Justiz & Polizei

„Wir machen Meinung“

Wenn Bürger gegen ihre Versicherung klagen, sind sie oft hoffnungslos unterlegen. Häufig lassen sich die Konzerne von der Kölner Kanzlei Bach Langheid Dallmayr (BLD) vertreten. Deren Juristen sind hoch spezialisiert, schreiben an den massgeblichen Kommentaren mit und kennen sich im Versicherungsrecht oft besser aus als Richter. Kritiker befürchten, dass die Kanzlei ein ganzes Rechtsgebiet beeinflusst – zum Nachteil von Verbrauchern.

von Daniel Drepper , Stefan Wehrmeyer , Justus von Daniels , Tania Röttger

© Montage von Ivo Mayr

Diese Recherche erscheint in Kooperation mit dem RTL Nachtjournal. Den RTL-Beitrag findet Ihr am Ende des Textes. 

Rund 120 Anwälte, auf ein Thema spezialisiert – so groß ist keine andere deutsche Kanzlei für Versicherungsrecht. „Bach Langheid Dallmayr“ (BLD) ist die Nummer eins, wenn Versicherungen die Ansprüche von Bürgern abwehren wollen. Die Kanzlei ist sehr erfolgreich. Weil sich die BLD-Juristen noch in den entferntesten Winkeln des Versicherungsrechts bestens auskennen. Weil sie vor Gericht schon mal „mit harten Bandagen kämpfen“, wie es ein Anwalt ausdrückt, der BLD oft vor Gericht erlebt.

Hinzu kommt: Die BLD-Juristen haben Beziehungen bis hoch zum Bundesgerichtshof. Sie prägen das Rechtsverständnis mit. Das zeigen Recherchen von CORRECTIV:

  • BLD hilft, Seminare zu konzipieren, auf denen BLD-Juristen und Versicherungsvertreter neben hochrangigen Richtern auf einem Podium sitzen. Man kennt sich.
  • Die Richter kassieren dafür Nebentätigkeitshonorare in beträchtlicher Höhe, die sie bisher nicht offenlegen müssen. Das Geld für die Richter kommt mitunter vom BLD-nahen Seminarveranstalter „Versicherungsforum“.
  • Die BLD-Anwälte schreiben mit an wichtigen Gesetzeskommentaren zum Versicherungsrecht. So prägen sie die Rechtsauffassung. Das hat eine Wirkung auf künftige Urteile.
  • BLD ist seit Jahren in der Ausbildung von Richtern an der Deutschen Richterakademie engagiert.

Die Kanzlei BLD bestreitet in einer schriftlichen Stellungnahme, das Versicherungsrecht in besonderer Weise zu prägen. Unmittelbar, nachdem CORRECTIV der Kanzlei einige Fragen geschickt hatte, antwortete im Auftrag von BLD die renommierte Medienkanzlei Höcker.

Auf eine Anfrage von uns schickten die Medienanwälte ein 25 seitiges Schreiben, in dem sie unter anderem darlegen, dass es rechtswidrig sei, falls wir in dem Artikel behaupten sollten, dass sich BLD überproportional in der Fortbildung von Rechtsanwälten und Richtern engagiert. 

Vorteil Versicherungen

Im Versicherungsrecht gibt es ein strukturelles Ungleichgewicht. Auf der einen Seite steht in der Regel ein mächtiger Versicherungskonzern. Auf der anderen Seite oft nur ein einzelner Versicherter.

Konzerne sind dabei von vornherein im Vorteil: Sie setzen erst die Versicherungsverträge auf und gestalten damit die Geschäftsbedingungen. Und können sich dann die besten Anwälte leisten.

Der Deutsche Anwaltverein hat 2013 eine interne Umfrage unter Rechtsanwälten durchgeführt, die oft mit Versicherern zu tun haben. Auf die Frage, ob Versicherer versuchen, Geschädigte in „zermürbende Rechtsstreitigkeiten“ zur Aufgabe ihres Anspruches oder zu einem „ungünstigen Vergleich“ zu bewegen, sagten 55 Prozent das „stimmt voll und ganz“ oder „das stimmt“.

BLD ist der Platzhirsch im Versicherungsrecht. Die Kanzlei hat sich bereits vor Jahrzehnten auf dieses Spezialgebiet konzentriert und gilt als Nummer Eins der Branche. Acht der zehn größten deutschen Versicherungskonzerne gaben CORRECTIV gegenüber an, Bach Langheid Dallmayr als Kanzlei zu beauftragen, dazu gehören die Allianz, AXA, R&V, Debeka, HUK-Coburg, Generali und Talanx.

