Kein Filter
für Rechts
für Rechts
Wie die rechte Szene Instagram
benutzt, um junge Menschen
zu rekrutieren
»Die Mädels sind für das schöne Bild verantwortlich«, so offen sagt es eine Insiderin. Es sind vor allem Frauen, die Nutzer auf Instagram mit ästhetischen Bildern und subtilen Botschaften in die rechte Szene ziehen sollen. Emojis als Reichsflagge, Hashtags wie #heimatverliebt und AfD-Politiker, die für ein rechtes Modelabel posieren oder Accounts von Rechtsextremen folgen: Unsere Analyse tausender Instagram-Accounts zeigt, wie die rechte Szene auf der vermeintlich unpolitischen Plattform junge Menschen verführt. Und dass Instagram kaum etwas dagegen unternimmt. Eine Recherche in fünf Teilen.
Abonnieren Sie unseren Newsletter für Benachrichtigungen zu neuen Texten und weiteren Informationen zur Recherche:
Wie tausende Rechte Instagrams Schwachstellen ausnutzen
Das Bild wirkt wie ein typischer Instagram-Post: ein weiches, hellbraunes Deckchen umwickelt ein blondes Baby, das friedlich in der Wiege schläft. Umgeben ist es von seinem Spielzeug: Ein kleiner Plüschwolf, ein hölzernes Schwert, dazu etwas Dekoration. Das warme Licht trägt perfekt zur Stimmung bei. Die pure Unschuld.
Mehr als 600 Nutzerinnen und Nutzern gefällt das Bild. Wer es genauer betrachtet, versteht, dass es für sie etwas ganz anderes bedeutet: Das Baby ist ein „Kämpfer“, wie ein Nutzer unter das Bild schreibt. In einigen Jahren werde es bereit für die „Frühlingsangriffe“ sein.
Dann sehen auch wir: Das hölzerne Dekorationsstück, rechts neben dem Kopf des Babys platziert, soll eine Schwarze Sonne (Sonnenrad) darstellen – eines der bekanntesten deutschen rechtsextremen Erkennungssymbole der Neuzeit. Es besteht aus mehreren übereinanderliegenden Hakenkreuzen. Das Symbol erinnert an ein bekanntes SS-Ornament.
Ein Kleinkind neben einem Neonazi-Motiv. Willkommen auf der dunklen Seite Instagrams.
Für die meisten Menschen ist die Welt auf Instagram bunt und harmlos: Nutzer posten stimmungsvolle Naturfotos, Reisetipps, Rezepte oder süße Tierbilder. Es ist eine Welt, in der sich Models präsentieren, Influencer Produkte anpreisen, Künstlerinnen ihre Werke vorstellen. In der Nutzer sich auf gemeinsamen Fotos markieren, am See, im Restaurant.
Das Leben ist schön auf Instagram – und so will der Facebook-Konzern, dem die Plattform seit einigen Jahren gehört, es haben.
Doch es gibt noch eine andere Welt auf Instagram. Eine Welt, in der es heißt: „It’s great to be white.“ In der Tausende rechte und rechtsextreme Nutzer den Glauben nähren, Deutschland und Europa würden angegriffen. Eine Welt, in der weißen Frauen geraten wird, sich nicht zu „vermischen“.
Die führenden Köpfe dieser Szene verstehen die Dynamik der Plattform sehr gut. Sie wissen sich zu tarnen und nutzen offensichtliche Schwachstellen des Instagram-Algorithmus aus. Sie haben Strategien entwickelt, wie sie mit harmlosen Bildern und Hashtags wie #heimatverliebt Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um radikale Inhalte breit zu streuen und vor allem junge Unterstützerinnen und Unterstützer zu gewinnen.
Die Datenrecherche zeigt erstmals das Ausmaß, in dem sich Rechtsextreme auf Instagram vernetzen und Nachwuchs rekrutieren
Über Monate haben wir die rechte Szene auf Instagram beobachtet. Mit einem fiktiven Account haben wir uns in ihre Welt ziehen lassen. Dabei sind wir dem Algorithmus von Instagram gefolgt, haben auf seine Vorschläge reagiert. Wir sammelten Daten, Unmengen an Daten.
Wir sind ein mehrköpfiges Team aus Reporterinnen und Reportern, einem Datenjournalisten und einer Wissenschaftlerin. Rund 4.500 Instagram-Accounts haben wir analysiert. Damit haben wir erstmals einen relevanten Teil des Netzwerks der deutschen rechten Szene auf Instagram kartografiert. Und nicht nur das: Diese CORRECTIV-Recherche zeigt auch, wer ihre Schlüsselfiguren sind, wie sie kommunizieren und für sich werben.
Eine ehemalige Influencerin der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB) schildert uns, wie die Organisation über die Plattform aktiv neue Mitglieder rekrutiert. „Die Frauen werden als Aushängeschild benutzt“, sagt sie. „Instrumentalisierung, Benutzung bis zum Gehtnichtmehr.“
Ein Vorstandsmitglied der Jungen Alternative (JA) Berlin, der Jugendorganisation der AfD, berichtet uns, dass der Landesverband mittlerweile die Hälfte seiner Neuzugänge über Instagram gewinne. Auf seinem eigenen Instagram-Account setzt er Mitglieder der JA und AfD in Szene – die Fotos zeigen vor allem Frauen. Gerade Frauen spielen in der Szene auf Instagram eine zentrale Rolle, wie unsere Recherche zeigt: Sie bilden die Brücke von der vorgeblich unpolitischen Ästhetik auf Instagram in ein rechtes Weltbild und letztlich in rechtsextreme Kreise.
