Grundwasser-Atlas
Wo in Deutschland das Grundwasser sinkt
Erstmals liefert CORRECTIV mit einer interaktiven Karte einen Überblick, wo in Deutschland das Grundwasser seit 1990 sinkt, gleich bleibt oder steigt. Verantwortlich für die extremen Trends sind vor allem Industrie und Trinkwasserförderung.
von Annika Joeres, Gesa Steeger, Katarina Huth,
Max Donheiser, Simon Wörpel
Grundwasser-Atlas
Wo in Deutschland das Grundwasser sinkt
Erstmals liefert CORRECTIV mit einer interaktiven Karte einen Überblick, wo in Deutschland das Grundwasser seit 1990 sinkt, gleich bleibt oder steigt. Verantwortlich für die extremen Trends sind vor allem Industrie und Trinkwasserförderung.
von Annika Joeres, Gesa Steeger, Katarina Huth, Max Donheiser, Simon Wörpel
Das Grundwasser in Deutschland sinkt dramatisch. Erstmals hat CORRECTIV Daten von rund 6.700 Messstellen aus den vergangenen drei Jahrzehnten analysiert.
Die Auswertung liefert erschreckende Befunde: An knapp der Hälfte aller ausgewerteten Orte ist das Grundwasser in den Dürrejahren zwischen 2018 und 2021 auf den tiefsten Stand seit 1990 gefallen. Insgesamt ist in den vergangenen 32 Jahren der Grundwasserstand mehr gesunken als gestiegen.
Eine Entwicklung mit weitreichenden Folgen. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums (BMUV) unter Steffi Lemke (Grüne) sagt: „Wir müssen uns sicher auch in Deutschland von der Gewissheit verabschieden, dass Wasser immer und überall in scheinbar unbegrenzter Menge zur Verfügung steht.“
Erstmals Überblick über Deutschlands Grundwasser
Die CORRECTIV-Analyse macht sichtbar, was bisher im Untergrund verborgen war: wo das Grundwasser sinkt, gleich bleibt oder steigt. Ein bundesweiter Überblick, der bisher in Deutschland fehlte.
Wie haben sich die Grundwasserstände seit 1990 in Ihrem Landkreis entwickelt? Schauen Sie in unserer interaktiven Karte nach:
Besonders in Norddeutschland sowie in Nordrhein-Westfalen (NRW), Thüringen und Bayern fallen die Grundwasserstände. In NRW, Thüringen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sinkt es sogar an jeder dritten Messstelle. Hauptverursacher des Rückgangs ist in vielen Regionen: der Mensch.
Was es heißt, wenn das Wasser in Deutschland knapp wird und die Böden austrocknen, hat sich spätestens in diesem Sommer gezeigt: Ein historischer Tiefststand im Rhein, riesige Waldbrände in Sachsen und Brandenburg, ausgedorrte Felder und Gemeinden, die den Notstand ausriefen und ihre Bevölkerung zum Wassersparen aufforderten.
Doch nicht nur die Klimakrise lässt die Wasserreserven sinken. Auch unser tägliches Trinkwasser und der große Bedarf der Industrie sind für den Rückgang verantwortlich. CORRECTIV hat für mehr als 50 Messstellen, an denen seit 1990 das Grundwasser am stärksten gestiegen oder gesunken ist, die Landkreise und Landesumweltämter nach den Gründen gefragt. Für rund die Hälfte der Fälle nennen die Behörden den Bergbau als Ursache.
Monatelang hat CORRECTIV Daten aus allen Bundesländern gesammelt, die bisher verstreut in örtlichen Behörden lagen, in komplizierten Online-Tools oder nicht öffentlichen Datenbanken abgespeichert waren. Die Daten aus dem Saarland, aus Bremen und Hamburg waren für die Analyse nicht ausreichend. Einige Behörden brauchten Monate, um die Daten an CORRECTIV zu senden. Zum ersten Mal können die Öffentlichkeit, Forschende und vor allem politisch Verantwortliche erkennen, in welchen Regionen und Orten sich die Wasserknappheit dramatisch verschärft hat.