Rechtsanwälte, die Geschädigte vor Gericht vertreten, ächzen unter der Marktmacht von BLD. Und die Politik tut wenig, um die Versicherten besser zu schützen.

Die Behörden haben keinen Überblick

CORRECTIV hat den Bundesgerichtshof und alle 24 deutschen Oberlandesgerichte nach Statistiken gefragt: Nach der Zahl der Klagen und danach, wer geklagt hat. Wie häufig Versicherungen gewonnen haben, wie häufig die Geschädigten. Das könnten wichtige Anhaltspunkte für ein Ungleichgewicht zugunsten einer Seite sein.

Aber: Eine offizielle Auswertung der Urteile gibt es nicht. Die meisten Oberlandesgerichte konnten kaum aussagekräftige Zahlen liefern. Es gibt Statistiken, ob ein Prozess mit einem Urteil oder einem Vergleich endete. Aber keine Zahlen, wie oft Versicherer und wie oft Geschädigte gewinnen.

Daraufhin haben wir uns mehr als 90.000 Urteile besorgt, die in der größten juristischen Datenbank Juris zu finden waren. Gut 3000 Urteile seit 2006 werden dort dem Versicherungsrecht zugeordnet.

Eine Datenauswertung dieser Urteile ist allerdings kaum möglich, weil es in den Urteilen keine Standardformulierungen gibt, wer gegen wen klagt und wer gewinnt. Weil man die Urteile nicht maschinenlesbar vergleichen kann. Selbst für Justizbehörden dürfte es daher schwer sein, sich einen systematischen Überblick zu verschaffen.

Es werden zudem viele Urteile gar nicht veröffentlicht. Ob ein Urteil veröffentlicht wird, liegt oft im Ermessen der Richter. Kanzleien, die viele Fälle in einem Rechtsgebiet bearbeiten, können auf eigene, gut gefüllte Datenbanken mit Urteilen zurückgreifen. Sie sind im Vorteil.

Hans-Peter Schwintowski, Jura-Professor an der Berliner Humboldt-Universität, sagt, die Prozessstatistik in Deutschland sei in einem beklagenswerten Zustand. „Die Folge ist, dass wir Rechtsschutzlücken und Fehler im Rechtssystem gar nicht erkennen können.“ Ob Versicherer auffällig häufig gewinnen oder ob Richter überproportional versicherungsnahe Autoren zitieren, bleibt sonst im Dunkeln. 

Das Prinzip Nähe

Der 6. Juli 2016 ist ein kühler Sommertag. Im Hilton Hotel Köln, wenige Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, findet das „Symposium Personenschaden“ statt. Ein BLD-Anwalt moderiert die Veranstaltung. Wir wollten wissen, wie so eine Veranstaltung abläuft und finden einen Anwalt, der das Seminar für uns besucht. Es ist der Versicherungsrechtler Sven Jürgens, 48. Der Anwalt arbeitet vor allem für Geschädigte.

Eine Drehtür eines Hotels

Hilton Hotel Köln, hier findet das Symposium statt

Viele der Teilnehmer begrüßen sich mit „Hallo“ oder Handschlag, sie kennen sich. Vor allem Männer sind da, manche im perfekt sitzenden Maßanzug, andere im ausgebeulten Jackett. Smalltalk am Mittagsbuffet: Über Fälle, Urteile, Gerichte. Zwei Anwälte plaudern über das Oberlandesgericht Hamm, das aus ihrer Sicht zu patientenfreundlich ist.

Einer der fünf Hauptredner: Wolfgang Wellner, Richter am Bundesgerichtshof, der auch mit Haftungsfällen zu tun hat. Neben ihm sitzt der BLD-Anwalt, der das Seminar moderiert. Richter Wellner ist oft Gast bei Seminaren zum Versicherungsrecht. Anwälte, Versicherungsmitarbeiter und Richter treffen sich dort zur Fortbildung. Ein Mitarbeiter eines Versicherungskonzerns, der ebenfalls Referent ist, duzt den BGH-Richter Wellner.