Wie schwer es für junge Menschen sein kann, sich dem Sog zu entziehen, erzählt uns ein ehemaliger Instagram-Entwickler der ersten Stunde. Der Algorithmus sei darauf ausgelegt, Menschen immer mehr vom selben zu zeigen. Darin unterscheidet sich Instagram, das im Besitz von Facebook ist, nicht von anderen Plattformen. „Niemand bei Facebook hat sich angeschaut, wie deutsche rechtsextreme Accounts und Symbole erkannt oder bekämpft werden können“, meint der Experte.
Die subtilen Strategien hat das Unternehmen offenbar nicht im Blick. Erst nachdem wir Instagram auf den Beitrag mit dem Baby hingewiesen hatten, löschte das Unternehmen den Post. Denn das Sonnenrad ist nach den Regeln der Plattform ein verbotenes Symbol. Eine Sprecherin von Instagram wies zudem darauf hin, dass es „hilfreich“ wäre, wenn wir weitere Inhalte dieser Art mitteilen könnten.
Die rechte Szene setzt gezielt auf Lifestyle und Influencerinnen, um jungen Menschen auf Instagram ihre Ideologie zu verkaufen – und die Plattform hat kein Gegenmittel.
Das Einmaleins von Instagram
In den analysierten Daten tauchte ein Account immer wieder als Verbindungspunkt auf: Ein Fotograf, der sich auf Instagram „germanyspride“ nennt. Nachdem auf seinem Account etwa zwei Jahre lang nur Landschafts- und Architekturfotos zu finden waren, begann er im September 2019, Porträts junger, gutaussehender Frauen und Männer zu veröffentlichen. Die meisten von ihnen haben etwas gemeinsam: Sie haben Verbindungen zur JA oder zur AfD.
Inzwischen wirkt der Account in großen Teilen wie ein Hochglanz-Portfolio dieser beiden Organisationen. Zu sehen sind dort zum Beispiel Mary Khan, stellvertretende Bundesvorsitzende der JA, oder Marie-Thérèse Kaiser, Kreisvorsitzende der AfD Rotenburg und Kampagnengesicht der AfD. Mehrfach taucht zudem Lisa Lehmann aus dem Vorstand der JA Sachsen-Anhalt auf.
Der Fotograf ist Vadim Derksen, selbst Beisitzer im Bundesvorstand der JA. Im Gespräch mit CORRECTIV sagt er, der Account „germanyspride“ sei eigentlich nur ein Nebenprodukt. Es habe im September 2019 mit Bildern für eine Kampagne der Jungen Alternative Berlin mit dem Titel „Nie wieder Sozialismus“ angefangen. „Das war die Initialzündung“, sagt Derksen. Das Ziel seien Bilder gewesen, „wo wir nicht so im Biedermeier-Look rüberkommen, sondern so, wie Jugendliche halt normalerweise aussehen.“
Seit etwa einem Jahr konzentriert sich die Junge Alternative auf Instagram, bestätigt uns Vadim Derksen. „Jung, agil, attraktiv“ solle sie wirken. Dazu passt, dass die JA Berlin im Juli 2019 einen Fotografie-Workshop durchführte. „Wir probieren und professionalisieren uns“, schrieb der Landesverband auf seinem Account.
Instagram ist eine der beliebtesten Apps weltweit. Laut Facebook nutzen mehr als 500 Millionen Nutzer jeden Tag aktiv ein Instagram-Konto. Fast 50 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland nutzte Instagram laut einer Studie von ARD und ZDF 2019 täglich.
Die JA hat offenbar erkannt, worauf es bei Instagram ankommt. „Die Menschen wollen Menschen sehen, auch positive Menschen, und eher weniger Organisationen. Das ist ganz klar“, erklärt Derksen. Jede Branche mache das so, „dass man nicht in erster Linie ein Produkt vorne hat, sondern Menschen. Und der Mensch bringt dann die Botschaft. Das ist das Einmaleins von Instagram. Genauso arbeiten wir auch, dass der Mensch im Fokus ist.“
Hashtags ziehen in die Szene hinein
Die JA-Aktivistinnen geben auf Instagram Einblicke in ihren Alltag, politische Inhalte stehen nicht im Vordergrund, sind aber unterschwellig präsent: Lisa Lehmann beim Feierabendbier, im Harz oder auf Sylt, für die JA unterwegs in Berlin. Die Beiträge ihres öffentlichen Profils mit rund 1.500 Abonnenten versieht Lehmann oft mit dem Hashtag #Heimatliebe. In der Beschreibung ihres Accounts steht anstatt ihrer politischen Funktion nur ein Zitat in Frakturschrift: „Ein Mensch, der keine Heimat hat, gleicht einem windverwehten Blatt.“
Hashtags verwendet die JA nicht zufällig. Über Hashtags stoßen Instagram-Nutzer auf neue Accounts und Inhalte zu einem Thema, das sie interessiert. Der Hashtag #Heimatliebe sei zwar etwas schwierig, weil ihn sehr viele Menschen nutzen, erklärt Vadim Derksen. „Aber der würde bei uns reinpassen, rein thematisch, deshalb verwenden wir den, um diesen Hashtag auch zu füllen.“
Heimatliebe ist offenbar etwas, das die JA auf Instagram darstellen möchte. Manche Aktivistinnen werden da deutlicher: Hana K., laut zweier Instagram-Beiträge der JA Berlin 2019 Teil des Vorstands, veröffentlicht auf ihrem privaten Profil verträumte Porträts von sich mit Texten wie: „Mögen die letzten Sonnenstrahlen des Jahres auch die letzten für Merkel in der Regierung sein!“ Und lächelnd, ein buntes Ahornblatt vor dem rechten Auge: „Ein Herbstblatt ist besser als Burka.“ Hashtag #Heimatliebe, Hashtag #patriotisch.
