Artikel 3 des Grundgesetzes besagt, dass in Deutschland niemand aufgrund seiner Herkunft, seiner Sprache oder Religion benachteiligt werden darf. Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich. Menschen mit Migrationshintergrund haben es in Schule und im Beruf trotzdem oft schwerer. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Doch was kann man gegen diese Ungerechtigkeit tun? – Folge (09/20) unserer Webserie „Auf eine Shisha mit“ zum Thema Chancengleichheit.

Chancengleichheit bedeutet zunächst, dass alle Menschen die gleichen Ausgangsbedingungen bekommen. Wo eine formale Chancengleichheit herrscht, gibt es keine rechtlichen Hindernisse für einzelne Gruppen, um  eine Schule oder Universität zu besuchen oder sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben. Allerdings gibt es Gründe, warum Migranten auch in Abwesenheit von solchen Hindernissen niedrigere Erfolgschancen haben, etwa aufgrund schlechterer Sprachkenntnisse oder Vorurteile in der Gesellschaft. Deshalb vertreten viele Politiker und Wissenschaftler die Meinung, dass es unterstützender Maßnahmen bedarf, um Defizite in bestimmten Bereichen auszugleichen.

Jeder zweite türkischstämmige Migrant in Deutschland fühlt sich laut einer Umfrage der Universität Münster als Bürger zweiter Klasse. Zudem geben 54 Prozent an, nicht als Teil der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden, egal wie sehr man sich anstrenge. Einwanderer aus der ersten Generation empfinden das stärker so (65 Prozent) als solche aus der zweiten und dritten (43 Prozent).

Für unsere Webserie „Auf eine Shisha mit...“ haben wir Emrah Celik getroffen und über Chancengleichheit geredet. Celik ist heute selbstständiger Grafikdesigner. Von ihm wollten wir erfahren, welche Erfahrungen er mit Chancengleichheit, besonders in der Schulzeit, gemacht hat. 

Das Gefühl, nicht dazuzugehören, entsteht oftmals bereits im Kindesalter, wenn sich Schüler von ihren Lehrern ungerecht behandelt fühlen. So sind 42 Prozent der türkischstämmigen Schüler der Meinung, nicht die gleichen Chancen wie deutsche Schüler zu haben. Von den Eltern glauben dies sogar 59 Prozent.

Suat Yilmaz von den Kommunalen Integrationszentren NRW (LaKI) nimmt die Lehrkräfte allerdings in Schutz: “Wir als Gesellschaft können Lehrern Rückendeckung geben, sie zu echten Autoritäten machen, oder wir zerreden ihre Rolle.” In diesem Zusammenhang kritisiert Yilmaz die Diskussionskultur. “Allzu oft werden in Bildungsdebatten die Lehrer entweder zu Verursachern von Bildungsungerechtigkeit gemacht, oder sie sind zusammen mit den Schülern die Leidtragenden des Systems.”

Sprachkenntnisse als Schlüssel

Der Großteil der Migranten gibt in der Befragung der Universität Münster Schwierigkeiten mit der Sprache bei Eltern oder Kindern als entscheidendes Hindernis für Chancengleichheit an. Häufig wird in den Familien die Muttersprache der Eltern gesprochen. Die so entstandenen Deutschdefizite werden dann in der Schule meist nicht mehr ausgeglichen. Türkischstämmige Eltern, die ihre Kinder bei den Hausaufgaben unterstützen, fühlen sich dabei oft überfordert – auch wegen eigener Sprachdefizite. 59 Prozent von ihnen wünschen sich dem Institut für Demoskopie Allensbach zufolge vom Staat mehr Unterstützung bei der Erziehung.

Auch das soziale Umfeld hat Einfluss auf die Chancengleichheit. Es wirkt sich vor allem auf die Aufstiegschancen aus, also auf die Wahrscheinlichkeit, beruflich mehr im Leben zu erreichen als die Eltern. Wer in einer Arbeiterfamilie aufwächst, beginnt seltener ein Studium als ein Kind von Akademikern. Förderungsmaßnahmen in der Schule sind ein Versuch, dieses Ungleichgewicht zumindest teilweise auszugleichen, beispielsweise über Kooperationen mit Unternehmen und Hochschulen, die benachteiligte Schüler für Ausbildung und Studium begeistern sollen.

Auch Unternehmen müssen umdenken

Im Berufsleben stehen Migranten vor weiteren Hürden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schließt zwar eine Benachteiligung aufgrund der Rasse oder Herkunft aus. In der Praxis werden Migranten allerdings bereits im Bewerbungsprozess diskriminiert. Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) fand in einer Studie heraus, dass sich bereits ein türkisch klingender Name die Erfolgschancen bei der Bewerbung mindert. In dem Versuch bekamen die Bewerber mit türkischem Namen 14 Prozent weniger positive Rückmeldungen als deutsch klingende Bewerber – trotz identischer Bewerbungsunterlagen.

Eine mögliche Lösung für dieses Problem könnten anonymisierte Bewerbungsverfahren sein, um frei von Vorurteilen ausschließlich die Leistung zu bewerten. Denn wenn die einzelne Person betrachtet wird und der Bewerbung Empfehlungsschreiben früherer Arbeitgeber vorliegen, verschwindet der Effekt von Vorurteilen meist. Die türkischen Bewerber haben dann annähernd die gleichen Chancen wie ihre deutschen Mitbewerber.

Standardisierte Auswahlverfahren, die weniger Raum für subjektive Beurteilungen zulassen, sind bereits vor allem bei großen Unternehmen verbreitet. Eine multinationale Ausrichtung der Unternehmen begünstigt die Chancengleichheit zusätzlich, wenn sie kulturelle Vielfalt gezielt fördern.


Zum Download:

In unseren Handouts findest Du unsere Quellen, weitere Informationen und einen Leitfaden, mit dem Du auch einen Workshop zu dem Thema durchführen kannst. 

Bildung (381,3 KB)


Unser Workshopvideo 

In unserem Workshop zu diesem Thema haben die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass es nicht nur für Migranten Benachteiligungen in der Chancengleichheit gibt. Sondern auch für Frauen. Deswegen haben wir versucht, nachzuvollziehen wie die Chefs bei der Auswahl ihrer Bewerber entscheiden könnten. Daraus ist diese Szene entstanden