Anwalt Jürgens nimmt zum ersten Mal an so einem Seminar des Versicherungsforums teil. Es wirkt auf ihn wie ein elitärer Kreis. Er sagt: „Es war erschütternd zu sehen, wie vertraut Versicherungsmitarbeiter, Richter und Anwälte miteinander umgegangen sind“.  

BGH-Richter Wellner hat gemäß unserer Auswertung von Seminarbroschüren seit 2010 an mindestens 65 Seminaren teilgenommen. Bei derartigen Seminaren können Referenten ein Honorar von 500 bis 3000 Euro erhalten, sagen Insider. Das Versicherungsforum macht keine Angaben zur Höhe der an Richter gezahlten Honorar, der Veranstalter MWV schreibt, dass sich die Honorar „individuell, nach Erfahrung, Tätigkeitsbereich und Wertschätzung“ orientieren. Richter Wellner könnte in den sieben Jahren also rund 100.000 Euro nebenher verdient haben. Anfragen zu seinen Nebeneinkünften beantwortete BGH-Richter Wellner nicht.

Das Versicherungsforum – einer der Veranstalter, bei denen auch Wellner auftrat – fällt auf durch seine Nähe zu BLD: Die Kanzlei wirkt bei der Konzeption der Seminare mit. Mitgegründet wurde das Versicherungsforum 1987 von BLD-Anwalt Peter Bach. Mittlerweile wird es geführt von der Deutschen Versicherungsakademie, einem Branchenverband der Versicherungskonzerne.

BGH-Richter Wellner geht auf Anfrage nur auf seine Tätigkeit bei einem anderen Veranstalter, den Münchner Seminaren für Wirtschaft und Versicherungsrecht (MWV) ein. Dazu schreibt er, dass dort nicht nur Versicherungen, sondern auch Anwälte von Geschädigten zu Gast seien. Wie viele Seminare er in den vergangenen Jahren genau gegeben hat, wie viel er damit verdient hat und ob er dadurch möglicherweise befangen sei? Auf all diese Fragen antwortet Wolfgang Wellner nicht.

BLD räumt zwar ein, die Seminare des Versicherungsforums „mitzukonzipieren“, indem „aktuelle Themen identifiziert werden“, weist uns gegenüber aber darauf hin, dass sie gerade mal an 7,8 Prozent der geschätzten 600 Veranstaltungen aller Anbieter zum Versicherungsrecht im Jahr 2017 mitarbeiten würden. Auch gebe BLD nicht „die im Einzelnen vermittelten Inhalte vor“. Aus ihrer Sicht engagiere sich BLD in der Fortbildung damit nicht in einem „ungewöhnlichen Maße“.

CORRECTIV hat alle Oberlandesgerichte und die Justizministerien der Länder aufgefordert, Statistiken über die Nebentätigkeiten ihrer Richter zu übermitteln: Wie viel verdienen die Richter im Schnitt nebenher? Was sind die häufigen Nebentätigkeiten? Die meisten Gerichte konnten diese Zahlen nicht nennen, da sie nur in den individuellen Personalakten vermerkt seien. Keines der 16 Landesjustizministerien wollte oder konnte die Nebentätigkeiten der einzelnen Richter offenlegen.

Allein die beiden Anbieter MWV und Versicherungsforum haben zum Beispiel seit 2010 mehr als 100 Seminare angeboten, bei denen Richter von Landgerichten, Oberlandesgerichten oder vom Bundesgerichtshof auf dem Podium saßen – gemeinsam mit Mitarbeitern von Versicherungskonzernen oder BLD-Anwälten. Seit 2010 gab es mindestens 24 Seminare, auf denen ein BGH-Richter gemeinsam mit einem BLD-Anwalt aufgetreten ist.

Den letzten Vortrag im Kölner Hilton Hotel, beim „Symposium Personenschaden“, hält Jan Bredow, ein Mediziner an der Universitätsklinik Köln. Sein Institut erstellt auch Gutachten bei Schadensfällen. Der BLD-Anwalt moderiert den Arzt mit den Worten an: Bredow werde nun erklären, was den Versicherungen bei Wirbelsäulenverletzungen drohen könne. Und ob ein Fall schnell verglichen werden müsse.

Die Medienanwälte von BLD bestreiten, dass der moderierende Anwalt dies gesagt habe.

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Anwalt Sven Jürgens in Köln

Unser Begleiter, der Anwalt Sven Jürgens, findet diesen Teil des Seminars besonders „widerlich“. Die Stoßrichtung sei klar, sagt Jürgens: es gehe darum, den möglichen Schaden für die Versicherung möglichst gering zu halten.