„Wir sind noch ganz am Anfang“, sagt Derksen. „So intensiv, wie wir das jetzt machen, ist es erst ein Jahr. Aber ja, es gibt Erfolge.“ Etwa die Hälfte des Mitgliederzuwachses der JA Berlin seit einem Jahr sei auf Instagram zurückzuführen. Der Landesverband hat rund 1.500 Follower auf Instagram. „Die Leute, die Interesse haben, die kommen selbst auf uns zu, sprich: Die schreiben uns an über Instagram.“
Bei unserer Recherche sehen wir, wie sich politische Inhalte unter unverfängliche Hashtags mischen. Wir geben #heimatverliebt auf Instagram ein, und sofort erscheinen rund 4.500 Beiträge – bunte Naturfotos, Architektur, Menschen in Trachten. Man scrollt und entdeckt: eine Deutschlandfahne, Hashtag #Jungealternative. Auf einem anderen Bild posiert ein junger Mann vor einem Banner mit der Aufschrift „Volk“ – es ist ein Beitrag eines rechtsextremen Accounts namens „Altstadtrevolte Bautzen“, der der Identitären Bewegung (IB) nahesteht.
Mit der Verwendung der Hashtags durch verschiedene Gruppen konfrontiert, schreibt uns Derksen: „Wir haben keine Kontrolle darüber, wer diese Hashtags mit benutzt und kontrollieren dies auch nicht, weil es total absurd ist.“
Frauen als Verbindungsknoten im Netzwerk
Immer wieder tauchen im Netzwerk Instagram-Accounts von jungen Frauen auf, die offenbar eine starke Verbindungsfunktion haben und denen viele Aktivisten folgen. Uns wurde bei der Recherche schnell klar, dass wir uns auf solche Influencerinnen konzentrieren mussten.
„Es ist den Rechten schon lange bewusst, dass Frauen friedliebender wirken“, sagt Katrin Degen, die an der Universität Bamberg zum Thema „Gender und Sexualität in Social-Media-Diskursen der extremen Rechten“ promoviert. Schon in den 1990er-Jahren hätten Frauen auf Demonstrationen die Plakate getragen. Die wenigen Frauen in der NPD habe man gezielt aufgefordert, sich in Schulräte wählen zu lassen. In Sozialen Netzwerken wie Instagram setze sich diese Tradition fort, erklärt Degen: Frauen würden immer dort gezielt „vorgeschickt“, wo es gelte, die „Ideologie durch die Hintertür“ einzuführen.
Um herauszufinden, welche der 4.500 Accounts in unserer Datenbank wirklich relevant sind, identifizierten wir zunächst rund 130 Profile von Frauen als „Influencerinnen“. Diese filterten wir nach der Stärke ihrer Verbindungsfunktion für das gesamte Netzwerk von 4.500 Accounts – und erhielten rund 50 Profile von jungen Frauen. Darunter sind prominente Namen wie Brittany Sellner, die Frau von Martin Sellner, Chef der IB in Österreich. Sie hat mehr als 30.700 Follower auf Instagram. Unter den AfD-Accounts hat Marie-Thérèse Kaiser mit rund 8.800 die meisten Abonnenten.
Die meisten Influencerinnen bewegen sich im Umfeld der IB und von Accounts, die wir als „rechte Subkultur“ klassifiziert haben, wie Mode- oder Musiklabels. Das größte Interesse an den Accounts dieser Frauen besteht bei Mitgliedern der IB oder JA. Die Übergänge beider Organisationen sind im Netzwerk fließend: Viele Frauen in der Jungen Alternative sind direkt mit Schlüsselfiguren der IB vernetzt.
Die IB Deutschland ist laut Verfassungsschutz eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“; sie vertrete einen völkischen Staatsvolk-Begriff, der dem Grundgesetz widerspreche. Die Junge Alternative wird vom Verfassungsschutz seit Januar 2019 als „Verdachtsfall“ einer extremistischen Organisation eingestuft und somit ebenfalls beobachtet.
Auf Instagram kann sie sich hinter unverfänglichen Inhalten tarnen. Die Profile junger Frauen sehen aus wie die hunderter anderer auf der Plattform.
Kaum eine verwendet ihren tatsächlichen Namen, und viele zeigen ihre Zugehörigkeit zu Gruppen wie der IB nicht offen. Die größte Gruppe in unserer Datenbank sind daher die „Patriotinnen und Verschwörungsideologinnen“: Sie umfasst alle Personen, die wir nicht klar als Aktivisten einer bestimmten Organisation identifizieren konnten. Die Bandbreite reicht hier von Fans des rechtsextremen Rappers „Chris Ares“ bis hin zu Verschwörungsideologen.
Selbst Mitglieder der rechten Szene erkennen Gleichgesinnte nicht immer auf den ersten Blick.
Eine, die die rechte Szene von innen kennt, ist Lisa H. „Gerade bei Frauen ist es nicht so einfach, weil man es eigentlich nur anhand der Followerliste erkennt, ob die jetzt dazu passt oder nicht“, sagt uns die Insiderin Anfang September in einem mehrstündigen Video-Telefonat.
