Bezahlung im Amateurfußball: Schwarzgeld von jährlich bis zu 500 Millionen Euro
Im deutschen Amateurfußball fließen nach Recherchen von CORRECTIV und ARD jährlich womöglich bis zu 500 Millionen Euro Schwarzgeld. Damit würde flächendeckend gegen die Spielordnung des DFB verstoßen. Amateurfußballer berichten von Bargeldumschlägen, Scheinverträgen und unversteuerten Dienstwagen.
Es ist die bislang größte Befragung zu den Geldströmen im deutschen Amateurfußball und sie zeigt erstmals das Ausmaß einer Schwarzgeld-Kultur hinab bis in die Kreisligen. Hochrechnungen auf Grundlage einer Befragung unter mehr als 10.000 Fußballerinnen und Fußballern lassen den Schluss zu, dass Amateurvereine ihnen Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Euro zahlen – die Hälfte davon mutmaßlich an der Steuer vorbei.
Die Aussagen zeigen erstmals im Detail, wie das Geld im Amateurfußball gezahlt wird. Oft werden demnach Summen in einer Höhe gezahlt, für die eigentlich laut Spielordnung des Deutschen Fußballbundes (DFB) ein Vertrag abgeschlossen werden müsste. Stattdessen berichten zahlreiche Spieler von schwarzen Kassen. Ein Sportjurist sieht zudem strafbares Verhalten, das für gemeinnützige Vereine zu Strafzahlungen führen könnte. Auch den Spielern drohen Strafen wegen Steuerhinterziehung.
Die ARD führte die Online-Befragung mit Unterstützung der digitalen Plattform CrowdNewsroom von CORRECTIV durch. Tageszeitungen, Fachzeitschriften und Fußballportale halfen, die Umfrage zu verbreiten. Zudem recherchierten Lokalzeitungen in ihren Amateurvereinen vor Ort, ob und wie Geld gezahlt wird.
Die Teilnehmenden gaben im CrowdNewsroom an, in welchen Ligen sie gespielt haben, was sie dort verdient haben und ob ihr Verdienst schriftlich festgehalten wurde. Auch zur Art der Bezahlung – bar, per Überweisung, durch Sachwerte und Dienstleistungen – äußerten sich die Spieler. Manche hinterließen ihren Namen und Kontaktdaten, andere beantworteten die Fragen anonym.
In der Bezirksliga kassiert immer noch mehr als jeder dritte Spieler Geld fürs Fußballspielen
Unter den Teilnehmern waren 8.085 männliche Spieler im Alter von 18 bis 39 Jahren. Von ihnen haben 60,2 Prozent einmal oder häufiger Geld dafür bekommen, in einem Amateurverein Fußball zu spielen. Sie erhielten einen monatlichen Festbetrag und auch Punkt- und Siegprämien. Für den Beispielmonat Oktober 2020 gaben 36,9 Prozent von ihnen an, Geld fürs Fußballspielen kassiert zu haben. Einkünfte im Amateurfußball sind per se nicht illegal, problematisch wird es, wenn bewusst Steuerzahlungen vermieden werden.
Auch in tieferen Ligen ist es der Erhebung zufolge keineswegs ungewöhnlich, mit dem Fußballspielen Geld zu verdienen. Demnach geben Spieler aus der fünfthöchsten Spielklasse ein mittleres Einkommen (Median) von 500 Euro an. Ein Amateurfußballer spricht von Einnahmen von bis zu 10.000 Euro im Monat. Der Kreisliga-Spieler Belmin Bikic sagt der ARD: „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass von Jahr zu Jahr immer Rekorde gebrochen werden bei den ganzen Summen.“
Was die Antworten im CrowdNewsroom auch zeigen: Im Frauenfußball wird auf Amateurniveau selten Geld bezahlt.
