Hintergrund

Russland grüßt auf Telegram: Wie Propaganda und Fakes nach Deutschland gelangen

Seit dem Einmarsch russischer Truppen 2022 in die Ukraine sickert über Telegram unaufhörlich Desinformation und Propaganda nach Deutschland. CORRECTIV.Faktencheck zeigt, wie sich zentrale Akteure rund um die Influencerin Alina Lipp vernetzt haben.

von Sarah Thust

Telegram-Analyse: Netzwerk um Neues aus Russland von Alina Lipp
Propaganda und Desinformation aus Russland verbreiten sich im deutschsprachigen Raum sehr schnell. Diese Analyse zeigt das unter anderem am Beispiel des Telegram-Kanals „Neues aus Russland“ von Alina Lipp. (Quelle: Telegram; Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Eine der relevantesten deutschen Akteurinnen, die seit mehr als zwei Jahren Russlands Narrative über den Angriffskrieg in der Ukraine verbreitet, ist Alina Lipp. Die Influencerin hat CORRECTIV.Faktencheck bereits ausführlich vorgestellt. Lipp ist jedoch nicht allein – ihr Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend vernetzt. Unter anderem mit Personen aus der Reichsbürger-Szene, Corona-Leugnern und Verbreitern von Verschwörungsmythen. So etablierte sich Lipp als Sprachrohr russischer Propaganda und erreicht damit heute ein Publikum von rund 187.000 Abonnentinnen und Abonnenten (Stand 10. April 2024). 

CORRECTIV.Faktencheck und das Data-Science-Netzwerk CorrelAid haben die Entwicklung von „Neues aus Russland“ und dessen Vernetzung unter die Lupe genommen. Zwischen dem 1. Januar 2022 und 26. April 2023 untersuchten die Datenanalystinnen und -analysten insgesamt 800.000 Telegram-Beiträge in Kanälen sowie in öffentlichen Gruppen, die eine Verbindung zu „Neues aus Russland“ aufweisen. Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) leistete zusätzliche Unterstützung bei der Recherche. 

Das Ergebnis: Über „Neues aus Russland“ hat Lipp in den letzten Jahren direkt russische Propaganda und Desinformation für den deutschsprachigen Raum übersetzt. Der Kanal diente im untersuchten Zeitraum als Quelle für mindestens 169 deutschsprachige Verbreiter, ist aber selten die erste Quelle für Desinformation. Alina Lipp übernimmt stattdessen Nachrichten aus teils russischsprachigen Chats und übersetzt sie ins Deutsche. Aus ihrem Kanal leiten andere Nutzer sie dann weiter und teilen sie in deutschsprachigen Gruppen und Kanälen. Aus Gründen wie diesen vergrößerte sich Lipps Abonnenten-Zahl nach Beginn der Invasion rasant.

Netzwerk von russischsprachigen Chats (blau) und deutschsprachigen Chats (grün) rund um „Neues aus Russland“
Netzwerk von russischsprachigen Chats (blau) und deutschsprachigen Chats (grün) rund um „Neues aus Russland“ (rot). Verbindungen von russischen Chats zu „Neues aus Russland“ zeigen eine Weiterleitung der russischen Nachricht durch „Neues aus Russland“. Verbindungen von ‚Neues aus Russland‘ zu den deutschen Chats zeigen die Weiterleitung der übersetzten deutschen Nachricht durch den deutschen Chat. (Quelle: CorrelAid)

Durch die Funktion als Übersetzer hat „Neues aus Russland“ weitaus mehr Einfluss im deutschsprachigen Raum als englisch- oder russischsprachige Akteure auf Telegram. Bei keinem anderen von uns untersuchten Telegram-Chat ließen sich so viele Verbindungen nachweisen. Die Analyse von CorrelAid zeigt zudem, dass manche Telegram-Chats Echokammern für prorussische Inhalte sind. Andere Sichtweisen finden dort nicht statt – so tragen sie zur Polarisierung in der Gesellschaft bei.

Die Analyse gibt kein vollständiges Bild des prorussischen Telegram-Netzwerks, da CorrelAid nur ein Ausschnitt vorlag, der im Verlauf des Untersuchungszeitraums vergrößert wurde und anfangs mehr deutsche als russische Chats umfasste. Der Fokus auf „Neues aus Russland“ kann zu Verzerrungen führen. Details zur Durchführung der Analyse können Sie hier in einer deutschen Kurzfassung (PDF-Download) und hier in der englischen Originalfassung (PDF-Download) nachlesen.