Lisa H. taucht in unserem Datensatz auf, hat etwa 9.500 Follower auf Instagram. Sie selbst war unter dem Pseudonym „Lisa Licentia“ kurzzeitig Teil und Influencerin der IB und veröffentlichte unter anderem Youtube-Videos, in denen sie gegen Geflüchtete und Migranten aufstachelte.
Die ehemalige IB-Aktivistin berichtet, wie sie sich radikalisierte und wie sie lernte, andere Follower ins rechte Instagram-Milieu zu ziehen. „Ich als Frau würde niemals auf die Idee kommen, Kaiser-Marschmusik unter meine Bilder zu legen. Aber wenn ich das 20 Mal sehe, finde ich es lustig und mache es dann auch“, sagt sie. „Man hat ein Feindbild, und dieses Feindbild versucht man so nach und nach, immer tröpfelnd den Leuten einzuflößen.“
Die 27-jährige Bayerin, die heute in Köln lebt, hatte einen seltenen Einblick in den Kern, die Ideenfabrik der deutschsprachigen Neuen Rechten. Heute nimmt sie nach eigener Aussage an einem Aussteigerprogramm für Rechtsextreme teil und möchte helfen, über die Szene aufzuklären.
„Wenn gerade etwas wichtig ist, dann Instagram. Um das Netzwerk stabil zu halten und auch weiterhin zu füttern“, sagt Lisa H. Das Netzwerk bleibe unter sich, alle bekämen immer mehr vom selben zu sehen. „Eine andere Meinung kommt nicht rein.“
Was sie damit meint, können wir anhand unseres fiktiven Accounts und der Daten nachvollziehen. Wir bekommen etliche rassistische Memes in unseren Feed gespült. In einem mit mehr als 1.000 Likes ist links eine Collage aus Fotos von dürren, schwarzen Kindern zu sehen, Überschrift: „Die brauchen unsere Hilfe!“ – rechts eine Collage mit Fotos von offensichtlich geflüchteten Männern, dazu die Überschrift: „Die nicht!“
Es sind zynische Sprüche über eine angebliche „Islamisierung“, Screenshots von Artikeln der rechten Medienszene, in denen es um angebliche Gewaltverbrechen durch Asylbewerber geht: „Wir schaffen das: Asyl in Deutschland trotz 58-fachem Mordvorwurf.“ Ein Beitrag der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, sie steht auf dem Foto mit einem Transparent auf der Straße, auf dem zu lesen ist: „Die Scharia gehört nicht zu Deutschland.“ Und zwischendurch: Veranstaltungseinladungen von rechtsextremen Organisationen wie dem „Dritten Weg“, Kritik an den öffentlich-rechtlichen Medien, Zitate von Renaud Camus, einem Vordenker der Neuen Rechten.
Rechte Dauerbeschallung – anders lässt es sich nicht beschreiben. Lisa H. habe dadurch eine extreme Angst entwickelt, erzählt sie uns. „Und das hab ich auch bei ganz, ganz vielen anderen mitbekommen, dass die wirklich permanent unter Angst stehen, und diese Angst wird durchgehend geschürt. Die ganze Zeit.“
Instagram-Stories, um zu rekrutieren
Welchen Stellenwert Instagram für die Szene hat, zeigt sich allein schon daran, dass die IB laut Lisa H. Workshops veranstaltet, in denen es um die eigene Vermarktung gehe: „Wie macht man Bilder? Wie soll das aussehen? Was ist verboten, was die gesamte Bildgestaltung als auch die Selbstdarstellung von diesen Personen angeht?“
In den Räumlichkeiten der Kölner Studentenverbindung „Burschenschaft Germania“ habe es dazu Power-Point-Präsentationen gegeben. „Ich habe zwei Präsentationen mitbekommen. Einmal über das Online-Auftreten und dann einmal eine Präsentation über Klamotten. Wie ziehe ich mich als Rechte an. Wie kann ich andere Rechte erkennen, die dann so einen Kleidungsstil haben? Wie schneide ich mir die Haare? Was ziehe ich als Frau an?“
„Das mit den Hashtags ist auch wichtig, das machen eigentlich hauptsächlich nur Frauen, bei den Männern gar nicht. Deren Profile sind hauptsächlich privat, und die Mädels sind dann mehr für das schöne Bild verantwortlich. Wobei die Stories sich aber nicht von den Männern unterscheiden, und das ist das Schlimme.“
Die IB geht laut Lisa H. über Instagram aktiv auf junge Menschen zu und versucht, sie dort zu örtlichen Treffen zu bewegen: „Da wird dann geguckt, wie stabil die Ideologie schon ist. Und wenn in Ordnung ist, was der sagt, wird er reingeholt.“
Die Rechten nutzen das ganze Aufmerksamkeits-Besteck der Plattform: „Am besten ist es eigentlich, auf Stories zu antworten, wenn da irgendwie was ‘Lustiges’ geteilt wird.“ Die Story-Funktion auf Instagram ist eine Art Slideshow mit Bildern und Videos, die nach 24 Stunden wieder verschwindet. Nutzer können darauf mit Text oder Emojis reagieren.
„Schickt mal einen Panzer, ein Emoji, irgendwie sowas, um eine Interaktion zu starten. Dann werdet ihr auch sehen, dass nach ganz kurzer Zeit, wenn es denn funktioniert, ihr irgendwann in die ‘engen Freunde’ reinrutscht“, sagt Lisa H. Über die „Enge-Freunde“-Funktion von Instagram kann man Stories nur mit ausgewählten Nutzern teilen.
