Hintergrund

Die Flyer-Maschinerie der Corona-Gegner

Seit Monaten läuft eine bundesweite Desinformationskampagne – offline. Gegner der Corona-Maßnahmen füllen deutsche Briefkästen mit irreführenden Flyern. Diese Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt, mit welchem massiven organisatorischen und finanziellen Aufwand sie die Menschen beeinflussen wollen.

von Uschi Jonas , Matthias Bau , Sarah Thust

Corona-Flyer im Briefkasten
Stimmungsmache im Briefkasten: Corona-Gegner verbreiten Flyer in ganz Deutschland. (Symbolbild: Ivo Mayr / CORRECTIV)

Ende Oktober erhalten wir die Nachricht eines Lesers aus Bielefeld: „Schon vor circa drei Wochen hatten wir ein Flugblatt in den Briefkästen, in dem Corona geleugnet wurde – ohne eine Angabe von Verantwortlichen“, schreibt er. Heute war wieder so ein Pamphlet in den Briefkästen, worin eine Pandemie abgestritten wird und vor einer Zwangsimpfung gewarnt wird. 

Seitdem erreichten uns etliche Zuschriften über unerwünschte Flyer-Post im Briefkasten. 

Die Flugblätter sind Teil einer großangelegten Desinformationskampagne, an der sich zehntausende Gegner der Corona-Maßnahmen beteiligen. Eine Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt, dass zwei Vereine eine zentrale Rolle bei der Verteilung spielen: Die „Freiheitsboten“, ursprünglich von dem Arzt Bodo Schiffmann ins Leben gerufen, und „Eltern stehen auf“. Sie organisieren sich über den Messengerdienst Telegram. Dort kann man sich nicht nur wie bei Whatsapp Nachrichten senden, sondern auch öffentliche Kanäle einrichten, die jeder wie einen Newsletter abonnieren kann. Telegram ist ein Soziales Netzwerk, das jedoch anders als Facebook, Whatsapp oder Twitter bislang nichts gegen Desinformation unternimmt. 

Die Flyer-Kampagne hat hunderte Telegram-Gruppen über ganz Deutschland verteilt hervorgebracht. Für die Druckkosten fließen offenbar hohe Geldbeträge. Mutmaßlich stammt das Geld dafür aus Spenden, aber wie sich die Initiativen genau finanzieren, ist unklar. Auf unsere Anfragen dazu bekamen wir keine klaren Antworten.

Fest steht: Sie haben Verbindungen in ein bundesweites Netzwerk von Wissenschaftlern, Meinungsmachern und Anwälten, das CORRECTIV.Faktencheck im August offen legte. Mit unseriösen Maskenattesten, Youtube-Videos und Beiträgen in Sozialen Netzwerken sollen die Corona-Maßnahmen der Regierung untergraben werden. 

Die „Freiheitsboten“ verteilen auch massenhaft Flyer in Kooperation mit anderen Organisationen. Darunter ist der Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ (MWGFD), dessen Vorsitzender der umstrittene Wissenschaftler Sucharit Bhakdi ist. Dem Verein wurde im Oktober der Status der Gemeinnützigkeit entzogen. Allein für einen seiner Flyer mit einer angeblichen Auflage von drei Millionen würden die Druckkosten nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck im fünfstelligen Bereich liegen. 

In einer wochenlangen Recherche haben wir analysiert, wie die Flyer-Maschinerie organisiert ist, wer die Drahtzieher sind und wie groß die Gefahr ist, die von dieser Art der Stimmungsmache ausgeht.

Eine bundesweite Desinformationskampagne

Mitten in einer weltweiten Pandemie findet in Deutschland eine organisierte Desinformationskampagne statt – online und offline. Seit Jahren berichtet CORRECTIV.Faktencheck darüber, wie sich Desinformation vor allem im Netz rasant verbreitet. Doch dort wird sie inzwischen teils wirkungsvoll bekämpft, zum Beispiel von Faktencheck-Redaktionen wie uns. In der Corona-Pandemie suchen die Verbreiter irreführender Narrative daher neue Wege – und agieren immer stärker offline. 

„Da man keine Chance sieht, über die ‘Mainstream-Medien’ seine Botschaften mit einem positiven Ton zu verbreiten, liegt dieser Schritt nahe“, sagt der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Carsten Reinemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das diene dazu, Personen zu erreichen, die sonst nichts von den Aktivitäten der Corona-Gegner mitbekommen würden. 

