Hintergrund

Weshalb RT DE auf Youtube gelöscht wurde – und was daran inkonsequent ist

Vor zwei Monaten hat Youtube einen der reichweitenstärksten Kanäle in Deutschland gelöscht: den des russischen Senders RT DE. Wir konnten die Daten der gelöschten Videos auswerten und damit nachvollziehen, was geschehen war.

von Tania Röttger

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Youtube hat die Konten von RT DE gelöscht, die zusammen mehr als 700.000 Abonnenten hatten – die Löschung kam nach einer vorläufigen Sperre. (Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV)

Am Abend des 21. September, knapp eine Woche vor der Bundestagswahl, fällt einigen Nutzern von Youtube etwas auf. Sie bemerken, dass Videos von RT DE auf einem anderen Kanal als üblich erschienen. Einer schreibt in den Kommentaren: „Warum wurde das hier auf dem Ersatzkanal von RT ausgestrahlt? Der Mann hat doch Recht mit allem, was er hier gesagt hat. RT befürchtet bestimmt, dass es deswegen von Youtube zu einer Sperrung kommt, weil anderen diese Wahrheiten nicht gefallen.“ Im Video geht es um einen Mann, der dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush Lügen über den Irak vorwirft. Der „Ersatzkanal“ heißt Der Fehlende Part, er gehört ebenfalls zu RT DE.

Tatsächlich hatte Youtube am selben Tag den Hauptkanal von RT DE gesperrt, aber nicht wegen dieses Videos. Acht Tage später, am 29. September, entschied Youtube, beide Kanäle dauerhaft zu löschen. Der Hauptkanal hatte mehr als 610.000 Abonnenten, Der Fehlende Part mehr als 130.000. Was war geschehen?

Seit einigen Monaten löschen Plattformen wie Facebook und Youtube immer mehr Inhalte. Meist begründen sie das – zum Teil offensiv, zum Teil erst auf Nachfrage – mit dem Verweis auf ihre Richtlinien oder Gemeinschaftsstandards. Das Problem bei den Löschungen ist: Die Informationen zu den Gründen sind spärlich. Das Material ist weg. Die Nachvollziehbarkeit ist gleich null. 

Mit dieser Recherche wollen wir das ändern: Anhand der Metadaten der gelöschten Videos von RT DE auf Youtube können wir nachvollziehen, wie es zur Löschung der Kanäle kam. Für uns zeigt sich: Bei dieser Löschung war kein Algorithmus am Werk, sondern eine Person, die sich mit den Videos von RT DE genau auseinandergesetzt hat. Dennoch geht Youtube bei der Umsetzung seiner eigenen Regeln alles andere als konsequent vor. 

Was an RT DEs Berichterstattung über die Corona-Pandemie auffällig ist

RT (früher Russia Today) ist ein russischer Sender, dem oft Staatsnähe vorgeworfen wird. RT erscheint in sechs Sprachen. Der deutsche Ableger heißt RT DE. Kritik an der russischen Regierung kommt in der Berichterstattung nicht vor. CORRECTIV.Faktencheck hat schon mehrmals Faktenchecks über falsche oder irreführende Berichte dieses Mediums veröffentlicht. 

Doch RT ist gut darin, an der Trennlinie zwischen Andeutung und Fehlinformation zu bleiben. Manchmal erweckt nur die Überschrift einen falschen Eindruck, oder die Artikel zitieren irreführende Behauptungen anderer Personen. Zum Beispiel: „EU-Abgeordnete zu Corona-Impfung: ‚Ich werde mich nicht zum Versuchskaninchen degradieren lassen‘“. 

So stellt nicht RT selbst die Behauptung auf, die Corona-Impfung sei ein Versuch am Menschen. Bei den Menschen, die solche Beiträge sehen und lesen, bleibt die Botschaft aber hängen. 

Durch die Schwerpunkte der Berichterstattung entwirft RT DE ein verzerrtes Bild. Das Medium berichtet ausgiebig von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Wenn es um die Impfung geht, dann berichtet RT DE vor allem über Nebenwirkungen. Nur selten liefern Artikel dazu den nötigen Kontext. Ist das einfach nur kritisch, oder steckt dahinter Kalkül, Menschen gegen die Regierung und ihre Corona-Politik aufzubringen?

