Heiliges Feuer aus der Schweiz
Im Zürcher Bezirksgericht stehen erstmals Angeklagte zu Cum-Ex vor Gericht – allerdings die Enthüller des Skandals. Verhandelt wird daher auch die Frage, wer in der Schweiz eigentlich mehr Schutz verdient: Die Interessen privater Unternehmen, etwas geheim zu halten, oder die Interessen der Allgemeinheit.
Das Publikum spielt in einem Gerichtssaal eigentlich keine Rolle. Während Ankläger und Verteidiger ihre Plädoyers ablesen, wenden sie ihm den Rücken zu, sie sprechen zum Richter. Ein Punkt scheint Staatsanwalt Maric Demont aber so wichtig, dass er sich umdreht und fragt: „Haben Sie zugehört, worum es den Beschuldigten ging?“ Auf das bejahende Brummen hin lächelt der jungenhafte Demont kurz zufrieden.
Er wirft an diesem strahlenden Märztag im Bezirksgericht Zürich drei deutschen Staatsbürgern einen schweren Fall von „wirtschaftlichem Nachrichtendienst“, neuschweizerisch für Wirtschaftsspionage vor, dazu die Verletzung von Bank- und Geschäftsgeheimnissen. Es ist Tag zwei im Prozess gegen zwei Whistleblower und den Rechtsanwalt Eckhart Seith. Sie sind die ersten, die sich im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal um betrügerische Aktiengeschäfte vor Gericht verantworten müssen – dafür dass sie den größten Steuerraubzug Europas mit aufdeckten.
Seith erstritt mithilfe interner Bankdokumente von der Schweizer Bank Sarasin nicht nur 45 Millionen Euro Schadenersatz für seinen Mandanten, den Drogeriekönig Erwin Müller, der sich mit einem Cum- Ex-Fonds der Bank die Finger verbrannt hatte. Er leitete die Dokumente auch an die Staatsanwaltschaft Köln weiter und brachte damit die Ermittlungen gegen den bandenmäßigen Betrug ins Rollen. Das tat er jedoch nur, so Demont, um zusätzlichen Druck auf die Bank auszuüben, sich auf Müller zuzubewegen und „selbst Renommee und Geld zu verdienen“. Und dieser Punkt ist dem Staatsanwalt so wichtig, dass er die Bestätigung des Publikums sucht.
Staatsanwaltschaft auf der Anklagebank
Das mag auch mit dem großen medialen Interesse an dem spektakulären Fall zu tun haben. In Deutschland forderte vor Prozessbeginn die Bürgerbewegung Finanzwende das Bundesverdienstkreuz für Seith.
In Deutschland ein Held, in der Schweiz ein Wirtschaftskrimineller?
„Am ersten Prozesstag hatte ich das Gefühl, die Staatsanwaltschaft sitze auf der Anklagebank und die Beschuldigten und deren Verteidiger seien selbsternannte Staatsanwälte“, stellt Demont denn auch im Eingangsstatement fest.
In diesem Prozess geht es nicht nur für die Angeklagten um viel. Ihnen drohen über drei Jahre Haft. Verhandelt wird auch der Stellenwert des Schweizer Bankgeheimnisses. Und letztlich die Frage, wer in der Schweiz eigentlich mehr Schutz verdient: Die Interessen privater Unternehmen, etwas geheim zu halten – und mag es ein Milliardenbetrug sein – oder die Interessen der Allgemeinheit.
Es geht nicht mehr nur um Legalität, sondern auch um Legitimität, um moralische Deutungshoheit. Deshalb schwingen in diesem Prozess auf beiden Seiten immer wieder Fragen nach der Motivation der Akteure mit.
Seith setzt den Ton mit einem einstündigen Vortrag am ersten Prozesstag: „Sehr geehrter Herr Präsident, ich sage jetzt etwas, was Sie nicht häufig von Angeklagten zu hören bekommen. lch bin ganz einig mit den Handlungen, die – soweit sie zutreffen – mir die Staatsanwaltschaft Zürich III vorwirft. Wäre ich heute erneut vor die Situation des Jahres 2013 gestellt, ich würde mich exakt gleich verhalten.“
Seith streitet ab, dass er sich strafbar gemacht hat: Er habe den beiden Whistleblowern keine materielle Zusagen für den Fall eines Prozesserfolgs gemacht, und er habe die Dokumente auch nicht aus den Händen seines Mitangeklagten erhalten. Bei den internen Dokumenten handelt es sich unter anderem um von der Bank Sarasin beauftragte Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields. Die Prüfer hielten darin einen Prozessverlust Sarasins wegen fehlerhafter Beratung für wahrscheinlich. Seine Sekretärinnen, so Seith, hätten die Gutachten 2013 anonym im Briefkasten gefunden.