Claudia Pahl-Wostl, Professorin für Geographie an der Universität Osnabrück, kritisiert, dass bisher weder die Länder noch die Bundesregierung eine einheitliche Datenerhebung zur Lage des Grundwassers veröffentlicht und damit transparent gemacht haben: „Die Verwaltung muss sich mit dem Thema befassen, die Daten sammeln und auswerten, verstehen, was und warum es passiert, welche Unsicherheiten es gibt und dann handeln.“
Methodik
Grundlage unserer Analyse sind Rohdaten von Grundwassermessstellen aus ganz Deutschland. In Bremen, Hamburg und Saarland war die Datenlage nicht ausreichend für unsere Auswertung. Die größte Herausforderung war, die Daten zu vereinheitlichen, so dass sie sich vergleichen lassen. Jedes Bundesland misst sein Grundwasser selbst. – manche mehrmals im Monat, andere täglich oder stündlich.
Die Maßeinheiten unterscheiden sich je nach Land: So gibt die Mehrzahl der Bundesländer den Wasserstand in „Meter über Normalhöhe“ an, Thüringen und Sachsen-Anhalt dagegen in „Meter unter Messpunkthöhe“ – also gewissermaßen verkehrt herum. Die Koordinatensysteme, in denen der Lageort einer Messstelle angegeben ist, unterscheiden sich ebenfalls von Land zu Land, manchmal fehlt sogar die Legende, um welches System es sich handelt.
Um die Daten zu normalisieren, haben wir für jede Messstelle den durchschnittlichen Grundwasserstand für jeden Monat zwischen 1990 und 2021 berechnet. Wenn für eine Messstelle weniger als 95 Prozent der Monatsdaten zur Verfügung standen, haben wir sie aus unserer Analyse ausgeschlossen.
Zusätzlich führten wir einen halbautomatischen Test auf Datengenauigkeit durch. Wir untersuchten für jede Messstelle sprunghafte Veränderungen im Werteverlauf, was auf Fehler in den Daten hindeutet. Wenn beispielsweise eine Messstelle ausgetauscht wird und die Messungen nicht für die neue Höhe neu kalibriert werden, kann es den Anschein haben, dass der Grundwasserspiegel plötzlich gestiegen ist. Anschließend haben wir die Daten für jede Messstelle, bei der solche Sprünge identifiziert wurden, visuell überprüft und die fehlerhaften Stationen manuell aus unserer Analyse entfernt. Immer mit dem Ziel: Dem Datenchaos ein Ende zu bereiten.
Schließlich berechneten wir den 32-Jahres-Trend mithilfe des Mann-Kendall-Trendtests, der auf langfristig steigende oder fallende Trends prüft. Wir haben speziell die Trend-Free Pre-Whitening-Variante des Tests verwendet. Die Analyse ergab den Trend als Veränderung in Metern pro Monat. Um die Daten zu normalisieren, teilten wir dann jeden Trend durch die Spannweite der Extremwerte (Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Messwert) für jede Messstelle und rechneten ihn auf ein Jahr hoch, um den Trend in Prozent pro Jahr ausdrücken zu können. Letztendlich haben wir die Trends kategorisiert in: kein Trend, leichter Trend, starker Trend.
Alle Daten aus unserer Analyse stehen auf unserem Github zur Verfügung.
EU bemängelt fehlende Daten zu Grundwasser in Deutschland
Die Europäische Umweltagentur, eine EU-Behörde in Kopenhagen, kritisiert diese Intransparenz. Nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie sollten alle EU-Mitgliedsstaaten die verfügbare Menge an Grundwasser erfassen, so Sprecher Constant Brand. „Die Quantität des Wassers ist entscheidend in der Klimakrise.“
Noch aber sind die EU-Länder nicht gesetzlich dazu verpflichtet. Die vorherige schwarz-rote Bundesregierung hat wichtige politische Entscheidungen getroffen, ohne überhaupt zu wissen, wie sich die Grundwasserstände entwickeln. „Auf Bundesebene werden bisher keine Daten zum Grundwasserzustand erhoben,“ sagt das Bundesumweltministerium.
