Faktencheck

Covid-19-Impfstoffe sind nicht von Geimpften auf Ungeimpfte übertragbar

Impfgegner schüren in Sozialen Netzwerken Ängste mit der falschen Behauptung, Menschen, die gegen Covid-19 geimpft sind, stellten eine Gefahr für Ungeimpfte dar. Angeblich seien die Impfstoffe durch Hautkontakt oder die Luft übertragbar. Das ist falsch, Experten widersprechen: Impfstoffe gegen Covid-19 sind nicht „ansteckend“.

von Uschi Jonas

Der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer ist nicht von Geimpften auf Ungeimpfte übertragbar und stellt keine Gefahr dar. (Symbolbild Quelle: Unsplash / Spencer Davis)
Der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer ist nicht von Geimpften auf Ungeimpfte übertragbar und stellt keine Gefahr dar (Symbolbild Quelle: Unsplash / Spencer Davis)
Behauptung
Pfizer befürchte, dass der Covid-19-Impfstoff von Geimpften auf Ungeimpfte übertragbar sei und ein Gesundheitsrisiko für Ungeimpfte darstelle.
Bewertung
Falsch. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer und auch die anderen zugelassenen Covid-19-Impfstoffe sind nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Die Impfstoffe enthalten keine Viren oder Krankheitserreger.

Geimpfte sind ein potenzielles Risiko für Ungeimpfte, lautet die Überschrift eines Artikels vom 5. Mai auf der Webseite Legitim.ch. Es wird behauptet, der Impfstoffhersteller Pfizer „befürchte“, dass die Inhaltsstoffe einer Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer zum Beispiel über die Luft übertragbar und ein Risiko für Ungeimpfte, insbesondere Frauen, seien. Der Text reiht sich ein in zahlreiche Beiträge und Blogartikel, die seit Ende April in Sozialen Netzwerken tausendfach geteilt werden und Angst vor Covid-19-Impfstoffen schüren. 

Es kursieren die verschiedensten Behauptungen im Zusammenhang mit der angeblichen Übertragbarkeit der Impfstoffe: Hautkontakt oder sexueller Kontakt mit einer geimpften Person könne angeblich bei einer Frau zu einer Fehlgeburt führen, oder Frauen, die sich in der Nähe von geimpften Personen aufhielten, würden starke beziehungsweise unregelmäßige Periodenblutungen bekommen. 

Covid-19-Impfstoffe sind nicht „ansteckend“

Die Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt: Keine der Behauptungen ist haltbar. mRNA-Impfstoffe enthalten genauso wie DNA- und Vektorimpfstoffe keine vermehrungsfähigen Viren und sind somit nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Es birgt keine Gesundheitsgefahren, sich in der Nähe einer geimpften Person aufzuhalten.

Die ersten Gerüchte dieser Art tauchten zunächst in den USA auf. Dort wurde Medienberichten zufolge im April bekannt, dass an einer Privatschule in Miami geimpfte Lehrkräfte und Angestellte aufgefordert worden sein sollen, sich von Schülerinnen und Schülern fernzuhalten denn ihre Gegenwart könne angeblich den Menstruationszyklus von ungeimpften Frauen beeinflussen.

Geteilt wurden dieses Gerücht beispielsweise von der US-amerikanischen Schriftstellerin Naomi Wolf, die US-Faktencheckern zufolge bereits mehrfach Desinformation rund um die Corona-Pandemie und das Thema Impfen verbreitet hatte. Auch aus den Reihen der Gruppierung „America’s Frontline Doctors“, die das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin als Heilmittel für Covid-19 angepriesen hatte, werden Behauptungen dieser Art verbreitet.

Falschinformation verbreitete sich auch in Kanada

Mehrere US-Faktenchecker beispielsweise von der New York Times, Health.com, Politifact oder die Nachrichtenagentur Reuters haben die Gerüchte bereits als falsch eingestuft. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten haben sie erklärt, dass es rein biologisch nicht möglich ist, dass sich ein mRNA- oder Vektor-Impfstoff oder ein Inhaltsstoff daraus von einem Menschen auf einen anderen Menschen überträgt. Zudem gebe es keine Hinweise auf Probleme mit der Fruchtbarkeit von Frauen durch die Impfung.   

Ende April verbreitete sich das Narrativ des sogenannten vaccine shedding sprich der angeblichen Ausscheidung von Bestandteilen der Impfstoffe, die ansteckend seien auch in Kanada. Dort baten Geschäfte Medienberichten zufolge geimpfte Kunden, Produkte vor der Tür abzuholen, um ungeimpfte Angestellte nicht zu gefährden. 

Das Beispiel zeigt, wie Desinformation im Netz im realen Leben die Gesundheit oder das Leben von Menschen gefährden kann, indem mit falschen Behauptungen Angst vor Impfungen geschürt wird.

