italien-1

Erntehelferinnen

Nur eine Nummer

Im Süden Italiens pflücken Erntehelferinnen die Zutaten, die die italienische Küche weltberühmt machen. Viele der Frauen kommen aus Südosteuropa. Sexuellen Übergriffen sind sie schutzlos ausgeliefert: Die Mafia hat die Arbeitskräfte fest im Griff.

von Pascale Müller , Stefania Prandi

Teil 1: Er kommt am Abend
Teil 2: Im Schatten der Kirschtomaten
Teil 3: Nur eine Nummer

Diese Recherche ist eine Kooperation mit dem RTL Nachtjournal und BuzzFeed News.

Es ist November 2016, im dunklen Büro der Gewerkschafterin Maria Viniero in der kleinen Stadt San Michele in der süditalienischen Region Apulien sitzen Rosa und Davide. Er selbst arbeitet nach einem Unfall nicht mehr als Erntehelfer. Seine Frau erntet Tomaten und ernährt damit die Familie.

Es sei wegen der Verbindung zum organisierten Verbrechen unmöglich, sich gegen sexuelle Belästigung und Ausbeutung zu wehren, sagen die beiden. „Sie kontrollieren alles. Sie rufen nach uns mit einer Nummer, nicht mit unserem Namen. Sie sagen Frauen ganz offen: Wenn du hier arbeiten willst, musst du dich so verhalten. Es gibt Leute, die sogar Beweise gesammelt haben, aber sie können sie nicht benutzen, weil sie Familie haben.“

Später im selben Büro erzählt Annalisa, Mutter dreier Kinder, ihre Geschichte. Sie arbeitete seit ihrem 17. Lebensjahr auf dem Feld und hat Tomaten, Oliven, Trauben und Kirschen gepflückt. Der Name von Annalisa, sowie der von allen anderen Frauen wurde geändert, weil sie sich um ihre Sicherheit sorgen. In ihrem letzten Job wurde Annalisa von ihrem Chef sexuell belästigt.

Weil sie sich weigerte, feuerte der Mann sie. Annalisa hat sich damit an die Gewerkschafterin Maria Viniero gewandt, weiß aber nicht, wie sie es in einem Gerichtsprozess beweisen soll. Ihrem Ehemann hat sie nichts gesagt. „Ich schäme mich und ich habe Angst vor seiner Reaktion.“

„Viele Menschen wollen arbeiten und es gibt nicht genug Arbeit für alle“, erklärt Viniero. „Eine Beschwerde reicht aus, um gefeuert zu werden. Für Frauen, die auf Avancen nicht eingehen, bedeutet das oft, dass sie ihren Job verlieren. Sie kommen, um mir davon zu erzählen. Aber dann trauen sie sich nicht es anzuzeigen, weil es so schwer zu beweisen ist.“

21-22-23-24.jpg

Annalisa (links oben): „Er kam mir nahe, er hat mich angefasst, hat mich beleidigt. Er hat mich hier, hier und hier angefasst. Ich habe ihm gesagt, er soll aufhören, ich habe nein gesagt, und er schrie mich an, dass ich nicht mehr zur Arbeit komme soll.“

Stefania Prandi

In Apulien werden laut der italienischen Gewerkschaft FLAI-GCIL rund rund 40.000 Italienerinnen und 18.000 Gastarbeiterinnen in der Landwirtschaft ausgebeutet. Nach Angaben von FLAI-CGIL sind im ganzen Land rund 400.000 Erntehelfer illegal beschäftigt, die in der Landwirtschaft ausgebeutet werden. Frauen machen in einigen Regionen Apuliens und Siziliens 70 Prozent dieser Arbeitskräfte aus.

Italien ist der weltweit zweitgrößte Hersteller von Tomatenprodukten und exportierte im Jahr 2016 mehr als fünf Millionen Tonnen Tomaten im Wert von mehr als 3,2 Milliarden Euro, hauptsächlich nach Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und Russland.

Die Frauen arbeiten zwölf Stunden am Tag und verdienen nur 25 bis 30 Euro. Sie sind weniger gut bezahlt als Männer. Mit der ungleichen Bezahlung hört es aber nicht auf. Die Frauen werden diskriminiert und sexuell belästigt. „Sicherlich fünf von zehn Arbeitgebern in unserer Region belästigen Arbeiterinnen auf den Feldern. Ausländerinnen sind häufiger betroffen als die Italienerinnen, denn für die Chefs ist es fast ein neuzeitliches ius primae noctis“, sagte Rosaria Capozzi, Direktorin von „Progetto Aquilone“, einer Organisation im apulischen Foggia, die von Gewalt betroffene Frauen unterstützt.