Anders als in Sozialen Netzwerken gibt es bei Flyern keine Möglichkeit für Widerspruch. „So wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschützt ist, ist auch die Meinungsfreiheit geschützt. Per Flyer darf Unsinn verbreitet und die Regierung kritisiert werden“, schreibt uns das baden-württembergische Innenministerium in einer E-Mail. „Wenn allerdings per Flyer Straftaten begangen werden, ist das ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden.“

Die Verbreitung von Desinformation mag keine Straftat sein. Aber sie kann Gesellschaften spalten, Angst und Hetze verbreiten und im schlimmsten Fall Menschenleben kosten. 

Einem Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums zufolge besteht die Gefahr, dass durch gezielte Desinformation die Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie geschürt wird“. Vor allem Rechtsextremisten könnten diese Verunsicherung nutzen, um staatliche Entscheidungen in Frage zu stellen

In ganz Deutschland tauchen Flyer in Briefkästen auf 

Wir baten unsere Leserinnen und Leser vor einigen Wochen, uns zu informieren, wenn sie Flyer erhalten haben. Auch über Lokalredaktionen im Netzwerk von CORRECTIV.Lokal wurde der Aufruf verbreitet. Am Ende erhalten wir so rund 190 Zuschriften aus dem ganzen Bundesgebiet.

 

Leserinnen und Leser haben insgesamt 186 Flyer eingereicht: 90 von Bodo Schiffmann sowie fünf von den „Freiheitsboten“, 38 von „Ärzte für Aufklärung“ und acht von „Eltern stehen auf“. 45 Flyer konnten keiner konkreten Organisation zugeordnet werden oder kamen nur einmal vor.

Unsere Recherche zeigt, wie verschiedene Initiativen einen riesigen Organisationsaufwand betreiben, um Flyer in ganz Deutschland zu verbreiten. Sie stellen die Corona-Pandemie vor allem einseitig und damit irreführend dar. 

CORRECTIV.Faktencheck hat zahlreiche der auf den Flyern aufgestellten Behauptungen bereits in Faktenchecks geprüft. So schaden Masken weder der Gesundheit von Kindern noch von Erwachsenen, die Pandemie ist kein „Fake“, und das Gesundheitssystem und die Krankenhäuser sind durch Covid-19 stark belastet. Mehr testen bedeutet nicht zwangsläufig mehr falsch-positive Tests. Und immer wieder betonten deutsche Politiker, dass es keinen „Impfzwang“ geben werde. 

Die „Freiheitsboten“ gründen eigenen Verein

Vor allem zwei Initiativen tauchen immer wieder auf: Die von Bodo Schiffmann gegründeten „Freiheitsboten“ und „Eltern stehen auf“.

Schiffmann ist Mann der ersten Stunde im Netzwerk der Corona-Gegner. Der HNO-Arzt verbreitete Desinformation in den vergangenen Monaten vor allem über seinen Youtube-Kanal. Mittlerweile ist er vor allem auf Telegram aktiv. Im September nutzte er die Plattform laut Medienberichten, um die „Freiheitsboten“ ins Leben zu rufen. Das selbsterklärte Ziel: In „Spaziergängen“ Flyer verteilen.

Mit den Flyern wollte Schiffmann offenbar auch Nutzer auf Telegram locken. Er schrieb am 12. Dezember in seinem eigenen Kanal: Ganz wichtig: macht Werbung für Telegramm d.h. ifände es toll, wenn ein Flyer verteilt wird an alle Haushalte, dass die Menschen sich Telegramm installieren. Es sind zu wenige Menschen auf Telegramm. Ihr macht das schon. [sic]  

Mittlerweile verantwortet Schiffmann die Initiative „Freiheitsboten“ nicht mehr. An seine Stelle trat ein Mann namens Ralf Heesen, der bereits seit September als Moderator im Telegram-Kanal Freiheitsdrucker“ und als Admin im übergeordneten Freiheitsboten-Kanal aktiv ist. 

Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck zufolge starteten die „Freiheitsboten“ im November eine Vereinsgründung. „Um Bodo zu entlasten“, wie es in einer Nachricht von „Stefanie Joy“ heißt. Sie ist mutmaßlich Teil des Organisationsteams. Auf der Webseite werden unter anderem „Ralf und Stefanie“ als Gründungsmitglieder des Vereins genannt. 