Laut DFB-Spielordnung (siehe § 8 Absatz 2) dürfen Amateurfußballer nicht mehr als 250 Euro pro Monat an Auslagenerstattung oder Aufwandsentschädigung bekommen. Fließt mehr Geld, muss ein Amateurvertrag abgeschlossen werden. Hier werden dann Steuern und Sozialabgaben fällig. Trotz der hohen Geldflüsse ist die Zahl der Amateurverträge im Amateurfußball allerdings verschwindend gering. In der Saison 2020/2021 kamen auf mehr als 700.000 Amateurspieler laut Angaben der 21 Landesverbände des DFB gerade mal rund 8.500 Amateurverträge. Ein Mäzen aus Hessen, der Unternehmer Gerhard Klapp, sagte der ARD, in den von ihm unterstützten Vereinen gebe es „wenig Amateurverträge“. Er erklärte das mit den Zusatzkosten und bestätigte, den offiziellen Weg zu gehen sei für die Vereine teuer.
Hochrechnung ergibt: Eine halbe Milliarde Euro mutmaßliches Schwarzgeld pro Jahr im Amateurfußball
Geht man davon aus, dass Deutschlands Amateurfußballer im Schnitt etwa so viel Geld bekommen wie die Teilnehmer der bundesweiten Befragung, so ergibt die Hochrechnung der Daten für den Beispielmonat Oktober 2020 eine gewaltige Summe. In diesem Monat wurden demnach in Deutschland rund 100 Millionen Euro an Amateurspieler ausbezahlt. Auf eine Saison mit zehn Verdienstmonaten gerechnet macht dies eine Milliarde Euro.
Geht man zudem davon aus, dass der Anteil verdeckter Zahlungen („schwarz“, „im Umschlag“) ebenso hoch ist wie von den Spielern in der Befragung angegeben, dann würden pro Monat 50 Millionen, pro Saison 500 Millionen Euro mutmaßliches Schwarzgeld bezahlt.
Der Statistik-Professor Andreas Groll von der TU Dortmund hat die Erhebung für die ARD ausgewertet. Groll sagt, eine Online-Befragung dieser Art könne natürlich nicht repräsentativ sein. Die Erhebung sei aber „statistisch und wissenschaftlich sauber durchgeführt“. Das Statistik-Labor der Ludwig-Maximilians-Universität München bescheinigt nach Prüfung der Hochrechnung, diese sei unter den getroffenen Annahmen „korrekt und nachvollziehbar“.
Die Befragung macht deutlich, dass das Schwarzgeld auf ganz unterschiedliche Weise fließen kann. Der mutmaßlich gängigste Weg: Bargeld im Umschlag, ausgehändigt im Vereinsheim. Doch manchmal stecken auch private Geldgeber den Spielern das Geld zu. Andere haben Scheinarbeitsverhältnisse beim Sponsor und kassieren das Geld, ohne dort auch dafür zu arbeiten. Manchmal verrechnen die Vereine auch vorher vereinbarte Prämien mit einem Kilometergeld für Autofahrten – obwohl der Spieler zu Fuß zum Sportplatz kommt. Vereine nutzen das ganze Repertoire, Schwarzgeld gehört wie selbstverständlich dazu. Nachzuweisen sind Geldflüsse dieser Art meistens nicht, weil offenbar in vielen Vereinen schwarze Kassen existieren.
Die ARD hat dem renommierten Münchner Sportrechtler Thomas Summerer die Ergebnisse der Befragung vorgelegt. Summerer erstellte dazu ein juristisches Gutachten. Der ARD sagte er, die Befragung werde „ein kleines Erdbeben auslösen, denn wenn es schwarze Kassen gibt, dann ist das per se schon ein Straftatbestand, nämlich Untreue“. Vereinen, die bei Schwarzgeldzahlungen erwischt würden, drohe „der Entzug der Gemeinnützigkeit“. Und auch ein Spieler, der Schwarzgeld annehme, könne laut Summerer „massive Probleme bekommen“. Er könne „wegen Steuerhinterziehung bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe“ erhalten.
Die Freundin bekommt einen Schein-Mini-Job
Bei der Befragung gab fast jeder fünfte Teilnehmer (18,2 Prozent) an, für das Fußballspielen auch schon mit Sachwerten und Dienstleistungen entlohnt worden zu sein. Die Vereine oder Sponsoren honorieren den Einsatz des Spielers auf dem Platz, indem sie ihm zum Beispiel eine Wohnung oder ein Auto zur Verfügung stellen. Manche Amateure erhalten auch Handwerkerleistungen, und zuweilen bekommt die Freundin oder der Freund auf dem Papier einen Mini-Job. Eine verbreitete Praxis, einen Spieler zu entlohnen, ist auch, ihn zum Schein als Jugendtrainer zu engagieren – ohne dass er irgendeine Mannschaft trainiert.
