Über 30 Millionen Menschen bringen sich in Deutschland in den verschiedensten Organisationen ein, vom Sportverein über religiöse Einrichtungen, politische Parteien bis hin zu den skurrilsten Interessenvertretungen. Unsere Zivilgesellschaft würde ohne das ehrenamtliche Engagement der Bürger zusammenbrechen. Das Zentrum für Türkeistudien sieht es auch als wichtigen Bestandteil der Integration von Migranten in Deutschland. Doch sie engagieren sich deutlich seltener, und wenn es sie tun, dann häufig in eigenen türkischstämmigen Communities. – Folge (12/20) unserer Webserie „Auf eine Shisha mit“ zum Thema Engagement in der Gesellschaft.

Der Politikprofessor Dr. Dirk Halm von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien befürchtet, dass dieser Trend zunehmen wird. Bereits 2005 untersuchte er das freiwillige Engagement von Deutschtürken. Insgesamt befragte die Stiftung dazu 1500 Menschen. Hochgerechnet engagierten sich demnach 1,3 Millionen von ihnen in Vereinen, Verbänden, Gruppen und Initiativen. Halm verweist jedoch darauf, dass Beteiligung nicht gleich Engagement bedeutet: „Wenn du in einem Verein Fußball spielst, bedeutet das, dass du dich beteiligst. Erst wenn du eine Funktion zum Beispiel im Vorstand einnimmst, engagierst du dich.“

Berücksichtigt man diese Unterscheidung, treten deutliche Unterschiede zwischen Deutschen mit türkischem und solchen ohne Migrationshintergrund zutage. Von den 1,3 Millionen türkischstämmigen engagierten sich demnach lediglich 200 000 Menschen. Die Zahlen des Freiwilligensurvey 2014 bestätigen das geringere Engagement:  Während sich 46,8 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund ehrenamtlich engagierten waren es bei den Migranten nur 31,5 Prozent.

Für unsere Webserie „Auf eine Shisha mit...“ haben wir Umre Kizildeniz getroffen und über das Engagement geredet. Wir wollten von Kizildeniz wissen, ob er sich engagiert und, ob für ihn Engagement für die Türkei und Deutschland vereinbar sind.  

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Für Halm ist aber Bildung der stärkste Faktor für die Bereitschaft zum Engagement. Das bedeutet: Je gebildeter jemand ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er oder sie sich engagiert. Der Geisteswissenschaftler Caner Aver hingegen vermutet, dass die Türkischstämmigen nicht mehr vor großen integrationspolitischen Herausforderungen stehen wie die erste Gastarbeitergeneration in Deutschland. Es geht nicht mehr um Akzeptanz sondern um Gleichberechtigung. Sie fordern eine Teilhabe an den gesellschaftlichen Ressourcen, auf die jeder Bundesbürger zugreifen kann, um ihre Zukunft als gesichert zu empfinden. „Erst, wenn das alles erledigt ist, werden sich die Migranten auch in mehrheitsgesellschaftlichen Organisationen ehrenamtlich engagieren.“ Aver befürchtet  auch, dass die aktuellen Debatten über Integration einen negativen Einfluss auf das Integrationsniveau haben werden. „Wir erleben bei Deutschtürken aktuell Rückzugstendenzen in eigen-ethnische Communitys“

Dass sich die Deutschtürken besonders häufig in solche ethnischen Verbände zurückziehen ist nicht neu. Bereits 2005 engagierten sie sich am häufigsten in religiösen Gemeinden, Erhebungen des ZftI zufolge sogar dreimal häufiger als Menschen ohne Migrationshintergrund. Zwar relativiert Aver die Zahlen:„Auch wenn nur eine Person Mitglied im Moscheeverein ist, wird die ganze Familie gezählt. In den Kirchen wiederum muss die einzelne Person ein eingetragenes Mitglied sein.“

Im  FreiwilligenSurvey 2014 zeichnet sich zugleich viel Potenzial für ein stärkeres  Engagement von Migranten ab. 68,1 Prozent der befragten Migranten zieht in Erwägung, sich zu engagieren. Dieses Potenzial kann ausgeschöpft werden.

Geisteswissenschaftler Caner Aver kennt die Herausforderungen dabei aus eigener Erfahrung. Er war fünf Jahre lang im Vorstand der Türkisch Deutschen Akademiker Plattform. In verschiedenen Projekten versuchte er, besonders hochqualifizierte junge Deutschtürken für ein Engagement in zivilgesellschaftlichen Organisationen zu gewinnen. Dafür, glaubt Aver, müssen die Attraktivität des Ehrenamtes - etwa die Vorteile für die persönliche und berufliche Entwicklung - erhöht und seine gesellschaftliche Bedeutung stärker kommuniziert werden. Sehr wichtig ist dabei eine persönliche Ansprache.

Dass ein solcher Ansatz funktionieren kann, zeigt unser Interview mit Umre Kizildeniz. Kizildeniz ist im beschaulichen Dorf Haßloch aufgewachsen. Seit seiner Jugend ist er aktiv bei der freiwilligen Feuerwehr. Er erinnert sich bis heute an den Brief, der ihn zur freiwilligen Feuerwehr brachte: Es war der erste Brief, der persönlich an ihn gerichtet war und ihn zu einem Schnuppertag einlud. Bis heute engagiert sich Umre in der freiwilligen Feuerwehr mehrmals die Woche.


Zum Download:

In unseren Handouts findest Du unsere Quellen, weitere Informationen und einen Leitfaden, mit dem Du auch einen Workshop zu dem Thema durchführen kannst. 

Engagement in der Gesellschaft (425,3 KB)


Unser Workshopvideo 

Unseren Workshop zu diesem Thema führten wir Kooperation mit der Alevitischen Gemeinde Nürnberg e.V. statt. Im Workshop kamen wir zu dem Ergebnis, das ehrenamtliche Engagement mit dem beruflichen Werdegang zu kombinieren. Mit unserem Video wollten wir auf den Personalnotstand in der Pflege hinweisen.