Faktencheck

Nein, ein Experte aus Österreich leugnete nicht, dass es früher schon mal über 35 Grad heiß war

Einige Beiträge in Sozialen Netzwerken verbreiten alte Zeitungsausschnitte, die als Beleg dienen sollen, dass es entgegen der Aussage eines Meteorologen schon früher heiße Sommer gegeben habe. Die Bilder führen jedoch in die Irre – und der Meteorologe wurde falsch zitiert.

von Sarah Thust

Thermometer und Hitzetage
Auch früher gab es schon Hitze und heiße Tage, doch das widerspricht nicht dem Klimawandel. Wetterextreme kommen heute häufiger vor. (Symbolbild: Mabel Amber / Pixabay)
Behauptung
Ein Meteorologe habe in einem aktuellen Interview gesagt, Temperaturen um die 35 Grad habe es früher nicht gegeben – zwei alte Berichte der „Bild“-Zeitung würden aber belegen, dass es solche Temperaturen schon 1957 und 1975 gegeben habe.
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Größtenteils falsch
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Größtenteils falsch. Die Aussage des Meteorologen in dem Interview wurde offenbar verkürzt und die zwei älteren Zeitungsausschnitte vermitteln mit irreführenden Überschriften einen falschen Eindruck. Die genannten 56 Grad Celsius wurden 1957 im Inneren einer Bahnhofsuhr gemessen, bei den 40 Grad im Jahr 1975 handelte es sich um eine Prognose, die nicht eintrat.

Während sich Hitzetage und Unwetterwarnungen in Deutschland im Juni abwechselten, tauchte in Sozialen Netzwerken eine Collage von Zeitungsartikeln in unterschiedlichen Varianten auf. Einerseits ist ein aktueller Bericht der österreichischen Kronen-Zeitung zu sehen, mit der Überschrift: „Temperaturen um die 35 Grad, das hat es früher nicht gegeben“. Dem widersprechen scheinbar zwei ältere Berichte der Bild-Zeitung, die in der Collage gezeigt werden. Einer stammt aus dem Jahr 1975 und berichtete von „40 Grad Hitze“, der andere ist von 1957 und meldete „56 Grad! Ganz Deutschland ein Brutofen!“ Ein Nutzer auf Instagram kommentiert: „Diese Hitze hat es früher nicht gegeben? Offenbar aber schon.“ 

Worum es konkret in den Artikeln geht, ist auf der Collage nicht zu erkennen. Bilder der Artikel verbreiten sich teils seit 2019 im Internet. Beide Artikel-Überschriften sind aber irreführend, wie wir bereits berichtet haben. Sie stützen gemeinsam das Narrativ: Hitze habe es schon immer gegeben und der Klimawandel existiere nicht. Fakt ist aber: Heiße Sommer und extreme Hitzetage häufen sich. Darüber haben wir bereits in mehreren Faktenchecks berichtet.

In dem Bild-Artikel vom 7. Juli 1957 geht es um eine Bahnhofsuhr, in der 56 Grad Celsius gemessen wurden 

Heiße Tage gab es in der Vergangenheit: Am 6. Juli 1957 wurden zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen laut der Webseite „Kachelmannwetter“ Tageshöchsttemperaturen von bis zu 39 Grad gemessen. Die Bild-Überschrift in der Collage suggeriert es zwar, aber es stimmt nicht, dass am 6. Juli 1957 56 Grad Celsius in Deutschland waren. Im Artikel heißt es: „Bei 56 Grad im Gehäuse versagte die Bahnhofsuhr von Wanne-Eickel den Dienst.“ Die hohe Temperatur wurde damals also im Inneren der Bahnhofsuhr gemessen.

Das auf Facebook vielfach verbreitete Foto der „Bild“-Titelseite von 1957 (Quelle: Facebook / Screenshot vom 29. Juni 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

40 Grad Celsius lautete die Wetterprognose in einem Bild-Artikel vom 8. August 1975 – doch sie trat nicht ein 

Auch die zweite Bild-Schlagzeile vom 8. August 1975 ist irreführend: Die Temperaturangabe von 40 Grad Celsius war eine Wetterprognose für Essen. Im Artikel heißt es: „Das Wochenende wird höllisch heiß: Am Sonntag könnten es 40 Grad im Schatten werden…“

2019 überprüfte der Meteorologe und Pressesprecher beim Deutschen Wetterdienst (DWD), Andreas Friedrich, die damaligen Temperaturen für uns: „Am 10. August wurde in Essen ein Höchstwert von 30,8 Grad Celsius gemessen“, sagte uns Friedrich. Die Höchsttemperatur in Essen im August 1975 habe 31,7 Grad betragen. Im Vergleich zu 2019 seien das „sehr moderate Temperaturen“ gewesen. Die prognostizierten 40 Grad sind also nicht eingetreten.