Beim Deutschen Fußballbund sieht man die Bezahlung in unteren Ligen grundsätzlich kritisch. Ein DFB-Sprecher bezeichnete der ARD gegenüber Zahlungen in den unteren Amateurligen als den „falschen Weg“. Für die 21 Landesverbände unter dem Dach des DFB sei allerdings „eine Kontrolle nicht möglich“. Die internen Regelungen in den Vereinen seien „Sache der insoweit unabhängigen Vereine“. Die Rahmenbedingungen dafür setze der Gesetzgeber.
#Milliardenspiel - Das Projekt
Diese Veröffentlichung ist eine Kooperation zwischen Lokalmedien, CORRECTIV und dem rbb, der für die Recherche federführend verantwortlich war. Auf der Themenseite der Sportschau sind verschiedene Artikel zum Thema veröffentlicht. Am 19. Januar um 23:30 Uhr wird zudem in der ARD die Dokumentation „Milliardenspiel Amateurfußball“ ausgestrahlt und am selben Tag in der ARD-Mediathek veröffentlicht.
Ein Lockvogel handelt vor versteckter Kamera seine Bezahlung aus
In der ARD-Dokumentation „Milliardenspiel Amateurfußball“ berichten Insider, welche Rolle das Geld bei ihnen spielt. Denny Jeske, Spielerberater für Amateurspieler, sagt: „Das Geld hat sich natürlich immer mehr aufgeschaukelt grundsätzlich in den Vereinen. Es ist ja meistens jährlich ein Wettbieten.“
Die ARD-Reporter schickten während ihrer Recherchen auch einen Lockvogel in zwei Amateurvereine. Der Spieler gab vor, sich dem Klub anschließen zu wollen, trainierte zur Probe und handelte vor versteckter Kamera die Bezahlung aus. Beide Vereine boten ihm Geld, das sie teilweise oder komplett bar im Briefumschlag bezahlen wollten. In der TV-Dokumentation sagte ein Finanzbeamter mit engen Kontakten in den Amateurfußball, die meisten Amateure würden die Zahlungen nicht versteuern.
Lokalmedien berichten über weitere Fälle
Das Netzwerk CORRECTIV.Lokal teilte die zentralen Rechercheergebnisse zusammen mit der ARD mit Lokalmedien aus ganz Deutschland. Die Reporterinnen und Reporter halfen bereits, die CrowdNewsroom-Befragung in ihren Regionen zu verbreiten. Zusätzlich recherchierten sie eigene Fälle von versteckten Zahlungen vor Ort.
Über CORRECTIV.Lokal
Das Netzwerk CORRECTIV.Lokal fördert Recherchen im Lokaljournalismus. Mehr als 1.100 Lokaljournalistinnen und -journalisten vernetzten sich, nehmen an kostenlosen Fortbildungen teil und recherchieren gemeinsam zu Themen, die eine nationale Bedeutung haben und gleichzeitig vor Ort für die Bürgerinnen und Bürger relevant sind. So beteiligten sich auch zahlreiche Lokalmedien am Projekt #Milliardenspiel.
Das Jeversche Wochenblatt in Niedersachsen sprach mit einem Fußballer, der gleich in seinem ersten Jahr im Männerfußball auf einem Hallenturnier von seinen Trainern ein Modell von Auflauf- und Siegprämien vorgestellt bekam. „Irgendwann kam immer jemand an, der hatte mehrere kleine Briefumschläge dabei und hat die dann in der Kabine verteilt“, erinnert sich der nach wie vor aktive Amateurfußballer.
Ein Amateurfußballer spricht von mehr als 100.000 Euro Einnahmen
Daniel Wächtler, Vorsitzender eines niedersächsischen Fußball-Kreisverbandes,, sagt gegenüber der in Soltau erscheinenden Böhme-Zeitung, es solle Fußballern auf Kreis- und Bezirksebene in erster Linie darum gehen, dass es sportlich und zwischenmenschlich passt. „Schöner wäre, wenn wir das Geld nicht bräuchten. Aber jeder weiß auch, dass die Realität eine andere ist.“ Ein Funktionär bestätigt dies: Er sei sicher, dass die besten Fußballer im Bezirk 800 Euro monatlich und mehr mit nach Hause nehmen.
