Häufig gestellte Fragen
Die CumEx-Files sind eine internationale Recherchekooperation unter Leitung von CORRECTIV. Investigative Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt haben gemeinsam enthüllt, wie ein weltweites Netzwerk aus Anwälten, Bankerinnen, Aktienhändlern und Superreichen aus einem Steuerbetrug hohe Profite schlagen. Dafür liegen uns Beweise in Form von geheim zugespielten E-Mails, Geschäftsplänen, Gutachten von Kanzleien und mehr vor. Diese Dokumente zeigen eindrücklich, wie sich die reichen Betrügerinnen und Betrüger hohe Kapitalertragssteuern zurückerstatten ließen, ohne diese zuvor geleistet zu haben. Das bedeutet: Sie haben weltweit Bürgerinnen und Bürgern Steuergelder in Milliardenhöhe geklaut. Sie selbst haben diesen Betrug jahrelang als Steuerschlupfloch bezeichnet.
Mit der ersten CumEx-Files Veröffentlichung haben wir 2018 Geschichte geschrieben. Es war der größte bis dahin bekannte Steuerbetrug in Europa: 55 Milliarden Euro. Obwohl die deutschen Medien bereits über den Betrug berichtet hatten, recherchierte kein Medium bis dahin die internationale Dimension des Diebstahls. CORRECTIV leitete das Team von 18 Medien aus einem Dutzend europäischer Länder, das ein Jahr lang die durchgesickerten Dokumente untersuchte.
Die CumEx-Files 2.0 schlagen ein neues Kapitel auf: neue Datenlecks, neue Protagonisten, neue Steuertricks und eine neue Summe. Und eine neue – weltweite – Recherche-Kooperation. Dieses Mal geht es nicht um 55 Milliarden, sondern 150 Milliarden Euro. Auch drei Jahre nach der ersten Veröffentlichung koordiniert CORRECTIV die internationale Zusammenarbeit und zeigt neben der weltweiten Summe auch, wie wenig Gesetzgeber und Strafverfolgung bisher erreicht haben, um dem Betrug ein Ende zu setzen und die Kriminellen vor Gericht zu verurteilen.
Nach der ersten Veröffentlichung ist die europäische Zahl von 55 Milliarden Euro zu einem Maßstab für den Cum-Ex-Schaden geworden. Bis dahin wusste niemand, wie viel Geld wirklich geraubt wurde. Also auch nicht, wie groß das Problem ist. Diesmal sind wir mit Kolleginnen und Kollegen von allen fünf Kontinenten zusammen gekommen, um die neue Summe zu ermitteln. Im Schatten der letzten Jahre ist der Cum-Ex-Betrug noch komplizierter und raffinierter geworden. Er hat nachgerüstet. Aber unsere Recherchekooperation CumEx-Files auch.
Einfach erklärt: Der Staat zahlt eine nie oder nur einmal gezahlte Steuer mehrmals zurück. Damit machen die Akteure Gewinn, und die Gesellschaft verliert Milliarden an Steuergeldern, die ihr zustehen.
Eine Metapher: Man kann es sich vorstellen wie einen Betrug um Kindergeld. Bei Cum-Ex-Geschäften lassen sich Deutsche, die gar keine Kinder haben, Kinder zum Schein aus London schicken und melden sie in Deutschland an. Ohne dass die Kinder wirklich bei ihnen wohnen oder essen. Dann geben sie die Kinder an Bekannte weiter, die die Kinder auch dem Amt melden. Die Bekannten überlassen die Kinder wiederum an eine andere Familie – und so weiter. Die Kinder leben gar nicht bei den Familien, sondern werden nur zum Schein auf dem Papier angegeben.
