Westliche Gesellschaften betrachten Freiheit als einen ihrer zentralen Werte. In Deutschland kann man recht ungehindert seine Meinung äußern, ohne Angst vor Verfolgung haben zu müssen. Doch in den türkischen Gemeinschaften in Deutschland kann die Realität eine andere sein. – Folge (14/20) unserer Webserie „Auf eine Shisha mit“ zum Thema Freiheit.

Das Grundgesetz schreibt das Recht zur freien Meinungsäußerung in Artikel 5 fest. Jeder darf seine Meinung äußern. Davon gibt es nur wenige Ausnahmen, zum Beispiel wenn die persönliche Ehre eines anderen Menschen verletzt wird.

Für unsere Webserie „Auf eine Shisha mit...“ haben wir Dilan Coktas in Duisburg getroffen und über Freiheit geredet. Anders als die meisten Türkeistämmigen sind ihre Eltern nicht als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Sie sind aus der Türkei geflüchtet.

Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei

Auch die türkische Verfassung garantiert allen in Artikel 26 die Meinungs- und Pressefreiheit: „Jedermann hat das Recht, seine Meinungen und Überzeugungen in Wort, Schrift, Bild oder auf anderem Wege allein oder gemeinschaftlich zu äußern und zu verbreiten.“ Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung: wenn die Sicherheit des Staates betroffen ist oder gefährdet wird. Außerdem sagt die Verfassung, dass ein „Genehmigungssystem“ kein Widerspruch zur Meinungsfreiheit sei. Das ermöglicht staatliche Zensur, welche die Meinungsfreiheit untergraben kann.

Die Pressefreiheit in der Türkei befindet sich laut Reporter ohne Grenzen e.V. in einer „schwierigen Lage”. Die Türkei befindet sich in einem Ranking der Organisation auf Platz 157 von 180 Ländern. Im Vergleich zum Vorjahr ist sie um zwei Plätze abgerutscht. Nur noch in den arabischen Staaten sowie in China, Kuba und Nordkorea steht es noch schlechter um die Pressefreiheit. Dort schätzt Reporter ohne Grenzen die Lage als „sehr ernst” ein. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 hat sich die Situation in der Türkei deutlich verschlechtert. Es hat „eine beispiellose Hexenjagd auf kritische Journalisten und Medien” stattgefunden, schreibt die Organisation.

Mehr als 100 Journalisten wurden verhaftet, 150 Medien geschlossen und mehr als 700 Presseausweise annulliert. Kritische Journalisten wurden unter Generalverdacht gestellt und unabhängige Medien mussten seitdem in ständiger Angst vor Inhaftierung und Strafen leben. Aktuell sitzen 28 Journalisten in der Türkei in Haft (Stand: 11.09.2018), diese Zahl umfasst allerdings nur jene, deren Inhaftierung zweifelsfrei mit ihrer journalistischen Tätigkeit zusammenhängt. Die tatsächliche Anzahl dürfte jedoch viel höher sein, da die türkische Justiz Betroffene und ihre Anwälte lange im Unklaren über die Anschuldigungen lässt.

Ein besonders prominenter Fall ist die Verfolgung und Inhaftierung von Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“. Für die Veröffentlichung von Informationen zu Waffenlieferungen der Türkei an Syrien wurde er 2015 der Spionage angeklagt und festgenommen. Drei Monate später wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen, das Ausreiseverbot gegen ihn wurde ebenfalls aufgehoben, so dass Dündar später nach Deutschland reisen konnte. 2016 wurde er für schuldig befunden und zu fast sechs Jahren Haft verurteilt. Während der Urteilsverkündung wurde ein Attentat auf ihn verübt, bei dem er jedoch nicht zu Schaden kam. Der Täter wurde inzwischen wieder freigelassen. Aktuell lebt und arbeitet Dündar in Deutschland. Gemeinsam mit CORRECTIV hat die journalistische Plattform  #ÖZGÜRÜZ gegründet. Übersetzt bedeutet das: „Wir sind frei“.

In der Türkei ist die Internetseite von #ÖZGÜRÜZ zensiert.

Verhältnis von türkischen Migranten zur freien Meinungsäußerung

Bis in die 1990er Jahre war es aufgrund der sunnitisch geprägten Staatsdoktrin der Türkei unüblich, sich als türkischer Migrant offen zu einer alevitischen Konfession oder zu einer kurdischen Herkunft zu bekennen.

Heute sind die Konflikte eher politisch geprägt. Denn ethnische und konfessionelle Minderheiten sind heute in der Türkei besser anerkannt als in den vergangenen Jahrzehnten. Doch politisch ist das Land gespalten. Wer gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Regierung ist und Kritik äußert, läuft Gefahr, als Staatsfeind denunziert zu werden, der die Türkei schwächen will oder gar ihre territoriale Auflösung anstrebt. „Jeder, der zu laut und zu kritisch gegen die offiziellen Interessen der Regierung redet, steht der realen Gefahr gegenüber, verhaftet zu werden, was aber nicht unmittelbar mit einer Verurteilung einhergehen muss,“ sagt Caner Aver, Wissenschaftler am Zentrum für Türkeistudien und Migration in Essen, über die Situation in der Türkei.

Der Konflikt lässt sich aber in dieser Schärfe nicht auf türkische Gemeinden in Deutschland übertragen: „Nur ein geringer Teil türkischer beziehungsweise türkischstämmiger Migranten, der in Zahlen nicht genau zu erfassen ist, steht ideologisch hinter der Regierungspartei der Türkei und zeigt Kritikern gegenüber ein ähnliches Verhalten,“ so Aver weiter. Es besteht nur die Möglichkeit, die tatsächlichen Anhänger Erdoğans und der AKP anhand der Wahlbeteiligung festzumachen: Demnach haben knapp 65% der in Deutschland lebenden Türken bei der Präsidentschaftswahl 2018 Erdoğan gewählt.

Die Einstellung der Türkischstämmigen zur Meinungsfreiheit in Deutschland ist jedoch eine andere. „Migranten sind sich bewusst, dass sie hier in Deutschland frei ihre Meinung äußern können. Die, die das nutzen, schätzen es sehr,“ sagt Aver.

 


Zum Download:

In unseren Handouts findest Du unsere Quellen, weitere Informationen und einen Leitfaden, mit dem Du auch einen Workshop zu dem Thema durchführen kannst. 

Politische Partizipation (231,4 KB)


Unser Workshopvideo 

In unserem Workshop haben wir über das Freiheitsempfinden von einer kurdischen Studentengruppe gesprochen.