Das Londoner Institute for Strategic Dialogue hat Anfang November eine Studie über die Praktiken von RT DE während der Corona-Pandemie veröffentlicht, für die die hundert erfolgreichsten Youtube-Videos des Senders zwischen März und Juli 2021 untersucht wurden. In der Analyse heißt es: „Die Verstärkung von spaltenden Inhalten gehört zur langfristigen Strategie.“

Zu diesen Einschätzungen schickte RT uns eine Stellungnahme von Anna Belkina, der stellvertretenden Chefredakteurin: „RT DE liefert konsistente und wesentliche Berichterstattung über die Covid-Pandemie und berichtet verantwortungsvoll um unserem Publikum ein umfassendes und korrektes Bild zu liefern. Wir berichten über die WHO, das RKI und das Gesundheitsministerium in Deutschland, so wie über Geschichten aus der EU und über Appelle für generelle Impfung. Eine korrekte Bewertung unserer Berichterstattung würde zeigen, dass RT DE keinen redaktionellen Standpunkt zu Covid einnimmt, außer, dem Publikum volle und faire Informationen von einer Vielfalt von Perspektiven zu liefern.“

Wir haben RT auch Fragen zur Löschung der Kanäle geschickt, aber darauf keine Antwort erhalten.

Was zum Youtube-Strike gegen RT DE führte

RT DE schreibt in einem Artikel Anfang Oktober, der Sender habe am 21. September 2021 auf Youtube einen sogenannten Strike bekommen, eine Strafe, die dazu führte, dass der Kanal eine Woche lang keine Videos hochladen konnte. Der Grund seien „vier Podcasts“, die laut Youtube gegen die „Richtlinie zu medizinische Fehlinformationen zu Covid-19“ verstoßen hätten. Mit „Podcasts“ sind vorgelesene RT-Artikel gemeint, die aber nur auf der Videoplattform Youtube gelöscht wurden.

Die Youtube-Daten, die uns vorliegen, enthalten Titel, Erscheinungszeit, Beschreibung, Anzahl der Ansichten, Likes und manche Kommentare. Wir fanden die vier „Podcasts“, von denen RT schreibt, in unserem Datensatz. Sie waren zwischen Februar und August 2021 erschienen und hatten zwischen 80.000 und rund 500.000 Ansichten auf Youtube. Da die Texte und Tonaufnahmen weiterhin auf der Webseite von RT DE online sind (hier, hier, hier und hier), konnten wir sie mit der Youtube-Richtlinie gegen medizinische Misinformation zu Covid-19 vergleichen. Die Richtlinie verbietet einige konkrete Aussagen über die Pandemie.

Listet auf, über welche Themenbereiche Youtube Fehlinformationen verbietet
Laut der Richtlinie sind „medizinische Fehlinformationen zu Covid-19“ auf Youtube nicht erlaubt (Quelle: Youtube / Screenshot am 10. Dezember: CORRECTIV.Faktencheck)

Unsere Analyse ergab, dass in den vier Videos tatsächlich solche Aussagen vorkommen. In zwei Videos ist der Verstoß im Titel enthalten: „Pharmaunternehmer will sich nicht gegen Corona impfen lassen: ‘Will nicht meine DNA verfälschen’“ war der Titel eines Videos, das im Mai erschien. Youtube verbietet aber Behauptungen darüber, dass ein zugelassener Impfstoff gegen Covid-19 das menschliche Erbgut verändere. Das zweite Video hieß: „‘PCR-Test weist keine Infektion nach‘ – Immunologe Stadler erneuert Kritik nach Covid-19-Genesung“. Youtube verbietet ebenfalls Behauptungen darüber, dass sich eine Covid-19-Erkrankung mit zugelassenen Covid-19-Tests nicht nachweisen lasse. 