Zu Besuch bei Theo Langheid

Es gibt jährlich eine einzige Fortbildung im Versicherungsrecht für Richter, die von den Justizministerien organisiert wird. In den vergangenen fünf Jahren war jeweils einer von insgesamt fünf Referenten ein Anwalt von BLD.

„Unser Herr Müller-Frank gibt Schulungen bei der Deutschen Richterakademie“, sagt Theo Langheid, einer der Gründer von BLD, im Gespräch. „Der ist bei der Richterakademie ein hoch angesehener Referent. Der schult, der indoktriniert nicht.“

Langheid residiert im BLD-Hauptsitz am Kölner Theodor-Heuss-Ring, nicht weit vom Bahnhof. Vor dem Eingang des sechsstöckigen Gebäudes wehen drei Fahnen mit dem Kürzel der Kanzlei. Die Sekretärin nimmt den CORRECTIV-Reporter in Empfang, nach wenigen Minuten kommt Kanzlei-Chef Theo Langheid und startet eine kleine Führung durch seine Räume. Sie sind hell und sparsam edel möbliert. Auf den Gängen kommt uns kaum jemand entgegen.

Ein sechstöckiges Bürogebäude in Köln

Das Gebäude der Kölner Kanzlei BLD

Theo Langheid – Mitte 60, Glatze, selbstsicher, mit perfekt sitzendem Anzug und festem Händedruck, immer freundlich, ein guter Redner – arbeitet seit mehr als 30 Jahren für Versicherungen. Er ist einer der bekanntesten Anwälte der Branche. Das „Handelsblatt“ nannte ihn respektvoll einen „Jäger aus Leidenschaft“.

Langheid weist den Verdacht zurück, dass sich Richter von ihm und seinen Anwälten beeinflussen lassen. Gleichwohl schulen seine Anwälte auch die Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (Bafin), die für die Kontrolle der Versicherungen zuständig ist. Die Bafin weist CORRECTIV gegenüber darauf hin, dass die BLD-Anwälte als „Unterauftragnehmer eines anderen Schulungsanbieters“ Schulungen anbieten. 

„Wir machen Meinung, das ist schon richtig, aber bei Gericht. In Schriftsätzen“, sagt Langheid.

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BLD-Chef Theo Langheid Grafik: Ivo Mayr

Die Rechtsprechung prägen

Das Versicherungsrecht lässt Richtern viel Spielraum bei ihren Entscheidungen. Meist orientieren sie sich bei ihren Urteilen an der gängigen Rechtsprechung – und die finden sie in Gesetzeskommentaren.

Ein wichtiger Kommentar ist der „Langheid/Rixecker“, ein ziegelsteindickes, in gelbes Leinen geschlagenes Buch. Es will „alle wesentlichen Punkte und aktuelle Rechtsfragen prägnant und doch ausführlich“ klären. Laut Angaben des Verlages C.H. Beck ist das Buch der von ihm zweitmeist verkaufte Kommentar zum Versicherungsvertragsrecht.

BLD-Mitgründer Theo Langheid ist Herausgeber und Hauptautor des Gesetzeskommentars. Von den vier Autoren des Langheid/Rixecker stammen zwei aus dem BLD-Stall.

Ein anderes Werk, der Standardkommentar zur Privaten Krankenversicherung, ist der „Bach/Moser“, 1088 Seiten stark, begründet von BLD-Mann Peter Bach. Von den derzeit zwölf Autoren dieses Gesetzeskommentars sind neun bei BLD oder einer Versicherung angestellt.

Geschädigten-Anwalt Schäfer sagt: „Das ist natürlich ein großes Problem, wenn die Literatur hier so einseitig beeinflusst wird. Denn die Richter greifen auf diese Literatur zurück.“

Richter sind nicht an die Expertenmeinungen gebunden. Aber die Expertenmeinungen geben gerade Richtern, die nicht jeden Tag mit Spezialfragen des Versicherungsrechts befasst sind, wichtige Anhaltspunkte für ihre Entscheidungen.