Auf unsere Anfrage schrieb der Verein: „DIE Freiheitsboten gibt es nicht. Unter diesem (gemeinsamen) Namen haben sich eine Vielzahl von Gruppen gegründet.“ Es gebe keine Absprache über ein gemeinsames Auftreten und Handeln.

Im gemeinsamen Registerportal der Länder ist der 11. Dezember als Eintragungsdatum des Vereins vermerkt. Angegeben ist eine Adresse im hessischen Ulrichstein, die zu einem Wohngebiet führt. Im Registerportal und im Impressum der Webseite war bis mindestens zum 12. Dezember als Vereinssitz eine Adresse in Dortmund angegeben. Auch auf Flyern fanden wir diese Adresse im Impressum. Dabei handelt es sich um eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Auf dem Klingelschild stehen die Namen von zwei Privatpersonen und der Zusatz Freiheitsboten e.V. i.G..

Die im Impressum angegebene Adresse der „Freiheitsboten“ führt zu diesem Mehrfamilienhaus in Dortmund.
Die im Impressum angegebene Adresse der „Freiheitsboten“ führt zu diesem Mehrfamilienhaus in Dortmund. (Foto: CORRECTIV)

Wir klingelten mehrfach, doch niemand öffnete uns. Unter einem der Namen auf dem Klingelschild und derselben Adresse stießen wir im Internet auf einen Bürodienst und riefen dort an. Die Person stritt uns gegenüber eine Verbindung mit denFreiheitsboten“ ab. 

Nach unseren Kontaktversuchen Mitte Dezember stellten wir fest, dass das Impressum geändert wurde. Jetzt steht dort der Name Rainer Blanken und eine Adresse in London. Sie führt zu einer britischen Webseite namens London Virtual Office. Offenbar wird dort der Service angeboten, sich eine virtuelle Geschäftsadresse kaufen zu können. Auf die Frage, weshalb die „Freiheitsboten“ eine Adresse im Ausland angeben, antwortete der Verein lediglich, das Impressum der Webseite beziehe sich auf den Internetauftritt, bei den Flyern habe man jeweils ein eigenes Impressum. 

„Eltern stehen auf“ gründete sich, weil „die Maßnahmen wegmüssen, was die Kinder betrifft“ 

Eine zweite Initiative, deren Flyer an verschiedenen Orten in Deutschland auftauchten, ist „Eltern stehen auf“. Wer dahinter steckt, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Im Impressum steht aktuell als Kontakt nur „Elternstehenauf e.V.“ und eine Adresse für ein Postfach im rheinland-pfälzischen Zornheim

Bis Ende Oktober standen der Name Cristin Burg und eine Adresse in Nieder-Olm im Impressum der Webseite. Auf einigen Flyern war ebenfalls ihr Name zu lesen. Nieder-Olm ist nur vier Autominuten von der neuen Postfachadresse in Zornheim entfernt. In einem Interview auf Youtube sagt Burg, sie sei medizinische Fachangestellte. In der Grundschule ihres Kindes sei sie als „Querulant“ bekannt. 

In einem anderen Video erzählt Burg von der Gründung der Initiative, die im Juni in Kooperation mit acht Administratoren auf Telegram gestartet sei. Am Anfang habe es kein festes Ziel gegeben, „außer dass die Maßnahmen wegmüssen, was die Kinder betrifft“ (ab Minute 1:13). Sie erzählt, ihr Mann sei bei der Bundeswehr und sie habe eigentlich kaum Zeit gehabt. Doch die Kooperation habe sehr gut funktioniert. 

Einer der Flyer von „Eltern stehen auf“.
Einer der Flyer von „Eltern stehen auf“. (Symbolbild: CORRECTIV/ Ivo Mayr)

Inzwischen befindet sich offenbar auch hier ein Verein in Gründung, einen offiziellen Eintrag im Registerportal der Länder gibt es für „Eltern stehen auf“ aber bisher nicht. Cristin Burg konnten wir nicht erreichen, auch auf unsere Presseanfrage erhalten wir keine Antwort. Allerdings ist das Logo von „Eltern stehen aufals Marke beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen. Drei weitere Frauen werden dort als Inhaberinnen der Marke genannt. Wir erreichen eine von ihnen telefonisch: Kathleen P. Von ihr erhalten wir lediglich die Auskunft, dass man unsere Presseanfrage noch beantworten werde. Bisher haben wir keine Nachricht erhalten.

