Better Call Sascha
Die Datenbank Euros-für-Ärzte, in der Leser von CORRECTIV und „Spiegel Online“ erstmals direkt nachschauen können, ob ihr Arzt im vergangenen Jahr Geld von der Pharmaindustrie bekommen hat, erfährt scharfen Gegenwind. Eine Rechtsanwaltskanzlei aus Jena stachelt bundesweit Mediziner dazu auf, juristisch gegen uns vorzugehen. Jeder Arzt könne auf eine „Geldentschädigung in Höhe von 10.000 bis 15.000 Euro“ hoffen, lockt die Kanzlei. Inzwischen prüft auch die Rechtsanwaltskammer Thüringen den Fall.
Die Recherche erscheint in Kooperation mit „Spiegel Online“ und dem „RTL-Nachtjournal Spezial“ am 17.11.2016 um 0.15 Uhr auf RTL.
Im September erhielten viele Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ungewöhnliche Post. Es gehe um einen „Korruptionsvorwurf gegen Ihre Person“. CORRECTIV und Spiegel.de würden die angeschriebenen Mediziner in einer „Liste der käuflichen Ärzte“ führen und „im Subtext unterstellen, dass Sie gegen Geld der Pharmaindustrie Ihren Patienten bestimmte Medikamente verschreiben, die Sie mangels Indikation sonst niemals verschreiben würden“.
Verschickt werden die Briefe von der BKR Rechtsanwaltspartnergesellschaft in Jena, als Ansprechpartner wird der Anwalt Sascha Giller genannt. „Ist Ihnen bekannt“, steht in den Briefen, „dass gegen Sie der öffentliche Vorwurf erhoben wird, dass Sie durch die Pharmaindustrie käuflich seien?“
Brief der Kanzlei BKR an viele Ärzte
Im Juli hatten wir gemeinsam mit „Spiegel Online“ erstmals in Deutschland die Namen von rund 20.000 Ärzten und anderen Heilberuflern in einer Datenbank zusammengefasst, die Geld und Zuwendungen von der Pharmaindustrie angenommen haben. Es war das erste Mal, dass eine solche Datenbank in Deutschland veröffentlicht wurde, flankiert von einer umfangreichen Berichterstattung über die Transparenzinitiative der Pharmaindustrie und Erläuterungen über die Zahlungen.
Die in der Datenbank auffindbaren Ärzte hatten gegenüber der Pharmaindustrie ihr Einverständnis erklärt, dass ihre Namen und die Beträge auf den Websites der Pharmahersteller veröffentlicht werden dürfen. Die Industrie selbst hat um diese Veröffentlichung geworben. Sie will mit der Transparenzinitiative weg von ihrem Schmuddelimage, dass sie mit Hilfe finanzieller Anreize Ärzte beeinflusse, bestimmte Medikamente zu verordnen.
Viele Ärzte waren überrascht, dass CORRECTIV und Spiegel Online diese Daten von den Websites der 54 Pharmaunternehmen übernahmen und in eine eigene Datenbank überführten. Erst damit wurde es möglich, nach einzelnen Medizinern oder nach bestimmten Postleitzahlen und Orten zu suchen.
Schnelles Geschäft
Auch Rechtsanwalt Sascha Giller und Kanzleichef Philipp Wolfgang Bayer haben sich die Datenbank genau angeschaut – und vermutlich ein schnelles Geschäft gewittert. Sie verstehen unsere Veröffentlichung nicht als Aufklärung, sondern brandmarken sie als „öffentliche Diffamierung“ und leiten daraus eine mögliche Rufschädigung der Ärzte ab.
„Müssen Sie sich als käuflich bezeichnen lassen?“ fragt die Kanzlei die Ärzte in den Briefen. Und liefert die vermeintliche Antwort gleich mit: „Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Ihnen bei gravierenden Ehrverletzungen eine Geldentschädigung zusteht.“ Mindestens 10.000 Euro pro Arzt seien angemessen.