Schlussendlich schickt man die für den Betrug ausgeliehenen Kinder nach kurzem Aufenthalt in Deutschland wieder zurück nach London. Dort werden die Kinder wieder bei ihrer Familie angemeldet. Das deutsche Amt weiß das nicht und zahlt das Kindergeld ohne Umschweife an jede der deutschen Familien, die mitgemacht haben – also gleich mehrfach – aus. Also haben Familien ohne Kinder zu Unrecht Kindergeld bekommen. Das geklaute Kindergeld teilen sich dann alle Familien. Der einzige Unterschied: Bei Betrug mit Aktien geht es jedes Mal um Millionen von Euro aus unserem Steuertopf.
Die Banker nutzen also aus, dass die Finanzämter den Betrug nicht erkennen. Am Ende fehlt Geld, das sie sich ergaunern, aber an anderen Ecken. Für die Renovierung eines Kindergartens zum Beispiel.
Cum-Ex-Geschäfte gehören zur Kategorie der Dividendenarbitrage. Investoren und Banken handeln Aktien eines Konzerns mit (cum) und ohne (ex) Dividende, also der Gewinnbeteiligung der Anleger. Der komplizierte Begriff meint eine besonders risikoarme Variante, Dividenden zu erhalten.
Der Gesellschafter oder die Gesellschafterin kauft die Aktien vom Unternehmen, kurz bevor dieses die Gewinne ausschüttet. Danach verkauft er sie wieder, oder andersherum. Da die Aktien schnell zwischen mehreren Besitzern wechseln und der Staat nicht erkennen kann, wem die Aktie zu welchem Zeitpunkt gehört, erhält jeder der beteiligten Akteure eine Steuerbescheinigung. Bei Privatpersonen wird bei der Ausschüttung der Dividenden von Aktien die Kapitalertragssteuer (in Deutschland 25 %) fällig. Unternehmen und Fonds können sind diese Steuer mit der Steuerbescheinigung unter bestimmten Umständen später zurückerstatten lassen.
Damit haben alle Parteien Anspruch auf eine Steuerrückerstattung, obwohl die Steuer auf den Gewinn (Dividende) nur einmal gezahlt wurde. Der einzige Zweck dieser Aktienverkäufe ist, Steuerbescheinigungen zu erzeugen.
Gute Frage! 2018 errechneten Fachleute für unsere Recherche, dass in Europa mindestens 55 Milliarden Euro bei Cum-Ex-Geschäften erbeutet wurden. Zu den am stärksten betroffenen Staaten gehörten Deutschland und Dänemark, denen mindestens 31,8 beziehungsweise 1,7 Milliarden Euro in Folge von betrügerischen Steuerrückforderungen verloren gingen.
In Deutschland, Dänemark und den Niederlanden sind die Steuerbehörden noch dabei, den finanziellen Schaden für die öffentlichen Kassen zu ermitteln. In anderen Ländern haben die Verantwortlichen in den oberen Etagen noch nicht einmal zugegeben, dass sie dem Betrug zum Opfer fielen, obwohl Recherchen dies nachweisen.
Die aktuellsten Berechnungen aus der aktuellen Recherche gehen von einem weltweiten Schaden von 150 Milliarden Euro aus.
In Deutschland schon. Nachdem die ersten verurteilten Händler und die M.M.Warburg Bank im März 2020 gegen die Entscheidung des Landgerichts Bonn Berufung eingelegt hatten, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) im Juli 2021, dass Cum-Ex-Trades strafbar sind. Der BGH begründete seine Entscheidung so: „Nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer darf zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden“. Nach Ansicht der Richterschaft waren die Cum-Ex-Transaktionen nicht „das bloße Ausnutzen einer Gesetzeslücke, weil die gesetzliche Regelung eindeutig war. Es ging vielmehr, übrigens nicht anders als bei dem normalen Umsatzsteuerbetrug, um einen glatten Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen“. Dieses Urteil hat enorme Folgen für die über 1.000 Personen, gegen die in Deutschland wegen ihrer Beteiligung an diesen steuergetriebenen Geschäften ermittelt wird. Zunächst müssen einer der beiden britischen Händler und die M.M.Warburg Bank insgesamt 190 Millionen Euro an die Staatskasse zurückzahlen.