Mehr als 66.000 Mitglieder in rund 650 Telegram-Gruppen 

Die „Freiheitsboten“ teilten uns auf Anfrage mit, im September hätten sich die ersten Verteilergruppen gebildet. Um die Verbreitung der Flyer zu organisieren, nutzen die Corona-Gegner den Messengerdienst Telegram. Dort gründeten die „Freiheitsboten immer mehr Regionalgruppen: Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck zufolge gab es Mitte November für Deutschland auf Telegram mehr als 400 aktive regionale, öffentlich zugängliche Gruppen, verteilt über alle Bundesländer. Sie zählten insgesamt mehr als 23.300 Mitglieder. Dazu kommt eine unklare Anzahl privater Ortsuntergruppen, sowie einige Kanäle in Österreich und der Schweiz.

Ähnlich organisiert ist die Initiative „Eltern stehen auf“. Insgesamt werden auf der Internetseite 251 regionale Telegram-Gruppen aufgelistet, denen jeder beitreten kann. Die regionalen Kanäle verzeichnen unserer Recherche nach mehr als 43.000 Gruppenmitgliedschaften (Bundesländer- und Ortsgruppen), wobei zahlreiche Nutzer in mehreren Kanälen Mitglied sind.

 

Zur Methodik der Karte: Wir haben die Mitgliederzahlen aller auf den Webseiten von „Freiheitsboten“ und „Eltern stehen auf“ genannten regionalen Telegram-Gruppen in Deutschland zwischen dem 16. und 26. November notiert. Aus den Gruppen mit aktiven Telegram-Links haben wir diese Karte erstellt. Klicken Sie auf die Kreise, um die einzelnen Ortsgruppen in den jeweiligen Bundesländern zu sehen. Die deutschlandweiten, übergeordneten Kanäle sind bei dieser Zählung ausgenommen. Zur vereinfachten Darstellung haben wir teilweise Gruppen zusammengefasst dargestellt. Zu beachten ist, dass Nutzer in mehreren Gruppen gleichzeitig Mitglied sein können. 

Akribische Organisationsstruktur zum Verteilen der Flyer

Ein Blick in die einzelnen Gruppen der „Freiheitsboten zeigt eine akribische Organisationsstruktur: Jeder Kanal hat einen Verantwortlichen, der alles rund um die Verteilung der Flyer koordiniert. Bestellt werden Flyer bei Bodo Schiffmann, beziehungsweise inzwischen beim neu gegründeten Verein. Manche Ortsgruppen drucken offenbar regelmäßig auch selbst, in einem Leitfaden der Berliner Freiheitsboten werden dafür verschiedene Druckereien genannt. Immer wieder gibt es Botschaften und Anweisungen von Mitgliedern des Orgateams oder von einem Account namens FreiheitsBot.

Verteilt wird nicht nur in Briefkästen, sondern offenbar auch auf Demonstrationen, vor Einkaufszentren oder an Schulen, Kitas und Kirchen. Für die Verteilung selbst haben sich verschiedenste Strukturen gebildet. In Berlin existieren Doodle-Listen für einzelne Straßenzüge, in anderen Ortsgruppen verabreden sich die Mitglieder für gemeinsame Verteilaktionen

Auch „Eltern stehen auf“ sind auf Telegram kleinteilig organisiert. Wichtige Hinweise zu aktuellen Flyern, Aktionen oder zum Verein verbreiten die Administratoren. Es gibt Ansprechpartner (Admins) für die Gruppen, ein eigenes „Grafik-Team“ und sogar eine eingetragene Marke: das Logo von „Eltern stehen auf“. Die Gruppen sind nach Regionen unterteilt: Es gibt für Deutschland sowie für die meisten Bundesländer jeweils einen Chat- und einen Infokanal. 

So sind die Gruppen von „Eltern stehen auf“ strukturiert.
So sind die Gruppen von „Eltern stehen auf“ strukturiert. (Quelle: ESA / Screenshot: CORRECTIV)

Die Initiative hat offenbar bereits im Juni mit dem Verteilen von Flyern, Handzetteln und Briefen begonnen. Ihre ersten Gruppen auf Telegram waren der Infokanal, der „Hauptchat für Eltern“ und eine Gruppe für Rheinland-Pfalz.

Viele Mitglieder der „Eltern stehen auf“Kanäle schreiben, sie würden die Flyer selbst drucken. Genannt werden Online-Druckereien wie Wir-Machen-Druck, Flyeralarm oder Print 24. Die entworfenen Handzettel haben Überschriften wie: „Stoppt die Maskenpflicht“ oder „Stoppt den Testwahn“. 