Pfizer: Es handelt sich um einen synthetischen mRNA-Impfstoff, der keine Viruspartikel enthält

Wir haben uns an Biontech und Pfizer gewandt, da sich die Gerüchte im deutschsprachigen Raum in erster Linie um den Covid-19-Impfstoff dieser Unternehmen drehen.

Biontech möchte sich auf unsere Anfrage dazu nicht offiziell äußern. Eine Pressesprecherin von Pfizer widerspricht jedoch den aufgestellten Behauptungen und schreibt uns in einer E-Mail, dass es sich bei dem Impfstoff um einen synthetischen mRNA-Impfstoff handele, der keine Viruspartikel enthält.

Weiter schreibt die Sprecherin: Da im Körper kein Virus produziert wird, findet auch keine Ausscheidung statt. Der Impfstoff kann nicht durch Ausscheidung eingeatmet werden und kann nur durch eine verabreichte Dosis (intramuskuläre Injektion) in den menschlichen Körper gelangen. 

Ein mRNA-Impfstoff transportiert lediglich eine genetische Information des Coronavirus, die die menschlichen Zellen dazu bringt, ein bestimmtes Protein des Virus zu produzieren. Gegen dieses Protein entwickelt der Körper dann Abwehrstoffe. Genaueres dazu, wie ein mRNA-Impfstoff funktioniert, haben wir hier und hier bereits erläutert.

Die E-Mail der Pressesprecherin von Pfizer (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Die E-Mail der Pressesprecherin von Pfizer (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch der Covid-19-Impfstoff von Moderna ist ein mRNA-Impfstoff. Vektorimpfstoffe (wie zum Beispiel der Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca oder Johnson & Johnson) enthalten ebenfalls keine infektiösen oder vermehrungsfähigen Viren. Auch sie transportieren laut Paul-Ehrlich-Institut nur Teile des Erbmaterials des Coronavirus.  

Wir haben uns mit der Frage der Übertragbarkeit von Covid-19-Impfstoffen auf andere Personen auch an Friedemann Weber, Virologe und Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen, gewandt. 

Er erklärt, dass solche Behauptungen aus wissenschaftlicher Sicht „völliger Quatsch“ seien. Ich denke, dass irgendjemand das mit dem shedding bei viralen Proteinen falsch verstanden hat. Es kommt vor, dass virale Hüllproteine (zu denen das Spike-Protein gehört) auch ohne die weiteren Virusbestandteile von der Zelle ausgestoßen werden. Zum einen ist das Spike-Protein des SARS-CoV-2 aber ziemlich schlecht darin, und zum anderen gilt das Phänomen für einzelne Zellen, die das Protein herstellen, aber ganz gewiss nicht für das geimpfte Individuum.

Können Impfstoffe „ansteckend“ sein?

Das sogenannte „vaccine shedding“ kann bei Covid-19-Impfstoffen also nicht auftreten, weil sie keine Viren enthalten. Es gibt aber andere Impfstoff-Typen, darunter sogenannte Lebendimpfstoffe. Sie enthalten geringe Mengen vermehrungsfähiger Krankheitserreger, die lediglich abgeschwächt wurden.

Der Virologe Friedemann Weber erklärt, dass ihm lediglich ein Impfstoff einfalle, bei dem eine Übertragung beobachtet worden sei: der oral verabreichte Lebendimpfstoff gegen Polio (Kinderlähmung). Die darin enthaltenen Viren können unter Umständen über Schmierinfektionen an Ungeimpfte weitergegeben werden. 

Die so infizierten Personen entwickeln aber meistens keine Krankheitssymptome, sondern lediglich Antikörper, erklärt das Robert-Koch-Institut. In Deutschland würden nur noch Totimpfstoffe gegen Polio eingesetzt, so Weber. Ein Totimpfstoff enthält abgetötete Krankheitserreger oder Bestandteile davon.

Die E-Mail von Virologe Friedemann Weber (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Die E-Mail von Virologe Friedemann Weber (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Was hat es mit dem Studienprotokoll von Pfizer/Biontech auf sich?

Als vermeintlicher Beleg für die Behauptungen, die Covid-19-Impfung sei übertragbar, wird immer wieder ein Kapitel im Protokoll zu der klinischen Studie von Biontech/Pfizer genannt. Darin steht, dass meldepflichtig sei, wenn eine schwangere oder stillende Frau dem Impfstoff „ausgesetzt“ (exposure) sei. Erwähnt werden dabei auch Hautkontakt oder Inhalation. 

Was hat es damit auf sich? 

Studienprotokolle sind wichtig für die Durchführung der klinischen Studien, die im Rahmen der Entwicklung und Zulassung eines Impfstoffes in drei Phasen durchgeführt werden. Das Pharmaunternehmen Roche erklärt auf seiner Webseite, dass das Studienprotokoll oder auch Prüfplan genannte Dokument vor der Durchführung der klinischen Studie verfasst wird. 