„Und da kommt dann der harte Scheiß“, sagt Lisa H.
Eine junge Frau, der Lisa H. folgt, habe über diese Funktion zu Adolf Hitlers Geburtstag ein Meme geteilt: Hitler mit Torte in der Hand, mit Musik unterlegt. „Die dachte wirklich, das ist okay für mich.“
Unauffällig, aber zentral für das rechte Netzwerk: Reinhild Boßdorf
Lisa H. nennt uns auch eine ihrer frühen zentralen Ansprechpartnerinnen bei der IB: Reinhild Boßdorf aus Nordrhein-Westfalen.
Boßdorf tritt auf Instagram öffentlich, aber nicht mit Klarnamen auf und hat rund 1.800 Abonnenten. Von uns wurde sie zunächst als „Youtuberin“ kategorisiert statt als IB-Aktivistin. Wir hatten damit die Relevanz einer der Schlüsselfiguren im Netzwerk und einer wichtigen Verbindungsstelle zwischen AfD und IB nicht erkannt.
Denn auf Instagram wirkt Reinhild Boßdorf auf den ersten Blick fast unpolitisch. Zu sehen ist eine junge Frau mit einem Faible für geflochtene Zöpfe. Nur der Link auf ihren Youtube-Kanal „Rein weiblich“ lässt auf mehr schließen.
In unserem Datensatz mit 4.500 Accounts spielt Boßdorf jedoch, wenn man die Wichtigkeit ihrer Verbindungsfunktion im Netzwerk misst, eine sehr bedeutende Rolle. Ihre Verbindungsfunktion zwischen den Accounts ist sogar stärker als die von Brittany Sellner, der Ehefrau von IB-Chef Martin Sellner.
Reinhild Boßdorf engagiert sich aktuell für die AfD. Sie und mehrere AfD- oder JA-Aktivistinnen folgen sich gegenseitig auf Instagram, darunter Mary Khan, Marie-Thérèse Kaiser und Lisa Lehmann mit ihrem privaten Account. Und auch der Account der JA Berlin, den Vadim Derksen mit betreut, folgt Boßdorf. Auf Nachfrage teilte Derksen uns mit, dass der JA Berlin Boßdorf und ihre Vergangenheit nicht näher bekannt seien. Jemandem zu folgen bedeute keine Zustimmung, behauptet er. Lehmann, Kaiser und Khan haben auf unsere schriftlichen Anfragen nicht reagiert.
Im September trat die Anfang 20-Jährige bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen in Königswinter für die AfD an. Das hat das dortige Wahlamt CORRECTIV gegenüber bestätigt. Ihre Mutter, Irmhild Boßdorf, kandidierte in Königswinter ebenfalls, aber in einem anderen Wahlbezirk. Irmhild Boßdorf ist außerdem Beisitzerin im Kreisvorstand der AfD Rhein-Sieg-Kreis und leitet das Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen in Königswinter.
Laut der Unvereinbarkeitsliste der AfD dürfen Mitglieder der Identitären Bewegung keine Mitglieder der Partei sein. Die AfD Rhein-Sieg-Kreis hat auf unsere Anfrage nicht reagiert. Auch Reinhild Boßdorf hat auf eine schriftliche Anfrage von CORRECTIV, ob sie aktuell Mitglied der IB und der AfD ist, nicht geantwortet.
CORRECTIV ist spendenfinanziert
Lisa H. bezeichnet die Familie Boßdorf uns gegenüber als „völkisch“. Reinhild Boßdorf trat in den vergangenen Jahren auf Veranstaltungen der IB auf und war maßgeblich beteiligt an der Initiative „120db“, bei der Frauen auf einen angeblichen Anstieg sexueller Gewalt durch Migranten aufmerksam machen wollten. Dort engagierte sich auch Lisa H. nach eigener Aussage. Boßdorf gründete außerdem die Initiative „Lukreta“, die „für Frauenrechte und gegen die Verdrängung der Frau aus dem öffentlichen Raum“ eintreten will.
Laut Lisa H. wurde Boßdorf von den Identitären „verstoßen“, doch damit ist sie aus dem Umfeld der IB nicht verschwunden. Auf ihrem erst vor fünf Monaten geschaffenen Youtube-Kanal „Rein weiblich“ spricht sie über „frauenpolitische Themen“. Und stieg damit offenbar wieder in der Gunst: Im Sommer wurde sie von Martin Sellner, Chef der IB Österreich, interviewt.
In diesem Gespräch und auf ihrem Youtube-Kanal ätzt Boßdorf gegen einen „modernen Feminismus“, wie sie es nennt. Es laufe „nur darauf hinaus, dass Frauen immer weiter vermännlichen und Männer immer weiter verweiblichen“, sagt sie. Weiblichkeit bedeute für sie, biologisch weiblich zu sein, sich so zu fühlen – und auch zu kleiden. Boßdorf argumentiert, dass der Feminismus angeblich Frauen gegen Männer aufhetze und Sexualstraftaten nur dann thematisiere, wenn die Täter weiß seien. Man habe als Frau in Nordrhein-Westfalen Angst davor, auf die Straße zu gehen, behauptet sie.
