Reaktion auf CORRECTIV-Recherche

„Gazprom-Lobby“-Recherche: Gabriel zieht gegen CORRECTIV vor Gericht

Sigmar Gabriel sieht sich in Bezug auf seine Forderungen nach dem Abbau von Russland-Sanktionen 2016 durch die „Gazprom-Lobby“-Recherche in ein falsches Licht gerückt. Der Ex-Wirtschaftsminister (SPD), der 2015 dem Verkauf von Gasspeichern an Gazprom zustimmte, zieht nun wegen einer Formulierung vor Gericht. CORRECTIV wehrt sich.

von Justus von Daniels , Annika Joeres , Frederik Richter

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Sigmar Gabriel (SPD) war häufiger bei deutsch-russischen Treffen zur Energiepolitik zu Gast. Hier bei der Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz 2017 in Sankt Petersburg (picture alliance / Inga Kjer/photothek.net)

CORRECTIV wehrt sich gegen juristische Forderungen von Sigmar Gabriel: Der frühere Bundeswirtschaftsminister (SPD) möchte mit einer einstweiligen Verfügung erreichen, dass eine Formulierung in einer Veröffentlichung von CORRECTIV zur „Gazprom-Lobby“ geändert wird. 

Gabriel geht es darum, wie seine Haltung zu Sanktionen gegen Russland im Jahr 2016 in dem Bericht von CORRECTIV zusammengefasst wurde. Dort steht: „Sigmar Gabriel, damals SPD-Wirtschaftsminister, sprach sich hier 2016 für das Ende der Russland-Sanktionen aus“. Der Satz könne den „Eindruck erwecken“ – so die Anwälte von Gabriel –, er habe ein bedingungsloses Ende der Sanktionen gefordert. Sigmar Gabriel sei „nie für das Ende der Russlandsanktionen“ eingetreten, sondern immer nur für „deren schrittweisen Abbau“. 

Der ehemalige Wirtschaftsminister kämpft um eine sprachliche Feinheit seiner damaligen Politik – eine Politik, die den Energieinteressen Russlands gegenüber sehr aufgeschlossen war.

Der Verkauf der deutschen Gasspeicher an Gazprom fiel in Gabriels Amtszeit

Sigmar Gabriel war von 2013 bis 2017 Bundeswirtschaftsminister (SPD) im Kabinett Merkel. In dieser Zeit stiegen die Spannungen mit Russland vor allem durch die Annexion der Krim 2014. Die EU beschloss daraufhin Sanktionen gegen Russland. 

Als die EU und die deutsche Regierung über mögliche weitere Sanktionen diskutierten, vergrößerte der Sozialdemokrat sogar noch die deutsche Abhängigkeit von Russland: Unter der Führung von Gabriel stimmte das Wirtschaftsministerium 2015 trotz Kritik dem Verkauf von deutschen Gasspeichern durch die BASF-Tochter Wintershall an den russischen Konzern Gazprom zu. Der Deal wurde damals mit einer Bürgschaft in Höhe von 1,8 Milliarden Euro durch die Bundesregierung abgesichert. 

Das Lobby-Netzwerk der russischen Gasindustrie

CORRECTIV hatte im September öffentlich gemacht, wie Russland deutsche Politiker, Manager und Anwälte einspannte, um Deutschland von russischem Gas abhängig zu machen. Die „Gazprom-Lobby“- Recherche, die in Zusammenarbeit mit dem Policy Network Analytics entstand, zeigte erstmals die umfassenden Netzwerke. Und sie nennt Personen – von bekannten Politikerinnen wie Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bis hin zu dem ehemaligen Politiker und Unternehmensberater Heino Wiese –, die sich offen für bessere Energiebeziehungen und auch Gaslieferungen aus Russland einsetzten; unter anderem in der Zeit nach der Krim-Krise 2014. Die Recherche wurde inzwischen im Europaparlament debattiert und von mehreren internationalen Medien aufgegriffen. 

Gabriel forderte Abbau der Sanktionen unter Bedingungen, die selbstverständlich sind

CORRECTIV hatte in dem Zusammenhang einen Auftritt Gabriels beim Deutsch-Russischen Rohstoffforum 2016 erwähnt. Auf dem Forum trafen sich russische und deutsche Politiker und Gasmanager. „Wir sind hier in einem Kreis von Menschen, die die wirtschaftlichen Potenziale weiter nutzen wollen, die davon ausgehen, dass die deutsch-russischen Beziehungen wieder besser werden können und müssen“, sagte der damalige Wirtschaftsminister dort. „Meine Position ist, dass wir Fortschritte bei der Umsetzung dieses Protokolls nutzen sollten, um Sanktionen schrittweise abzubauen. Es gibt nach meinem Eindruck – auch nach meinem letzten Besuch beim russischen Präsidenten – die große Bereitschaft auf russischer Seite, die Friedensverhandlungen im Sinne von Minsk voranzutreiben. Wir werden alles dazu tun, auch die ukrainische Seite dazu zu bewegen.“

Gabriels Auftritt bei dem Forum, das der russischen Energiewirtschaft diente, war ein Hinweis auf die erfolgreichen Lobby-Netzwerke der russischen Gasindustrie. In dem Zusammenhang fasst der CORRECTIV-Bericht die Rede-Passage zu den Sanktionen allgemein zusammen, dass sich Gabriel „für das Ende der Russland-Sanktionen“ ausgesprochen habe.

Der ehemalige Minister, der heute Vorsitzender der Atlantik-Brücke ist, geht nun über eine Anwaltskanzlei dagegen vor, die auch schon Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zu seinen Mandanten zählte. Sigmar Gabriel sei nie für das Ende der Russlandsanktionen eingetreten, sondern immer nur für „deren schrittweisen Abbau“. Also ein Abbau von Sanktionen unter Bedingungen.

Gabriel hatte in seiner Rede allerdings eine für einen Bundeswirtschaftsminister selbstverständliche Bedingung für den Abbau der Sanktionen gefordert: Damit Sanktionen fallen, müsse das Friedensabkommen von Minsk eingehalten werde, das unter anderem von der OSZE mit unterzeichnet worden war. Bemerkenswert ist zudem, dass Gabriel in der Rede insbesondere die Ukraine in der Verantwortung sieht, das Abkommen zu erfüllen. 

Gasspeicher an Gazprom: „Keine energiepolitischen Bedenken“

Die sprachliche Spitzfindigkeit über eine zusammenfassende Passage steht in einem erstaunlichen Kontrast zu der folgenreichen Handlung Gabriels in Bezug auf russische Energiegeschäfte ein Jahr zuvor: 2015 stimmte der damalige Wirtschaftsminister dem Verkauf strategisch wichtiger Gasspeicher von der BASF-Tochter Wintershall an Gazprom zu. Das Geschäft, das eigentlich schon früher hätte abgeschlossen werden sollen, lag wegen der Krim-Krise und den daraufhin erlassenen Sanktionen kurzzeitig auf Eis. Trotz Bedenken im eigenen Hause „hinsichtlich der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ wurde der Verkauf der Gasspeicher im September 2015 durch Gazprom vollzogen. In einem persönlichen Brief an den BASF-Chef schrieb Gabriel selbst am 19. August: „Gegen den Tausch (bestehen) aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie keine energiepolitischen Bedenken.“

Gabriel hat sich direkt über einen Anwalt gemeldet. Über die Forderung Gabriels, die beiden Sätze zu ändern, entscheidet nun das Landgericht Hamburg, da CORRECTIV  der Forderung widersprochen hatte.