werde auch viel nachgemeldet, weshalb es teilweise Korrekturen gebe.
Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn haben oft betont, dass eine Überlastung der Intensivstationen verhindert werden müsse. Die Corona-Schutzmaßnahmen waren aber nie an das Divi-Intensivregister geknüpft, sondern bis vor kurzem allein an die 7-Tage-Inzidenz. Seit einigen Wochen gibt es den neuen Indikator der 7-Tage-Hospitalisierungsrate. Diese beruht allerdings nicht auf Zahlen aus dem Divi-Register.
Was ist das Divi-Intensivregister – und was sagt es aus?
Was Marcel B. in seinem Video nicht erklärt: Die Daten aus dem Intensivregister stellen nicht die Anzahl aller vorhandenen Intensivbetten dar, sondern den täglich gemeldeten Ist-Zustand der tatsächlich betreibbaren Intensivbetten – dafür müssen beispielsweise genügend Personal (auch Pflegekräfte) und medizinische Geräte verfügbar sein. Die Zahlen können beispielsweise schwanken, wenn viele Angestellte krank sind oder Überstunden ausgleichen.
Auf der Webseite des Intensivregisters (Abschnitt „Was bedeuten 10 Prozent freie Betten?“) heißt es: „Auf einer Intensivstation mit Akutversorgung wird stets eine gewisse Anzahl an freien Betten benötigt, um Notfälle wie z. B. Herzinfarkte oder Unfallopfer schnell und adäquat intensivmedizinisch versorgen zu können.“ Im Durchschnitt verfüge eine Intensivstation über zehn bis zwölf betreibbare Betten. Eine Verfügbarkeit von zehn Prozent würde dann bedeuten, dass ein Intensivbett für Notfälle frei bleibt. Die Intensivstation meldet der Divi in so einem Fall also neun belegte Betten und ein freies Bett. Weniger als 15 oder 10 Prozent freie Betten, insbesondere über längere Zeiträume, seien problematisch, so die Divi.
Divi-Sprecherin: Relativ konstante Zahl der belegten Betten zeige, dass das System nicht kollabiert sei
Marcel B. behauptet im Video: „Covid-Patienten kommen zusätzlich auf Intensivstationen, dieser Effekt sollte sich dann auch in der Auslastung bemerkbar machen, (…) aber da ist gar nichts zu sehen.“ Dazu blendet er etwa bei Minute 39:50 das Diagramm „Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter Covid-19-Fälle an Anzahl belegter Intensivbetten“ der Divi ein und fragt: „Wo sind die Covid-Berge?“
Divi-Sprecherin Meckel erklärte uns: „Es können sich keine Berge aufbauen, dann wäre sozusagen der Kollaps schon dagewesen“. Werde ein Pfleger krank und kann nicht ersetzt werden, könnte die Intensivstation dann vermutlich zwei Patienten weniger aufnehmen, so Meckel.
Auch auf ihrer Webseite erklärt die Divi, wenn die Zahl der Covid-19-Patienten auf einer Intensivstation zunehme, nehme parallel oft die Zahl anderer Patienten dort ab.
Wie viele Patienten aufgrund der Covid-19-Patienten nicht operiert wurden, wie viele Behandlungen abgesagt wurden und ob vielleicht allgemein Pflegekräfte fehlen – „das alles können Sie in den Intensivregister-Zahlen nicht sehen“, sagte uns Meckel. Bereits im Oktober teilte uns ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit, dass man weitere Bettenkapazitäten schaffe, indem man nicht notwendige Operationen absage. (Hier der Faktencheck.)
Übrigens: Obwohl Marcel B. seinen Beitrag Ende August veröffentlichte, zeigt er die Kurve nur bis zum 1. Februar 2021. In diesem Ausschnitt erscheint die Zahl der belegten Betten tatsächlich relativ konstant. Ab etwa Anfang Mai 2021 fiel sie jedoch leicht ab, was in dem Video nicht zu sehen ist.
Keine Belege, dass tausende Intensivbetten „abgebaut“ wurden
Ab Minute 37:40 behauptet Marcel B., es seien offenbar „die ganze Zeit Betten abgebaut“ worden, was die blaue Kurve der „Intensivbetten“ in seiner Version der Divi-Grafik zeige. Dabei lässt er allerdings wieder außer Acht, dass die Intensivstationen nicht physisch vorhandene Betten melden, sondern Betten, für deren Versorgung Personal vorhanden ist, die also betreibbar sind.