Auf Anfrage wollte die Kanzlei in Jena nicht mitteilen, an wie viele Ärzte sie dieses Schreiben verschickt hat. Mehrere Ärzte haben uns diesen Brief zukommen lassen, mit dem die BKR-Anwälte um Mandanten unter den Ärzten werben. Betreut werde „Ihr Fall“ von dem „aus der Tagesschau bekannten Rechtsanwalt Sascha Giller“. In dem Schreiben findet sich auch der Hinweis, dass die Ärzte „kostenfrei“ Herrn Giller in einem Video auf der Homepage der Anwaltskanzlei „kennenlernen“ können. „Gesetzlich sind insofern auch schmerzhafte Entschädigungszahlungen vorgesehen“, sagt Giller da in die Kamera. Der Clip erinnert ein wenig an die US-Serie „Better Call Saul“ über den Anwalt James McGill.
Das Video der Kanzlei in Jena, die unter Ärzten nach Mandanten fischt
Ein Arzt hat, nachdem er einen solchen Brief erhalten hat, bei BKR angerufen und sich „beraten“ lassen. Demnach sei in einem ersten Schritt ein Honorar von 299 Euro fällig. Komme es dann zu einer Auseinandersetzung vor Gericht, betrage das Honorar für die Kanzlei 1500 Euro, wie uns der Arzt berichtet. Auf Anfrage teilt die Kanzlei mit, dass „Ihre Annahmen unzutreffend sind“. Die Frage, wie hoch die Honorare sind, beantwortete BKR nicht.*
Grenzwertige Werbung
Diese Art der Werbung ist grenzwertig für Rechtsanwälte. In der Bundesrechtsanwaltsordnung heißt es: „Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.“ Allerdings hat der Bundesgerichtshof 2013 auch entschieden, dass ein Rechtsanwalt nicht mehr gegen das Verbot der Einzelfallwerbung verstößt, wenn er potentielle Mandanten persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet, ohne sie zu belästigen, zu nötigen, zu überrumpeln und die sachliche Werbung hilfreich ist.
Ob das in diesem Fall so ist oder nicht, wird die Rechtsanwaltskammer Thüringen entscheiden. Wir haben den Fall dort gemeldet; die Kammer sieht ausreichend Anlass, den Vorgang zu prüfen.
Ein Arzt, der ebenfalls den BKR-Brief erhalten hat, schreibt: „Wir fühlen uns durch Ihre Veröffentlichung unserer Einkünfte bei Spiegel Online nicht in unserer Ehre verletzt, auch wenn der Tenor und Kontext nahelegen, ein kritisches Bild auf unseren Berufsstand werfen zu sollen.“ Was vielmehr störe, sei die Tatsache, von juristischen Trittbrettfahrern angestiftet zu werden, gegen die Berichterstattung juristisch vorzugehen. „Bitte tun Sie uns den Gefallen“, heißt es im Brief, „und kümmern sich um das schäbige Geschäft oben genannter Rechtsanwaltspartnergesellschaft“.
„Eilt! Bitte sofort vorlegen!“
Von den mehr als 20.000 Ärzten und Heilberuflern, die in unserer Datenbank aufgelistet sind, haben die Rechtsanwälte bisher offenbar nur 36 Mediziner als Mandanten gewonnen.
Für diese 36 Ärztinnen und Ärzte hat BKR am 1. November jeweils Briefe mit vielen Ausrufezeichen an CORRECTIV und Spiegel Online geschickt. „Eilt! Bitte sofort vorlegen! Einstweilige Verfügung droht!“ steht über jedem dieser 36 Briefe. Die Kanzlei will, dass wir die Namen der Ärzte aus unserer Datenbank löschen und eine schriftliche Erklärung abgeben, dass wir sowas auch in Zukunft unterlassen. „Bezüglich der Kosten meiner Inanspruchnahme, die Sie als notwendig gewordene Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen haben, erhalten Sie gesondert Post“, schreibt uns BKR-Anwalt Matthias Kilian. Der als „Betreuer Ihres Falls“ angekündigte, tagesschaubekannte Rechtsanwalt Giller taucht in dem Schreiben übrigens an keiner Stelle auf.