Im Folgenden zeigt CORRECTIV.Faktencheck beispielhaft, welche Akteure bei der Verbreitung von prorussischen Narrativen in Deutschland seit Beginn des Kriegs eine Rolle gespielt haben.

Vernetzung ab dem 24. Februar 2022: Mehr Inhalte, mehr Reichweite

Die Rolle als Übersetzer erfüllte „Neues aus Russland“ schon vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine – den Kanal gibt es seit November 2021. Bis zum 24. Februar 2022 erreichte er jedoch nur knapp 8.000 Abonnenten. Schon am Tag darauf verdoppelte sich diese Zahl. Die CorrelAid-Analyse zeigt, dass auch andere Kanäle mit Namen wie „Deutsch Russische Freundschaft“ oder „Russländer & Friends“ eine Übersetzungsfunktion übernahmen, doch so viele Abonnenten wie der Kanal von Alina Lipp erreichten sie später nie mehr. 

An dem Tag, an dem Russland der Ukraine den Krieg erklärte – am 24. Februar 2022, veröffentlichte „Neues aus Russland“ mehr Beiträge denn je: 150 an einem Tag. Für Lipp ging mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ein enormer Zuwachs an Reichweite einher, wie Daten des Berliner Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) zeigen. 

An diesem Tag wirkt der Kanal wie ein Lautsprecher, aus dem ungefilterte russische Propaganda in deutscher Sprache dröhnt. „Neues aus Russland“ liefert über ein Netzwerk russisch- und deutschsprachiger Gruppen und Kanäle vorschnell und ungeprüft Informationen. Sie richten sich zum großen Teil an Unterstützende der russischen Invasion. Dafür zitiert Lipp staatliche Quellen, wie die russische Botschaft in Deutschland oder den Staatssender RT. Hier einige Beispiele:

Eine Auswahl der Beiträge des Telegram-Kanals Neues aus Russland vom 24. Februar 2022
Einige Beispiele: Am 24. Februar 2022 veröffentlicht „Neues aus Russland“ mehr Beiträge denn je – viele wirken wie eine Rechtfertigung der russischen Invasion in der Ukraine. Dazwischen stehen auch Falschinformationen. (Quelle: Telegram; Screenshots, Schwärzungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Während russische Soldaten am 24. Februar 2022 ukrainische Städte unter Beschuss nehmen, streut Lipp in ihren eigenen Kanälen die Behauptung, die Ukraine würde mobile Krematorien für die Vertuschung von Organhandel mit der EU einsetzen. Beweise dafür gibt es nicht, wie CORRECTIV.Faktencheck berichtete.

Die meisten Beiträge von „Neues aus Russland“ sind damals Weiterleitungen aus anderen Chats: aus großen Kanälen mit mehr als 100.000 Abonnenten und kleineren Gruppen. Am 24. Februar 2022 fällt auf: Viele Beiträge in „Neues aus Russland“ an diesem Tag stammen aus dem deutschsprachigen Telegram-Kanal „Bürgerinitiative für Frieden“, der zu diesem Zeitpunkt etwa genauso viele Mitglieder hatte wie „Neues aus Russland“. Wer den Kanal betreibt, ist unklar. Doch „Neues aus Russland“ verbreitete dessen prorussische Inhalte schon vor dem Einmarsch und bis in den Oktober 2022 hinein häufiger. Umgekehrt teilte „Bürgerinitiative für Frieden“ auch Beiträge von „Neues aus Russland“. Ein Geben und Nehmen von Desinformation.

Schon 2021 teilte der Kanal Dokumente (Bild links), die belegen sollten, dass der Westen seine Versprechen gegenüber Russland gebrochen habe. Ein Jahr später rechtfertigte der russische Präsident Wladimir Putin seinen Überfall auf die Ukraine damit, die Nato-Osterweiterung hätte wegen dieser Versprechen nie stattfinden dürfen. Wieso das nicht mit der historischen Sachlage zusammenpasst, erklärt dieser Text.