Eltern stehen auf“ richten Desinformation unter anderem direkt an Kinder

Ein Flyer richtet sich sogar direkt an Kinder, Titel: „Woran erkenne ich, dass es meinem Freund mit Maske nicht gut geht?” Die Inhalte auf den Flyern sind irreführend; sie suggerieren zum Beispiel eine Gesundheitsgefahr durch Masken, für die es nach Aussage von Kinder- und Lungenärzten keinerlei Belege gibt

Während unserer Recherche zeigte sich außerdem, dass die Gruppierungen sich auch gegenseitig unterstützen. In den Telegram-Chats der „Freiheitsboten“ und auf Flyer-Vorlagen zum Selbstdrucken werden immer wieder Kooperationen mit „Eltern stehen auf“ erwähnt.

„Freiheitsboten“ drucken angeblich mehrere Millionen Flyer

Die geplanten Flyer-Mengen der „Freiheitsboten“ waren von Beginn an angeblich riesig: Druckauflage in der ersten Woche 1,15 Millionen, schrieb Bodo Schiffmann am 27. September in seinem Telegram-Kanal. Anfangs konnten Ortsgruppenleiter Flyer in 200.000-Stück-Paketen bei Schiffmann bestellen. Seit Ende Oktober verbreitete sich die Nachricht über neue Bestellmengen in 25.000er Paketen, teilweise teilen sich Ortsgruppen Pakete auf

Die angeblichen Druckauflagen bleiben im Millionen-Bereich. Anfang November schreibt Stefanie Joy von einem Druck von 2,5 Millionen Flyern, einen Tag später von „zwei Auflagen“ mit fünf bis sechs Millionen Flyern. Auf unsere Anfrage teilte der Verein mit, man kenne die genauen Gesamtzahlen selbst nicht, da die Ortsgruppen die Flyer auch selbst drucken würden. 

Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht, und ob all die Flyer tatsächlich verteilt werden, ist unklar. Unser bundesweiter Aufruf an Leserinnen und Leser, Flyer einzusenden, zeigt aber, dass eine Menge im Umlauf ist. Zudem berichten Medien in ganz Deutschland über die Verteilung der Flugblätter in ihren Regionen.

In regelmäßigen Abständen bieten die „Freiheitsboten“ neue Flyer-Vorlagen an, sei es zum Thema Impfen, Masken, PCR-Test oder der Verharmlosung von Covid-19 mit Grippe-Vergleichen. Die Idee dahinter: Derselbe Flyer soll immer nur für einen begrenzten Zeitraum in Umlauf gebracht werden, dann gibt es aktuellere.

„Freiheitsboten“ kooperieren mit „Ärzte für Aufklärung“ und dem Verein von Sucharit Bhakdi

Für Ende November wurde ein weiterer Großaufschlag angekündigt. Zum ersten Mal erscheinen darauf „Kooperationspartner“: Zum einen die Ärzte für Aufklärung“, die schon früher mit irreführenden Behauptungen zum Coronavirus auffielen. In Kooperation mit „Ärzte für Aufklärung“ sollen 900.000 Exemplare des Flyers PCR-Test zum 23. November gedruckt werden. Darauf wird behauptet, das Tragen von Masken führe zu Sauerstoffmangel und erhöhten CO2-Werten. Dafür gibt es keine Belege. Wir haben bereits in mehreren Faktenchecks erläutert, warum das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes laut Experten für gesunde Menschen keine negativen Auswirkungen hat.

Der zweite Kooperationspartner ist Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V. (MWGFD) von Sucharit Bhakdi. Der Verein vermittelte unter anderem in den vergangenen Monaten Kontakte zu Ärzten und Heilpraktikern, die zweifelhafte Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausstellen (CORRECTIV.Faktencheck berichtete).

In Zusammenarbeit mit MWGFD sollen zum 30. November drei Millionen Flyer mit dem Titel „Einsame Weihnachten“ gedruckt worden sein, wie auch der Kassenwart des Vereins, Stefan Homburg, kürzlich auf Twitter verkündete. Der Verein bestätigte uns diese Zahl per E-Mail. 

