Alte Apotheke

Krankenkassen kritisieren Apotheker: Selbstverpflichtung reicht nicht aus

Die Apotheker Nordrhein-Westfalens haben als Reaktion auf den Fall der Alten Apotheke in Bottrop eine Selbstverpflichtung entworfen. Diese geht nicht weit genug, sagen AOK und Barmer.

von Bastian Schlange , Cristina Helberg , Anna Mayr , Marcus Bensmann

stempel_sw_rot

Die Apotheker, die in NRW Krebsmedikamente mischen, sollen eine Erklärung unterzeichnen. Darin verpflichten sie sich erneut zu den Standards ihres Berufs: Dazu, nicht alleine zu arbeiten. Und dazu, über ihre Arbeit genau Protokoll zu führen.

Im Wortlaut heißt es:

Bei unserer Arbeit beachten wir stets die gesetzlichen Vorgaben und Qualitätsstandards zur Herstellung. Das am Herstellungsprozess beteiligte Fachpersonal bilden wir regelmäßig fort. So wird der Herstellungsprozess immer auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und gesetzlichen Vorgaben durchgeführt. Auch durch die aktuell verabschiedete, interprofessionelle Leitlinie der Onkologen/innen und Apotheker/innen wird die Versorgungsqualität konsequent sichergestellt.

Darüber hinaus erklären wir,

  • dass wir jederzeit das Vier-Augen-Prinzip bei der Herstellung von Zytostatikalösungen konsequent einhalten. Wir haben Maßnahmen entwickelt, mit denen wir dafür Sorge tragen, dass auch bei personellen Engpässen dieses Vier-Augen-Prinzip sichergestellt wird.

  • dass eine Durchschrift unserer Herstellungsdokumentation dem verordnenden Arzt zur Verfügung steht, damit diese möglichst in die Patientenakte aufgenommen werden kann. Darin werden alle am Herstellungsprozess beteiligten Personen benannt.

  • dass wir auf Nachfrage jederzeit einen transparenten und plausiblen Überblick über die bezogenen und verwendeten Ausgangsstoffe und deren Dokumentation geben können.

Die Apotheker wollen mit der Erklärung das Vertrauen der Krebs-Patienten wiederherstellen. Viele sind durch den Skandal in der „Alten Apotheke“ verunsichert.

Die Krankenkassen AOK und Barmer wollen mehr.

„Nicht ausreichend“, findet ein Sprecher der AOK Rheinland „angesichts der Dimension und Schwere des Skandals“ die freiwillige Selbstverpflichtung. Das antwortete er auf eine CORRECTIV-Anfrage.

Die Krankenkasse AOK findet, man müsse viel weiter gehen. „Die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips sollte selbstverständlich sein“, sagte ein Sprecher. Die Barmer Ersatzkasse sieht in der Selbstverpflichtung zwar ein „positives Signal“, merkt allerdings an, dass das „Vier-Augen-Prinzip bereits jetzt fester Bestandteil der Leitlinie“ sei. Die Selbstverpflichtung verändert also nichts.

Beide Krankenkassen fordern neue gesetzliche Regelungen:

  • Unangemeldete Kontrollen der Abrechnungen in den Apotheken

  • Kontinuierliche und unangemeldete Stichproben der hergestellten Krebsmedikamente durch die Apothekenaufsicht

Die Kosten dafür müssten Apotheker und Behörden klären, schreibt der Sprecher der Barmer Ersatzkasse.

Beide Forderungen finden sich in der Selbsterklärung der Apotheker nicht.  

Ein Einzelfall

Die Apotheker sagen hingegen, dass ihre Reaktion ausreichend sei. Der Chef der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Andreas Walter sieht in dem Fall Stadtmann kein strukturelles Problem: „Das System ist nicht marode und faul. Das ist ein krimineller Einzelfall“, sagt er.

Das sagt auch der Dortmunder Amtsapotheker Georg Bühmann: „Wir haben hier ein schwarzes Schaf unter vielen hunderten von weißen Schafen. Ich glaube nicht, dass in der Gesetzgebung für die Überwachung etwas zu ändern wäre.“ Schließlich erkenne er seine „Schweine am Gang“, fügte er hinzu.

Die Selbstverpflichtung stellten die Apotheker am Dienstag, dem 24. April, bei den Münsteraner Gesundheitsgesprächen vor. Am Abend vorher verlieh die Apothekerstiftung Westfalen-Lippe einen Journalistenpreis, bei dem CORRECTIV für die Recherche im Fall der „Alten Apotheke“ mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde.

Der Apotheker Peter Stadtmann steht in Essen vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, 62.000 Krebszubereitungen gepanscht und die hygienischen Standards nicht eingehalten zu haben. Im Labor arbeitete Stadtmann allein.

Ein perverses System

Auch der Whistleblower Martin Porwoll, der Peter Stadtmann angezeigt hatte, war bei den Gesundheitsgesprächen. Er warnte die anwesenden Apotheker, den Fall nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das System zur Kontrolle der Krebsmittelherstellung sei fehlerhaft und müsse grundlegend überdacht werden.

Auch der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP), Fritz Sörgel, hatte im Prozess gegen Peter Stadtmann gesagt: „Wenn es eine bundesweite Untersuchung von in Apotheken hergestellten Zytostatika gäbe, würde diese wahrscheinlich erschreckende Ergebnisse liefern.“ Vielen seiner Kollegen sei nicht bewusst gewesen, dass in Deutschland Krebstherapien in diesem Ausmaß in privaten Apotheken hergestellt werden, „das ist ein perverses System.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) geht noch weiter als die Krankenkassen: Er will, dass es Jobs wie den von Peter Stadtmann gar nicht mehr gibt. Er fordert eine bundesweite Reform bei der Herstellung und dem Vertrieb von Krebsmedikamenten. „Chemotherapeutika“ sollten nur noch in Krankenhäusern hergestellt werden. Denn „dort herrscht das Mehraugenprinzip“. Außerdem können Krankenhausapotheker sich nicht an den Wirkstoffen bereichern, weil sie sie nicht selbst einkaufen.