Auf eine Shisha mit… – im Dialog mit jungen Deutschtürken
Warum wir durch Deutschland reisten, um einander auf Augenhöhe zu begegnen
Millionen junger Deutschtürken leiden unter Versäumnissen der vergangenen 50 Jahre Integrationspolitik. Diese Seite ist für Menschen, die mit uns dazu beitragen möchten, dass sich jeder in diesem Land Zuhause fühlt. Zusammenleben geht nur gemeinsam. Und dafür müssen alle Menschen in dieser Gesellschaft in den Dialog treten.
Um diese Gespräche zu erleichtern, haben wir unsere Workshop-Serie „Auf eine Shisha mit...“ entwickelt. Zuerst haben wir in ganz Deutschland mit jungen Türkischstämmigen darüber gesprochen, was sie bewegt. Wir haben gelernt was sie über Ehre, Alltagsrassismus, Heimat, Religion und über die Schule denken. Im nächsten Schritt haben wir dann auf Basis dieser Gespräche Methoden entwickelt, wie jeder – ganz gleich ob in der Schule, im Verein oder Kulturcafé – eigene Workshops zu 20 verschiedenen Themen organisieren kann, um zum Dialog beizutragen.
Wir sollten uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen, weil wir in dieser Gesellschaft alle zusammengehören. Wenn wir miteinander reden, können wir Verständnis für einander gewinnen.
Mehmet Mert ist 21 und fährt einen Wagen für 50.000 Euro. Woher haben junge Türken Geld für so teure Autos? Alles Schuldner oder Gangster? Diese Fragen höre ich immer wieder – Antworten finde ich in Ellwangen und denke: Verdammt, der Typ hat mehr Plan als ich.
Erkan Sahin hält Protzen und Prahlen für ein Ding der Türken. Aber auch als Zeichen geglückter Integration. Der Hamburger sagt mir, Türken und Deutschen unterscheiden sich überhaupt nicht, wenn es um Eigentum geht. Nur ihre Liebe zum Mercedes-Stern sei größer.
Osman Uygur ist von Narben gezeichnet. Frührer war er eine Legende an vielen Club-Türen im Ruhrgebiet und Ehre sein höchstes Gebot. Doch meine Angst vor dem Interview ist unbegründet: Heute versteht Osman Ehre anders.
Nesrin Tekin hilft jungen Türkinnen in Berlin. Bei der Jobsuche und auch Eheproblemen. Womit sie mich schockt: Das Klischee der unterdrückten türkischen Frau trifft in vielen Familien noch immer zu. Ein weiterer Tag, an dem ich mich neu hinterfragen muss.
Cihat Genc verlor seine Schwestern beim Brandanschlag von Solingen 1993. Seine Familie leidet noch heute an den Folgen des Hass-Verbrechens. Mir kommen fast die Tränen, als er mir erzählt, dass seine Mutter noch immer um die Toten weint. Rassismus ist die schlimmste Krankheit der Menschheit.
Mustafa Esmer sieht die Türken als politische Opfer. Der rechte Nationalist liest Satre und fühlt sich von Malcom X und der Black-Power-Bewegung inspiriert. Ich muss während unseres ganzen Interviews denken: Beschwer dich nicht, geh doch einfach in die Politik!
Sinem Aktas war nie feiern, dafür hat sie ihr Abitur gemacht. Mit der Hilfe ihres Vaters. Als wir uns in der Dortmunder Nordstadt treffen, erzählt sie mir, wie sehr sich ihre Familie am Gymnasium für sie eingesetzt hat. Ich denke an meine Schulzeit zurück und muss lächeln.
Ihsan Kaplan findet die türkischen Viertel in deutschen Großstädten gar nicht so schlimm. Der Hamburger Student überlässt den Blick auf die Alster gern den Reichen der Hansestadt. Kein Wunder, denke ich: Wer Sternenstaub sammelt, hat einen anderen Blick auf die Welt.