Einige Länder hatten das Dividendenstripping, eine andere Form der Dividendenarbitrage, schon früh im Blick. Norwegen zum Beispiel wies 2015 zehn Steuerrückforderungen in Höhe von insgesamt 4,3 Millionen US-Dollar zurück und verschärfte seine Kontrollen. Auch die USA haben sich geschützt, unmittelbar nachdem der Raub bekannt wurde. In Deutschland dagegen scheiterten 2007 und 2009 Versuche, Cum-Ex-Deals juristisch zu verbieten. Erst 2012 wurde die Masche weitgehend unterbunden. Die Banker, Aktienhändlerinnen und Anwälte, die bei steuergetriebenen Geschäften die Fäden ziehen, lernen ständig neue Tricks. Während die Regulierungen auf die einzelnen Länder begrenzt sind, wird auf den Finanzmärkten international operiert. Das erschwert das Vorgehen gegen Betrügerinnen und Betrüger.
Nach Veröffentlichung der CumEx-Files 2018 nahm das EU-Parlament eine Resolution an, die unter anderem, „die Tatsache beklagt, dass der für Steuerangelegenheiten verantwortliche Kommissar nicht die Notwendigkeit sieht, das bestehende System zum Austausch von Informationen zwischen nationalen Steuerbehörden auszuweiten.“ Sowohl die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) als auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) veröffentlichten 2020 Berichte zum Thema Cum-Ex-Geschäfte. Beide hielten fest, dass es nicht ihre Aufgabe sei, den Steuerbetrug zu stoppen, weil Steuerangelegenheiten nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Die internationale Zusammenarbeit ist jedoch dringend notwendig, um effektiv gegen den Betrug vorzugehen.
Ja. Der erste Cum-Ex-Prozess in Deutschland endete im März 2020. Zwei Londoner Investmentbanker wurden schuldig gesprochen. Sie mussten aber nicht ins Gefängnis, weil sie sich bereit erklärten, mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren. Das Gericht verurteilte außerdem die M.M.Warburg Bank, mit der die beiden Londoner Banker zusammengearbeitet hatten, aufgrund ihrer Verwicklung in den Fall zu einer Rückzahlung von 170 Millionen Euro.
Jüngst verurteilte ein Gericht in Bonn zudem einen früheren Mitarbeiter der M.M.Warburg Bank zu fünfeinhalb Jahren Haft. Er war der erste Banker, der jemals eine Gefängnisstrafe für seine Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften erhielt.
Zwei weitere Cum-Ex-Verfahren sind derzeit in Deutschland anhängig. Dänemark hat acht Personen angeklagt und Klage in Großbritannien, den USA und Dubai eingereicht. Andere Länder haben ebenfalls Ermittlungen eingeleitet, die zu weiteren Anklagen führen könnten.
Allein in Deutschland ermitteln die Behörden gegen 1.000 Menschen.
Zunächst einmal: Weniger als der Gesetzgeber und die Verfolgungsbehörden. Die sind jetzt gefragt. Zu lange haben sie zu wenig getan. Was Sie als Leserin oder Leser aber tun können, ist beispielsweise Ihrer oder Ihrem Abgeordneten im Bundestag schreiben und sich erkundigen, wie diese oder dieser sich gegen Cum-Ex stark macht.
Ein anderer guter Weg, etwas zu tun, ist es auch, diese Recherche an ihre Freundinnen, Bekannte und andere Interessierte zu schicken. Je mehr Menschen von den CumEx-Files 2.0 wissen, desto größer wird der gesellschaftliche Druck
Und zu guter Letzt: Spenden Sie für investigativen Journalismus. CORRECTIV ist gemeinnützig. Tausende Unterstützerinnen und Unterstützer haben es möglich gemacht, dass diese Recherchekooperation zeigen konnte, wie groß das Problem ist und welche Lücken gestopft werden müssen. Außerdem erhalten Sie für Ihre Spende einen Beleg – den können sie ganz legal steuerlich geltend machen.