Faktencheck

„40 Grad“ im Jahr 1975? Warum diese alte Bild-Schlagzeile nichts über den Klimawandel aussagt

Auf Facebook kursiert seit Jahren eine Bild-Schlagzeile von August 1975 über „40 Grad Hitze“ in Deutschland. Dadurch soll der Eindruck erweckt werden, dass der Klimawandel „erfunden“ sei. Ein Faktencheck.

von Sarah Thust

badende Menschen im Baldeneysee, Motorschiff der Weissen Flotte im Hintergrund, bathing people in the Lake Baldeney, motor vessel of the White Fleet in the background
Baldeneysee in Essen: Hitzewellen werden mit der Erwärmung der Erde wahrscheinlicher und intensiver (Archivfoto von 2017: S. Ziese / Blickwinkel / Picture Alliance)
Behauptung
Die Bild habe schon am 8. August 1975, noch bevor der Klimawandel „erfunden“ worden sei, über 40 Grad Hitze in Deutschland berichtet.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die Bild berichtete in dem damaligen Artikel über eine Wetterprognose für den 10. August 1975 in Essen. Diese Prognose trat nicht ein. Ein Beleg dafür, dass der Klimawandel „erfunden“ worden sei, ist der Artikel nicht: Extreme Hitzetage werden laut Forschenden mit der Erwärmung der Erde wahrscheinlicher und intensiver.

Extreme Wetterereignisse wie Hitze, Dürre oder Hochwasser werden nicht direkt durch den Klimawandel verursacht. Sie werden jedoch laut Prognosen mit der Erwärmung der Erde wahrscheinlicher und intensiver, wie wir bereits in mehreren Faktenchecks berichteten. Was Städte und Landkreise dagegen (nicht) tun, lesen Sie hier.

Dennoch tauchen im Netz immer wieder Vergleiche mit vergangenen Wetterereignissen auf. Einer davon ist ein Bild-Artikel mit dem Titel „40 Grad Hitze – Jetzt wird das Wetter lebensgefährlich“ von 1975, der seit Jahren auf Facebook kursiert. Dazu wird behauptet: „Der Klimawandel war noch nicht erfunden […] Trotzdem war’s warm im Sommer!“ 

Die Schlagzeile veröffentlichte Bild am 8. August 1975. Was darin stand, ist in den Facebook-Beiträgen kaum lesbar: Die Temperaturangabe von 40 Grad Celsius war eine Vorhersage vom Wetteramt in Essen, Nordrhein-Westfalen, für den 10. August 1975. Im Artikel hieß es: „Das Wochenende wird höllisch heiß: Am Sonntag könnten es 40 Grad im Schatten werden…“

Facebook-Beitrag mit der Bild-Schlagzeile: „40 grad Hitze – Jetzt wird das Wetter lebensgefährlich“
Die Schlagzeile der „Bild“-Ausgabe von 1975 lautet „40 Grad Hitze – Jetzt wird das Wetter lebensgefährlich“. Eingetreten ist diese Prognose aber nicht. (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Prognose von 40 Grad Celsius trat nicht ein: Im Zeitungsausschnitt geht es um einen Sonntag in Essen

Der Zeitungsausschnitt kursierte bereits 2019, wie wir in einem Faktencheck berichteten. Der Axel-Springer-Verlag bestätigte uns damals die Echtheit des Fotos. 

Die Überschrift alleine ist jedoch irreführend. Sie erweckte bei manchen Nutzerinnen und Nutzern den Eindruck, die 40 Grad seien tatsächlich gemessen worden. Bei der Zahl handelte es sich jedoch lediglich um eine Prognose, die nicht eintrat.

Diplom-Meteorologe Andreas Friedrich, Pressesprecher beim Deutschen Wetterdienst (DWD), hatte die 1975 in Essen gemessenen Temperaturen für CORRECTIV überprüft: „Am 10. August wurde in Essen ein Höchstwert von 30,8 Grad Celsius gemessen“, sagte uns Friedrich damals am Telefon. Die Höchsttemperatur in Essen im August 1975 habe 31,7 Grad betragen (7. August). 

40 Grad Celsius Lufttemperatur wurden an der Messstation Essen-Bredeney erstmals am 25. Juli 2019 gemessen – der bisherige Hitzerekord (Stand: 14. Juli 2023). Ein Blick in die Daten-Suchmaschine Wolfram Alpha und in die Datenbank Wetterkontor bestätigt das. 

Werte der Messstation Essen-Bredeney
Die höchste Temperatur wurde an der Messstation Essen-Bredeney am 25. Juli 2019 gemessen: damals waren es erstmals 40 Grad Celsius. (Quelle: Deutscher Wetterdienst; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Hitzewellen gab es in Deutschland in der Vergangenheit immer wieder. 2020 berichtete der Deutsche Wetterdienst jedoch, dass die Sommer insgesamt in allen Regionen und in allen Höhenlagen deutlich heißer geworden sind.

Die Jahre seit 2015 waren die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen, berichtet zum Beispiel der MDR. Wie die US-Wetterbehörde NOAA und die Nasa schreiben, war unter anderem 2022 eines der wärmsten Jahre seit dem Start ihrer Temperaturaufzeichnungen. 

Hitzephasen aus der Vergangenheit unterscheiden sich von heutigen warmen Phasen

Wie wir bereits im September 2022 berichteten, werden Hitzephasen aus der Vergangenheit immer wieder als vermeintliches Argument gegen den menschengemachten Klimawandel benutzt. Der rasante Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur seit den 1990er Jahren gilt jedoch laut Klimaforschenden als beispiellos – und er hat Folgen weltweit. Trockenheit, starker Niederschlag und andere Wetterextreme werden wahrscheinlicher und intensiver. So steht es nicht nur im aktuellen Klimastatusbericht des DWD (Stand: März 2023). 

Laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), eine von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Institution, betrafen warme Phasen während der letzten 2.000 Jahre häufig nur bestimmte Regionen (PDF, S. 3). Bei der aktuellen Erwärmung handele es sich dagegen um ein zeitgleich stattfindendes globales Phänomen. Der aktuelle Anstieg der globalen Temperaturen vollziehe sich zudem viel schneller und drastischer als bei vergangenen natürlichen Klimaveränderungen. 

Der starke Anstieg der globalen Temperaturen lasse sich über natürliche Einflüsse alleine nicht erklären, schreibt das IPCC weiter. Er ist vor allem durch den menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen bedingt, wie wir in einem Faktencheck im Juni 2021 erklärten. 

Eine Grafik mit Daten von Klimamodellsimulationen, die zeigt, dass der aktuelle Anstieg nicht auf natürlichen Faktoren basiert
Klimamodellsimulationen, die menschliche und natürliche Einflüsse auf das Klima für ihre Berechnungen nutzen (grauer Bereich), stimmen mit aktuellen Messungen der globalen Durchschnittstemperatur überein. Modellsimulationen, die nur natürlichen Faktoren miteinbeziehen (grüner Bereich), liegen deutlich unter den Messungen. (Quelle: IPCC Sixth Assessment Report: Working Group 1: The Physical Science Basis. FAQ Chapter 3 (S. 4), Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Matthias Bau, Sophie Timmermann 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Temperatur-Messwerte an der Station in Essen-Bredeney, historische Werte siehe Abschnitt Temperatur-Klimatabelle: Link
  • Suchergebnis in der Datensuche bei Wolfram Alpha, Abschnitt „History & forecast“ mit der Einstellung „All“: Link
  • Suche nach historischen Werten bei Wetterkontor: Link
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