BLD selbst spielt die Rolle ihrer Mitarbeiter bei führenden Gesetzeskommentaren herunter. Die Kanzlei lässt uns über ihre Medienanwälte wissen, dass es im Versicherungsrecht „derzeit zumindest 92 Werke“ gebe „die für Fachleute von Bedeutung sind“. „Unsere Kanzlei stellt 5 Prozent der Autoren in der relevanten versicherungsrechtlichen Kommentar- und Fachliteratur.“ Die übrigen Autoren seien Richter, Professoren, Unternehmensjuristen und Verbraucheranwälte. Mehr Vielfalt gehe kaum.

Stolz präsentiert BLD auf ihrer Homepage auch die Fachaufsätze, die die Anwälte veröffentlichen. Die Zeitschrift „Versicherungsrecht“ ist besonders wichtig. In der Redaktionsleitung sitzt Theo Langheid. Die Zeitschrift wird vom Verlag Versicherungswirtschaft herausgegeben, der eine enge Beziehung zu BLD-Gründer Bach auf seiner Homepage erwähnt. Regelmäßig erscheinen dort Aufsätze von BLD-Anwälten.

„Wenn wir viel veröffentlichen, dann liegt das daran, dass wir fleißige Menschen sind, die viel Stoff haben“, sagt BLD-Gründer Langheid. „Das kann der Individualanwalt genauso tun. Nur tut er es eben nicht. Aber das ist ja nicht mein Problem. Soll er sich auf die Hinterbeine setzen und am Wochenende nicht in die Kneipe gehen oder Golf oder Tennis spielen, sondern sich mal was ausdenken.“

Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen kritisiert dagegen, dass die Versicherungswirtschaft es gut verstehe, die Rechtsauslegung zu beeinflussen. „Während eines Prozesses erscheinen Aufsätze von Professoren, die die Sicht von BLD stützen“, sagt Gatschke. Die Kanzlei zitiere diese Aufsätze dann. „Und da Richter oft überlastet sind, sind sie verleitet, auf die Rechtsargumentation zurückzugreifen.“

An den Unis präsent sein

In Köln, dem bedeutendsten Standort der Versicherungsbranche in Deutschland, befinden sich zwei der größten Hochschul-Institute für Versicherungsrecht. BLD ist an beiden Unis in den Fördervereinen aktiv. An der Uni Köln organisiert die Kanzlei regelmäßig einen Jour Fixe für Versicherungsrecht mit, zu dem auch hochrangige Richter eingeladen werden. BLD-Anwälte treten auch als Dozenten auf.

Laut eigener Aussage geht es BLD dabei darum, Nachwuchs für die eigene Kanzlei zu rekrutieren. Über ihre Medienanwälte lässt die Kanzlei mitteilen: „Mit der Unterstützung von Universitätsinstituten bezwecken wir die Gewinnung qualifizierten Nachwuchses. Dort studieren genau die jungen Leute, die wir später als Anwälte in unserer Kanzlei brauchen.“

Die Konzerne zeigen sich gern generös gegenüber den Hochschulen.

„Die Einflussnahme der Versicherungen ist evident“, sagt Wolfgang Schünemann, einst Professor an der Uni Dortmund. „Versicherungsforscher sind auf Fördermittel von den Versicherern beinahe angewiesen, um im akademischen Wettbewerb mitzuhalten.“

In Niedersachsen wirbt ein Verbund der Universitäten Göttingen und Hannover damit, dass das dortige Institut von acht Versicherungskonzernen aus Hannover mitfinanziert wird, „zur Stärkung des Versicherungsstandortes Hannover“, wie es auf der Homepage heißt. An der Uni Düsseldorf ist man stolz darauf, dass fünf große Versicherungen das dortige Institut mit 620.000 Euro unterstützen.

Der Versicherungsrechtler Schwintowski sagt: Es wäre gut, „wenn nicht nur eine Marktseite, sondern alle Marktseiten wissenschaftliche Institutionen unterhalten würden, also auch Vermittler und Versicherte. Auf diese Weise würde ein Gegengewicht in den Meinungsmärkten entstehen – daran mangelt es im Versicherungsbereich.“

Strukturelles Ungleichgewicht

Dass eine Handvoll Kanzleien ein Rechtsgebiet beherrschen, gibt es auch in anderen Bereichen. Im Wirtschaftsrecht sind es ein paar Großkanzleien, die das Geschäft der Konzerne vor Gericht vertreten. Doch da stehen sich in der Regel gleichwertige Parteien gegenüber. Im Versicherungsrecht herrsche dagegen eine „strukturelle Asymmetrie“ sagt der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Günter Hirsch. Bei Versicherungsverträgen stehe auf der einen Seite in der Regel ein Versicherungsunternehmen mit geballter juristischer Kompetenz, Marktmacht und finanziellen Ressourcen, auf der anderen Seite ein „kleiner Verbraucher“, so Hirsch, der heute Versicherungsombudsmann ist. Dort können sich Versicherte bei Problemen mit der Versicherung kostenlos beschweren.