Monate vor der Invasion Russlands in der Ukraine teilte der Telegram-Kanal Bürgerinitiative für Frieden Nachrichten von Neues aus Russland
Monate vor der Invasion Russlands in der Ukraine teilte der Telegram-Kanal „Bürgerinitiative für Frieden“ Nachrichten von „Neues aus Russland“ – aus dem Kontext gerissene Dokumente wie im Bild links lieferten dem russischen Präsidenten Wladimir Putin später eine Grundlage dafür, den Überfall auf die Ukraine zu rechtfertigen. Das Bild rechts zeigt, dass der Kanal auch danach Falschinformationen weiterverbreitete. (Quelle: Telegram; Screenshots, Schwärzungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Ein weiteres Beispiel für Desinformation, die der Kanal verbreitet, sind die Aufnahmen rechts vom 26. Februar 2022: Die „Bürgerinitiative für Frieden“ behauptete auf Telegram, ein „Mitglied einer militanten ukrainischen Neonazi-Organisation“ sei als russischer Kriegsgefangener ausgegeben worden. Der Faktencheck ergab: Der Mann war tatsächlich Russe.

Frühjahr 2022: Grüße aus der Trollfabrik

Durch die Auswertung von CorrelAid stieß CORRECTIV.Faktencheck auf ein wiederkehrendes Muster von Fakes in den Propaganda-Kanälen – angebliche Nazi-Verbindungen hochrangiger Persönlichkeiten im Westen. Sie bespielen ein bekanntes Narrativ Russlands: Präsident Wladimir Putin rechtfertigt seinen Einmarsch in die Ukraine damit, das Land von Faschisten befreien zu wollen

Bei der Suche nach russisch-deutschen Beiträgen in „Neues aus Russland“ stieß das CorrelAid-Team unter anderem auf einen Beitrag vom 23. Mai 2022: ein Bild des Gründers des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, und angeblich von dessen Vater, der ein enger Vertrauter Adolf Hitlers gewesen sei. Das Foto dazu zeigte jedoch überhaupt nicht den Vater Schwabs – und der war auch kein Vertrauter Hitlers. „Neues aus Russland“ hatte den Beitrag aus einem anderen großen russischen Kanal „sheyhtamir1974“ übernommen, der keine Quelle für die Behauptung lieferte. „sheyhtamir1974“ hat in der Vergangenheit immer wieder prorussische Desinformation verbreitet. Experten merken an, dass der Kanal häufig zu den ersten Verbreitern solcher Propaganda gehört. 

Los ging es mit ähnlichen Behauptungen schon im März 2022: Da verbreiteten sich in Sozialen Netzwerken weltweit mehrere Falschbehauptungen über die Großväter von deutschen Politikern wie Olaf Scholz, Karl Lauterbach und Christian Lindner. Sie sollen angeblich hochrangige Nazis gewesen sein. Diese Behauptungen kursierten nach wenigen Tagen nicht nur in deutschen Telegram-Gruppen, sondern auch in verschiedenen Sprachen auf Facebook oder X. CORRECTIV.Faktencheck verfolgte ihre Spur zum damaligen Chef zahlreicher russischer Trollfabriken: Jewgeni Prigoschin.

Olaf-Scholz-Fake in der Telegram-Gruppe „Einmal hin alles drin“ und auf Facebook
Links eine Weiterleitung auf Telegram, rechts eine Kopie des Beitrags auf Facebook: Als Jewgeni Prigoschin noch Chef der russischen Söldner-Truppe Wagner war, verbreitete er eine Falschbehauptung über den angeblichen Großvater von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Neues aus Russland“ teilte diese ungeprüft – etliche kleinere Gruppen und Kanäle übernahmen sie ebenfalls. (Quelle: Telegram; Screenshots, Markierungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Jewgeni Prigoschin war Chef der Söldner-Gruppe Wagner, deren Mitglieder im Krieg in der Ukraine kämpften. Vom 23. bis 24. Juni 2023 kam es zu einem Aufstand der Söldner in Russland. Am Morgen des 24. Juni 2023 besetzten sie die Militäreinrichtungen in Rostow am Don und rückten Richtung Moskau vor. Präsident Wladimir Putin beschuldigte Prigoschin daraufhin des „Hochverrats“. Prigoschin kam laut Angaben Russlands zwei Monate später bei einem Absturz seines Jets ums Leben. Er galt als Leiter der russischen Trollfabrik „Internet Research Agency“, die Desinformation und prorussische Narrative in Sozialen Netzwerken streut und bereits 2016 die US-Wahlen zugunsten Donald Trumps beeinflusst haben soll. Nach seinem Tod laufen einige dieser Aktivitäten laut Medienberichten weiter – wohl unter neuem Management.