Die zweite wichtige Anbauregion für Tomaten ist Sizilien. Die Provinz um Vittoria, eine Stadt in der Provinz Ragusa, ist der Hauptproduzent von Kirschtomaten in Italien. Bis zu 7.500 rumänische Frauen arbeiten dort als Erntehelferinnen. Viele von ihnen leben in Lagerhäusern und Hütten in Vittoria. Wenn die Arbeitsaufsicht eine Inspektion durchführt, müssen sie weglaufen, weil diese Art der Unterkunft illegal ist und sie bestraft werden können.

Die Luft in dem Lagerhaus, in dem die rumänische Arbeiterin Elena lebt, ist stickig. Der Boden ist aus Lehm, die Decke aus Plastik. Im heruntergekommenen Badezimmer lagern Pestizide.

Elena sitzt am Tisch und starrt erschöpft erschöpft aus dem Fenster. Sie kommt gerade vom Feld und trägt einen alten Trainingsanzug. Schließlich blickt sie auf, verzieht ihr Gesicht zu einer Grimasse: „Mein ehemaliger Chef hat mich zwei Jahre lang vergewaltigt.“ Elena hat damals in einer Hütte in den Feldern gewohnt, weit weg vom Stadtzentrum von Vittoria. Nachts hat ihr Chef sie dort misshandelt. „Er hat mir eine Waffe gezeigt. Hätte ich mich geweigert Sex mit ihm zu haben, hätte er mir kein Wasser für meine Kinder gegeben und sie hätten Wasser mit Pflanzenschutzmittel trinken müssen.“

Photo 25.JPG

Elena ist 33 Jahre alt. Sie hat zwei Kinder. Ihr Ehemann war ein Alkoholiker, der sie schlug. Nach seinem Selbstmord beschloss Elena, nach Italien zu ziehen, um dort Arbeit zu finden.

Stefania Prandi

Elena hatte damals kein Auto. Ihr Vergewaltiger brachte jeden Morgen ihre beiden Kinder zur Schule. Er war ein verheirateter 60-Jähriger Mann und hatte selbst zwei Söhne. „Eines Tages, mit Hilfe einer Freundin, habe ich gekündigt“, sagt Elena. „Ich habe die Vergewaltigung und den Missbrauch bei den Behörden angezeigt und ich wurde an einen besonderen Ort gebracht, an dem ich nicht arbeiten konnte. Nach vier Monaten habe ich beschlossen, nach Vittoria zurückzukehren und einen neuen Job zu finden.“ Gegen ihren ehemaligen Chef gingen die Behörden nicht vor.

Emanuele Bellassai, ein erfahrener Sozialarbeiter, der mit verschiedenen NGOs vor Ort zusammengearbeitet hat, sagte für Elena aus. Als er sie zum ersten Mal traf, half er rumänischen Arbeitern, fuhr sie zum Arzt, zum Krankenhaus oder zum Lebensmittelladen. „Es ist fast unmöglich, den Missbrauch den Strafverfolgungsbehörden zu melden“, sagte Bellassai. „Den Arbeiterinnen glaubt man nicht, und vor allem ist es nicht möglich, genügend Beweise für einen Gerichtsprozess zu sammeln.“

Photo-26-27.jpg

Zwei Arbeiterinnen in ihrer Unterkunft. Die Hütten bestehen meist nur aus roh verputzen Wänden und einem Plastikdach.

Einer, der die Art und Weise, wie Frauen behandelt werden, nicht akzeptiert, ist der Priester Don Beniamino Sacco. Er war einer der ersten, der in der Region auf sexuelle Belästigung aufmerksam machte. Sacco lebt in Vittoria, in einem Gebäude, das er mit über dreißig Migranten teilt. Vor 30 Jahren hat der Priester Demonstrationen gegen die Mafia angeführt. In den letzten Jahren hat er sich dazu verpflichtet, den vielen Migranten in der Region zu helfen.

Vor einigen Jahren begann Sacco während des Gottesdienst über sexuelle Übergriffe in den Gewächshäusern zu sprechen. „Sizilianische verheiratete Männer kamen in die Kirche und brachten rumänische schwangere Frauen zu mir“, sagt er. „Sie haben mir immer erzählt, dass sie die Mädchen auf der Straße gefunden haben. Ich wusste, dass es eine Lüge war.“ Diese Männer, das wusste Sacco, waren die Arbeitgeber der Frauen und hatten eine Familie zu Hause. Sacco sprach sie in seiner Sonntagspredigt direkt darauf an. „Meine Predigten waren nicht willkommen, aber ich habe nicht aufgehört“, sagt er. Danach hörten Männer auf, Frauen zu Don Sacco zu bringen.