Der Flyer mit dem Titel „Einsame Weihnachten“, dessen Inhalt der Verein MWGFD verantwortet. Mithilfe der „Freiheitsboten“ soll eine Auflage von drei Millionen Stück gedruckt werden.
Der Flyer mit dem Titel „Einsame Weihnachten“, dessen Inhalt der Verein MWGFD verantwortet. Mithilfe der „Freiheitsboten“ soll eine Auflage von drei Millionen Stück gedruckt werden. (Quelle: Freiheitsboten.org / Collage: CORRECTIV)

„Die Gestaltung der Flyer, den Druck, den Versand und die Verteilung übernehmen die Freiheitsboten“, schreibt uns der Verein. Man liefere den „Freiheitsboten“ seit November „Textvorschläge für die Gestaltung von Flyern“ und ergänze sich gut. Weitere drei Millionen Flyer sollen laut MWGFD noch kommen, mutmaßlich könnte es sich dabei um den Flyer „Retter Impfung?“ handeln, der seit dem 17. Dezember auf der Webseite der „Freiheitsboten“ zu finden ist. 

Die Finanzierung ist undurchsichtig

Doch woher kommt das Geld, und was kostet das Drucken? Flyer bei ihnen zu bestellen sei kostenlos, heißt es bei den „Freiheitsboten“. Doch immer wieder wird zu Spenden oder „Unkostenbeiträgen“ aufgerufen, teilweise direkt im Zusammenhang mit der Abholung von Flyern bei den Gruppenverantwortlichen

Noch Mitte Oktober gingen die Spenden laut eines Leitfadens der Berliner Telegram-Gruppen direkt an Bodo Schiffmann via Paypal oder auf ein Konto der Sparkasse Kraichgau. Aktuell wird auf der Webseite mit Verweis auf ein Paypal-Konto der „Freiheitsboten“ um Spenden gebeten, das zwischenzeitlich offenbar gekündigt wurde, wie sich etwa in Nachrichten im Telegram-Kanal „Freiheitsboten Aalen“ oder von „Stefanie Joy“ Anfang November nachlesen lässt. 

Auch für „Eltern stehen auf“ existiert ein Spendenkonto, bei der Nassauischen Sparkasse. Zudem wird ein Paypal-Account genannt. Ende September bot die Initiative ihren Flyer-Verteilern eine „Druckkosten-Unterstützung“ an. 

Mutmaßliche Druckkosten im fünfstelligen Bereich

Es bleibt letztlich unklar, wer die Gelder jeweils verwaltet und wie genau sie verteilt werden. Auf unsere Nachfragen zur Finanzierung haben nur die „Freiheitsboten“ reagiert, mit der Aussage: „Die Ortsgruppen finanzieren den Druck der Flyer selber.“

„Wir-Machen-Druck“ ist die einzige in den Telegram-Gruppen genannte Druckerei, bei der man online eine Auflage von einer Million Flyer bestellen kann. Wir haben am Beispiel des Flyers „Einsame Weihnachten“ von den „Freiheitsboten“ in Kooperation mit MWGFD berechnet, wie hoch die Kosten für den Druck von drei Millionen Flyern in etwa sein müssten: 30.000 Euro. 

Der Verein MWGFD teilte uns auf Anfrage mit, man zahle teilweise die Druckkosten. Eine genaue Summe nannte der Verein aber nicht.  

Behörden warnen vor den Folgen der Flyer-Kampagne

Aus den Einsendungen unserer Leserinnen und Leser lässt sich nicht abschätzen, wie viele Flyer letztlich wirklich in Briefkästen landen. Wir haben bei Innenministerien, Kultusbehörden und Gesundheitsämtern nachgefragt und um eine Einschätzung gebeten: Sind ihnen die Flyer von „Eltern stehen auf“ oder den „Freiheitsboten“ bekannt? Und wie schätzen sie die Gefahr ein, die von solchen Flyern ausgeht? 

Die Antworten, die wir erhalten, ähneln sich: Einzelne Verteilaktionen sind den Ministerien bekannt, immer wieder auch im Umfeld von Querdenken-Demonstrationen. 

Strafrechtlich relevant geworden sind die Flyer bisher in keinem Bundesland, doch einige Landesbehörden warnen vor den Folgen der Verteilaktionen: Die Flyer sind insofern eine Gefahr als dass sie Bürger*innen dazu auffordern, keinen individuellen Beitrag zum Infektionsschutz zu leisten und teils irreführende Informationen verbreiten, heißt es von Seiten des Landesgesundheitsamtes Niedersachsen. Das Hamburger Kultusministerium warnt: Sollten solche Flyer in Schülerhand geraten, besteht die Gefahr der Desinformation und der Nichtbeachtung der einschlägigen Corona-Regeln durch Schülerinnen und Schüler. 