Wir geben diese Erklärung selbstverständlich nicht ab und löschen deswegen auch keinen Arzt aus der Datenbank. Wir haben im Übrigen selbstverständlich auch nicht behauptet, dass die Ärzte im konkreten Fall käuflich seien, sondern nur allgemeine auf die mit den Zahlungen der Industrie verbundenen Gefahren einer Beeinflussung verwiesen. Daran halten wir fest, genauso wie an der Rechtmäßigkeit des Zusammenstellens dieser Daten, die im Internet auf den Seiten der Pharmaunternehmen frei verfügbar sind, sofern dies, wie hier, zur redaktionellen Nutzung geschieht.
Wir wollten den aktivistischen Anwälten ein paar Fragen stellen, fuhren nach Jena, klingelten an ihrem Büro in der Innenstadt, doch sie ließen uns nicht mal rein.
Anwalt Giller und sein Chef Philipp Wolfgang Beyer fallen nicht zum ersten Mal durch kreative Mandantenakquise auf. Schon 2008 berichtete „Die Zeit“ über die beiden: Damals firmierte Beyer als Vorstand des „Deutschen Verbraucherschutzrings e.V.“, einer Organisation, deren oberstes Ziel es nach eigener Aufgabe sei, „die Interessen der Verbraucher konsequent gegen wirtschaftlich Stärkere durchzusetzen“. Als Vorstand des Vereins empfahl Beyer demnach potentiell Geschädigten der Lehmann-Pleite Giller als Anwalt – wohl ohne ausreichend darüber aufzuklären, dass dieser sein Mitarbeiter ist.
Noch heute findet man vor dem Haus der Kanzlei einen Briefkasten mit der Aufschrift „Deutscher Verbraucherschutzring“. Es ist der gleiche Briefkasten, in dem man auch Post für so dubiose Vereine wie „Politische Entfaltung e.V.“, „Mandat des Himmels e.V.“, „Journalistenwatch e.V.“ und andere einwerfen kann.
Vielfältige Verwicklungen
Beyer ist in weiteren Organisationen involviert, die er potentiell für Mandantengewinnung einsetzen kann: Er ist Vorstand eines „Deutschen Insolvenz Schutzrings e.V.“, („professioneller und vertrauenswürdiger Partner in einer finanziellen Krise“), trat als Geschäftsführer einer „Deutschen Anwaltsbörse“ auf („Sie suchen eine schnelle und kostengünstige anwaltliche Beratung?“, „Versteigern Sie einfach Ihren Fall.“) und ist Aufsichtsratsvorsitzender des Prozessfinanzierers „Acivo“ („Nicht nur beim Schachspiel sind Voraussicht, Entscheidungsfreude und Phantasie gefragt.“). Die Organisationen sitzen allesamt in Jena, ihre Namen tauchen auf den Briefkästen vor der Kanzlei auf.
Beyers Mitarbeiter Sascha Giller scheint diesem Beispiel zu folgen und ist Vorstand der „Stiftung Medienopfer“, die sich nach eigenen Worten dafür einsetzt, dass in den Medien „die Rechte der Betroffenen geachtet und ethische Prinzipien nicht für die Quote geopfert werden“. Die Stiftung argumentiert gegen die Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags, gleichzeitig organisiert Giller Klagen gegen den Beitrag. Giller und Beyer stehen zudem der Rechtsaußen-Partei „Die Freiheit“ nahe: Während Beyers Kanzlei PWB als Postadresse der Bundesgeschäftsstelle der „Freiheit“ geführt wird, hat Giller sie juristisch beraten.
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*Korrektur 17.11.2016: In der ursprünglichen Version des Artikels hatte es geheißen, dass BKR die Frage nach der Höhe ihrer Honorare nicht beantwortet. Tatsächlich hat BKR allgemein geantwortet, dass „Ihre Annahmen unzutreffend sind“, die konkrete Frage nach dem Honorar aber nicht beantwortet.
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