Die Angst vor Gewalt durch Migranten, sie ist offenbar ein zentrales mobilisierendes Element der Frauen in der rechten Szene. Lisa H. sagte uns dazu: „Ich habe, glaube ich, als ich Kontakt mit denen hatte, wochenlang nur geweint nachts, weil ich Angst hatte, meine Töchter werden vergewaltigt oder die Scharia kommt, so absurd sich das auch anhört.“
Von der „Mama-Bloggerin“ zu Nazi-Uniformen
„Wenn man sich die Profile anschaut, gerade bei den Frauen, dann sehen die aus wie… ja, wie soll ich sagen… schwedische Profile. Da sieht man ein Kornfeld, man sieht eine Frau im Kleid, und man sieht eine beim Backen“, sagt Lisa H.
Natürlich sehen nicht alle Influencerinnen im Netzwerk so aus. Aber bei unserer Analyse der rund 50 ausgewählten, relevanten Instagram-Accounts sahen wir häufig Fotos von Frauen in traditionellen Kleidern, mit geflochtenen, langen Haaren, in freier Natur, teilweise mit Bezügen zur nordischen Mythologie.
Laut Katrin Degen, die zu Geschlechterrollen in der rechten Szene an der Universität Bamberg promoviert, gibt es zunehmend rechte Frauen, die ein anderes Bild von sich vermitteln und „durchaus feministische anmutende Themen“ vertreten. Das mache die Szene in ihren Augen sogar noch anschlussfähiger für junge Frauen. Dennoch sei das traditionelle, naturverbundene Bild der Frau als Mutter in der rechten Szene auch heute noch weit verbreitet.
Ein gutes Beispiel dafür ist ein Account einer jungen Frau, der in unseren Daten auftaucht. Als „Mama-Bloggerin“ lässt sie ihre rund 1.000 Follower an ihrem Familienleben teilhaben und schreibt über Weiblichkeit. Auf den Fotos trägt sie lange Kleider, posiert in Blumenwiesen, und in ihren Texten hebt sie die Vorteile eines natürlichen Lebensstils und des Daseins als Hausfrau und Mutter hervor.
„Viele Frauen gehen arbeiten, obwohl sie Kinder haben. Mag es aus wirtschaftlichen Gründen sein oder aus sozialem Druck, weil es alle im Bekanntenkreis machen“, schreibt sie beispielsweise. Doch wenn die Arbeit nur stresse, nehme sie der Frau Energie. „Und diese Energie fehlt dann zuhause, fehlt den Kindern.“ Die „wesentlichen Qualitäten“ einer Frau beschreibt sie in einem anderen Beitrag als „Empfänglichkeit“, „Bewahren“ und „Hingabe“.
Diese Ansichten lassen nicht auf eine Zugehörigkeit zur rechten oder gar rechtsextremen Szene schließen. Doch unsere Daten zeigen, dass dem Account der jungen Frau mehrere Aktivisten der IB in dem Netzwerk folgen. Und ihre eigenen Interessen liegen offenbar auch in dieser Richtung: Sie selbst folgt zum Beispiel einem sehr populären Instagram-Account namens „Heimatverbunden“ mit mehr als 12.800 Abonnenten.
Dieser trägt eine Rune in der Profilbeschreibung, die von den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler für das Logo des Vereins „Lebensborn“ verwendet wurde. Zu sehen sind auch historische Bilder von Menschen in Wehrmachtsuniformen oder Grafiken mit Slogans wie „It’s okay to be white“ (Es ist okay, weiß zu sein).
Auf eine schriftliche Anfrage von CORRECTIV reagierte die Bloggerin nicht. Stattdessen schaltete sie ihr zuvor öffentliches Profil auf „privat“.
Am Beispiel der „Mama-Bloggerin“ wird sichtbar, wie die Grenzen zur rechtsextremen Szene auf Instagram verschwimmen. Wie hinter einer zur Schau gestellten Natürlichkeit rechtsextreme Einstellungen stehen können. Wir haben uns ihre Verbindungen in unserer Datenbank deshalb genauer angeschaut.
Die junge Mutter folgt Accounts wie „European People“ mit mehr als 8.900 Followern. In dessen Bildern taucht der Rechtsextreme Frank Kraemer auf, bekannt durch die Rechtsrock-Band „Stahlgewitter“. Kraemer folgt der jungen Bloggerin übrigens auf Instagram, und er folgt auch Reinhild Boßdorf. Auf Nachfrage von CORRECTIV schreibt Kraemer, er kenne die beiden nicht persönlich: „Der Grund, warum ich diesen folge, sind deren interessante Inhalte.“
Kraemer hat Verbindungen zur Initiative „Europa Terra Nostra“, in deren Vorstand ein NPD-Politiker sitzt. Die Organisation habe ein Buch von ihm herausgebracht, bestätigt Kraemer uns. Wie die JA und IB hat auch „Europa Terra Nostra“ die Bedeutung digitaler Medien erkannt – und bot bereits 2018 Photoshop-Seminare an.
In unserem Netzwerk taucht auch ein englischsprachiges Profil namens „Madame Europa“ auf. Die Themen Traditionelle Familie, Weiblichkeit und Ablehnung des Feminismus finden sich auch hier – sie sind ein verbindendes Element. Hinter „Madame Europa“ steht jedoch das rechtsextreme Label „Europa Invicta“. Der Betreiber, ein Grafik-Designer aus Frankreich, gab einem rechten Blog von Frank Kraemer ein Interview und sagte, er wolle die Ästhetik Europas als „Heimat der Weißen“ darstellen. Der Account „Madame Europa“ wendet sich explizit an Frauen, mit Slogans wie „Femininity not Feminism” (Weiblichkeit statt Feminismus).