Sommer 2022: Telegram-Gruppen spülen Inhalte von „Neues aus Russland“ in die Reichsbürger-Szene

Die CorrelAid-Analyse zeigt, dass die prorussischen Beiträge aus dem Kanal „Neues aus Russland“ durch Telegram-Chats weiterverbreitet werden, die teils nur wenige Mitglieder haben. Sie wirken wie Sammelbecken für alle möglichen Arten von Desinformation. So tauchte zum Beispiel ein Beitrag von August 2022 über geschlechtsangleichende Operationen am Boston Children’s Hospital in den USA in Kanälen mit zwischen 70 und 28.000 Abonnenten auf. Doch nicht die Größe eines Telegram-Chats ist entscheidend, sondern die Vernetzung seiner Mitglieder.

Ein Beispiel ist die Gruppe „Einmal hin alles drin“, die nur ein paar Tausend Mitglieder hat, doch zu den einflussreichsten deutschsprachigen Chats des analysierten Datensatzes zählt. Das heißt: Sie ist stark mit anderen Gruppen und Kanälen vernetzt und dient quasi als Brücke zwischen Kanälen. Seit dem 24. Februar 2022 teilen dort Nutzerinnen und Nutzer – zum Teil anonym – immer wieder prorussische Beiträge, die wiederum auf Telegram und anderen Sozialen Netzwerken weiterverbreitet werden.

Beitrag in der Telegram-Gruppe „Einmal hin alles drin“ und Beiträge auf Facebook
In der Telegram-Gruppe „Einmal hin alles drin“ teilen anonyme Nutzerinnen und Nutzer Inhalte von „Neues aus Russland“. Dieselben Inhalte werden auch auf Facebook geteilt (Bild rechts). (Quellen: Telegram / Facebook; Screenshots, Schwärzungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Ein Grund, warum die Gruppe so viel Einfluss hat, könnte sein: Die Inhaberin ist laut Cemas in mehr als 100 Telegram-Chats aktiv – sie postet und kommentiert unter dem Namen „Engel mit Feuer“. In einigen davon bestimmt sie als Administratorin oder Inhaberin mit, wer Mitglied sein darf und wer nicht.

Die Frau ist der Reichsbürger-Bewegung zuzuordnen, in ihrer Profilbeschreibung bezieht sie sich auf ein Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 1913. Angehörige der Szene berufen sich häufig darauf, im Glauben, es schaffe Rechtssicherheit. Bekannt wurde „Engel mit Feuer“ durch den umstrittenen Kanal des deutschen Sängers Xavier Naidoo, den sie eine Zeit lang mit Inhalten füllte. Aktuell verwaltet sie laut Angaben des Cemas unter anderem den Kanal „Soldaten & Reservisten“ als Administratorin, wo Reichsbürger wie Heinrich XIII. Prinz Reuß oder der „Querdenker“ Michael Ballweg als „politische Gefangene“ bezeichnet werden. Sie folgt aber auch prorussischen Gruppen wie dem „Putin Fanclub Chat“ oder dem „Fan-Kanal“ des Rechtsextremisten Sven Liebich. Und sie bezeichnet sich selbst auf Telegram als „ungespritzt“, womit gemeint ist, dass sie Impfungen ablehnt.

Seit Mitte 2022: Kreml-Propaganda nimmt Fahrt auf

Im Herbst 2022 entdeckten Medien eine weltweite Desinformationskampagne des Kreml. Es tauchten gefälschte Webseiten von Regierungsbehörden oder bekannten Medien sowie prorussische Blogs und Medien auf. Weil diese so täuschend echt imitiert wurden, taufte man diese Kampagne später auf den Spitznamen „Doppelgänger“. Sie war auch Monate später noch aktiv

In „Neues aus Russland“ zeigte sich, wie nah der Kanal prorussischen Quellen steht: Am 13. Dezember 2022 warb Alina Lipp für eine Propaganda-Webseite voller Falschmeldungen. Der Zeitpunkt ist auffällig, denn damals war die Webseite, die der „Doppelgänger“-Kampagne zuzuordnen ist, vermutlich erst wenige Wochen online. Selbst russische Botschaften auf X verbreiteten den Link erst einen Tag nach Lipp. 