Tatsächlich zeigt die Divi-Kurve einen Rückgang der freien Betten ab November 2020, wie es B. behauptet. Divi-Sprecherin Meckel erklärt diesen Rückgang so: „Im November, Dezember 2020 waren gerade selbst viele Angestellte infiziert oder in Quarantäne. Entsprechend weniger Betten wurden gemeldet.“ Der Pflegekräftemangel zeige sich auch im Rückgang der Intensivbetten.
Dann zeigt B. im Video einen Beitrag vom Exomagazin, in dem der Informatiker Tom Lausen angeblich die „Rohdaten der Krankenhäuser“ mit einem selbst geschriebenen Programm analysiert; gemeint sind die offiziellen Daten des Divi. Lausen behauptet, die Zahlen aus dem Divi-Intensivregister seien „überhaupt nicht“ verlässlich, da das Divi nicht wisse, ob Patienten nur mit oder wegen Covid-19 auf den Intensivstationen liegen würden.
Das stimmt. Ob ein Patient wegen oder mit Corona auf der Station liegt, wird im Divi-Register nicht abgefragt, ist aber für die Kapazitätenplanung auch weniger relevant. Differenziert wird stattdessen nach der nötigen respiratorischen Unterstützung: Ärzte müssen entscheiden, ob und wie die Patienten angemessen versorgt werden, und das erfasst das Intensivregister.
Fällt eine Pflegekraft aus, können zwei bis drei Intensivpatienten auf Station nicht versorgt werden
Danach greift der Beitrag eine Behauptung auf, die die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht bereits im März aufgestellt hatte: Tausende Intensivbetten seien aus der Statistik „verschwunden“.
Wie wir schon im April 2021 berichtet hatten, ist der Grund für die Verringerung der Betten vor allem die Personalsituation. Insgesamt hat ein Covid-19-Patient einen höheren Personalbedarf als ein durchschnittlicher Intensivpatient. Statistisch gesehen verbrauche er „deutlich mehr als ein Bett“, sagte uns ein Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft bereits im Dezember 2020.
Das gilt auch für Personal, das ausfällt – so versorgt eine Pflegekraft laut der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung zwei bis drei Intensivpatienten. Am 1. Februar 2021 wurde die Zahl der Patienten pro Pflegerin zusätzlich reduziert.
Keine Belege, dass Krankenhäuser zu hohe Auslastung meldeten, um Fördergelder zu erhalten
In dem Beitrag vom „Exomagazin“ werden zusätzlich Behauptungen aufgegriffen, über die der Bayerische Rundfunk bereits im Mai 2021 berichtete. Der Youtuber Samuel Eckert hatte damals über einen angeblichen „Abrechnungsskandal“ durch Krankenhäuser spekuliert: Jedes Krankenhaus, das eine 75-prozentige Auslastung der Intensivstation belegen könne, erhalte angeblich „Förderzahlungen“ vom Bund. Er unterstellte, dass die Krankenhäuser deshalb höhere Auslastungen melden als real vorhanden seien.
Eine ähnliche Behauptung tauchte dann erneut im Juni 2021 auf, als der Bundesrechnungshof das System der Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser kritisierte und schrieb, es könne Fehlanreize setzen. Dafür, dass Krankenhäuser tatsächlich falsche Zahlen lieferten, gibt es jedoch keine Belege. Die Hürden, damit Krankenhäuser tatsächlich von so einem Betrug finanziell profitieren könnten, sind hoch.
Im Kern geht es bei der Spekulation über finanzielle Anreize zum Schummeln um das Krankenhausfinanzierungsgesetz. Seit dem 18. November 2020 ermöglicht es Sonderzahlungen für Krankenhäuser, die eine zusätzliche Belastung durch die Corona-Pandemie ausgleichen sollen.
In Paragraf 21 des Gesetzes sind diverse Voraussetzungen genannt, die dafür erfüllt sein müssen. Demnach können Krankenhäuser zusätzlich gefördert werden, die in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt liegen, wo die Intensivbetten-Auslastung an sieben aufeinanderfolgenden Tagen bei 75 Prozent liegt. Zudem muss in diesen Landkreisen die 7-Tage-Inzidenz über 70 liegen. In einer Verordnung von April 2021 wurde dieser Grenzwert auf 50 gesenkt. Die „für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde“ – auf Ebene des Bundeslandes – bestimmt laut Gesetz die Krankenhäuser, die eine Ausgleichszahlung beantragen dürfen.