So enthält der Entwurf der „Nationalen Wasserstrategie“, die das Kabinett bis Ende des Jahres verabschieden soll, keinen bundesweiten Datenüberblick. Und das, obwohl diese Strategie die Wasserversorgung für Jahrzehnte sichern soll. Das Bundesumweltministerium ist sich dieses Defizits bewusst: „In seinem Entwurf zur Nationalen Wasserstrategie hat das BMUV deutlich gemacht, dass es Verbesserungsbedarf bei der Prognosefähigkeit und der Datenbereitstellung sieht“, so der Sprecher zu CORRECTIV.
Aber auch die aktuelle Bundesregierung zieht nach dem Dürre-Sommer kaum konkrete Konsequenzen: Nach CORRECTIV-Recherchen nutzen bestimmte Industrien, wie etwa der Chemiekonzern BASF oder der Energieversorger RWE, viele Millionen Kubikmeter Wasser jährlich – ohne, dass sie wie private Haushalte bereits von der Politik zum Sparen angehalten würden. Das Umweltministerium schreibt CORRECTIV dazu auf Anfrage: „Auf Bundesebene werden aktuell keine Gespräche zu Einsparzielen mit der Industrie bzw. dem verarbeitenden Gewerbe geführt.“
„Trinkwasserversorgung in einigen Regionen gefährdet“
Laut der Wasserexpertin Claudia Pahl-Wostl von der Universität Osnabrück sind die Grundwasser-Trends in einigen Regionen „besorgniserregend“. Bereits jetzt sei die Versorgung mit Trinkwasser teilweise gefährdet und die Konflikte darum nähmen zu.
Dass sich Behörden, Landwirte und Industrie im Kampf ums Wasser immer häufiger vor Gericht treffen, hat CORRECTIV bereits berichtet. In Hessen klagt etwa ein Umweltverband gegen die dortige Landesregierung. Es geht um die Frage, ob rund 13.000 Hektar Wald absterben, weil ein regionaler Wasserversorger zu viel Grundwasser aus der Region entnimmt – und das seit Jahrzehnten. Laut dem Bundesumweltministerium sei in der Vergangenheit zu wenig auf Wasserressourcen geachtet worden, wenn lokale Behörden über Wasserentnahmen entscheiden. Zwar seien die Regionen unterschiedlich betroffen, doch „wir sollten alles tun, um künftige Wasserkrisen zu vermeiden“, sagt Pahl-Wostl gegenüber CORRECTIV.
Der Kampf ums Wasser könnte sich künftig durch die Klimakrise noch verschärfen. So führen steigende Temperaturen und Wetterextreme dazu, dass sich Grundwasserspeicher nicht mehr füllen. Gleichzeitig steigt der Wasserkonsum an, vor allem im Sommer, wie Claudia Pahl-Wostl erklärt: „Starkregenfälle nehmen zu, so dass weniger Niederschlag in der Landschaft gespeichert und stattdessen oberflächlich abgeführt wird. Gleichzeitig benötigen Landwirtschaft und Haushalte in den Hitzeperioden mehr Wasser.“
Ab heute veröffentlichen wir über das Netzwerk CORRECTIV.Lokal bundesweit mit Lokal- und Regionalmedien Recherchen zum Grundwasser. Alle Berichte finden Sie unter correctiv.org/klima.
Deutlicher Trend: Mensch beeinflusst Grundwasser
CORRECTIV hat mehr als 50 Messstellen identifiziert, an denen das Grundwasser zwischen 1990 und 2021 im deutschlandweiten Vergleich besonders stark gesunken oder gestiegen ist. Gefragt nach den Gründen für die Trends antworten die Landkreise und Landesumweltämter eindeutig: In den meisten Fällen beeinflusst der Mensch mit riesigen Industrieanlagen oder der Förderung von Trinkwasser die Grundwasserspiegel.