Photo 28.JPG

„Ich habe die Felder die Orte der ‚Sünde‘ genannt. Tagsüber müssen die Frauen arbeiten und am Abend müssen sie alles machen. Das ist etwas, das man versteckt, aber es ist vielen Männern nützlich.“

Stefania Prandi

DIE FELDER DER „SÜNDE“

Aber das Problem ist noch lange nicht gelöst. Und genau wie in Spanien ist ein Hinweis die Abtreibungsrate. In einem Artikel vom 5. Juli 2017 schreibt die italienische Zeitschrift L’Espresso, dass die Zahl der Abtreibungen in der Stadt Vittoria deutlich höher ist als in vergleichbaren Städten in anderen Regionen Italiens. Und vermutlich sind die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs, da sie die Frauen, die illegal oder in ihrem Herkunftsland Rumänien abtreiben, nicht berücksichtigen..

Im November 2016 führte Italien ein neues Gesetz gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft ein. Wer Arbeiter durch eine dritte Person rekrutiert, Arbeiter ausbeutet oder illegal beschäftigt, kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sechs Jahren oder mit einer Geldstrafe bis zu 1.000 Euro pro Arbeiter bestraft werden. Wer Arbeitern Gewalt antut, ihnen droht oder sie einschüchtert, kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu acht Jahre und Geldstrafen von bis zu 2.000 belegt werden.

Dieses Gesetz war entscheidend für den Prozess um Paola Clemente. Clemente war eine Erntehelferin, die 2015 in der brennenden Sommerhitze an Herzversagen starb, während sie Trauben pflückte. Im Februar 2017 verhafteten die italienischen Behörden im Zusammenhang mit ihrem Tod sechs Personen: den Besitzer der Busgesellschaft, die Clemente und ihre Kollegen zur Arbeit brachte und seine Ehefrau, drei Mitarbeiter örtlicher Arbeitsvermittlungen, die Clemente beschäftigten, sowie eine weibliche Aufsichtsperson der Farm. Ihnen wurde Ausbeutung von Arbeitern, Betrug und illegale Vermittlung vorgeworfen. Ein abschließendes Urteil steht noch aus.

Wegen solcher Gerichtsprozesse sind viele Gewerkschafter in Italien optimistisch, dass das Gesetz die Lage der Arbeiterinnen verbessern wird. Die Arbeitnehmer bleiben jedoch skeptisch. „Ich glaube nicht, dass dieses Gesetz wirklich hilft“, sagt Davide und schüttelt den Kopf. „Wenn du sexuelle Belästigung oder eine Vergewaltigung melden willst, musst du es beweisen.“ Aber auf den Feldern, so Davide, gäbe es keine Solidarität und keine Zeugen.

Er sagt: „Wenn du Geld brauchst, ist es unmöglich sich aufzulehnen.“

tomaten.jpg

Im Jahr 2016 gingen 200 Landwirte in Bari gegen das Gesetz auf die Straße, weil sie der Meinung sind, dass es ihnen „untragbare Bedingungen auferlegt“.

Stefania Prandi

Redaktion: Frederik Richter | Gestaltung: Benjamin Schubert

Diese Recherche wurde u.a. über crowdfunding.correctiv.org finanziert. Wir danken den Unterstützern für ihren Beitrag:

Elisabeth Ferrari, Mari Stephani, Jochem Theis, Uli Kindermann, Renata Piccolo, Federica Guerra, Wolfgang Weidtmann, Rene Seyedi, Michael Rasenberger, Gerhard Dimmling-Jung, Marialuisa Parodi, Vanessa Boysen, Karoline Mikus, Margit Gatzke, Monika Pater, Isabel Stettin, Marcus Beisswanger, Edith Luschmann, Valentina Lanuara, Krsto Lazarevic, Birgit Nieskens, Philipp Burgmer, Nicole Graaf, Christoph Wunnerlich, Patrick Bauer, Philipp Kayser, Emma Schiavon, Vanessa Carboni, Silvia Corti, Raffael Vogler

Die Schweizer Volkart Stiftung hat zur Finanzierung der Recherche beigetragen.