In diesem Protokoll werde zum Beispiel die Dauer der Studie festgesetzt, oder nach welchen Kriterien Probanden ausgewählt werden. Zudem steht dort festgeschrieben, was zu tun ist, wenn bei Studienteilnehmenden eine bestimmte unerwünschte Reaktion in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung festgestellt wird. 

Günther Schönrich, Virologe und stellvertretender Direktor am Institut für Virologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin, erklärt uns dazu in einer E-Mail, dass es üblich sei, dass im Rahmen klinischer Studien genau registriert werde, wenn unbeteiligte Personen über Haut und Schleimhäute Kontakt mit Impfstoffen gehabt haben. Zudem werde auch notiert, wenn ein Mann, der geimpft wurde oder dem Impfstoff ausgesetzt war, Sexualkontakt mit einer Frau hat. Weiter erklärt Schönrich: „Dies ist eine international übliche Vorgehensweise bei klinischen Studien, da noch nicht getestete Impfstoffe theoretisch in der vulnerablen Phase von Schwangerschaft und Stillen unerwünschte Effekte auf das Kind haben könnten.“ Realistisch sei dieses Risiko jedoch nur bei Lebendimpfstoffen. 

Darauf bezieht sich der betreffende Teil im Protokoll (ab Seite 67) von Biontech/Pfizer bezüglich schwangeren und stillenden Frauen. Dass diese Optionen dort aufgeführt werden, heißt nicht, dass tatsächlich die beschriebenen unerwünschten Reaktionen auftreten. Das Protokoll ist also kein Beleg für Nebenwirkungen oder eine Übertragbarkeit des Impfstoffes. Im Protokoll aufgeführte Eventualitäten haben nichts mit tatsächlichen Studiendaten zu tun.

Welche Nebenwirkungen in der klinischen Studie zum Impfstoff von Biontech/Pfizer auftraten, haben wir hier analysiert – es handelt sich vor allem um typische Impfreaktionen wie Fieber. 

Es gibt keine Hinweise, dass Covid-19-Impfstoffe für schwangere Frauen problematisch sind

Schönrich erläutert in Bezug auf die klinischen Studien der Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Astrazeneca und Moderna: „Es gab keinen signifikanten Unterschied in der Rate der ungewollten Schwangerschaften in den geimpften Gruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen. Dies weist darauf hin, dass die Impfstoffe keine Schwangerschaft beim Menschen verhindern.“ Dasselbe gelte für die Anzahl der Fehlgeburten.

Weil dazu noch wenige Daten vorliegen, werden die Covid-19-Impfstoffe in Deutschland bisher nicht offiziell von der Ständigen Impfkommission für schwangere Frauen empfohlen. Wenn schwangere Frauen sich impfen lassen möchten, ist dies aber möglich. 

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat zudem kürzlich eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie die Impfung für schwangere und stillende Frauen mit mRNA-Impfstoffen empfiehlt. Schwangere Frauen hätten im Vergleich zu nicht-schwangeren Frauen ein erhöhtes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Bei schwangeren Frauen könnten demnach lediglich die Antikörper durch die Plazenta auf das Kind übertragen werden und so als potenzieller Infektionsschutz für Neugeborene wirken. Bezüglich stillender Mütter heißt es in dem Bericht ebenfalls, ein Impfung berge keinen höheren Risiken als für nicht-stillende Frauen. Antikörper konnten zudem in der Muttermilch nachgewiesen werden, aber nicht die mRNA des Impfstoffes.

Fazit: mRNA-Impfstoffe enthalten – genauso wie DNA- und Vektorimpfstoffe – keine infektiösen Viren. Sie sind nicht von einem Menschen auf einen anderen Menschen übertragbar oder „ansteckend“. Der Virologe Günther Schönrich erklärt: „Wenn dies der Fall wäre, dann hätten wir zu keinem Zeitpunkt Knappheit an Covid-19 Impfstoffen gehabt, da eine geimpfte Person mehrere andere Personen ‚mitgeimpft‘ hätte“.

Ungeimpfte können sich aufgrund des Kontakts zu Geimpften also nicht mit Covid-19 infizieren oder irgendwelche Nebenwirkungen des Impfstoffes erfahren. Zudem gibt es keine Hinweise, dass die Impfungen bei geimpften Frauen die Fruchtbarkeit beeinflussen könnten. Hinter dem sogenannten vaccine shedding steckt ein von Impfgegnern verbreitetes Narrativ, um Angst vor Impfstoffen zu schüren. 

Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner

Hinweis: Mit der Behauptung, geimpfte Menschen könnten das Spike-Protein ausscheiden, haben wir uns in diesem Faktencheck vom 8. Juni 2021 ausführlich befasst.