Das Team von CorrelAid identifizierte einen ähnlichen Fall, bei dem Lipps Kanal noch schneller reagierte: eine Webseite, die laut einer Whois-Abfrage vermutlich am 11. März 2023 online ging und schon einen Tag später von „Neues aus Russland“ geteilt wurde. Zu sehen ist dort eine bizarre Cartoon-Serie – die französische Regierung ordnet sie der „Doppelgänger“-Propaganda-Kampagne des Kremls zu. Selenskyj wird darin antisemitisch und als drogenabhängig dargestellt: In einem Cartoon ist das Büro des Präsidenten mit Alkoholflaschen gesäumt, auf seinem Schreibtisch liegt Kokain. Das Narrativ, Selenskyj sei kokainabhängig, ist ebenfalls eine wiederkehrende Desinformation. 

Allgemein zeigt die Analyse, dass Lipps Kanal voll von russischer Staatspropaganda ist: So mimte sie beispielsweise in einem russischen Satire-Video die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und hob den Arm zum Hitlergruß. In „Neues aus Russland“ postete sie dazu die deutsche Übersetzung und verlinkte den russischen Comedian. Der arbeitet unter anderem mit den Kreml-nahen „Pranksters“ Wowan und Lexus. In einem Interview mit dem ZDF sagte Lipp später, sie sei in dem Video als Schauspielerin aufgetreten und habe das mit dem Hitlergruß „auch etwas übertrieben“ gefunden.

Alina Lipp zeigt neben einem als Selenski verkleideten Comedian den Hitlergruss
Alina Lipp mit einem russischen Satiriker, der Selenskyj spielt – im Video imitiert sie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und hebt gemeinsam mit ihm den Arm zum Hitlergruß (Quelle: Telegram; Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

In der Analyse finden sich keine Hinweise auf kritische Töne an solchen Kreml-freundlichen Satire-Aktionen: So berichtete „Neues aus Russland“ immer wieder scherzhaft über gefälschte Videoanrufe bei europäischen Politikerinnen und Politikern von Wowan und Lexus. Lipp selbst trat auch mehrfach als Gast in deren Talkshow auf und sprach unter anderem über angebliche Diskriminierung von russischen Staatsbürgern in Deutschland. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ sind die Videos von Wowan und Lexus „stets im Sinne von Putins Propaganda“. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck bestritten sie dies im August 2022.

Herbst 2022: „Fakten Krieg der Ukraine“ vernetzt sich

Auch eine andere kleine Telegram-Gruppe spielt eine wichtige Rolle im Netzwerk um „Neues aus Russland“: „Fakten Krieg der Ukraine“. Im Gegensatz zu „Neues aus Russland“, das es bereits seit 2021 gibt, existiert „Fakten Krieg der Ukraine“ erst seit dem 27. Februar 2022. Die Gruppe hat rund 4.000 Mitglieder – und sie gehört wie „Einmal hin alles drin“ zu den fünf einflussreichsten Chats im Netzwerk um „Neues aus Russland“. 

Doch nicht nur das: CorrelAid stellte ab September 2022 einen starken Anstieg an Verbindungen dieser Gruppe zu russischsprachigen Chats fest. Ihre zahlreichen Administratoren, aber auch anonyme Nutzer leiten prorussische Desinformation und Propaganda in die kleine Gruppe. Ähnlich wie „Neues aus Russland“ verstärkt sie dadurch die Verbreitung von Desinfo-Beiträgen aus deutschen Kanälen wie „Bürgerinitiative für Frieden“ oder „Roter Oktober“, aber auch aus russischsprachigen Telegram-Chats. Häufig teilen anonyme Nutzerinnen und Nutzer Beiträge des bereits erwähnten Kanals „Bürgerinitiative für Frieden“.