Peter Bach und Theo Langheid haben mit ihrer Kanzlei ein höchst erfolgreiches Modell entwickelt – im Dienst der Versicherungen. „Wenn Sie das Geschäftsmodell Versicherungskanzlei machen wollen, dann müssen Sie die Industrie vertreten“, sagt BLD-Gründer Langheid. „Wenn Sie den Mieterverein beraten, dann können Sie nicht gleichzeitig einen Hausbesitzer-Verein vertreten. Das sind Gegensätze. Da machen Sie sich unglaubwürdig“, sagt Langheid.  

Eine vergleichbare Kanzlei wie BLD auf Seite der Versicherten existiere nicht, sagt Anwalt Joachim Cornelius-Winkler, der Versicherte vertritt. „Es gibt nur einzelne Kanzleien, die in ein oder zwei Versicherungssparten spezialisiert sind.“ Einen Spezialisten zu finden, sei für einen Verbraucher schwieriger, weil er nach der entsprechenden Spezialisierung suchen müsste und diese Kanzleien zwar bundesweit tätig seien, aber eher zufällig am Wohnsitz des Versicherten liegen.

BLD läßt über ihre Medienanwälte mitteilen, dass es insgesamt 1379 Fachanwälte für Versicherungsrecht in Deutschland gebe, von denen nur 48 bei BLD arbeiten. Außerdem vertrete die Kanzlei auch Versicherungsnehmer und Versicherte. 

„Ich bin eher überrascht, wenn auf der anderen Seite mal nicht ein Anwalt von BLD auftaucht“, sagt dagegen Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.

„Mir tut es manchmal weh, wenn ich mit meinem Mandanten den Gerichtssaal betrete, und den gegnerischen Anwalt schon im freundschaftlichen Gespräch mit dem Richter sehe“, sagt Alexander Schäfer. Seine Frankfurter Kanzlei vertritt Menschen, die gegen Versicherungen klagen. In der Hälfte der Fälle stehe ihm ein Anwalt von BLD gegenüber, so Schäfer.

„Das Problem für die Betroffenen beginnt mit der Wahl des eigenen Rechtsanwalts“, sagt Stefanie Jeske, die 2009 den Verein Subvenio Unfallopferhilfe gegründet hat.

Denn die Anforderungen sind hoch. In den Verfahren gehe es um „hochkomplexe Zusammenhänge aus Medizin, Psychologie und juristischen Winkelzügen“, sagt Jeske. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung kennt sie nur wenige Anwälte, die genügend fachliche Kompetenz mitbringen.

Mit der Einführung eines Fachanwaltes für Versicherungsrecht im Jahr 2003 hat sich die Situation etwas verbessert.

Doch auch Richter haben oft keine Möglichkeit, sich in allen Rechtsgebieten ähnlich stark zu spezialisieren wie die Anwälte. In vielen Gerichten gibt es keine eigenen Versicherungssenate. Dort machen Richter das Versicherungsrecht oft nebenher.

„Niemand ist so groß wie wir“

Langheid blickt im Gespräch mit CORRECTIV stolz auf sein Lebenswerk zurück.

Die Geschichte von Bach Langheid Dallmayr beginnt 1983. Da vertritt der junge Theo Langheid seinen Postboten gegen eine Versicherung. Die Versicherung wird vertreten von Peter Bach. „Wir haben uns ziemlich zerfleischt, in einem Kleinstprozess. Aber da wollte keiner nachgeben“, sagt Langheid mehr als 30 Jahre später.

Er ist beeindruckt von Peter Bach. „Herr Bach genoss bei der Kammer einen außerordentlich guten Ruf“, erinnert sich Langheid. „Das war schon beeindruckend, wie er da auftrat. Dieser Respekt auf der Richterbank hat mich am meisten beeindruckt.“  Und wie das so sei im Leben: „Wenn man sich so streitet, lernt man sich näher kennen“, sagt Langheid. Ein Jahr später steigt er in der Kanzlei von Peter Bach ein.