Bei den zwei anderen Videos fanden wir Verstöße gegen die Richtlinie im Text. Das eine enthielt die Behauptung, Masken würden nicht dabei helfen, die Übertragung von Covid-19 zu verhindern, das andere – eine Zusammenfassung der „56. Sitzung“ des selbsternannten Corona-Ausschusses – enthielt mehrere Aussagen, die Youtube untersagt. Darunter, dass die Impfkampagne dazu beitragen solle, die Bevölkerung zu minimieren. 

Die Frage ist, wieso diese Videos mehrere Monate auf Youtube online blieben, und hunderttausende Klicks erreichten?

Wie Youtube mit problematischen Inhalten umgeht

In einem Transparenzbericht schreibt Youtube, die allermeisten Verstöße würden durch eine künstliche Intelligenz erkannt. Diese automatisch entfernten Videos, würden alle gelöscht, noch bevor sie mehr als zehnmal angesehen wurden. Bei RT DE war das offensichtlich anders. Insbesondere bei den Videos, in denen sich die verbotene Aussage nicht im Titel befand, musste ein Mensch genau hinsehen oder hinhören, um den Regelbruch zu finden. 

Zwischen Januar 2021 und dem Zeitpunkt der Löschung der zwei Youtube-Kanäle veröffentlichte RT DE mindestens 500 Videos über die Themen Corona und Impfungen. Wer entschied, dass gerade diese vier Videos zu einer Strafe führen sollten? Von Youtube hörten wir, dass es einen oder mehrere manuelle Hinweise gab, dass die Videos gegen die Richtlinien verstießen. 

Ein Beispiel: RT DE Video von Sucharit Bhakdi führt zu keinem Strike, obwohl es Fehlinformationen enthält

Wir haben die Videos von RT DE in unserem Datensatz nach Anzahl der Ansichten sortiert. Dabei wurden wir auf mehrere Beiträge aufmerksam, die ebenfalls Informationen enthielten, die gegen Youtubes Regeln verstoßen – die aber nicht zu einem Strike führten. Das meistgesehene Video im Datensatz mit 1,2 Millionen Aufrufen heißt: „Sucharit Bhakdi legt mit neuem Buch nach: Geimpfte sind Teil eines ‚riesigen Experiments‘“. RT DE  veröffentlichte es im März, es hatte mehr als eine Million Klicks. Der zugehörige Artikel ist auch weiterhin online. 

Tatsächlich finden sich darin Fehlinformationen. Der Wissenschaftler Bhakdi, der sich seit Monaten gegen die Impfungen ausspricht, wird etwa damit zitiert, dass „Lipid-Nanopartikel“ und „Gen-Päckchen“ aus mRNA-Impfstoffen angeblich Schäden verursachen und es durch die Impfung zu „Antikörper-abhängigen Verstärkereffekten“ der Krankheit Covid-19 komme. Zu allen drei Behauptungen haben wir bereits Faktenchecks veröffentlicht (hier, hier und hier); für keine gibt es Belege.  

Youtube hat selbst in seiner Richtlinie eine Möglichkeit formuliert, wie man die Löschung von Falschinformationen zu Covid-19 umgehen kann – und zwar, wenn die Behauptungen mit Kontext versehen werden, was Youtube so beschreibt: „Zusätzlicher Kontext kann den Inhalten widersprechende Ansichten lokaler Gesundheitsbehörden oder medizinischer Experten enthalten.“ 

Genau dies ist zumindest in dem Artikel über Bhakdis Buch der Fall. Dort relativiert RT DE dessen Aussagen zum Beispiel mit den Worten: „Dies steht im Widerspruch zu den Verlautbarungen des Bundesgesundheitsministeriums, wonach von genannten Nanopartikeln keinerlei gesundheitliche Gefährdung ausgehe.“ Es ist fraglich, ob eine solche Kontextualisierung in einem Satz, im Konjunktiv, es schafft, die Wirkung der falschen Behauptungen Bhakdis einzudämmen. Auch ist unklar, ob dieser Kontext dazu führte, dass Youtube das Video zunächst nicht löschte.