Emrah Celik glaubt nicht an Chancengleichheit. Schon in der Realschule fragten Lehrer ihn, was er dort als Türke eigentlich suche. Trotzdem will er nicht verzweifeln. Seine Hoffnungen setzt er in die nächste Generation. Ich bewundere seinen Optimismus, kann ihn aber nur schwer teilen.
Selim Sezgi sagt, der Islam geht mit den Lehren von Marx Hand in Hand. Für den Chemnitzer Muslim finden sich in seiner Religion viele kommunistische Ansätze. Ich treffe ihn vorm bronzenen Marx-Kopf auf dem Marktplatz der Stadt. Neben uns Pro Chemnitz-Anhänger. Sie fangen an zu pöbeln, weil sie unsere Shisha sehen.
Gürkan Bora ist Jugend-Fußballtrainer. Der ganzen Özil-Debatte zum Trotz beginnt für ihn die Integration noch immer auf dem Platz. Konflikte entstehen dort nicht durch die Herkunft, sondern aus dem Geldbeutel der Eltern. Gürkan gibt mir etwas, dass ich nach meinem Chemnitz-Besuch dringend nötig habe: Hoffnung.
Umre Kizildeniz ist Erdogan-treu, Deutscher wie Türke gleichermaßen und bei der freiwilligen Feuerwehr in Hassloch. Wenn eine Katze vom Baum gerettet werden muss, spielt Politik für ihn keine Rolle. Und ich begreife dass Engagement für die Türkei nicht im Widerspruch zu Deutschland stehen muss.
Tugba Bakirci sagt, wenn man für türkische Probleme kämpft, kann man in Deutschland nichts verändern. Ich frage die Auszubildende, als was sie sich denn fühle – deutsch oder türkisch? „Als Kölsches Mädche".
Dilan Coktas ist als Sechsjährige aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Das Leben fern der Heimat radikalisiert, sagt sie. Das gilt vor allem für die Deutschtürken hier. Ich bewundere, dass sie immer noch mit den Menschen reden will. Mit allen. Obwohl sie von Deutschen wie von Deutschtürken oft angefeindet wird.
Turgay Tahtabas kam in den 90ern nach Deutschland, arbeite als Müllmann und ist heute erfolgreicher Unternehmer. NRW-Ministerpräsident Laschet verlieh im erst letztens den Landesverdienstordens. Turgays Erfolgsrezept: Er wollte helfen, Deutschland etwas besser zu machen. Und zwar nicht nur für Türkischstämmige ...
Erdem Yildirmaks Lehrer hatte jede Menge Vorurteile. Aber Erdem ist weniger an den Diskriminierungen in der Schule verzweifelt als an den Grundsätzen unseres Bildungssystems. Seinen Weg hat er trotzdem gemacht und fordert jetzt, dass sich für die nächste Generation was ändern muss.
Meltem Sahin liebt Duisburg-Marxloh und will aus dem Stadtteil nicht mehr weg. Multikulti macht Marxloh für sie international. Ich treffe mich mit ihr und lerne, was echter Optimismus ist.
Dilem Kaya ist genauso alt wie ich. Aber sie hat bereits ganz konkrete Vorstellungen für ihre Kinder: Bildung ist wichtig, sagt die junge Berlinerin. Außerdem sollen sie in möglichst vielen Kulturen aufwachsen. Damit sie sich aus allen das Beste ziehen können.
Theresa ist Deutsche und Berat Özkaynak Türke. Genauso halten sie es auch in ihrer Ehe. Echte Deutschtürken können erst ihre Kinder sein, sagen sie. Es freut mich, wie harmonisch und liebevoll die beiden ihren Weg gefunden haben.
Marcel Kellner kommt aus Bottrop, meiner Heimat. Als er mir die Geschichte seiner italienischen Familie erzählt, mischt sich Xalo ein. Ich kenne den jungen Kurden nicht. Was schwierig beginnt, wird eine interessante Diskussion. Es geht um ehrlichen Respekt und Offenheit, sagen beide.