In Istanbul läuft der Schauprozess gegen die „Cumhuriyet“-Zeitung. Die Vorwürfe sind größtenteils absurd. Angeklagt ist auch Can Dündar, der frühere Chefredakteur des Blattes. Er verteidigt sich und seine Kollegen aus der Berliner CORRECTIV-Redaktion, wo er im Exil arbeitet.
Elf Anklagen, elf Anhörungen. Elf Mitarbeiter der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ sitzen in der Türkei in Untersuchungshaft. Seit diesem Montag werden sie nacheinander dem Gericht vorgeführt.
„Es gibt einfach keine Beweise“, sagt Can Dündar. „Dennoch stehen meine Kollegen noch immer vor Gericht. Ich bewundere ihren Mut, nach neun Monaten im Gefängnis.“
Auch Dündar selbst ist angeklagt, unter anderem, weil er terroristische Organisationen unterstützt haben soll. 2016 floh er nach Berlin. Aus der CORRECTIV-Redaktion heraus leistet er seinen Kollegen nun Beistand. Nach jeder Anhörung dreht er in unserem Studio ein Video für die türkische „Özgürüz“-Redaktion und erläutert, was in Istanbul geschieht.
„Wir erklären unseren Zuschauern, wie haltlos die Anschuldigungen gegen meine Kollegen sind“, sagt Dündar. „Aus diesem Studio heraus versuche ich, ihr Korrespondent in Europa zu sein. Ich verteidige mich und sie von Berlin aus.“
Fünf Monate lang saßen die „Cumhuriyet“-Mitarbeiter in Einzelhaft, ehe sie überhaupt erfuhren, was ihnen vorgeworfen wird. Nach 151 Tagen bekamen sie die Anklageschrift vorgelegt. Sie war voller Fehler und Absurditäten:
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Kadri Gürsel war, als er festgenommen wurde, erst seit 34 Tagen Berater von „Cumhuriyet“. Dennoch wird ihm vorgeworfen, die Veröffentlichungspolitik der Zeitung verändert zu haben.
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Akin Atalay ist Präsident der Stiftung, die hinter „Cumhuriyet“ steht. Er soll sie in den Ruin getrieben haben. Atalay legte dem Gericht die Bilanzen der vergangenen 25 Jahre vor: Die Stiftung ist schuldenfrei.
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Murat Sabuncu, heute Chefredakteur von „Cumhuriyet“, wird vorgeworfen, er habe 2013 die Stiftung übernehmen wollen. Dabei arbeitet Sabuncu erst seit 2014 für „Cumhuriyet“.
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Dem Investigativ-Journalisten Ahmet Sik wird vorgeworfen, die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Dabei veröffentlichte er 2011 ein Buch, in dem er ausdrücklich vor einer Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung warnt.
Ist es Schlamperei? Ist es Unfähigkeit? Den Staatsanwälten gelang es nicht, plausible Verbrechen zu erfinden. Sogar Berufsbezeichnungen sind in der Anklageschrift falsch angegeben, sagt Dündar.
Der Dolmetscher und „Özgürüz“-Redakteur Recai Hallaç dreht ähnliche Videos wie Dündar in der CORRECTIV-Redaktion in deutscher Sprache. Er sagt: „In der Anklageschrift kommt 657 Mal das Wort ,Bericht’ vor. Unsere Kollegen in der Türkei sind angeklagt, weil sie berichtet haben. Die genuine Arbeit eines Journalisten.“
Auch dem heutigen Chefredakteur Sabuncu wird vorgeworfen, die Gülen-Bewegung zu unterstützen. Nach dem Putschversuch vor einem Jahr fahndete die Regierung nach rund 120.000 angeblichen Gülen-Unterstützern. „Cumhuriyet“ titelte: „Die Hexenjagd hat begonnen.“
Inzwischen sieht die Staatsanwaltschaft in diesem Text ein Beweismittel. Bizarr: Auf der gleichen Zeitungsseite stand eine Meldung, in der es um Gespräche der damaligen Putschisten ging. Titel: „Die Gespräche des Verrats“. Diesen Teil der Seite hat die Staatsanwaltschaft abgeschnitten. Sie passte offenbar nicht ins Konzept.
Zu seiner Verteidigung wollte Chefredakteur Sabuncu einige Zeitungen in den Gerichtssaal nehmen. Sie wurden ihm abgenommen.
Auch darüber hat Dündar in einem seiner Videos berichtet. Nach den Drehs geht er jedes Mal zurück in sein Büro. Dort hängt an der Wand ein Fernseher, auf dem das Programm eines türkischen TV-Senders läuft. Was dort berichtet werde, sei das komplette Gegenteil von dem, was er in seinen Videos erkläre. „Deshalb will ich von hier aus die Wahrheit herausschreien”, sagt Dündar. „Ich will eine Stimme sein für die Stummen.”
Alle Videos von Can Dündar und Recai Hallaç sind auf dem Twitter-Kanal und dem Periscope-Kanal von „Özgürüz“ zu finden.