Diagramm zeigt den Anstieg der Verbindungen des Telegram-Kanals Fakten Krieg der Ukraine zu russischen Chats
Dieses Diagramm stellt ein Ergebnis der Netzwerkanalyse von CorrelAid zwischen Januar 2022 (1 links) und März 2023 (3 rechts) dar. Es zeigt, wie viele Verbindungen zu russischsprachigen Chats für einzelne Telegram-Gruppen nachgewiesen werden konnten. Dabei fällt besonders die Gruppe „Fakten Krieg der Ukraine“ auf. (Quelle: CorrelAid)

Dem Team von CorrelAid fiel dabei unter anderem diese Falschmeldung vom 30. August 2022 auf: Zunächst in russischsprachigen Kanälen kursierte ein Foto eines angeblichen Schildes der Hamburger Bücherhallen, der Betreiberin der öffentlichen Bibliotheken in der Hansestadt. Die Bibliothek nehme unnötige Bücher an, um damit künftig zu heizen, stand darauf. Das Bild war eine Fälschung. Einer der ältesten russischen Beiträge hatte 20.000 Ansichten. Einen Tag später verbreitete Alina Lipp mit „Neues aus Russland“ den Fake, woraufhin ihn die Gruppe „Fakten Krieg der Ukraine“ am 31. August aufgriff. Dieser Beitrag erhielt 100.800 Ansichten. Lipp korrigierte sich später in ihrem Kanal – doch in „Fakten Krieg der Ukraine“ blieb der Beitrag unverändert stehen.

3 Telegram-Beiträge zeigen dass sich die Falschinformation von russisch auf deutsch verbreitete
Diese Falschinformation verbreitete sich auf Telegram im August 2022 zunächst auf Russisch. „Neues aus Russland“ übersetzte sie auf Deutsch, was wiederum in kleineren deutschsprachigen Gruppen geteilt wurde. (Quelle: Telegram; Screenshots, Schwärzungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

So landete immer wieder Desinformation in „Fakten Krieg der Ukraine“. Die Gruppe warb außerdem für die in Deutschland gesperrten Webseiten des russischen Staatssenders RT, mit einer Anleitung, wie die Sperre mit sogenannten Spiegeldomains umgangen werden kann (CORRECTIV.Faktencheck berichtete).

Telegram-Beitrag wirbt für die gesperrte Domain von RT – ein anderer zeigt Putin der ein Selfie am Grab von Selenski macht
Gelöschte Accounts und anonyme Nutzer: In Telegram-Gruppen muss sich niemand identifizieren, der dort Inhalte teilen will. Propaganda und Internetseiten von Anbietern, die auf anderen Plattformen gesperrt sind, können so einfach an Reichweite gewinnen. (Quelle: Telegram; Screenshots, Schwärzungen und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Frühjahr und Sommer 2023: Lipp tritt als Expertin im russischen Fernsehen auf

Im Februar 2023 berichtet der Faktenfinder der Tagesschau, dass Alina Lipp regelmäßig zu Gast im russischen Staatsfernsehen sei und dort unter anderem über die angebliche Zensur in Deutschland oder über Proteste gegen die Sanktionen gegen Russland spreche. Am 14. März sind Alina Lipp und der deutsche Blogger Thomas Röper außerdem zu einer Veranstaltung in Moskau geladen. Lipp schrieb in ihrem Kanal mit Applaus: „Lawrow, der russische Außenminister. Ich wette, dass die deutschen Medien sich wilde Verschwörungstheorien zu unseren ganzen Fotos von heute ausdenken werden.

Alina Lipp steht neben dem russischen Außenminister Sergei Lawrow und dem prorussischen Autor Thomas Röper in Moskau
Das Foto zeigt Lipp mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow (mitte) und dem prorussischen Autor Thomas Röper (rechts), der in seinem Blog „Anti-Spiegel“ selbst prorussische Narrative verbreitet (Quelle: Telegram; Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Name Thomas Röper taucht sehr häufig in dem Datensatz auf, den CorrelAid analysiert hat, da sich ihre Wege oft kreuzen. Der Kanal „CHVK Media“, der mutmaßlich Teil des Propaganda-Netzwerks von Jewgeni Prigoschin war, teilte zum Beispiel schon im Juli 2022 Bilder von Thomas Röper und Alina Lipp in Donezk. Der Kanal zählt laut CorrelAid übrigens auch zu den fünf einflussreichsten russischsprachigen Chats in unserem Datensatz.