Weil wir mit unserem fiktiven Account selbst immer tiefer in die rechte Gedankenwelt hineingezogen werden, wollten wir wissen, ob es dafür auch technische Gründe gibt. Darüber sprechen wir mit einer Forscherin und einem Instagram-Insider, der den Facebook-Konzern 2014 verließ.
Expertin: Rechte nutzen Schwachstellen der Plattform aus
Carolina Are ist Doktorandin an der Universität London und forscht unter anderem zum sogenannten „Algorithm Bias“. Dieser beschreibt eine algorithmische Verzerrung: Fehler in einem Computersystem, die zu unfairen Ergebnissen führen – etwa der Bevorteilung einer Gruppe von Nutzern gegenüber anderen.
Der Instagram-Algorithmus sei ein bisher wenig erforschtes Feld, sagt Are gegenüber CORRECTIV. Bislang habe sich diese auf Facebook und Twitter fokussiert.
Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich auch auf Instagram sogenannte Filterblasen, „Echokammern“, bilden können. Durch diesen Effekt sehen Nutzer immer nur mehr von dem, was ihrem persönlichen Standpunkt entspricht, auch dem politischen. Ein Phänomen, das insbesondere Facebook betrifft. In der Folge würden Menschen nicht unbedingt ihre Meinung ändern – aber laut Are durchaus mehr polarisiert werden.
„Eine der wichtigsten Funktionsmerkmale des Instagram-Algorithmus sind Vorschläge“, sagt Are. „Wer viele Beiträge eines bestimmten Stils ‘liked’, wird immer mehr vom gleichen vorgeschlagen bekommen.“
Wir erleben das selbst mit unserem fiktiven Account. Wer sich über die Story-Funktion Inhalte der Menschen anschaut, denen man folgt, bekommt zwischendurch vom Instagram-Algorithmus erstellte Vorschläge für andere Accounts angezeigt.
Bei uns tauchen auf: Rechte Meme-Seiten, rechte Influencer, rechte Bekleidungsmarken, AfD-Politiker.
Laut Are ist aber nicht nur der Filterblasen-Effekt relevant. Sie befürchtet, dass Rechtsextreme auch algorithmische Schwachstellen ausnutzen könnten.
„Hassrede ist auf der Plattform momentan nicht gut reguliert“, sagt sie. Nacktheit filtere Instagram effektiv aus den Nutzer-Feeds – bei Hassrede und verbotenen Symbolen tue sich die Plattform aber ungleich schwerer. Mark Zuckerberg selbst, Chef des Facebook-Konzerns, zu dem Instagram seit einigen Jahren gehört, wies darauf 2018 in einem Beitrag hin.
Während unserer Recherche sahen wir gleich mehrfach unverpixelte Hakenkreuze oder mutmaßlich volksverhetzende Inhalte in Bildern, die mit simplen Methoden so verändert wurden, dass der Algorithmus sie offenbar nicht erkennt. Wie das Wort „white“ im Slogan „It’s great to be white”, das verpixelt ist, damit das Bild nicht gelöscht wird.
Gregor Hochmuth ist der Überzeugung, dass es dafür einen simplen Grund gibt: „Ich kann garantieren, dass sich niemand bei Facebook, zumindest nicht in der Tiefe, angeschaut hat, wie deutsche rechtsextreme Accounts und Symbole erkannt oder bekämpft werden können.“ Hochmuth gehört zu den Gründungs-Entwicklern von Instagram, der die Plattform 2014, zwei Jahre nach der Übernahme durch Facebook, zusammen mit vielen weiteren Mitarbeitern verließ. Heute arbeitet er als freier Entwickler und nutzt laut eigenen Angaben keine Sozialen Netzwerke mehr. Mitte September sprechen wir mit ihm in einem Video-Telefonat.
„Ich denke nicht, dass da Absicht dahinter steckt, dass Facebook solche Dinge auf der Plattform haben möchte“, sagt Hochmuth. „Aber wie soll man auf dem Schirm haben, was alles Problematisches auf einer Plattform mit zwei Milliarden Nutzern passiert? Das kann man nicht. Man schaut nur nach Dingen, die man kennt.“ Das bringe Schwierigkeiten mit sich.
Ob etwa Naturfotografien als ein Vehikel für rassistische Hassrede genutzt würden, sei nur schwer zu erkennen, wenn zuvor kein Mensch das Problem definiert habe: „Das erfordert Arbeit, das geht nicht automatisch. Ein Mensch muss sich zuerst vor einen Computer setzen und sagen: Das ist problematisch. Der erste Schritt ist, den Computer zu schulen.“ Hochmuth ist sich sicher: Explizit für deutsche, rechtsextreme Symbole sei das bisher bei Instagram nicht geschehen.
Dem Entwickler zufolge wurde zudem nach der Übernahme durch Facebook vieles bei Instagram so umgestaltet, dass die Plattform Facebook ähnelte: „Man kann es als einen Fakt betrachten, dass der Instagram-Algorithmus in seinem Kern derselbe ist wie der von Facebook. Und was wir vom Facebook-Algorithmus wissen, ist: Er kreiert Filterblasen.“
Nach unserem Hinweis löscht Instagram das Foto des schlafenden Babys mit dem Sonnenrad
Wir konfrontieren Instagram eine Woche vor der Veröffentlichung dieses Textes mit unseren Recherchen. Dabei fragen wir unter anderem, wie viele rechtsextreme Accounts die Plattform in Deutschland beobachte und welche Symbole verboten seien.