Aussagen unter Opioiden
Der Staatsanwalt hat eine andere Version: Der Anklage zufolge vereinbarten Seith und einer der Whistleblower in einem Weinkeller für die Übergabe der Dokumente eine Provision von einem Prozent der Schadenssumme – 500.000 Euro, so sagte es der Bankmitarbeiter aus. Was die Sache kompliziert macht: Er machte diese Aussage unter starker Medikamentierung und hohem psychischem Druck, wie CORRECTIV vor einem Jahr bereits enthüllte. Also habe er „leider auch Dinge, die der Staatsanwalt von mir hören wollte“, gesagt.
Die Anwälte der drei Beschuldigten bezeichnen deshalb schon am ersten Prozesstag das Beweismaterial als nicht verwertbar und beantragen, den Prozess zu stoppen und neu aufzurollen. Staatsanwalt Peter Giger, der bis 2016 gegen sie ermittelte, sei befangen und parteiisch gewesen. Diesen Antrag lehnt das Gericht ab.
Fest steht, dass Seith nicht nur die Kölner Staatsanwaltschaft, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und das Bundeszentralamt für Steuern über die Cum-Ex-Geschäfte informierte, sondern auch die Schweizer Justiz. Doch Demonts Vorgänger Giger entschied sich dagegen, Jagd auf die Bank Sarasin zu machen. Stattdessen leitete er Seiths Anzeige an die Bank weiter und nahm selbst die Verfolgung des Whistleblowers auf. Sarasin tritt bei dem Prozess gegen Seith als Privatkläger auf.
Deshalb geht es in Zürich nicht einfach um die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligen kann. Ob man also illegale Methoden anwenden darf, um ein größeres Verbrechen aufzudecken, wie Demont es darstellt: Er vertritt den Standpunkt, den Milliardenbetrug Cum-Ex trennen zu können vom angeblichen Vorgehen der drei Angeklagten, um ihn aufzudecken. Wenn jeder Anwalt, der sich im Recht wähnt, Unterlagen stehlen und einreichen könne, sei das „kein Rechtsstaat mehr, sondern wilder Westen“, so Demont.
Zum einen sind die Mittel der Staatsanwaltschaft selbst alles andere als lupenrein, wie die Hafterfahrungen des Whistleblowers zeigen. Zum anderen sie verfolgt durchaus auch eigene Ziele.
Spiegel unter Spülkästen
In seinem Vortrag beschreibt Seith eine fast schon bizarre Szene, die Staatsanwalt Giger im Juli 2014 seinem Vorgesetzten schildert: Da reist Giger persönlich nach Weil am Rhein und Hanau, um während der Durchsuchungen der Wohnungen Thalheimers mithilfe vier mitgebrachter Spiegel persönlich unter Tischplatten, Fenstersimse und Spülkästen nach Datenträgern zu suchen. „Das feu sacré bei den Arbeiten konnte durch meine Präsenz merklich gesteigert werden“, berichtet er stolz zurück.
Mit dem Feu Sacré, dem heiligen Feuer, dürfte er meinen: Bewahrung der Interessen Schweizer Banken, koste es, was es wolle.
Im August 2015 zeigt der deutsche Anwalt Seith den Schweizer Staatsanwalt Giger wegen Amtsmissbrauch und Bruch des Amtsgeheimnisses an. Im September 2016 wird Giger von dem Fall abgezogen. Doch seine Stellungnahme zeigt, wie politisch das Verfahren ist: Die Schweizer Justizministerin habe zugestimmt, das Verfahren gegen die Deutschen auszuweiten. Für den Vorwurf Wirtschaftsspionage oder „Wirtschaftlicher Nachrichtendienst“ ist diese Art Rückendeckung von ganz oben notwendig, zumal wenn wie hier ein „schwerer Fall“ festgestellt wird. An dem politischen Willen hat sich auch mit dem Personalwechsel in der Zürcher Staatsanwaltschaft nichts geändert.
Gigers Nachfolger Demont zufolge liegt die Bewahrung von Sarasins privaten Geheimnissen auch im staatlichen Interesse. Ihr Verrat gefährde die nationale Sicherheit, „da die Schweizer Unternehmen einen faktischen Nachteil in Rechtsstreitigkeiten mit ausländischen Unternehmen hätten“. Und weiter plädiert er: „Der Schutz sich als Schweizer Gesellschaft in einem Rechtsstreit, wo es um Geschäftspraktiken mit Finanzprodukten geht, gegen eine ausländische Partei zur Wehr setzen zu können, ist eminent wichtig und hat einen starken Bezug zur Schweizer Wirtschaft.“
Was ist ein Geschäftsgeheimnis?