Das Treffen mit Lawrow zeigt, dass Röper und Lipp in Russland inzwischen gleichermaßen anerkannt scheinen. Thomas Röper betreibt seit Jahren einen Blog, Telegram- und YouTube-Kanal, in dem er russische Propaganda und Verschwörungsmythen verbreitet. Seinen Blog zählt das Cemas zu den reichweitenstärksten Kanälen im verschwörungsideologischen Milieu. Doch obwohl Röper schon viel länger aktiv ist, kann Lipp in Sachen Reichweite durchaus mithalten.

Ein Kanal, der ebenfalls bis zum Frühjahr 2023 mehrfach in der Analyse auftaucht und von CorrelAid als einer der einflussreichsten Chats identifiziert wurde, ist „Soloviev Live“. Er gehört dem russischen Journalisten und Moderatoren Wladimir Solowjow und ist mit mehr als 1,2 Millionen Abonnenten einer der wichtigsten Kanäle für russische Staatspropaganda. Wie der Stern berichtete, ist Solowjow „einer der glühendsten Verteidiger, Anhänger und Befehlsempfänger von Wladimir Putin“. Seit Februar 2022 wird er von der EU sanktioniert. 

Solowjow verschafft Lipps Inhalten auch in Russland Aufmerksamkeit – ihre Zusammenarbeit dreht sich vor allem um das Narrativ, in Deutschland würden Russinnen und Russen verfolgt und diskriminiert.

Zwei Telegram-Beiträge von Neues aus Russland, die auch auf Russisch verbreitet wurden
Eine Hand wäscht die andere: Links wirbt Alina Lipp im Februar 2023 in ihrem Telegram-Kanal für ein Interview mit „Soloviev Live“ – rechts teilt der russische Blogger ein Video von Lipp und ihrer Mutter von August 2022, deren Bankkonto in Deutschland angeblich eingefroren wurde. (Quelle: Telegram; Screenshots, Unkenntlichmachung und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Lipp gab ihm mehrfach Interviews in seiner russischen Sendung, sprach dort über den angeblichen Einsatz von Nato-Waffen im Donbas oder über eine Frau, die vermeintlich nach Russland flüchten musste. Weitere Beispiele: Im August 2022 teilte „Soloviev Live“ ein Video von „Neues aus Russland“ und schrieb, die Mutter von Alina Lipp werde in Deutschland politisch verfolgt. Der Original-Beitrag von Lipp in russischer Sprache wurde rund 688.400 Mal gesehen – knapp die Hälfte dieser Ansichten kam laut der Angaben auf Telegram über Solowjows Kanal. So war es auch bei einem Beitrag, den „Neues aus Russland“ im Oktober 2022 auf Deutsch und Russisch veröffentlichte. Er wurde 512.800 Mal gesehen, Solowjows Kanal trug dazu maßgeblich bei.

Der Beitrag von Oktober 2022 zeigt eine kleine Gruppe von Demonstrierenden vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Eine Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift: „Schluss mit Russophobie“, auf einem anderen Plakat steht „keine Verfolgung von Alina Lipp“. Dahinter ist ein Banner eines Organisation namens Vadar zu erkennen – die „Vereinigung zur Abwehr der Diskriminierung und der Ausgrenzung Russlanddeutscher sowie russischsprachiger Mitbürger in Deutschland“.

Drei Frauen stehen mit Plakaten in der Hand vor einer Bühne vor dem Brandenburger Tor – im Hintergrund das Logo der Organisation Vadar
Das Foto zeigt laut dem Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ eine Kundgebung der prorussischen Organisation Vadar am 2. Oktober 2022 in Berlin, bei der es auch um Alina Lipp ging (Quelle: Telegram; Screenshots und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

„Russophobie“ und Auswandern nach Russland?