Nähe zur Querdenken-Bewegung

Ein Blick in die Ortsgruppen der „Freiheitsbotenzeigt eine Nähe zur Querdenken-Szene und in Kreise, in denen teilweise Verschwörungsmythen verbreitet werden. Immer wieder wird dort etwa für QuerdenkenVeranstaltungen geworben. Auch teilen „Freiheitsboten“ regelmäßig Videos und Beiträge von Personen wie Attila Hildmann, Eva Herman, Miriam Hope oder Ken Jebsen. 

Kritisch beurteilt wird die Lage auch vom Innenministerium Nordrhein-Westfalens. Es bestehe die Gefahr, dass durch gezielte Desinformation die Verunsicherung in der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie geschürt wird, schreibt uns ein Sprecher. Vor allem Rechtsextremisten könnten diese Verunsicherung nutzen, um staatliche Entscheidungen in Frage zu stellen. Die Sicherheitsbehörden des Landes würden daher sehr intensiv die Entwicklungen extremistischer und verschwörungstheoretischer Initiativen in der realen wie der virtuellen Welt beobachten. 

Die Initiative „Querdenken 711“, die zahlreiche Anti-Corona-Demonstrationen organisiert, wird in Baden-Württemberg inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet

In einem Youtube-Video sagte Cristin Burg von „Eltern stehen auf“, es sei ihr „schnuppe“, ob ein Reichsbürger oder ein Rechtsradikaler neben ihr stehe. „In dem Moment, wo diese Menschen sich bereit erklären, für die Kinder auf die Straße zu gehen oder für Menschen auf die Straße zu gehen, […] in dem Moment ist mir das egal, ob die irgend ‘ne Gesinnung haben, solange sie die für sich behalten.“ 

Flyer tragen zu Verunsicherung bei und emotionalisieren

Unsere Recherche zeigt: Das Netzwerk der Corona-Gegner ist aktiv. Es organisiert nicht nur Demonstrationen, sondern hat eine bundesweite Desinformations-Kampagne ins Leben gerufen. 

Die Szene sucht immer neue Wege, bei möglichst vielen Menschen Zweifel an der Gefahr durch das Coronavirus zu säen. Und erstmals wabert die Desinformation nicht mehr in Sozialen Netzwerken oder auf Blogs, sondern landet ausgedruckt direkt zu Hause bei den Menschen im Briefkasten. 

Im Gegensatz zu Inhalten in Sozialen Netzwerken sind Flyer etwas, das man anfassen kann. „Das kann die Glaubwürdigkeit der Botschaft verstärken“, sagt Heidi Schulze, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber CORRECTIV.Faktencheck. Die kritische Berichterstattung bezüglich Desinformation im Internet und in Sozialen Netzwerken habe schon dazu beigetragen, dass digitale Inhalte kritischer evaluiert werden, sagt Schulze. Aber: „Ob ein Flyer beziehungsweise eine gedruckte Botschaft eine Person ins Zweifeln bringt, ist in erster Linie abhängig von der individuellen Empfänglichkeit und Bereitschaft bezüglich des Themas.“

Eines dieser Einfallstore für Desinformation ist längst geöffnet: Die Bereitschaft, sich mit dem Thema Corona zu befassen ist deutschlandweit hoch. Gleichzeitig sind viele Menschen stark verunsichert und emotional belastet. Und viele der Flugblätter sprechen sie auf dieser Ebene an: Im Flyer von MWGFD werden „einsame Weihnachten“ betrauert, während viele Menschen dieses Jahr damit ringen, ob sie die Familie zum Fest zusammenbringen, oder nicht. 

Der Flyer suggeriert, dass die Maßnahmen nicht verhältnismäßig seien und fordert die „Rückkehr zur alten Normalität“, die sich alle seit Monaten ersehnen. Zwar versichert MWGFD uns gegenüber, man forderte, dass sich alle „an die Gesetze“ halten. Doch ob solche Flyer dazu beitragen, dass Menschen sich an die Corona-Maßnahmen halten, ist mehr als fraglich. 

Grafiken und Datenaufbereitung: Max Donheiser, Michel Penke

Redigatur: Alice Echtermann, Till Eckert