Clara Jiménez Cruz von der spanischen Faktencheck-Organisation Maldita und Stefan Voss, der das Faktencheck-Team der Deutschen Presseagentur DPA leitet, plädierten bei einer Veranstaltung von Youtube im Oktober dafür, dass die Plattform mit Faktencheck-Organisationen zusammenarbeiten sollte, statt Inhalte zu löschen. Jiménez Cruz verwies dafür auf eine Studie von 2020, die zeigte, dass es effektiver sei, den Zuschauerinnen und Zuschauern Kontext zu liefern, als Videos unkommentiert zu entfernen. 

Mehrere Beispiele belegen: Youtube setzt seine eigenen Regeln nicht konsequent um

Es ist wichtig, dass Plattformen ihre eigenen Regeln konsequent anwenden. Das hatte zum Beispiel auch Regierungssprecher Steffen Seibert auf der Pressekonferenz am Tag nach der RT-Löschung gesagt: Solche Regeln müssen natürlich transparent sein und gleichmäßig auf alle Personen oder Organisationen angewendet werden.

Wir fanden Fälle, die zeigen, dass dies bei Youtube nicht immer geschieht. Das Verwenden eines Ersatzkanals, um eine Sperre zu umgehen, ist laut Youtube verboten. Der Fall im September war aber nicht das erste Mal, dass RT gegen diese Regel verstieß. Bereits im April erhielt RT DE eine vorübergehende Sperre wegen eines Videos über Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Melbourne und durfte nach eigenen Angaben für mehrere Wochen keine Videos mehr hochladen. Damals nutzte der Sender unter anderem seinen Facebook-Kanal, um auf den Zweitkanal hinzuweisen. Unsere Daten belegen: Auch im April lud RT DE während der Youtube-Sperre Videos auf dem Kanal Der Fehlende Part hoch.  

Wir haben Youtube gefragt, warum es damals nicht zu einer Löschung der Kanäle kam, erhielten aber keine Antwort. Youtube bestätigt auf unsere Anfrage, dass die Nutzung eines Ersatzkanals der Grund für die Löschung der Kanäle war. RT DE hatte nach der Sperre im September ein Banner auf den Hauptkanal hochgeladen, auf dem stand: „Wegen einer Youtube-Sperre sind wir vorübergehend auf Der Fehlende Part zu finden.“ Auf Der Fehlende Part wurden im Jahr 2021 keine Videos veröffentlicht – außer während der RT DE-Hauptkanal gesperrt war. 

So sah es aus, als RT DE auf ihren Zweitkanal hinwiesen
Das ist das Banner, in dem RT DE auf dem Hauptkanal während der Sperre auf den Zweitkanal hinweist. (Quelle: Miro Dittrich, Twitter / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Youtube löschte auch Kanäle von „Querdenken 711“ und vom Corona-Ausschuss – aber erst nach und nach

Außerdem geht Youtube unterschiedlich gegen dieselben Inhalte vor. Das sieht man zum Beispiel beim schon erwähnten Corona-Ausschuss. Verantwortlich für die „Stiftung Corona-Ausschuss“ ist die Rechtsanwältin Viviane Fischer; sie hält regelmäßig Sitzungen ab, in denen es um die Pandemie geht. 

Zu dem RT-Video mit der Zusammenfassung der 56. Ausschusssitzung, das Youtube Ende September löschte, gab es auch eine Langversion. Diese erschien auf einem Youtube-Kanal des Corona-Ausschusses selbst und wurde von Youtube schon im Juni gelöscht, kurz, nachdem es erschienen war. Auf dem Kanal von RT konnte das Video jedoch als Zusammenfassung noch drei weitere Monate online stehen und Klicks sammeln.

Die Youtube-Kanäle des Corona-Ausschusses wurden zudem erst nach den Kanälen von RT DE gelöscht, waren also im Oktober noch online. Eigentlich sagt Youtube, dass nach drei Verstößen innerhalb von drei Monaten eine Löschung eines Kanals erfolgt. Dies ist offensichtlich nicht geschehen. Es wurden im September und Oktober lediglich einzelne Videos des Corona-Ausschusses entfernt oder während des Live-Streams von Youtube abgebrochen. In manchen Fällen blieben dieselben Videos auf Zweitkanälen, in englischer Übersetzung, weiter bestehen. Doch inzwischen sind diese Kanäle des Corona-Ausschusses gelöscht. 