Im April 2023 endete die CorrelAid-Analyse – CORRECTIV.Faktencheck beobachtete das Netzwerk weiter. Ein Name, der im Chatverlauf von „Neues aus Russland“ auftauchte, ist die AfD-nahe „Vereinigung zur Abwehr der Diskriminierung und der Ausgrenzung Russlanddeutscher sowie russischsprachiger Mitbürger in Deutschland“ (Vadar) mit Sitz in Chemnitz. Sie wurde im Juni 2022 gegründet, um Betroffene durch Beratung und Unterstützung vor „Russophobie“ zu schützen – darunter auch Alina Lipp. Im Oktober 2022 bewirkte Vadar laut eigener Aussage, dass Lipps gesperrte Konten in Deutschland wieder freigegeben wurden. Auch das Kreml-nahe Desinformationsnetzwerk „Doppelgänger“ warb bereits für den Verein, wie CORRECTIV.Faktencheck 2023 berichtete. Im Telegram-Kanal von „Neues aus Russland“ liest man über ihn seit Ende 2023 allerdings nichts mehr. 

Dagegen teilt „Neues aus Russland“ inzwischen häufiger Beiträge eines anderen Projekts: Moya Rossiya (übersetzt: Mein Russland) – laut eigener Angabe soll es qualifizierte Menschen aus Westeuropa bei Einwanderungsfragen nach Russland unterstützen. Lipp wird auf einer Webseite als Gründungsmitglied des Projekts geführt – so auch Martin Held, der in Russland lebt und Blogger laut einer Recherche des Faktenfinders technisch unterstützt, um Internetsperren zu umgehen.

Ein Telegram-Beitrag von Moya Rossiya wirbt für ein Video von Alina Lipp
Über das Projekt Moya Rossiya gibt Lipp Tipps für Menschen, die nach Russland einwandern wollen – sie verlinkt dort auch ihren Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ (Quelle: Telegram; Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Für die Echokammern auf Telegram braucht es Inhalte – doch wer produziert sie aktuell?

Blogger wie Alina Lipp und das Netzwerk auf Telegram sind nur die Verbreiter der prorussischen Desinformation. Wer genau sie produziert, ist unklar. Der Wagner-Aufstand und Prigoschins Tod brachten Spekulationen über eine Neuausrichtung russischer Desinformation mit sich, denn die Publikationen seiner bis dato mächtigen Mediengruppe „Patriot“ sollten angeblich ihre Arbeit einstellen. Doch auch ohne Prigoschin arbeitet sein Netzwerk weiter. 

Das zeigt zum Beispiel ein Text der „Stiftung zur Bekämpfung der Repression“, den „Neues aus Russland“ und auch die Schweizer Webseite Uncut-News kurz nach der Präsidentschaftswahl in Russland im Frühjahr 2024 teilten. Darin heißt es in deutscher, russischer, englischer und französischer Sprache, der Westen habe versucht, die Wahlen in Russland zu „delegitimieren“. Gegründet wurde die Stiftung ursprünglich von Jewgeni Prigoschin – heute leitet sie die Russin Mira Terada, die vor Jahren in den USA wegen Geldwäsche verurteilt wurde.  

Mehrsprachige Webseiten, die Propaganda und Falschinformationen veröffentlichen, stehen im Fokus mit Blick auf die im Juni 2024 bevorstehenden EU-Wahlen. Das gilt unter anderem für die News-Seiten des Netzwerks Recent Reliable News (RRN), vor denen bereits der Europäische Rat warnte, und Voice of Europe, die von Tschechien als Einflusskampagne des Kremls auf eine Sanktionsliste gesetzt wurde. Links zu Webseiten von RRN verbreiteten „Neues aus Russland“ und der Telegram-Kanal von Vadar mehrfach.

Wie viele Menschen in Deutschland und der EU tatsächlich von diesen russischen Desinformationskampagnen erreicht werden, ist unklar. Doch fest steht, sie setzen ihre destruktive Arbeit auch nach mehr als zwei Jahren unermüdlich fort.

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Artikel:

  • Englische Telegram-Analyse von CorrelAid, Pro-Russian Disinformation and Propaganda in the German Telegram Network around ‘Neues aus Russland’, 26. April 2023: Link (PDF)
  • Deutsche Zusammenfassung der Telegram-Analyse, 26. April 2023: Link (PDF)
  • Definition des Begriffs Echokammer: Link
  • Über die gemeinnützige Data-Science-Community CorrelAid: Link

Redigatur: Max Bernhard, Alice Echtermann

Diese Recherche entstand in Zusammenarbeit mit CorrelAid: Maja Guseva, Marina Fridman, Andrii Grygoryshyn