In eigener Sache

Journalismus auf der Bühne: Ein großes Geschenk

Über ein Jahr arbeitete Autor Calle Fuhr mit der CORRECTIV Klimaredaktion zusammen. Die Inszenierung seines Stücks am Staatstheater Cottbus sorgt für Stadtgespräche – und ausverkaufte Reihen für Monate.

von Annika Joeres , Elena Kolb , Katarina Huth

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Auf der Suche nach Wasser. Und der Wahrheit. (Foto: Kolja Zinngrebe)

Meist sitzen Journalistinnen und Journalisten in schmucklosen Büroräumen, wenn sie einen Text veröffentlichen. Doch dieses Mal hockten wir auf den Zuschauerbänken der ausverkauften Kammerbühne am Staatstheater Cottbus – und sahen zu, wie unsere Recherchen zum Drama wurden. 

Am 23. September feierte „Das Kraftwerk“ unter Regie von Aram Tafreshian Premiere, ein Stück, das auf CORRECTIV-Recherchen basiert. Die Informationen, die unsere Redaktion über Monate zusammengetragen hatte, verwandelten sich in Personen und Geschichten. Was der Kohlebergbau in der Lausitz für die Wasserversorgung und vor allem für die Menschen in der Region bedeutet, wurde erleb- und vor allem fühlbar. 

Leag-Schweigedeal in letzter Theaterszene enthüllt

Während der letzten Szene des Stücks – just in dem Moment, als „Carla“, die fiktive Journalistin auf der Bühne, ihre neuesten Ergebnisse enthüllte –, drückten wir am Laptop auf den Knopf, der die zugehörige Recherche auf der CORRECTIV-Seite veröffentlichte.

Öffentlich wurde nun, wie die Leag fünf Millionen Euro für ein Wasserwerk in Frankfurt (Oder) bezahlt, damit die vom Bergbau ausgeschwemmten Sulfate besser verdünnt werden können. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt, nie wieder den Anschein zu erwecken, der Bergbau beinträchtige die Wasserqualität. Ein höchst umstrittener Deal. 

Nach den stehenden Ovationen sprachen Journalistinnen und Journalisten im Foyer des Theaters mit dem Publikum. Viele von ihnen kommen selbst aus der Region und kennen den Einfluss des Kohlekonzerns Leag. Nie waren sich Theater und Journalismus, ein Bühnenensemble, Journalistinnen und Zuschauer so nah.

Journalismus und Theater: Einzigartige Kooperation füllt Publikumsreihen

Seit der Premiere von „Das Kraftwerk“ ist einige Zeit vergangen. Das Theaterstück ist in Cottbus zum Stadtgespräch geworden. Bis zur letzten Aufführung im Februar sind alle Tickets ausverkauft. Es ist das meistgesehene Stück in den Kammerspielen am Staatstheater. „Ich war selbst von der positiven Wucht dieser Zusammenarbeit überrascht“, sagt Co-Schauspieldirektorin Franziska Benack. Viele Theater müssten sich heute – bei stets sinkenden Zuschauerzahlen – die Sinnfrage stellen. Dieses Mal aber sei sofort klar gewesen: „Das ist ein Stück für die Menschen vor Ort.“ 

Die Recherchearbeit bezog sich auf real existierende Firmen und Gegenden, geschrieben für Cottbuser Figuren. Das Ensemble hätte nicht wie so häufig vor einem 200 Jahre alten Stück gesessen und sich gefragt, wie das zu modernisieren sei. „Diese reale Geschichte zum Leben zu erwecken ist ein großes Geschenk“, sagt Benack gegenüber CORRECTIV. 

Es ist nicht das erste Mal, dass CORRECTIV seine Redaktionsräume für die großen Bühnen verlässt: Schon 2018 wurden beispielsweise unsere Recherchen zu den CumEx-Files im Theater umgesetzt.

„Die Leute kommen aus dem Theater und fragen: Ist das wirklich so? Das will ich nachlesen!“

Die Kooperation zwischen dem Cottbuser Theaterensemble und unserer Redaktion begann 2022: Der Autor des Stücks, Calle Fuhr, hatte die initiale Idee, die Recherchen der CORRECTIV Klimaredaktion rund um Wasser auf die Theaterbühne zu bringen. Über ein Jahr hinweg besprachen wir Recherchestränge und -materialien, auf deren Grundlage er das Stück für die Cottbuser Bühne schrieb. Fuhr war schon Bühnenbildner, Produktionsleiter, Regisseur, Regieassistent und hat kürzlich auch am Wiener Theater eine journalistische Recherche auf die Bühne gebracht. 

„Das Theater ringt schon seit vielen Jahren darum, über zeitgenössische Stücke wieder mehr Menschen in die Säle zu locken. Das gelingt gerade besonders gut, wenn wir ganz konkret für die Menschen vor Ort Bilder und Themen schaffen“, sagt Fuhr gegenüber CORRECTIV. Es sei nicht das Ziel, mit der x-ten Schilleraufführung in die Feuilletons des Landes zu kommen – sondern die Menschen mit ihren Themen zu bewegen.“ Die lebensnahen Stücke brächten ein sehr diverses, neues Publikum in die Säle.  

Fuhr sieht sich in der Linie mit politischem Theater. „Wir machen politisierende Arbeiten. Die Leute kommen aus dem Theater heraus und fragen sich: Ist das wirklich so? Das will ich nachlesen.“ Dann gehe mit dem Stück ein Weg auf. 

Podiumsdiskussion nach Aufführung sorgt für „Riesen-Redebedarf“

Eine Woche nach Premierenabend lud das Staatstheater Cottbus zur Podiumsdiskussion ein, die außergewöhnlich gut besucht war. Das Besondere: Die Person, die in unserem Artikel wegen des Leag-Schweigedeals kritisiert wurde, reiste selbst an. Auch das ist sehr ungewöhnlich – welche Redaktion spricht schon auf der Bühne mit den kritisierten Personen aus ihren Texten? Am 30. September stellte sich der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) René Wilke unserer Kritik und unseren Fragen. Wilke reiste mit mehreren Personen aus der Stadtpolitik an, CORRECTIV war mit zwei Autorinnen auf der Bühne vertreten. Mehr als zwei Stunden wurde leidenschaftlich gesprochen und gestritten – auch dies ist für ein Theater eine „einmalige Chance“, sagt Benack. „Wir sehen nach jeder Vorstellung einen Riesen-Redebedarf“.  

Theaterabend zur „Wasser-Mafia“ wird investigativer, desto länger er geht

Auch die Kritiker des Theaters fanden Gefallen an dem Stück. Die viel gelesene Seite Nachtkritik schrieb nur wenige Stunden nach der Premiere über das „aufrüttelnde Theaterstück“. Der Autor der Rezension hob hervor, dass die Spannung über das recherchierte Material enstehe, denn „das ist wirklich dramatisch. Es geht um die Wassermafia.“ Immer, wenn dieses Wort falle, kämen alle auf der Bühne kurz zum Stillstand.  „Je länger der Abend dauert, desto investigativer wird er.“ Der Abend zeige, „wie gewinnbringend Theater und Journalismus zusammen arbeiten können und welches politische Potential, welche aufklärende Kraft gemeinsam möglich ist.“ 

Diese Kraft wird CORRECTIV weiter nutzen. Schon sind weitere Recherchen im Gespräch, um auf die Bühne zu kommen.