Laut Youtube haben sie auch den Kanal von „Querdenken 711“ wegen der Nutzung eines Ersatzkanals im Mai gesperrt. Weitere Kanäle bekannter Personen, die die Corona-Maßnahmen infrage stellen, Ängste vor Impfungen schüren und dabei nach unseren Recherchen immer wieder Falschinformationen verbreiten, sind auf Youtube Anfang Dezember aber noch zu finden. Darunter die Kanäle des „Außerparlamentarischen Corona-Ausschusses“ und seiner Dachorganisation „Ärzte für Aufklärung“. Viele Videos haben zehntausende Klicks. 

Axel Bruns forscht an der Queensland University of Technology unter anderem zu internationaler Desinformation in Sozialen Netzwerken. Im Gespräch mit CORRECTIV.Faktencheck sagt er, dass der Sender Sky News Australia von seiner Basis in Australien sehr ähnliche Inhalte verbreite wie RT DE – und eine ähnliche Klientel anspreche. Doch dieser Kanal sei noch auf Youtube und werde es wohl auch bleiben. „In Deutschland würde niemand RT DE Tränen nachweinen“, sagt Bruns. Doch in Australien gäbe es „Schwierigkeiten, gerade von der konservativen Regierung“, wenn der Kanal aus dem Medienimperium von Rupert Murdoch, zu dem auch der US-amerikanische Sender Fox News gehört, von Youtube entfernt würde. Und Youtube, das sagt Bruns deutlich, richte sich nach dem politischen Wind im jeweiligen Land.

Aus der EU hört man, dass Youtubes Entscheidung, RT DE von der Plattform zu entfernen, einen positiven Eindruck gemacht hat. Eine Woche nach der Löschung lud Youtube zu einer mehrstündigen Veranstaltung gegen Desinformation ein, dort sprach auch EU-Kommissarin Věra Jourová. Sie sagte dort bezüglich des Kodex gegen Desinformation, den die EU-Kommission im Moment mit Plattformen und anderen Organisationen überarbeitet: „Letzte Woche war ein wichtiges Treffen mit all den Unterzeichnern und neuen Unternehmen, die dem Kodex beitreten möchten. Und hier sagen Taten mehr als Worte.“ 

Plattformen wie Youtube und Facebook behandeln nicht alle Länder gleich

Das unterschiedliche Verhalten der Plattformen in unterschiedlichen Ländern ist ein Problem. Cristina Tardáguila ist Gründerin der brasilianischen Faktencheck-Organisation Agência Lupa und war eine von wenigen Eingeladenen zu einer virtuellen Pressekonferenz, bei der Youtube eine neue Richtlinie bekannt gab: Fehlinformationen über alle Impfungen seien künftig verboten. Das war am 27. September, einen Tag bevor Youtube die deutschen RT-Kanäle löschte. In Brasilien will sich nächstes Jahr der Impfskeptiker Jair Bolsonaro wieder als Präsident zur Wahl stellen. Auch dort gehe Youtube gegen Impf-Falschmeldungen vor, sagt Tardáguila. 

Im Gegensatz dazu beklagt Gemma Mendoza, die das Faktencheck-Team von Rappler auf den Philippinen leitet, dass Youtube sich nicht um die Desinformation in ihrem Land kümmere. Das Rappler-Team veröffentlicht regelmäßig Faktenchecks über Videos auf Youtube, die falsche Behauptungen im Zusammenhang mit Covid-19 aufstellen. Etwa indem sie das Medikament Ivermectin als zugelassenes Heilmittel preisen, oder behaupten, dass die Impfungen Menschen nicht schützen, sondern töten. Diese Youtube-Videos sind weiterhin online