Dass für die Zahlungen viele Voraussetzungen erfüllt werden müssen, betonte auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft in einer Stellungnahme vom 11. Juni. „Wollten Krankenhäuser also ungerechtfertigt Leistungen beziehen, müssten sie sich über Trägergrenzen hinweg im Landkreis abstimmen und konzertiert falsche Zahlen melden.“ Und: „Es gibt weder konkrete Hinweise noch belegbare Vorwürfe gegen ein Krankenhaus.“
Auch das Bundesgesundheitsministerium verwies uns auf unsere Anfrage im Juni darauf, dass die Krankenhäuser „nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten“ hätte, um die Voraussetzungen für die Ausgleichszahlungen herzustellen.
Zwischenfazit: Das Divi-Intensivregister dient nicht dazu, die Pandemie zu messen. Die Daten dienen vor allem als Werkzeug für Fachleute, damit diese sich einen Überblick über die Auslastung auf Intensivstationen verschaffen können.
Dass die Zahl der belegten Betten während der Corona-Wellen nicht gestiegen ist, bedeutet nicht, dass es keine Pandemie gibt. Es bedeutet vielmehr, dass die Versorgung auf den Intensivstationen in Deutschland trotz der Pandemie nicht kollabiert ist.
Marcel B. lässt in seinem Video wesentlichen Kontext aus: Mit „Betten“ sind betreibbare Betten gemeint, für die ausreichend Personal und Geräte vorhanden sein müssen. Fällt ein Mitarbeiter aus oder wird ein Patient mit höherem Versorgungsaufwand eingeliefert, fallen mitunter gleich mehrere Betten weg. Dadurch kann es zu starken Schwankungen kommen.
Drittes Thema im Video: PCR-Tests
Ab Minute 53:30 spricht Marcel B. im Video über die Zahl der Infizierten in Deutschland, die auf positiven PCR-Tests beruht. Er behauptet, die Daten seien nicht valide und er könne damit nicht arbeiten. Dafür nennt er folgende Gründe:
- Der PCR-Test suche nur einen kleinen Ausschnitt der Virus-RNA – „wo auch immer die herkommt“ – und weise kein lebensfähiges Virus nach.
- Das Paper über den „ersten PCR-Test“ von Christian Drosten habe „schwerwiegende Fehler“, das hätten ihm Biologen (deren Namen B. nicht nennt) gesagt, und das stehe auch im sogenannten „Corman-Drosten-Review“ (ab Minute 59:00).
Es stimmt zwar, dass der PCR-Test kein lebensfähiges Virus nachweist, doch das macht die Daten nicht unbrauchbar. Der PCR-Test weist nach, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 im Körper eines Menschen – im Rachen oder in der Nase, wo der Abstrich meist genommen wird – vorhanden ist.
Wie wir bereits für frühere Artikel recherchiert haben, reagiert ein PCR-Test auf spezifische Gensequenzen von SARS-CoV-2. Testfehler sind extrem selten. Sind die Gen-Sequenzen vorhanden, ist oder war auch das Virus vorhanden. Coronaviren sind keine normalen Bestandteile des menschlichen Körpers, sie gehören nicht zur Normalflora des Rachens, erklärte die Virologin Sandra Ciesek im September 2020 in einem NDR-Podcast. Auch ein anderer Virologe, Friedemann Weber, sagte uns für einen Faktencheck im Oktober 2020 über positive PCR-Tests, sie seien der Nachweis der erfolgten Infektion, denn sonst befände sich das Virus nicht im Körper.
Die Ausbreitung des Coronavirus zu verfolgen, ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Bekämpfung der Pandemie. Dafür werden die PCR-Tests eingesetzt. Sie fallen laut RKI vor allem während der infektiösen Phase positiv aus, also während die Person ansteckend ist, aber auch einige Tage danach.
Für die Eindämmung der Pandemie ist es wichtig, auch Infizierte ohne Symptome zu erkennen. Denn ansteckend können Menschen laut RKI schon bis zu sechs Tage vor Beginn der Symptome sein. Ein „erheblicher Teil“ der Übertragungen gehe von solchen Menschen aus, die sich nicht krank fühlen.
Positive PCR-Testergebnisse sind also keine Krankheitsdiagnose. Aber wenn jemand mit dem Virus infiziert ist, ist es wahrscheinlich, dass die Person entweder gerade ansteckend ist, es in der Vergangenheit war oder es in den nächsten Tagen noch werden wird. Es ergibt also Sinn, diese Personen zu isolieren, wenn man Infektionsketten unterbrechen möchte.