Die Schlagzeile der „Bild“-Ausgabe von 1975 lautet „40 Grad Hitze – Jetzt wird das Wetter lebensgefährlich“. (Screenshot vom 29. Juli 2019: CORRECTIV.Faktencheck)

Die höchste jemals gemessene Temperatur in Deutschland liegt bei 41,2 Grad im Sommer 2019 (Stand: 27. Juni 2022). 

Meteorologe sagte über Oberösterreich: Temperaturen mit Höchstwerten um die 35 Grad im Juni habe es früher „nur sehr selten“ gegeben

Der dritte Artikel in der Collage trägt die Überschrift „Temperaturen um die 35 Grad, das hat es früher nicht gegeben“. Es handelt sich um ein Interview mit dem Meteorologen Klaus Reingruber, erschienen am 17. Juni 2022 in der österreichischen Kronen-Zeitung. Es ging darin um den Sommer und Wetterextreme – an dem Wochenende darauf wurde beispielsweise in Vorarlberg mit 36,5 Grad Celsius der dortige Temperatur-Rekord für Juni gebrochen. 

In dem Interview sagte Reingruber: „Und es ist schon so, dass Temperaturen um 34 oder 35 Grad ungewöhnlich sind, das hat es früher nicht gegeben.“ Reingruber schrieb uns jedoch per E-Mail, dass an dieser Stelle Kontext fehlt. Er habe sich auf den Monat Juni bezogen, nicht auf den Sommer insgesamt. Auf Anfrage bei der Kronen-Zeitung, bestätigte uns der Journalist, der das Interview geführt hat, dass es anfangs um den Monat Juni ging, Reingruber dann aber allgemeiner wurde. CORRECTIV.Faktencheck liegt das Interview vor.

Uns gegenüber erklärte Rheingruber: „Selbstverständlich wurden in den Sommermonaten schon öfter 35 Grad und mehr gemessen, der Österreich-Rekord liegt ja auch bei knapp 40 Grad.“ Temperaturen mit Höchstwerten um die 35 Grad im Monat Juni in Oberösterreich habe es aber früher „nur sehr selten“ gegeben. Die Existenz des Klimawandels sei durch zahlreiche Fakten belegt. 

Deutscher Wetterdienst: „Es gab solche Temperaturen schon früher, aber nicht so häufig wie heute“

Das bestätigt auch der Blick nach Deutschland. Wir haben beim Deutschen Wetterdienst nachgefragt, wie üblich Temperaturen über 35 Grad Celsius früher waren. „Es gab solche Temperaturen schon früher, immer wieder, aber nicht so häufig wie heute“, schrieb uns DWD-Sprecher Uwe Kirsch. So lag zum Beispiel am 17. Juni 1966 die Temperatur in Lüchow in Niedersachsen bei 35,6 Grad Celsius. 

Das „Fatale“ am Klimawandel sei, dass neben dem scheinbar harmlos klingenden Anstieg der Mitteltemperatur auch die Extreme heftiger ausschlagen – mehr heiße Tage und Hitzewellen seien die Folge. „Da gibt es einen klaren Trend“, schrieb uns Kirsch. Das zeigt auch diese Grafik des DWD zur Anzahl der heißen Tage, also mit einer Lufttemperatur von mehr als 30 Grad Celsius, in Deutschland seit 1951:

Anzahl der „heißen Tage“ pro Jahr im Zeitraum von 1951 bis 2021
Dieses Diagramm zeigt die Anzahl der „heißen Tage“ pro Jahr im Zeitraum von 1951 bis 2021. Ein „heißer Tag“ ist ein Tag, an dem das Maximum der Lufttemperatur mehr als 30 Grad Celsius beträgt. (Quelle: DWD; Screenshot am 27. Juni 2022: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Viktor Marinov, Steffen Kutzner

Update, 30. Juni 2022: Wir haben ergänzt, dass der Meteorologe laut Kronen-Zeitung im Interview später allgemeiner wurde. 

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