Das Bild zeigt das Video, das falsche Informationen erhält. Es hat mehr als 80.000 Ansichten auf Youtube
Ein Beitrag über Ivermectin, den die philippinische Faktenck-Organisation als falsch bewertet hat und der seit April 2021 Online ist (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das Interesse der großen Internetkonzerne, ihre Plattformen aufzuräumen, ist je nach Region offensichtlich unterschiedlich stark ausgeprägt. Konkrete Belege dafür gibt es zum Beispiel bei Facebook, das jetzt Meta heißt: Aus den Facebook Papers, die Whistleblowerin Frances Haugen an die Öffentlichkeit brachte, ging laut Medienberichten hervor, dass Facebook Länder in vier Stufen einteilt und dementsprechend Ressourcen verteilt – in Form von Geld, Aufmerksamkeit und Technologie. Auf Stufe 0 stehen die USA, Indien und Brasilien – diese bekommen am meisten. Darunter, auf Stufe 1, folgen Deutschland, Indonesien, Iran, Israel und Italien. In Stufe 2 befinden sich 22 Länder. Und zu Stufe 3 zählen Länder, in denen Facebook nur eingreife, wenn es um Inhalte über Wahlen gehe, die Moderatoren gemeldet haben.  

Dies ist ein grundsätzliches Problem. Die global agierenden Unternehmen machen Regeln, die weltweit angewendet werden sollen, sorgen aber selbst in der Praxis nicht für genügend Ressourcen dafür.

Die EU arbeitet an einer Regulierung der Plattformen

Am 13. Dezember stimmt ein Ausschuss des EU-Parlaments über einen Entwurf für das Gesetz über Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) ab. Unter anderem sollen Plattformen wie Facebook und Google stärker reguliert werden. Es ist ein Vorhaben, das in der ganzen Welt beobachtet wird, weil es weit über die europäischen Grenzen hinaus wirken wird.

Es gibt allerdings Bestrebungen, Maßnahmen von Plattformen wie die gegen RT DE im Gesetz über Digitale Dienste grundsätzlich zu verbieten. Medien-Verbände fordern ein „Prinzip der Nichteinmischung“, also dass Soziale Netzwerke wie Facebook und Youtube in „redaktionelle Medieninhalte“ nicht mehr eingreifen dürfen – weder indem sie einzelne Beiträge oder Konten löschen, noch indem sie ihre Reichweite verringern. Faktencheck-Organisationen (darunter CORRECTIV) und Desinformations-Forschende warnen davor. Schließlich sind auch Medien, die redaktionelle Inhalte erstellen, immer wieder an der Verbreitung von Desinformation beteiligt.

Alexandra Geese, die für die Grünen im EU-Parlament sitzt, ist ebenfalls gegen den Vorschlag. Sie befürchtet, eine Ausnahme für Medien könnte zu mehr Desinformation führen. Wir sprachen mit ihr über diese Recherche, und sie sagte, dass wichtige Aspekte nicht nachvollziehbar seien: „Wie sind die Videos von RT DE zu einer halben Million Views gekommen? Wie wurden sie amplifiziert? Welche Werbung wurde darauf geschaltet?“ Geese setzt sich dafür ein, dass der Digital Services Act unter anderem festlegen solle, dass solche Daten von Plattformen an Forschende herausgegeben werden.

In unserem Datensatz zu den Youtube-Videos von RT DE sind auch Videos, die weniger als 1.000 Mal geklickt wurden. Zum Beispiel „Japan: Demonstration gegen Paralympics aufgrund steigender Corona-Infektionen“ vom 25. August, knapp einen Monat vor der Sperre. Es erhielt 599 Klicks. Ein Bericht über eine Demonstration, die auf die Gefahr durch das Coronavirus aufmerksam machen wollte, scheint weder für die Abonnenten des RT-Kanals noch für den Algorithmus von Youtube ein virales Thema zu sein.

Auf seiner Webseite hat der Sender im Oktober mitgeteilt, dass er gerichtlich gegen die Youtube-Sperre vorgehen wolle.

Redigatur: Alice Echtermann, Sarah Thust