Seiths Verteidiger Matthias Brunner übersetzt das so: „Gibt es ein staatliches Interesse, den Bankenplatz Schweiz auch heute noch für illegale Aktivitäten zu bewahren?“ Diese stellten jedenfalls kein schützenswertes Geheimnis dar. „Strafrechtler sprechen nur dann von einem Geschäftsgeheimnis, wenn dessen Kenntnis Einfluss auf den betriebswirtschaftlichen Erfolg haben kann.“ Seith hätte sich jedoch keine geheimen Informationen zu den Cum-Ex-Geschäften der Bank Sarasin besorgt, um selbst so ein Geschäft aufzuziehen oder es deutschen Behörden zu ermöglichen. Und das Vermögen Sarasins sei durch die eigene Falschberatung belastet worden.
Was schützenswerte Geheimnisse sind oder welche Rolle die Motivation von Whistleblowern in Strafverfahren spielen darf – all das sind Fragen, die gerade erst auch in Deutschland hoch kontrovers verhandelt wurden. Allerdings nicht vor Gericht, sondern in einem Gesetzgebungsverfahren, wie CORRECTIV ausführlich berichtete. Deutschland hat sich im letzten Moment dafür entschieden, Whistleblower stärker zu schützen.
Das Zürcher Bezirksgericht ist sich der politischen Brisanz des Verfahrens bewusst. Das Urteil soll nun am 11. April verkündet werden. „Hier wurden so viele Fragen aufgeworfen, bis zum Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz, das müssen wir mündlich eröffnen“, schließt Richter Sebastian Aeppli.
Bis zum Abschluss des Falls wurde Eckart Seith freies Geleit versprochen. Sollte er zu den von der Staatsanwaltschaft geforderten drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt werden, würde er zwar nicht an die Schweiz ausgeliefert, könnte Deutschland aber auch nicht mehr verlassen, ohne im Ausland eine Festnahme fürchten zu müssen. Seith wäre bereit, durch alle Instanzen zu gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Disclaimer
Bei dem Prozess in der Schweiz geht es auch um CORRECTIV-Chefredakteur Oliver Schröm. Seit 2014 ermittelt die Staatsanwaltschaft Zürich gegen ihn, ebenfalls wegen Wirtschaftsspionage. Oliver Schröm, damals Leiter der Investigativen Recherche des Magazins stern, soll einen der angeklagten Ex-Banker angestiftet haben, ihm interne Bankunterlagen zu geben, die die Verwicklungen der Schweizer Privatbank Sarasin in CumEx-Geschäfte dokumentieren. Laut der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft soll er dem hochbezahlten Compliance-Chef der Bank Sarasin dafür 3000 Euro bezahlt haben.
Hintergrund: Im März 2014 hatte Oliver Schröm auf Grundlage interner Dokumente im stern aufgedeckt, wie die Schweizer Privatbank Sarasin und deutsche Investoren um Carsten Maschmeyer im hohen zweistelligen Millionenbereich in Cum Ex-Geschäfte verwickelt waren. Presserechtlich gingen weder die Investoren noch das Geldinstitut gegen die Veröffentlichung vor. Stattdessen erstattete die Bank Sarasin Anzeige gegen Oliver Schröm. Seitdem ermittelt die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Wirtschaftsspionage, zunächst in demselben Verfahren mit dem angeklagten Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith. Später wurden die Verfahren getrennt.
Im Gegensatz zu Seith wurde Schröm in der Schweiz bislang nicht angeklagt. Stattdessen übergab die Zürcher Staatsanwaltschaft im März 2018 den Fall an die Hamburger Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf lautet nun nicht mehr Wirtschaftsspionage, sondern „Anstiftung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“.
Das „Übernahmeersuchen“ der Zürcher Staatsanwaltschaft erfolgte im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu den CORRECTIV-Enthüllungen über die fragwürdigen Ermittlungsmethoden des Schweizer Staatsanwaltes Giger. Unter der Federführung von Oliver Schröm hatten mehrere Medien in Deutschland und in der Schweiz diese Skandalgeschichte gemeinsam recherchiert und publiziert.
Erst im Herbst 2018 erfuhr Oliver Schröm durch Zufall von den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft. CORRECTIV schaltete umgehend den Hamburger Anwalt Jes Meyer-Lohkamp ein, der auf Anfrage dann von der Hamburger Staatsanwaltschaft bestätigt bekam, dass gegen Oliver Schröm ermittelt wird.
Im Januar 2019 gab Meyer-Lohkamp gegenüber der Staatsanwaltschaft eine umfangreiche Stellungnahme ab und forderte die Einstellung des Verfahrens. Bis heute hat sich die Hamburger Staatsanwaltschaft dazu nicht geäußert. Mit Hinblick auf das laufende Verfahren in Hamburg gibt deshalb Oliver Schröm auf Empfehlung seines Anwaltes keine Erklärung zu den Vorwürfen der Schweizer Justiz ab.
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