Dessen Vater war Vorstandsvorsitzender der Continentale Versicherung und Präsident des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Während damals viele Anwälte keine Lust auf Versicherungsrecht haben, fokussieren sich Bach und Langheid darauf. „Versicherungsrecht: das waren für die Anderen die mit den Ärmelstulpen, die Buchhalter.“

Peter Bach und Theo Langheid erkennen das Potential. „Wir haben dann versucht, uns in der Spezialisierung nochmal zu spezialisieren. Weil wir gemerkt haben: Es ist einfacher, wenn ich mich nicht jedes Mal neu reindenken muss.“

In den 1980er-Jahren, erzählt Langheid, besprach sich eine Handvoll BLD-Anwälte abends noch in einer Eckkneipe beim Kölsch. Heute unterhält die Kanzlei außer in Köln noch Büros in Berlin, München, Frankfurt und Karlsruhe. Langheid schwärmt von seinem Fachgebiet:

„Bei uns haben Sie das pralle Leben plus anspruchsvolle Juristerei. Das ist sexy. Ich habe früher immer gedacht: Donnerwetter, was hast Du für ein Glück, dass Du solch einen Beruf hast. Die Ermittlungsakten lasen sich oft wie Krimis.“

Langheid behauptet auch, dass „keine Waffenungleichheit“ bestehe zwischen Versicherungskonzernen und Geschädigten. „Die Verbraucher konzentrieren sich zwar nicht auf eine Kanzlei. Da fehlt dann vielleicht Erfahrung, weil die nicht so viele Fälle haben. Aber das sind gestandene Anwälte für Versicherungsrecht. Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Und die Richter sind ja auch noch da.“

Gegengewichte

Müßte es mehr Gegengewichte geben, um die Macht der Versicherungen auszubalancieren? Was müsste sich ändern, damit es fairer zugeht?

Vor vier Jahren hatte das Bundesjustizministerium unter anderem auf Anregung des Opfervereins Subvenio eine Initiative gestartet, um über Verbesserungen nachzudenken. Eingeladen zu einem Treffen waren Vertreter der Versicherungsbranche, der Deutsche Anwaltverein und zwei Verbraucherverbände. Der Verein Subvenio, der sich um Geschädigte kümmert, und selbst der ADAC wurden erst auf Nachfrage eingeladen. Die Initiative versandete. Das Justizministerium sah keinen Grund für Reformen.

Auch jetzt heißt es aus dem Justizministerium von Heiko Maas (SPD), die bestehenden Regeln im Gesetz für Versicherungsverträge schützten Verbraucher „umfassend“.

Immerhin sieht das Ministerium Handlungsbedarf, den superspezialisierten Anwälten künftig flächendeckend sachkundige Richter vor die Nase zu setzen. Der Plan: „Wir wollen eine Spezialisierung auch auf der Ebene der Gerichte.“ Nach Angaben des Justizministeriums haben mehr als 40 Prozent aller Land- und Oberlandesgerichte keine auf Versicherungsrecht spezialisierten Richter. Noch gibt es zu dieser geplanten Änderung keinen Gesetzesvorschlag.

Kritiker wie der Versicherungsrechtler Schwintowski fordern mehr Transparenz bei den Urteilen, auch um Schwachstellen im System aufzudecken. Ein Fortschritt wäre es, wenn Urteile frei zugänglich und systematisiert auswertbar wären.

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Renate Künast im Gespräch mit CORRECTIV und RTL

Auch Nebentätigkeiten von Richtern sollten offengelegt werden. „Wir haben das Recht zu wissen, wo unsere Richter sonst noch verdienen“, sagt die Grünen-Politikerin Renate Künast, Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag. Im Dezember antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag, dass Richter des BGH in Einzelfällen bis zu 275000 Euro pro Jahr dazuverdienen. Künast: „Gerichte, die Nebentätigkeiten erlauben, müssten sich mit der Frage auseinandersetzen, wie sichern wir eigentlich den Anschein der Unabhängigkeit?“


Mit dieser Recherche starten wir unseren neuen Themenschwerpunkt „Justiz und Polizei“. Wir freuen uns über Hinweise zum Thema Versicherungen oder zu anderen Justiz- und Polizeithemen. Oder schickt uns eine Email an justus.von.daniels@correctiv.org.