In der Badischen Zeitung mit Sitz in Freiburg spricht ein Funktionär von „legalisiertem Betrug“. Dieser äußert sich skeptisch, ob man das Problem flächendeckend in den Griff bekommen kann. Immerhin hätten Finanzämter manche Vereine durchleuchtet, „dann haben die Vereine vieles nicht mehr so gemacht wie zuvor“.
Dem Badischen Tagblatt und den Badischen Neuesten Nachrichten sagte ein noch aktiver Fußballer, der anonym bleiben will, dass er in einem Zeitraum von zehn Jahren eine erhebliche Summe verdient hat. „Es waren bisher sicher über 100.000 Euro, wahrscheinlich sogar noch etwas mehr.“ Seine fußballerischen Nebeneinkünfte hat er nie beim Finanzamt angemeldet.
Im Amateurfussball werden Spieler falsch als Jugendtrainer gemeldet
Dem Reutlinger General-Anzeiger sagte ein Funktionär, dass einzelne Vereine Spitzenspielern sogar schon in der Kreisliga A (9. Liga) Geld zahlen. In der Bezirksliga (8. Liga) gibt es dann immer weniger Vereine, die kein Geld zahlen. Ein noch aktiver Spieler erzählt, dass er in der Bezirksliga auf rund 150 Euro im Monat gekommen sei. Aus „steuerlichen“ Gründen waren alle Spieler als Jugendtrainer im Verein angemeldet, ohne diese Funktion tatsächlich auszuüben.
Es gibt Vereine, die bei der Bezahlung klare Grenzen definiert haben. „Wenn jemand bei uns kicken möchte, dann weil er Lust dazu hat und nicht, weil er Geld dafür bekommt“, sagt Remo Sahm, Trainer des Lübzer SV aus der Landesliga West in der Schweriner Volkszeitung. Lediglich ein Fahrtkosten-Aufwand für die auswärts Arbeitenden oder Studierenden komme laut Sahm in Lübz in Frage.
Ein Neuntliga-Spieler erhält noch auf dem Platz hunderte Euro
Hannoversche Allgemeine Zeitung und Neue Presse berichten von einem Neuntliga-Spieler, der sich stets unmittelbar nach Abpfiff und noch auf dem Platz vom Manager des Vereins 250 Euro in bar übergeben lässt.
In der Märkischen Allgemeinen Zeitung spricht ein Vereinsvorstand offen darüber, wie sein Verein betrogen hat: „Wir haben lange Zeit den Spielern eine Übungsleiterentschädigung gezahlt, obwohl sie keine Übungsleiter bei uns waren – so wie es viele Vereine auch machen.“ Der Betrug flog auf, als ein Finanzbeamter die Namen der angeblichen Übungsleiter mit den Teamfotos der Jugendmannschaften verglich.
Das Hohenloher Lokalmagazin Gschwätz berichtet über zwei baden-württembergische Amateurvereine, die wegen dubioser Zahlungen im Visier der Behörden standen. In einem Fall ermittelte der Zoll gegen Spieler und Vereinsvertreter wegen Schwarzarbeit. Zwei Verantwortliche des Vereins und ein Spieler wurden zu auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafen verurteilt. In einem anderen Fall musste ein Vorstand eines Amateurvereins eine Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen bezahlen und Ansprüche bis zu 200.000 Euro an Berufsgenossenschaft, Rentenversicherung und Finanzamt nachzahlen.
In den Kieler Nachrichten warnt Tim Cassel, Präsident des Schleswig-Holsteinischen Fußballverbands, Vereine vor „erheblichen Folgen“, wenn sie unsauber arbeiten. „Wenn man seriös und langfristig erfolgreich einen Verein leiten will, geht das nur, wenn man das solide aufbaut.“
In den kommenden Tagen werden weitere Lokalmedien über die Bezahlkultur im Amateurfußball berichten. In den sozialen Netzwerken wird die Recherche unter dem Hashtag #Milliardenspiel verbreitet. Sie haben Hinweise zum Thema oder anderen Missständen im Sport? Unser CORRECTIV-Reporter Jonathan Sachse ist erreichbar unter jonathan.sachse (at) correctiv.org und über den Messenger Threema.