Es gibt nicht nur einen PCR-Test von Christian Drosten
Sein zweiter Hinweis im Video bezieht sich auf eine Veröffentlichung von Wissenschaftlern der Berliner Charité, darunter Christian Drosten, mit der erstmals eine PCR-Testmethode für das neuartige Coronavirus beschrieben wurde. Es handelte sich um eine Art Anleitung für solche PCR-Tests. Das Papier war im Fachjournal Eurosurveillance im Januar 2020 veröffentlicht worden. Ende 2020 erschien eine harsche Kritik an dieser Arbeit, das sogenannte „Corman-Drosten-Review“. Auf diese Kritik bezieht sich B. in seinem Video.
Eurosurveillance nahm die Kritik jedoch bereits auf und überprüfte den Artikel nochmals intern. Das Journal kam zu dem Schluss, dass der Artikel von Drosten und seinen Kollegen nicht zurückgezogen werden müsse: Er „war wissenschaftlich angemessen für seinen Zweck und die begrenzte Datenlage und das verfügbare Material zu diesem frühen Zeitpunkt der Corona-Pandemie“, schreibt das Journal in seiner Stellungnahme. „Jedes Labor, das sich entscheidet, die Primer und das Protokoll zu verwenden, die in diesem Artikel vorgeschlagen werden, wird überprüfen, ob die Proben geeignet sind und den lokalen Qualitäts- und Akkreditierungsvorgaben entsprechen. Das ist es, was weltweit seit der Veröffentlichung dieses Artikels geschehen ist. Mit mehr Daten und fortschreitendem Wissen haben Labore die ursprüngliche Methode weiterentwickelt, wie es übliche Praxis ist.“
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit bezeichnete das „Corman-Drosten-Review“ in einem Interview als Desinformationskampagne.
Wie auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts zu lesen ist, wurden inzwischen viele verschiedene PCR-Nachweissysteme entwickelt und validiert. Seine Argumentation über PCR-Tests liefert also keine Grundlage, um die Corona-Fallzahlen in Deutschland als unbrauchbar zu bezeichnen.
Doppelt so viele Tests – doppelt so viele Fälle?
Eine weitere Behauptung von B. ist ebenfalls irreführend: „Wenn wir doppelt so viel testen, dann finden wir auch doppelt so viel“ (ab 1:00:20). Einen solchen linearen Zusammenhang gibt es nicht, wie schon ein Blick auf die Positiven-Quote der Tests beim RKI zeigt. So wurden in der 25. Kalenderwoche 2021 laut RKI 714.477 Test durchgeführt, von denen 6.927 positiv waren (0,97 Prozent). In der 33. Kalenderwoche 2021 wurden 682.995 Tests durchgeführt – also weniger – und 53.772 waren positiv (7,87 Prozent).
Marcel B. wiederholt in seinem Video auch Argumente, die vor Monaten von einem Mathematikstudenten in einem Video vorgebracht wurden, zu dem wir bereits einen Faktencheck veröffentlicht haben. Die Grundidee, dass Landkreise, die viel testen, mehr Fälle aufdecken, ist zwar richtig. Dass ein Landkreis viel testet, bedeutet aber nicht, dass es dort keinen realen Anstieg von Corona-Fällen gibt. Wie die Physikerin Viola Priesemann dazu im März auf Twitter schrieb, kann in einer Region auch einfach mehr getestet werden, weil dort mehr Verdachtsfälle auftreten – also Menschen mit Symptomen oder Kontakt zu infizierten Personen.
Viertes Thema im Video: Nebenwirkungen von Impfungen in der EMA-Datenbank
Am Ende des Video (ab 1:05:38) kommt Marcel B. auf eine Datenbank der Europäischen Arzneimittelbehörde zu sprechen. Anfangs erklärt er richtig, dass sich in der Datenbank „Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen“ finden. Diese werden in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut gesammelt. Wie der Prozess genau funktioniert, haben wir in einem Hintergrundbericht erklärt.
B. sagt mit Blick auf die Datenbank, für ihn sei es überraschend gewesen, wie viele Meldungen zu möglichen Impfnebenwirkungen sich dort fänden. Wir haben bereits in zwei Faktenchecks erklärt, dass in der Datenbank lediglich Verdachtsfälle dokumentiert werden. Es handelt sich um gesundheitliche Ereignisse, die zeitlich nach Impfungen auftraten – es ist jedoch nicht belegt, dass die Impfung der Grund für die Ereignisse war.