So geben die Behörden für sechs der 27 Messstellen, an denen das Grundwasser am stärksten gesunken ist, Tagebaue als Grund an. In weiteren Fällen nennen sie technische Schwierigkeiten wie fehleranfällige oder veraltete Messstellen oder große Wasserentnahmen als mögliche Ursache.
Oft kämen mehrere Gründe zusammen, wenn sich das Grundwasserniveau stark verändere, sagt Claudia Pahl-Wostl: „Lediglich bei großen Entnahmen wie beim Braunkohletagebau kann man relativ eindeutig einen Einzelverursacher ausmachen.“
Bei 15 der 27 Messstellen, an denen das Grundwasser zwischen 1990 und 2021 extrem gesunken ist, nennen die Landesumweltämter eine geringe Grundwasserneubildung als Grund. Wieso sich immer weniger Grundwasser bildet, ist komplex: Aufgrund der Klimakrise fällt teils über Wochen oder Monate wenig Regen, gleichzeitig wird es früher im Jahr warm – Durstige Bäume, Sträucher und Ackerpflanzen fangen schon im Februar an zu sprießen und nehmen das Regenwasser auf, bevor es tief in die Erde gelangen kann. Doch auch wie der Mensch mit den Flächen umgeht, beeinflusst die Grundwasserneubildung: Asphaltierte Parkplätze, forstwirtschaftlich genutzte Wälder oder eine konventionelle Landwirtschaft lassen Wasser abfließen statt einsickern.
Nicht alle angefragten Behörden können begründen, warum das Grundwasser sinkt. Das Landesumweltamt Sachsen-Anhalt etwa gab sich gegenüber CORRECTIV ratlos und antwortete auf Anfrage: „Ein Grund für den fallenden Trend kann nicht benannt werden.“
Auch steigende Trends lassen sich auf menschlichen Einfluss zurückführen. So geben die Behörden für 16 der 26 Messstellen, an denen das Grundwasser am stärksten gestiegen ist, die Stilllegung von Tagebauen als Grund an.
Wie viel Wasser Energiekonzerne für ihre Tagebaue nutzen, hat CORRECTIV bereits in einer vorherigen Recherche öffentlich gemacht. So pumpt der Essener Kohleriese RWE für die Trockenlegung seiner Tagebaue rund 500 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich aus dem Boden. Wird der Tagebau geschlossen, steigt das Wasser nach und nach wieder an – allerdings werden die ursprünglichen Wasserstände bei weitem nicht erreicht.
„Man kann viel wieder gut machen, wenn man die Tagebaue schließt und flutet, doch das Grundwasser vor Ort muss langfristig ,betreut‘ werden“, sagt Andreas Hartmann, Professor für Hydrogeologie an der TU Dresden. Es werde deshalb Jahrzehnte dauern, um „wieder zu einem natürlicheren Zustand zu kommen“. Kurz: Auch wenn keine Kohle mehr gefördert wird, bleibt der Grundwasserstand auf Jahre niedriger als vor dem Eingriff der fossilen Industrie.
Der Grundwasserspiegel steigt teilweise auch aus anderen Gründen. Zum Beispiel, wenn weniger Trinkwasser gefördert wurde, geben Landesumweltämter auf Anfrage an. So wie in der Nähe vom niedersächsischen Stade. Im bayerischen Bayreuth stieg der Wasserspiegel ebenfalls an drei Messstationen. Der Landkreis teilte auf Anfrage dazu mit, dass seit den 1990ern weniger Trinkwasser entnommen werde als zuvor. In Hessen wiederum steigen sie an, da der örtliche Versorger das Grundwasser künstlich auffüllt – mit Wasser aus dem Rhein.
Text und Recherche: Annika Joeres, Gesa Steeger, Katarina Huth, Max Donheiser, Simon Wörpel Datenauswertung und Visualisierung: Max Donheiser und Simon Wörpel Design: Belén Ríos Falcón, Friedrich Breitschuh Illustration: Lydia Salzer Redaktion: Justus von Daniels, Gabriela Keller, Pia Siber, Jonathan Sachse Faktencheck: Till Eckert Kommunikation: Jamie Grenda, Maren Pfalzgraf