Instagram teilt uns mit, dass es in den Community-Standards „klare Regeln“ für „gefährliche Individuen und Organisationen“ auf Facebook und Instagram gebe. So würden „alle Inhalte, die diese Organisationen und Einzelpersonen und ihre Aktivitäten loben, unterstützen oder vertreten“ von der Plattform entfernt. Das gelte auch für Symbole und Slogans, die „in Neonazi-Kontext“ verwendet würden.
Ein Team von weltweit 350 Menschen – darunter auch solche, die Deutsch sprechen – kümmere sich darum, „extremistische Personen, Gruppen oder Inhalte“ von Instagram fernzuhalten. Es untersuche etwa neue Trends bei Sprache und Symbolen und wisse, dass entsprechende Accounts ihre Aktivitäten „manchmal verschleiern“.
Instagrams Antwort liest sich, als habe die Plattform das Problem im Griff. Doch wie gut diese Sicherheitsvorkehrungen in der Praxis funktionieren, zeigt sich bei dem Bild des schlafenden Babys mit dem Sonnenrad: Erst nach unserer Anfrage entfernte Instagram es von der Plattform. Zu diesem Zeitpunkt war das Bild bereits elf Monate online gewesen.
Eine Sprecherin kündigt zudem an, „die Hashtags #DefendEuropa und #heimatverliebt zu untersuchen“. Hashtags, auf die wir Instagram hingewiesen hatten. Es sei außerdem „hilfreich“, wenn wir noch weitere Accounts nennen könnten.
Funktionierende Filter gegen rechtes Gedankengut sehen anders aus.
Gut getarnter Hass
Die verschiedenen Gruppen der rechten Szene vermischen und überlappen sich auf Instagram, wie unsere Daten zeigen. Sie nutzen ähnliche Hashtags, und können ihre politischen Inhalte leicht tarnen. Nutzer können auf rechtsextreme Profile geraten, ohne es zu merken. So kann Instagram zu einer Radikalisierung beitragen.
Das bestätigt uns auch das Bundesamt für Verfassungsschutz: Auf Plattformen mit „audiovisuellem Fokus“ sei die „Informationsdichte“ im Vergleich zu anderen Plattformen besonders hoch. Es sei daher für die Betreiber eine „besondere Herausforderung“, die Inhalte in vollem Umfang zu prüfen. „Insofern besteht hier die Gefahr, dass rechtsextremistisches Gedankengut vorbei an Plattform-Administration und Community-Richtlinien an Jugendliche adressiert werden kann.“
Ein Beispiel: Eine junge Frau namens Josephine, der unter anderem auch Reinhild Boßdorf folgt, teilte in ihrer Story kürzlich ein Bild von „Madame Europa“: Eine junge Frau mit einem geflochtenen Zopf vor einem Wald aus rosa Blüten. In einer für Instagram typischen Pose scheint sie die Person hinter der Kamera an der Hand mit sich zu ziehen. Komm, ich zeig’ dir meine Welt, sagt dieses Bild. Es trägt die Aufschrift: „When you’re white, there is no upgrade, don’t mix”.
Auf Deutsch, sinngemäß: „Wenn du weiß bist, geht es nicht mehr besser – vermische dich nicht.“
Den Verbreitern ist offenbar völlig klar, dass sie damit gegen die Regeln von Instagram verstoßen: In den Beiträgen von „Madame Europa“ selbst wird das Bild nicht angezeigt. Stattdessen wurde dort eine verschwommene Grafik veröffentlicht, mit dem Hinweis: „Dieses Bild könnte zensiert werden und zur Sperrung dieses Accounts führen. Entdecke es auf Telegram.“ Dazu wurde ein Link zum Telegram-Kanal gezeigt – und dort fanden wir das Foto der Frau mit den rosa Blüten.
Dieselbe Strategie beobachteten wir auch bei „Europa Invicta“: Ein Bild, das auf Instagram unkenntlich gemacht wurde, entpuppt sich auf Telegram als ein Vater mit drei Kindern im Blumenfeld. Ein Familienfoto in der Idylle – doch alle bis auf das kleine Mädchen halten Schusswaffen in den Händen. „Verteidige dein Land“ steht darauf.
Unsere Recherche zeigt: Die Tiefen von Instagram sind durchzogen von Hass. Doch es ist Hass, der sich gut zu tarnen weiß. Die Plattform scheint dagegen bisher kein wirkungsvolles Mittel gefunden zu haben. Mit unserer Datenanalyse haben wir bereits tief unter die Oberfläche geschaut. Doch den Boden haben wir noch nicht erreicht.
Sichtbar machen, wo unsere Demokratie in Gefahr ist.
CORRECTIV ist spendenfinanziert. Unterstützen Sie Recherchen wie diese, um rechte Netzwerke ans Licht zu bringen. Hass und Hetze dürfen nicht im Verborgenen bleiben.
Veröffentlicht am 07. Oktober 2020
Recherche & Texte: Alice Echtermann, Arne Steinberg, Celsa Diaz, Clemens Kommerell, Till Eckert
Datenwissenschaft: Celsa Diaz, Clemens Kommerell
Redaktion: Olaya Argüeso, Justus von Daniels
Design: Benjamin Schubert, Belén Ríos Falcón
Projektmanagement: Marius Wolf
Mitarbeit: Frederik Richter, Jonathan Sachse, Miriam Lenz, Carol Schaeffer, Melina Hemmer
Kommunikation: Katharina Späth, Luise Lange, Bao-My Nguyen, Valentin Zick