Zudem finden sich in der Datenbank nicht nur Einträge aus Deutschland und Europa. Wie uns eine Sprecherin der EMA sagte, bezögen sich die Einträge „auf jedwede Anwendung der medizinischen Produkte, nicht nur auf eine Anwendung, die den Zulassungsbedingungen in Europa entspricht“. Die Daten in der EMA-Datenbank können außerdem verzerrt sein, weil ein Mensch in der Statistik theoretisch mehrfach auftauchen kann. Zum Beispiel dann, wenn mehrere vermutete Nebenwirkungen pro Person angegeben werden.
Fünftes Thema im Video: Wirksamkeit von Impfungen
Als nächstes spricht B. (ab 1:09:40) über die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe . Dabei suggeriert er, dass die Hersteller der Impfstoffe eine irreführende Angabe dazu verbreiten würden. Schaue man sich die Zahlen aus der klinischen Studie über den Impfstoff von Biontech/Pfizer an, sei zu sehen, dass sich die Angabe zur Impfstoffwirksamkeit von 95 Prozent gar nicht auf alle Geimpften beziehe. Es handele sich stattdessen um eine relative Angabe. Das ist korrekt, wie auch wir in einem Faktencheck erklärt haben.
Eine Irreführung ist das jedoch nicht, sondern so wird Wirksamkeit in klinischen Studien gemessen. In diesen Studien werden Daten von geimpften Menschen mit Daten aus einer ungeimpften Kontrollgruppe verglichen.
Zusammengefasst: 95 Prozent Wirksamkeit bedeutet, dass in der Gruppe der Geimpften 95 Prozent weniger Infektionen auftraten als bei den Ungeimpften. Nicht, dass von 100 Geimpften 95 vor einer Infektion geschützt sind. In der klinischen Studie von Biontech/Pfizer gab es zum Beispiel insgesamt 170 Covid-19-Fälle: acht unter den Geimpften und 162 in der Placebo-Gruppe. Daraus ergibt sich eine Impfstoff-Wirksamkeit von 95 Prozent.
Marcel B. folgert daraus, die meisten Menschen hätten von einer Impfung keine Vorteile, sondern „nur die Nebenwirkungen und sonst gar nichts“. Diese Behauptung führt in die Irre: Steigen die Inzidenzen, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, mit dem Coronavirus in Kontakt zu kommen. In diesem Fall ist das Risiko einer Infektion und somit das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes, beispielsweise für ältere Menschen, deutlich höher als das Risiko einer sehr seltenen Impfnebenwirkung. Klinische Studien belegen, dass Impfungen das Risiko für Infektionen, schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle senken.
Fazit:
Marcel B. sagt in seinem Video, er wolle in den Rohdaten die Pandemie nachweisen – und erläutert dann, das sei nicht möglich. Damit suggeriert er, dass es die Corona-Pandemie nicht gäbe. Diese Schlussfolgerung lässt sich aus den Daten aber nicht ziehen. Auf unsere Nachfrage, ob er glaube, dass es keine Pandemie gebe und deshalb dieses Video gemacht habe, antwortete B. nicht.
B. lässt an verschiedenen Stellen im Video Kontext weg oder zieht irreführende Vergleiche. So erzeugt er ein falsches Bild. Seine Einwände gegen den PCR-Test greifen ebenfalls zu kurz.
Fest steht: Es gab parallel zu den Corona-Wellen 2020 in Deutschland phasenweise eine starke Übersterblichkeit. Und auch die starke Auslastung der Intensivstationen mit Corona-Patienten ist in den Daten nachweisbar.
Redigatur: Steffen Kutzner, Tania Röttger
Update, 21. September 2021: Wir haben einen Fehler im Text korrigiert. Für die Lebenserwartung betrachtet das Statistische Bundesamt 3-Jahres-Zeiträume, nicht 2-Jahres-Zeiträume.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Statistisches Bundesamt: Sonderauswertung zu den Sterbefällen 2020/2021: Link
- Projekt zum Monitoring der Sterblichkeit in Europa „Euromomo“: Link
- Human Mortality Database: Link
- Studie zur Sterblichkeit 2020 in Deutschland, Schweden und Spanien, Plos One: Link
- Übersichtsseite der Divi-Tagesreporte: Link
- FAQ zum Intensivregister: Link
- Stellungnahme des Bundesrechnungshofes zu den Maßnahmen zur Corona-Bewältigung im Gesundheitswesen (9. Juni 2021): Link
- Stellungnahme des Journals Eurosurveillance zur Kritik an der Arbeit zum PCR-Test u.a. von Christian Drosten: Link
- Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, laut RKI: Link
- Wie funktionieren klinische Studien? Link